[FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

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    • 16.08.2008
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    [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

    Tourentyp
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    Mitreisende
    „Hast Du schon überlegt, wo Du im Januar Urlaub machst?“ „Ich dachte, ich mache eine Radtour in Finnland“ „Was willst Du denn in Finnland?“ „Keine Ahnung, irgendwie ist mir danach.“

    Naja, ganz stimmt das nicht. Das erste Mal hatte ich ein Auge auf Finnland/Lappland geworfen, nachdem es ernsthafte Überlegungen für ein Nordlichtertreffen in Rovaniemi gab. Dies fand dann aus verschiedenen Gründen nicht statt, aber seit der Zeit wusste ich, wo Rovaniemi liegt und hatte den Eindruck, man müsse da irgendwann einmal hin.

    Ende September 2011 fingen dann erste Vorüberlegungen an. Es sollte auf jeden Fall keine Flugreise werden. Vielleicht eine Fahrradtour an der dänischen Küste entlang, dann noch ein bisschen Schweden? Und dann über Finnland mit der Fähre zurück? Ein Blick in die Karten zeigt, dass eine derartige Strecke im Winter eine Herausforderung ist. Viel zu lang. Also vielleicht nur Finnland? Ich besuche Anfang Dezember die Weihnachtsmärkte der skandinavischen Kirchen. Dänische Kirche – nett. Schwedische Kirche – nett. Norwegische Kirche – wortkarg. Finnische Kirche – familiäre Athmosphäre und ich komme sofort ins Gespräch. Ich frage, ob man da im Winter Radfahren kann. Wenn nicht zuviel Schnee liegt, ja. Die Räumdienste sind zuverlässig. Und übrigens: Schnee ist hell. Die Entscheidung ist gefallen. Es wird Finnland.

    „Du könntest auch nach Südfrankreich fahren, da ist es warm. Bis Du Dir sicher, dass es wirklich Finnland sein muss?“ „Ja.“ „Da können aber bis zu – 30 oder – 40 Grad werden.“ „Ist doch schön, dann kann ich das mal ausprobieren.“
    „Ich brauche eine Skibrille fürs Fahrradfahren. Ich will im Januar nach Finnland“. „Im Winter?“ „Ja, im Winter“. „Aber nach Finnland fährt man doch nicht im Winter, sondern eher im Frühling!“ „So etwas will ich von einem …..verkäufer nicht hören, sonst beschwere ich mich!“ „Okay, also eine Skibrille.“
    „Und Du bist sicher, dass es Finnland sein muss?“ „Ja.“
    „Und – wo fährst Du diesmal hin?“ „Nach Finnland.“ „Skiurlaub?“ „Nein, mit dem Fahrrad.“ „Und womöglich auch noch mit dem Zelt?“ „Ja, natürlich.“ „Dir ist nicht zu helfen, was?“

    Ich entscheide mich, mein Reiseziel von jetzt an geheim zu halten.

    Ich lese ein bisschen herum. Die ODS Hotline versorgt mich mit Links von Winterradtouren. Hhhm, Januar ist nicht März. Aber im März kann ich nicht weg. Ich entscheide, mich nicht zu viel zu informieren. Wer zuviel weiß, fährt nicht los. Das wird sich schon alles vor Ort finden. Ein wenig Abenteuer muss sein. Ich weiß allerdings, dass Luminous zu der Zeit wieder in Rovaniemi ist und lege Rovaniemi als Ziel fest. Es ist ein sehr ambitioniertes Ziel, im Winter von Helsinki nach Rovaniemi zu fahren. Spätestens, als ich beim Buchhändler Radkarten von Finnland erwerbe, ist mir klar, dass Finnland verdammt groß und vor allem lang ist. Und Rovaniemi liegt schon ziemlich weit oben. Aber es ist irgendwie netter, ein Ziel zu haben, als ziellos durch die Gegend zu fahren.

    Ein wintertourentauglicher Benziner, zwei winddichte Winterradhosen als zweite Schicht, dicke Daunenhandschuhe sowie Radfahrhandschuhe, -sturmhauben, -schuhe werden neu angeschafft. Im Schnäppchenthread lese ich von einer Bersteigerhose aus Event – sie wird als Regenhose mitkommen. Meine Bekleidung besteht vor allem aus einem Mehrschichtsystem aus speziellen Radbekleidungsstücken - ich habe aus meiner ersten Winterradtour gelernt. Anfang Dezember rüstet mein Fahrradhändler mein Fahrrad auf Spikes um – zumindest theoretisch. Ich fahre probehalber einmal um den Block und die meisten Stahlstifte sind weg. Also zieht er wieder die Sommerreifen auf, die Winterreifen werden zum Hersteller geschickt, der ein neues Paar schickt. Dieses übersteht tatsächlich die erste Probefahrt und das Einfahren auf Asphalt. An Weihnachten buche ich die Fähre nach Helsinki. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Ich überlege, ob ich das Trollspiret Pro oder das Trollspiret Extrem mitnehme. Der Unterschied beträgt 1,3 kg. Ich baue das Pro im Garten meiner Eltern auf. Es hat hinten eine Bodenbelüftung. Das Extrem kommt mit.

    Einen Tag vor Beginn der Reise stapele ich meine Ausrüstung auf einem Haufen. Es ist eine Menge, aber watt mutt, datt mutt. Zur Verfügung stehen mir zwei Radtaschen, die Lenkertasche, eine Quertasche und Rucksack. Das ist der Plan. Ich probiere, ob ich den leichteren 50l Sommerrucksack mitnehmen kann und packe mein Raubtier hinein. Damit ist der Rucksack fast voll. Hilft nichts, es muss der schwerere, aber bewährte 65l Rucksack mit. Der Rucksack wird gepackt wie immer und enthält, was ich zum Schlafen brauche. Ohne es noch einmal kontrollieren zu müssen, weiß ich, dass nichts fehlt. Das Zelt, die Schaufel, der Gaskocher und das Futter kommen in die Quertasche. Die Packtaschen sind für die Reservekleidung, den Backup-Schlafsack, den Reservereifen und den Benzinkocher zzgl. Benzin sowie die Karten. Erstaunlich, wie wenig in die Packtaschen hineingeht, aber es reicht. In die Lenkertasche kommen der Reserveschlauch und der Elektronikkram inklusive Batterien und das Navi. Eine Thermoskanne kommt ans Fahrrad, die zweite auf die Quertasche.

    Dann stellt sich noch einmal die Schuhfrage. Ich habe geplant, mit den Radschuhen zu fahren. Um eine längere Strecke zu laufen, müssen aber noch normale Stiefel mit. Ich beäuge meine Sorel Caribou und entscheide mich für meine Wintergummistiefel. Vor zwei Jahren hatte ich die Caribou auf meiner Winterradtour nach Sylt mit und mir nach einem kurzen Fußmarsch die Fußgelenke aufgerissen, da die Verklebung zu grob war. Der großer Outdoorladen, bei dem ich sie gekauft hatte, hatte sie zwar hinterher netterweise in neue umgetauscht, aber ich habe Angst, dass das wieder passiert. Es hat lange gedauert, bis die Wunde verheilt war. Als das Fahrrad schon gepackt vor der Tür steht, entscheide ich mich in letzter Sekunde noch einmal um und ziehe doch die Caribou an. Wie sich nachher herausstellen wird, ist die Entscheidung goldrichtig.

    Und so geht es am 05.01.2012, ca. 15.00 Uhr los.
    Zuletzt geändert von Torres; 01.02.2012, 12:22.
    Oha.
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    #2
    AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

    Die Anreise 5.1.-7.1.2012

    Mein Fahrrad ist gepackt und ich komme nicht drauf. Es ist der übliche Mist. Im Sommer kann ich lässig das Bein über den Gepäckträger schwingen, im Winter nicht. Und dann noch die dicken, schweren Caribou-Stiefel. Das heißt: Viel Schwung holen und das Bein gestreckt über die Mittelstange schwingen, ohne das Fahrrad fallen zu lassen. Und elegant soll es auch aussehen. Nun gut. Geht alles.
    Es weht ein kräftiger Wind und ich merke, dass meine Aufbauten nicht gerade filigran sind. Der Rollwiderstand der Spikes auf Asphalt ist vernichtend und ich schwanke die Straße entlang. Dann fällt mir irgendetwas ein, was ich vergessen habe – war es den Herd aus zu machen? - und ich fahre wieder zurück. Absteigen, in die Wohnung gehen, falscher Alarm. Mein Tourtagebuch liegt noch auf dem Tisch, das hat sich also doch gelohnt.
    Also wieder mit flottem Schwung auf das Fahrrad und dann geht es endlich los. Ich fahre ein paar Meter, der Gegenwind trifft mich voll und ich quäle mich. 40 kg Gepäck habe ich gewogen und sie wiegen schwer. Ich fahre wieder zurück und entscheide mich, den Backup-Schlafsack zu Hause zu lassen. Als ich ihn in der Hand halte, ist er so federleicht, dass es auf ihn auch nicht mehr an kommt. Also packe ich ihn wieder ein und entscheide mich, jetzt endlich los zu fahren. Und das tue ich dann auch.

    Ich fahre zur S-Bahn und erfreue mich daran, dass der Aufzug tatsächlich funktioniert. Dann kaufe ich die Fahrkarte nach Travemünde am Automaten, was für ein Gewaltakt, denn ich muss das Fahrrad sorgfältig anlehnen, sonst fällt es um. Der Mitttelständer ist keine Option heute, das sehe ich schnell am Biegegrad. Die Fahrradkarte nicht vergessen und dann kommt auch schon die S-Bahn. Ein letzter Wettercheck: Helsinki zwischen – 1 und + 2 Grad und in Rovaniemi sieht es auch nicht viel anders aus. Es soll wärmer werden. Das klingt doch nach einer entspannten Sommerradtour. Der Sturm, der mit Orkanstärke über Skandinavien hergefallen ist, ist auch abgeflaut. Ich habe ein gutes Gefühl.

    Am Hauptbahnhof steht der Zug nach Lübeck und alles klappt bestens. Ich steige ein. Ein dynamischer Mann mit Schrottfahrrad war schneller und stellt sich auf den Platz, den ich brauche, damit ich das Fahrrad justieren kann. Ich bitte ihn, sein Fahrrad um zu stellen und er macht es sofort und ich parke ein. Auf dem Klappsitz liegt ein angebissenes Stück Bockwurst mit Brötchenrest auf Pappe und da ich ein ordentlicher Mensch bin, schmeiß ich den Müll in den Mülleimer. Als ich zurück komme, fragt der Fahrradfahrer: „Hast Du meine Bockwurst gesehen, die habe ich eben dahin gelegt“ und ich denke „Sch.....“ und sage: „Eh, sorry, die habe gerade weg geschmissen. Ich kann Dir ein Brötchen geben.“ „Oh ne,“ sagt er gut gelaunt, „war ja sowieso nicht mehr viel“. Dann guckt er interessiert nach meinem Fahrrad, registriert, dass es keine Kettenschaltung hat und fragt: „Ah, Rücktritt, nicht wahr?“ Ich kämpfe mit meinem reinem Gewissen, es verliert. „Ja, sage ich“. „Und es hat Gänge, nicht?“ „Ja, klar“, sage ich. Er nickt fachmännisch. Ich fühle mich schlecht und bin froh, dass er nicht nach der Anzahl fragt. Es könnte ihn verwirren.

    In Lübeck suche ich den Zug nach Travemünde und fahre erst einmal Aufzug hoch und Aufzug runter. Der Zug kommt und das Fahrradabteil ist ein schmales enges Fleckchen, das eine missgelaunt schauende Dame mit riesigen Koffern zugeparkt hat. Ich komme so schon kaum in das Abteil und bitte sie, die Koffer weg zu nehmen und sie glotzt blöd und wendet sich ihren Fingernägeln zu. Ich nehme einen ihrer Koffer und stelle ihn um, kriege ihn aber nicht richtig zu fassen und er poltert in die Ecke. Ich habe eine Feindin. Dann räume ich die Koffer hinter mir weg, um meine Packtaschen aus dem Weg zu räumen, sie gehören einer hilflosen Asiatin. Gerade rechtzeitig, denn die Schaffnerin muss durch. Die Asiatin fragt nach dem Fährterminal und ich sage ihr, sie soll mit mir aussteigen. Meine Feindin murmelt wütende Beschimpfungen.

    Die Haltestelle kommt, ich steige zusammen mit der Asiatin aus, und komme fast nicht durch die Tür mit den breiten Packtaschen. Das muss ich üben. Ich folge dem Schild Terminal. Es sind ca. 6 Grad plus, es regnet in Strömen. Außerdem weht ein sehr frischer Wind. Ich finde ein Fahrradschild „Fährterminal“, es zeigt einen Geradeaus-und-dann-rechts-Pfeil und ich überquere die Straße. Der Wind wirft mich fast um. Am Ende der Unterführung befindet sich eine Bushaltestelle mit dem Schild: Fährpassagiere bitte warten, bis der Bus kommt. Ich bin begeistert. Weitere Schilder sind nicht zu sehen. Rechts ist Zaun, vorne ist Zaun und ich entscheide mich, der einzigen Straße zu folgen. Es gibt sogar einen Radweg. Ein junger Kerl kommt mir auf dem Fahrrad entgegen und ich frage: „Geht es hier zur Fähre?“ „Ja“. Kurz darauf sehe ich das auch. Es ist die Fähre von Travemünde nach Priwall. Priwall ist schön, aber eigentlich wollte ich nach Helsinki.

    Ich sehe eine Fußgängerin mit Hund und nach ihrer komplizierten Erklärung kombiniere ich: a) Die Fähre ist für Autos only und b) ich muss zurück. Diesmal fahre ich die andere Richtung. Der Wind wird stärker und ich verliere fast den Regenschutz des Rucksacks. An einer Steigung muss ich anhalten, da der Wind das Fahrrad fast umwirft. Mist. Als die Böe abflaut, fahre ich wieder los und in Schlangenlinien fast in den Graben, als mich eine starke Böe von der Seite erwischt. Das fängt ja gut an. Ich muss schieben. Dann sind rechts wieder windschützende Bäume und ich fahre weiter. Bin ich hier richtig? Wieder eine Frau mit Hund und sie sagt: „Fahren sie ein kleines Stück zurück, da geht es rein, den Deich hoch und dann sind sie da.“ Ich sage: „Das darf doch nicht wahr sein, da komme ich her“ Und sie sagt: „Ich weiß, für Fahrradfahrer gibt es keinerlei Schilder, das passiert vielen“. Ich finde den Deich und tatsächlich: Vor mir liegt das Terminal. Es ist 17.30 Uhr und Check-In Time ist ab 20.30 Uhr. Die Fähre fährt nämlich erst morgens um 3 Uhr.

    Und dann stehe ich am Zaun. Es regnet, es stürmt und es ist kalt. Aber ich bin ja vernünftig angezogen. Ich fühle mich als Held. Andere sitzen im Auto, ich bin Outdoorer.

    Nach einer Stunde kommt ein Finne, sieht mich und macht große Augen. Er öffnet mir die Schranke zum Innenbereich, befiehlt mir, mein Fahrrad am Zaun fest zu ketten und schickt mich energisch ins Restaurant. „Vor 22.00 Uhr brauchen Sie nicht wieder zu kommen, die Fähre kommt später wegen des Sturms.“

    Ich betrete eine architektonische Scheußlichkeit mit einem meterlangem gläsernen quer über das Terminal ragenden Gang und setze mich in das Restaurant. Es ist erstaunlich preiswert, ein guter Service und bei einem griechischen Salat und Pommes beobachte ich die russischen und finnischen LKW Fahrer beim Shoppen. Der Shop ist gut sortiert: Es gibt: Bier, Bier, Bier und Bier. Außerdem harte Drinks und härtere Drinks. Für die Warmduscher gibt es Süßigkeiten wie Schokolade und Weingummi. Ich oute mich als Warmduscher und kaufe Mineralwasser und Schokolade. Und das Hamburger Abendblatt.

    Und dann warte ich. Nach zwei Stunden kommt ein gut gelaunter Herr in Uniform und informiert, dass das Schiff später kommt. Check-In-Time ist frühstens 0.00 Uhr. Volle Begeisterung auf dem Flur. Ein paar russische Kinder erhöhen ihre Lautstärke und ein Mädchen nimmt der Mutter das Iphone weg. Sie wird laut. Eine Familie mit drei Kindern taucht auf, sie haben einen bayrischen Akzent. Nach einiger Zeit kommen wir ins Gespräch, die Familie lebt in Finnland, die Frau ist die Tochter einer Finnlandschwedin und in Bayern aufgewachsen. Sie freuen sich auf Finnland, es war ihnen einfach zu hektisch im Bussiland.

    Die Putzfrauen verlassen den Raum, das Schiff ist da. Gut anderthalb Stunden später gehe ich zu meinem Fahrrad, aber es dauert noch.



    Ich unterhalte mich mit dem Finnen und er sagt mir, was ich tun muss. Wenn das Fahrzeug kommt, das die Footpassengers transportiert, soll ich losfahren und ihm hinterherfahren. Dann soll ich auf das untere Deck und mit dem Fahrstuhl auf Deck 7 fahren. Als der Minibus kommt, gebe ich Gas und schere filmreich hinter ihm in die Spur ein. Ich fahre die Brücke hoch wie ein junger Gott und dann kommt dieses Rattelgestell und mir geht die Puste aus. Wie peinlich. Und alle PKWs schauen zu. Ich schiebe. Als ich auf Deck 7 ankomme, stehe ich vor einem aufgeregten Finnen. An einem Stuhl soll ich mein Fahrrad festketten. So originell habe ich noch nie auf einer Fähre mein Fahrrad befestigt. Aber es hält.



    Ich finde mein Zimmer, es ist super, das Schiff schwankt hin und her, ich werde gut schlafen können. Und so ist es.



    Als die Fähre los fährt, wache ich auf und schaue noch ein wenig aus dem Fenster. Dann falle ich in einen tiefen Schlaf.
    Zuletzt geändert von Torres; 27.01.2012, 02:14.
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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    • hotdog
      Freak

      Liebt das Forum
      • 15.10.2007
      • 16106
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      • Meine Reisen

      #3
      AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

      Du bist ja wahnsinnig
      Arrivederci, farewell, adieu, sayonara WAI! "Ja, wo läuft es denn? Wo läuft es denn hin?"

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      • Voland
        Anfänger im Forum
        • 28.11.2010
        • 36
        • Privat

        • Meine Reisen

        #4
        AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

        Ganz schön schräg.

        Freue mich auf mehr.

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        • Jumaso
          Anfänger im Forum
          • 22.10.2007
          • 20

          • Meine Reisen

          #5
          AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

          War bislang klasse zu lesen - bin echt gespannt wie es weitergeht!

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          • Gast-Avatar

            #6
            AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

            Was für eine abartige Idee! Sehr schön.

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            • Stephan Kiste

              Vorstand
              Lebt im Forum
              • 17.01.2006
              • 6887
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              • Meine Reisen

              #7
              AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

              Mensch Torres,

              ein Plan ist ein Plan, RESPEKT!!!

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              • Ditschi
                Freak

                Liebt das Forum
                • 20.07.2009
                • 13186
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                Hallo torres,

                willkommen zurück. Bin gespannt, wie`s weitergeht.

                Gruß Ditschi

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                • Mika Hautamaeki
                  Alter Hase
                  • 30.05.2007
                  • 4006
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                  Respekt! Freue mich auf die Fortsetzung!
                  So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                  A. v. Humboldt.

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                  • Torres
                    Freak

                    Liebt das Forum
                    • 16.08.2008
                    • 32305
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                    Schräg ist, dass ich heute morgen träume, ich wäre wieder in Finnland und es liegt Schnee und dann schaue ich aus dem Fenster und es liegt Schnee.

                    Jetzt aber weiter, ich bin immer noch auf der Fähre nach Helsinki.
                    Am nächsten Morgen frühstücke ich luxuriös. Ich bin überrascht, sollten die Finnen etwas von gutem Essen verstehen? Die Antwort ist: ja, eindeutig, das tun sie. In Finnland isst man sehr gut. Das Schiff ist voll, es sind 500 Personen an Bord. Die russische Familie mit Kindern strapaziert meine Nerven: Er spielt den desinteressierten Macho, sie das zickige Schneckchen und die Kindern lassen den Punk raus, um ihre Eltern für sich zu interessieren. Fabelhaft.

                    Ich verziehe mich in meine Kabine, schlafe noch etwas und sehe im schwedischen Fernsehen die Sendung eines Geologen über die Hardangervidda. Schöne Einstimmung.
                    Um 18.30 kaufe ich einen Voucher für das Abendessen und vertilge ungeheure Mengen von Köstlichkeiten. Essen ich mir etwa Mut an? Auch beim Obst schlage ich wieder zu – es wird eine unruhige Nacht. Wie kann ich nur so blöd sein. Ich sehe mich schon morgen vom Fahrrad aus in die Büsche springen!

                    Nach dem Abendessen treffe ich die deutsche Familie wieder. Die Frau erzählt über Finnland, über die Schweden in Finnland (viele Schweden sprechen kein Finnisch, obwohl sie seit Generationen in Finnland leben. Es gibt reine schwedische Schulen etc. Aber der Staat muss sparen, daher wird die Zweisprachigkeit langsam zurückgefahren), die Präsidentenwahl und darüber, dass in Finnland die finnischen Frauen die Dinge am laufen halten, nicht die Männer. Da ist ihr Mann allerdings schon gegangen, um sich um die Kinder zu kümmern. Ich speichere ab, dass ich (wie in Polen) die Frauen fragen muss, wenn ich etwas wissen will. Sie gibt mir den Tipp, in Tankstellen zu essen, dort gibt es für kleines Geld Mittagstische. Beide Tipps sind später Gold wert.
                    Der Sonnenuntergang lässt hoffen.



                    Ich gehe früh zu Bett und schlafe vor.
                    Oha.
                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                    • Kastanie
                      Anfänger im Forum
                      • 25.10.2011
                      • 40
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                      Jetzt komme ich gerade rein ins Lesen und dann ist dein spannender Bericht auch schon wieder vorbei...warte gespannt auf deine Fortsetzung!!!
                      - Palüm Palüm -

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                      • Torres
                        Freak

                        Liebt das Forum
                        • 16.08.2008
                        • 32305
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                        Samstag, 07.01.2012, Helsinki

                        Um es vorweg zu sagen: Von diesem Tag existieren keine Fotos. Bis auf das Zeltfoto sind die Fotos im Laufe der Tour oder vor der Rückreise gemacht worden. Ich war noch nicht in der Lage zu fotografieren, obwohl es Gelegenheiten gegeben hatte. Ich war mit „Überleben“ beschäftigt.


                        Helsinki

                        Am Morgen erreicht die Fähre um 7 Uhr Helsinki. Nach finnischer Zeit, natürlich. Meine Uhr muss um eine Stunde vorgestellt werden. Ich bin früh auf und frühstücke ausgiebig. Dann schaue ich von der Reling aus auf den Anlegehafen. Die russischen LKW Fahrer sind gedämpfter Stimmung und ich sehe, warum: Es liegt ziemlich viel Schnee. Mir rutscht das Herz in die Hose.



                        Als ich zu meinem Fahrrad gehe, winkt mir die Finnlandschwedin zu und wünscht mir viel Glück. Eine finnische Mitarbeiterin von Finnlines kommt aufgeregt zu mir. Es liegt viel Schnee und ich solle ausprobieren, ob ich fahren kann. Sonst fährt sie mich mit dem Bus zum Ausgang. Ich nicke selbstbewusst. Ich mache mein Fahrrad startklar und sehe, dass ich wieder Spikes verloren habe. Es betrifft glücklicherweise nur das Vorderrad, aber an einer Stelle fehlt eine ganze Reihe. Ich überlege, meinen Fahrradhändler und den Hersteller zusammen zu stauchen, reisse mich aber zusammen. Ich habe jetzt andere Probleme.



                        Ich rolle mein Fahrrad vorsichtig die Rampe herunter. Die Straße ist geräumt, aber völlig vereist. Das trifft sich gut, auf Eis habe ich Grip. Ich steige auf mein Fahrrad und fahre der Finnin hinterher. Der Weg zum Ausgang ist lang, aber das Fahren geht gut. Das wird schon. Am Ausgang wünscht mir die Finnin viel Glück und ich bin alleine. Und wenn ich sage alleine, dann meine ich alleine. Es ist dunkel, die Straßen sind menschenleer, die Autos bereits alle weg und Schilder gibt es nicht. Ich bin begeistert. Und wo muss ich jetzt hin?

                        Ich beschließe, hinter dem Terminal rechts abzubiegen und werde fast von einem Schneepflug überfahren. Sind wir hier in etwa in Polen? Das kann ja heiter werden. Der Fahrer schaut mich mitleidig an, aber es könnte auch sein, dass er denkt: Was will dieser Idiot denn hier mit einem Fahrrad? Ich steige ab, denn der Fahrradweg endet in einem hohen Schneehaufen, welchen die Schneepflüge beim Räumen der Straßen hinterlassen haben. Ich folge der Hauptstraße und schiebe das Rad durch ein Industriegebiet zur Kreuzung und hoffe, dass ich richtig bin. Frieren tue ich nicht, im Gegenteil, die Kälte ist angenehm. Aber es wäre schön, wenn mir jemand sagen könnte, wo ich jetzt hin muss.

                        Ich mache mein Navi an und sehe: Nach Helsinki zu kommen ist ganz einfach. Man fährt einfach auf die Autobahn. Ich versuche heraus zu finden, wo ich genau bin, aber ich sehe nichts. Keine Straßennamen auf meiner Garmin Karte, nur die Hauptausfallstraßen sind angezeigt. Der Pfeil befindet sich im Nichts. Mein Herz rast. Habe ich die falsche Karte eingepackt? Ist Finnland etwa kein Teil meiner Europakarte? Ich Idiot, ich habe das Navi nicht kontrolliert. Später werde ich feststellen, dass das Navi völlig in Ordnung ist. Nur Helsinki ist gerastert. Der Russen wegen? Ich weiß es nicht. Keine Chance, den Fernradweg zu finden, zumal ich keine Ahnung habe, wo genau ich bin. Auch meine Radwegkarte hilft nicht weiter.
                        Dann das nächste Problem. Wo zum Teufel ist Helsingfors? Von dem Ort habe ich schon gehört. Liegt das nicht in Schweden? Ich will aber nach Helsinki. Ich habe vergessen, dass alle südfinnischen Orte auch eine schwedische Bezeichnung haben, Helsinki und Helsingfors sind die gleiche Stadt. Ich zwinge mich, nicht weiter darüber nach zu denken, sonst stehe ich in einer Woche noch hier. Jetzt ist Action gefragt.

                        Die Auffahrt Richtung Autobahn – auf der Rückreise fotografiert. Im Moment ist es noch stockdunkel.

                        Ich versuche, klaren Kopf zu bewahren. Rechts ist die Autobahn. Links nicht. Das sieht doch gut aus. Und Finnland ist nicht Polen. Es besteht eine Chance, dass die Straße ein Ziel hat. Ich fahre los. Der Himmel über mir ist klar und hellt sich gaaanz laaangsam auf. Richtung Helsinki ist es dunkel. Ich rolle auf dem Radweg einen Hügel hinunter, der Weg ist vereist und gut befahrbar, hui, das macht Spaß. Ich bin zufrieden. Meine Laune bessert sich.



                        An der nächsten Kreuzung weiß ich wieder nicht weiter. Geradeaus stehen Container auf den Freiflächen, also wird es wohl rechts Richtung Vuossari abgehen. Ich biege ab und begegne etwas später einem spazierengehenden Ehepaar, das mich neugierig beäugt. Es ist frostig kalt, vermutlich um die – 5 Grad und ich fühle mich wohl. Dann endet der Radweg und ich stehe mitten in einem Stadtviertel, dass man diplomatisch gesehen als „urban“ bezeichnen könnte. Früher nannte man derartige architektonische Meisterleistungen auch „sozialer Wohnungsbau“. Langsam wird es hell, die ersten Menschen huschen zur Arbeit. Ich steige ab und frage eine Frau, wie ich am besten nach Helsinki komme. Ihre Antwort: „Metro“. Ich schüttele den Kopf, man hat als Outdoorer ja seinen Stolz.



                        Ich sehe einen Radfahrer und wechsele die Straßenseite. Der Straßentunnel ist voller Taubenkacke und ich gebe Gas. Parallel der Metro rolle ich weiter. Heraus komme ich an einer Kreuzung und wieder weiß ich nicht weiter. Von Helsinki steht hier nichts mehr, sondern die Verkehrsschilder weisen Namen aus (es sind vermutlich die Stadtteile), die ich weder kenne, noch auf einer Karte finde. Ich befrage einen Schüler, er ist eine Schlaftablette, spricht kaum Englisch und kann sich nicht entscheiden, wo ich hin muss. Wir einigen uns, dass ich geradeaus weiterfahre und er ist erleichtert. Ich rolle auf dem Fahrradweg über die Ampel und mein Fahrrad macht vor einem riesigen LKW einen Haken, der Fahrer erschrickt sich genau so wie ich. Eine versteckte Kante hat es aus der Spur gebracht. Also vorsichtiger sein!

                        Ich folge der Straße und dann hört der Fahrradweg wieder auf, um mich herum nur Hauptverkehrsstraßen und ein Busbahnhof. Mist. Ich halte eine ältere Frau an, sie spricht kein Englisch, will mir aber helfen und sagt: „Metro“. Ich komme aus einer Großstadt und wenn zwei Leute unabhängig voneinander Metro sagen, dann sollte man auf sie hören. Ich geben meinen Stolz auf und nähere mich der Metro. Die Frau freut sich, zeigt mir, wie der Automat funktioniert, zeigt mir den Fahrstuhl und welche Bahn ich nehmen muss. Ich bin gerührt. Auf dem Bahnsteig frage ich ein junges Mädel, wo ich aussteigen muss (junge Leute sprechen besser Englisch). Sie sagt: „Rautatientori.“ Aha.

                        Ihr Mutter kommt hinzu und ich begreife, dass ich an dieser Station aussteigen muss. Die Metro fährt eine halbe Stunde und ich beglückwunsche mich zu meiner Entscheidung. Langsam wird mir klar, dass Finnlines am östlichsten Punkt Helsinkis angesiedelt ist. Die Fährterminals, die auf den meisten Karten in Innenstadtnähe eingezeichnet sind, gehören zu Silja Lines. Schön für die Kunden von Silja Lines.

                        Dann bin ich im Zentrum. Auch die Station „Rautatientori“ ist behindertengerecht ausgebaut und als ich aus dem Aufzug steige, sehe ich den Hauptbahnhof. Ich bin im Zentrum von Helsinki. Es ist 10.00 Uhr finnische Zeit.


                        Helsinki Hauptbahnhof


                        Die Straßen sind glatt und eine leichte pudrige Schneedecke liegt über dem Eis. Die Menschen hetzen an mir vorbei und glücklich sieht anders aus. Ich folge meinem Navipfeil, ich will zum Westteil der Innenstadt, da dort der Fernradweg 2 verläuft. Ich schiebe durch die Stadt, es stehen schöne Häuser herum, aber ich konzentriere mich auf die Straße. Berg hinauf oder auf ebener Erde den Fußgängern nach? Ich entscheide mich für die Ebene, sie führt zu einem großen Gebäude. Tage später werde ich entdecken, dass es der unterirdische Busbahnhof ist. Links und rechts sind Treppen und ich muss zurück. Also schiebe ich das Fahrrad den Berg hinauf und sehe Fußgänger rutschen und mit Glatteis kämpfen. Auch die Finnen scheinen mit dem Winter Probleme zu haben. Das beruhigt.


                        Der Zugang zum Busbahnhof

                        Ich schiebe weiter und weiter und komme an einem Busparkplatz vorbei. Eine junge Russin raucht auf dem Bürgersteig und versperrt den Weg. Ich klingele und ich rufe, aber sie hört nicht. Ich tippe sie an, sie glotzt mich an und bleibt stehen. Also räume ich sie aus dem Weg - wozu ist man Großstädter – aber sie bleibt stoisch. Kein Geschimpfe, wie bei uns. Enttäuschend. Dann nähere ich mich der Bucht und finde einen Radweg. Er ist verschneit, aber geräumt und ich kann wieder fahren. Das Wasser ist schmutzig grau, der Himmel verhangen und es fängt leicht an zu schneien. Viele Spaziergänger sind unterwegs, vor allem Familien mit Kindern und ich denke an das im Forum immer wieder mal auftauchende Thema: "„Outdoor in the City“ - darf man Outdoorbekleidung in der Stadt tragen?" Es wird mich die ganze Tour über belustigen.

                        Ich radele weiter und finde die Ausschilderung des Fernradwegs 2. Endlich. Es geht auf Mittag zu. An einer Stelle ist es richtig schön, ich sollte fotografieren, aber ich will Strecke machen. Der Radweg endet an einer Straße, und mit viel Mühe schiebe ich das Fahrrad einen unbefestigten Pfad zur Straße hoch. Das kostet Kraft. Zwei sportliche Damen - in Outdoormontur und mit Trekkingstöcken bewaffnet - sprechen mich auf Englisch an und sind begeistert von meinen Plänen. Meine Laune hebt sich.

                        Ich biege links ab und fahre einen gut ausgebauten Radweg entlang. Ein Schneepflug kommt mir in einer Kurve in einem Mordstempo entgegen, aber er sieht mich. Ich überlebe. Dann stehe ich wieder an einer Kreuzung und stelle fest, dass ich falsch bin. Mist. Meine gute Laune endet wieder. Ich wende und fahre die hügelige Strecke zurück zu der Kreuzung, an der ich die Damen getroffen habe. Eine halbe Stunde geradelt für nichts. Es schneit immer noch und ich bin ratlos. Wo zum Teuel ist der Radweg 2?

                        Ein Auto kommt von links und bremst jäh ab. Eine junge Frau schaut mich vom Beifahrersitz aus aufgeregt an. Das Auto biegt flott um die Kurve und hält mitten auf dem Bürgersteig. Schluck. Die Frau steigt aus und rennt auf mich zu. Ich schlucke wieder. Outdoor in the City. Sie trägt ein knappes, modisches Softshellchen zu den hohen Schuhen, es sieht gut aus, aber es ist eindeutig auf Sylt in einer der Promilocations besser plaziert als hier im Schneeregen. Sie lässt einen finnischen Wortschwall auf mich los und ich verstehe nichts. Ihr Mann steigt nun auch aus und ich grinse in mich hinein. Er sieht aus, als wäre er von Beruf Model. Er trägt eine dicke, rote, modische Daunenjacke, die ihm verdammt gut steht und sieht nach Hundeschlittenrennen und Abenteuer in Alaska aus. Ich denke instinktiv: Er wäre das richtige Titelbild für den nächsten Jack Wolfskin Katalog. Die Jacke ist übrigens noname.

                        Die Frau versucht es nun mit Englisch und ist hoch zu frieden, dass ich Englisch spreche. Wo ich hin wolle. Wo ich her komme. Wieso mit dem Fahrrad. Ich bin in den letzten Stunden vorsichtig geworden und erzähle ihr, dass ich Finnland kennen lernen wollte und am liebsten nach Rovaniemi fahren würde. Wobei ich natürlich nicht weiß, ob ich das wirklich schaffe. Sie strahlt und ist begeistert. Rovaniemi. Tolle Idee. Sie sind vorletztes Jahr mit dem Fahrrad nach Oulo gefahren. Drei Wochen haben sie gebraucht. Aber, sagt sie entschuldigend, natürlich im Sommer. Ich solle quer durchs Land fahren, an der Küste ist der Wind zu stark. Letztes Jahr waren sie ebenfalls vier Wochen mit dem Fahrrad unterwegs. Sie haben Dänemark umrundet. Oh, wie sie mich beneidet. Sie zeigt mir den Radweg. Ein älterer Herr hat der Unterhaltung gelauscht, er empfiehlt mir am Ende des Sees die Radwege auf der Landstraße. Sie sind besser zu fahren. Das Pärchen wünscht mir viel Glück und weg sind sie. Das zum Thema Vorurteile.

                        Ich biege in den Radweg ein und lande etwas später auf einem Parkplatz. Dahinter beginnt ein schmaler Fußweg. Ein Radwegschild fehlt. Und nun?
                        Ein fülliger Asiate holt gerade seine Schuhe aus dem Auto und ich frage auf Englisch nach dem Weg. Er stutzt und fragt, ob ich aus Deutschland bin. Ich bejahe. Er strahlt. Er spricht deutsch. Er hat einige Jahre in Deutschland gearbeitet und es hat ihm gut gefallen. Der Wanderweg ist tatsächlich der Fahrradweg und ich will weiter. Aber der Asiate ist so glücklich, dass er deutsch sprechen darf, dass ich nicht richtig weg komme. Man will ja nicht unhöflich sein. Nach dem dritten Versuch kann ich mich endlich loseisen und biege in den Wanderweg ein. Er ist eng und im Sommer bestimmt idyllisch. Links taucht eine Badestelle auf und ich sehe ein langgezogenes Badehäuschen. Ich überlege, ob es sehr dreist wäre, wenn ich hier einfach mein Zelt aufbauen würde. Allerdings sind viele Spaziergänger unterwegs und es ist erst halb drei. Ich fahre weiter. An einer Kurve verlasse ich den Weg, da ich denke, dass der schmale Weg geradeaus ein Trampelpfad ist, aber dann sehe ich wieder die Radwegschilder und schiebe mein Fahrrad den engen, steilen Pfad herunter. Sicher ist sicher, ich muss nicht im Wasser landen.

                        Kurz vor einer Holzbrücke mache ich Halt und verschnaufe. Das Wasser, das ich auf der Fähre eingefüllt habe, ist noch heiß. Die beste Thermoskanne, die ich je hatte. Ich überlege, ein Foto zu machen, aber alles sieht schmutzig grau aus und das Schilf im Wasser ist braun. Mit Schwung radele ich auf die Brücke und es gibt ein ohrenbetäubendes Geräusch, als ich über die schwingende n Brückenbefestigungselemente hüpfe und in tieferem Schnee lande und rutsche. Vor lauter Schreck gebe ich Gas und merke daher nicht, dass ich durch den Schlag meine Fahrradbrille verliere, die an der Lenkertasche hängt. Es ist nicht schlimm, ich habe noch drei in Reserve, aber es ist eine Warnung.

                        Die Brücke von der Straße aus gesehen. Das Bild ist natürlich später entstanden, aber die Atmosphäre ist identisch.

                        Der Radweg verläuft nun parallel zur Autobahn. Trotzdem halte ich Ausschau nach einem Übernachtungsplatz. Auf dem Hügel hinter der Brücke muss ich schieben, ich werde langsam müde, denn der Hügel ist mir zu steil. Ich biege in einem Wohngebiet in eine idyllische Seitenstraße ein – vielleicht finde ich hier einen Schlafplatz. Aber die Straße endet an einer Bootsanlege- und Bootsaufbewahrungsstelle. Videogesichert. Ich schiebe mein Fahrrad zurück.

                        Hinter der Siedlung ist ein schönes Waldstück, aber es ist völlig verwüstet. Der Sturm hat ganz Arbeit geleistet. Ich suche die Straße, die mir der ältere Herr empfohlen hat und beschließe, dort weiter zu suchen. Die Straße ist gut befahrbar und ich komme flott voran. Dann zeigt sich eine Zufahrt zu einem Golfplatz und ich biege ein. Der Golfplatz ist völlig verschneit und die Schneehügel sehen lustig aus. Leider ist er eingezäunt, so dass ich auf ein Foto verzichte. Der Weg wird breiter und verläuft sehr nahe an einer Siedlung. Ich radele weiter und dann Poff. Mein Lenker bricht aus, das Fahrrad schüttelt sich und ich stürze. Besser gesagt: Ich knalle voll auf mein linkes Knie. Der Schmerz ist nicht so schlimm, aber ich bin knockout und ziemlich benommen. Vorsichtig nehme ich mit meinem Knie Kontakt auf, aber gebrochen ist wohl nichts. Trotzdem brauche ich ziemlich lange, bis ich an Aufstehen denken kann.

                        Verdammt. Unter dem Schnee ist pures Eis. Das ist aber nicht das Schlimme, denn das war vorher auch schon. Nein, es ist spitzes, unregelmäßiges Eis. Auf der Autozufahrt war das Eis eben. Hier ist Schneematsch von vielen Füßen kantig geformt worden und dann vereist. An einer dieser Kanten bin ich hängen geblieben. Eine alte Frau hilft mir, das Fahrrad hoch zu wuchten. Mein Knie schmerzt. Das Blut tockert. Ich biege in das Wohngebiet ein, ich brauche einen Platz für mein Zelt. Dringend.

                        Die Straße ist steil und ich überlege, ob ich zurück zur Bucht fahre. Am Ende der Straße sehe ich ein paar Bäume und eine halbgefrorene Pfütze. Schmale Wanderwege führen in das Waldstück. Okay, here we go. Ich schiebe mein Fahrrad den Hügel hinauf, die Schneedecke ist dünn. Aus der Ferne ertönt Kinderlachen. Egal, hier bleibe ich. Dies ist ein Notfall. Innerhalb kürzester Zeit habe ich mein Zelt aufgebaut – minimalistisch wie immer, vier Heringe reichen. Das ständige Training hat sich gelohnt, jeder Handgriff sitzt und in die Schlafstatt ist bereitet. Mein Fahrrad schließe ich an einem Baum an. Es ist immer noch recht hell, obwohl es schon dunkel geworden ist. Der Boden ist weich und mir Nadeln bedeckt. Das ist nicht nur aus dem Grund Glück für mich, weil die Heringe halten. Sondern, weil ich mich nach Öffnen des Zeltes wie gewohnt auf die Knie fallen lasse. Keine gute Idee dieses Mal. Aber der Schmerz zeigt mir, dass ich am linken Knie nur eine Prellung habe.




                        Und es ist wärmer geworden. Ich ziehe die Daunenhose und die Daunenjacke an, um nicht aus zu kühlen, aber meine Radkleidung ist trocken und wärmer wird mir dadurch nicht. Mir ist warm. Ich ziehe das Daunenzeug wieder aus und die Hose wird für den Rest der Tour im Packsack verschwinden. Ich entfalte das erste Mal meinen VBL, nutze ihn aber mit meinem geliebten Komfort-Inlett mit Kapuze. Sofort ist mir warm. Das fängt ja gut an. Ich futtere mein letztes, kühl temperiertes Brötchen, denn ich bin wie immer zu müde zum Kochen. Dann trinke ich einen Liter warmen, köstlichsten Leitungswassers von der Fähre. Es ist 17.30 Uhr. Ich bin ungefähr 30 km gefahren.
                        Es ist Samstag und ich rufe meine Eltern an. Ich habe nicht erzählt. dass ich wegfahre. Meine Eltern sind dennoch in Alarmbereitschaft und mein Vater sagt: „Bist Du mal wieder im Zelt? Aber ich hoffe, Du bist jetzt nicht in Finnland“. Urggh. Ich wende die Vernebelungstaktik an. Meine Mutter wünscht mir eine gute Zeit und meint, es wäre besser, wenn ich nicht sagen würde, wo ich bin. Sie würde ja eh später den Reisebericht lesen. Ich grinse. Dann gebe ich der ODS Hotline meine Position durch und schlafe sofort ein.

                        Gegen 22.00 Uhr werde ich wieder wach, das Wasser will weggebracht werden. Ich warte auf den vertrauten Kälteschmerz, als ich aus dem Schlafsack krieche, aber da ist nichts. Es ist wunderbar warm draußen. Ich habe nur ein dünnes T-Shirt an, aber ich bleibe noch ein wenig draußen stehen und schaue in den hellen Himmel. Schön ist es hier.
                        Zuletzt geändert von Torres; 01.02.2012, 12:35.
                        Oha.
                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                        • heron
                          Fuchs
                          • 07.08.2006
                          • 1745

                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                          Ich liebe Querdenken und GegendenStromschwimmen auch wenn es manchmal furchtbar anstrengend sein kann
                          Bitte weiterschreiben!
                          Ich habe keine grossen Ambitionen. Still sitze ich und betrachte wohlgemut das Gewimmel der Welt.
                          Ich benötige nur so viel, wie ich mir ohne Anstrengung und Demütigung beschaffen kann. (György Bálint)

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                          • HonkDerBaer
                            Erfahren
                            • 19.11.2010
                            • 140
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                            Saustark!

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                            • bjoernsson
                              Fuchs
                              • 06.06.2011
                              • 1863
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                              Respekt! Eine solche Tour hatte ich vor ein paar Jahren auch angefangen zu planen - die Planung dann aber ganz schnell wieder fallen gelassen. Wie du so schön schreibst: "Wer zuviel weiß, fährt nicht los." Bei mir hat's gestimmt...

                              Freue mich auf die Fortsetzung!

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                              • Torres
                                Freak

                                Liebt das Forum
                                • 16.08.2008
                                • 32305
                                • Privat

                                • Meine Reisen

                                #16
                                AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                Sonntag, 8.1.2012

                                Lippajärvi

                                Gegen 3 Uhr muss ich wieder raus, es ist noch wärmer geworden und ich lasse den Eingang auf und öffne das Innenzeltgewebe. Das Moskitonetz reicht.

                                Um 8 Uhr wache ich auf, und fühle mich ausgeschlafen, aber meine Glieder sind bleischwer. Ich döse wieder ein. Es ist ruhig, Finnland schläft. Um 9.00 Uhr ziehe ich mich an. Es ist weiterhin warm draußen und das Schlafen mit VBL war angenehm. Ich presse mein fluffiges Raubtier in den Packsack. Ich habe kein Brot mehr und entscheide mich für ein Reisgericht. Der Reactor macht seinem Namen alle Ehre und bläst Wolken in den klaren Himmel, als wäre er eine Industrieanlage. Hoffentlich ruft niemand die Polizei. Die Sonne blinzelt durch die Bäume.



                                Ich rappele mich hoch und packe. Als ich fertig bin, ist es 11.00 Uhr. Oh, oh. Ich schaue spaßeshalber in der Radtasche nach meinem Windmesser. Die Temperaturanzeige zeigt- 10 Grad. Upss. Daher kommt der Spruch: Bei – 10 Grad wird alles einfacher. Richtig. Kein Vergleich mit der ekligen + 2 Grad-Kälte. Mir ist wunderbar warm.
                                Ich schiebe mein Fahrrad aus dem Waldstück heraus und orte meine Position. Ich bin irgendwo bei Lahjalaati Bredvik. Ich steige auf mein Fahrrad und radele ein Stück die Hauptstraße entlang und zu meiner Freude funktioniert mein Navi wieder. Ich habe Helsinki verlassen. Aber an der nächsten Seitenstraße muss ich wieder absteigen. Was gestern noch weicher Schnee an der Bordsteinkante war, ist jetzt zu scharfkantigem Eis gefroren. Viel zu gefährlich, da hinüber zu fahren.

                                Ich quere die Autobahn und schiebe das Fahrrad weiter. Auf der anderen Straßenseite steht eine Tankstelle und ich entscheide mich, nach heißem Wasser zu fragen. Der Schnee hier sieht nicht so aus, als solle man ihn schmelzen. Die Tankstelle ist gut besucht. Immer mehr Finnen trudeln ein, aber sie machen nicht den Eindruck, dass sie das Wetter begeistert. Dabei scheint jetzt die Sonne und es ist trocken.
                                Die Dame an der Kasse weiß sofort was ich will und fragt, wieviel Liter ich brauche. 2 Liter. Sie tippt 3,60 Euro ein. Ich sehe eine Gruppe Jugendlicher, die sich an einem Buffett Essen holen und frage nach. Sie nickt und zeigt, dass das Buffett 8,90 Euro kostet. Das ist okay. Ich bediene mich am Buffet, es gibt Hackbällchen und/oder Cordon bleu, dazu Kartoffelpüree, Salat und Blumenkohl. Die Finnen haben Wasser auf ihrem Tablett und ich nehme Wasser dazu, es scheint inklusiv zu sein. Prima.

                                Nach dem Essen bin ich noch müder und schiebe lieber. Aufsteigen ist mir zu mühsam und fahren erfordert zuviel Konzentration. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin und finde den Radweg 2 nicht wieder. Auf den Bussen steht Keskuta und noch weiß ich nicht, dass das einfach nur Zentrum heißt. Sie fahren vermutlich nach Espoo und ich befinde mich in Kauniainen. Die Straße ist sehr hügelig und ich schiebe wie in Trance weiter. An einer Straße ist ein Wasserrohrbruch, das Wasser ist auf dem Bürgersteig den Hang heruntergeflossen und bietet eine perfekte Schlittschuhstraße. Ich weiche auf die Straße aus und werde von einem Sub-Fahrer angehupt. Die Völker ähneln sich. Ich warne ein wanderndes Paar vor dem Eis und sie bedanken sich.

                                An einer Bushaltestelle mache ich Rast und fotografiere die Eisblumen.



                                Dann fällt mir ein, dass ich auch noch ein paar Fotos von der Umgebung machen könnte. Das tue ich dann auch.







                                Viele Menschen nutzen den schönen Tag, um spazieren zu gehen. Meine Hände werden immer wärmer, aber weil alle anderen Handschuhe tragen, lasse ich meine auch an. Die Luft kratzt ein wenig an meinem Hals, es sind – 14 Grad und ich genieße die Wärme. Mir wird klar, wieso ich früher einmal bei dieser Temperatur Motorrad gefahren bin. Es ist einfach eine wunderbare Temperatur.

                                Aber gleichzeitig werde ich auch immer müder. Am liebsten würde ich die Augen schließen. An Radfahren ist daher nicht zu denken, auch wenn die Straße gut ist. In Lippajärvi Klappträsk finde ich einen geöffneten Supermarkt und kaufe einen Liter Apfelschorle und ein wenig Brot und Aufschnitt. Ich trinke die Schorle vor der Tür und wundere mich, wie verfroren die anderen Käufer aussehen.

                                Als ich wieder die Straße überquere, sehe ich, dass ich mich an Eingang zu einem kleinen Wäldchen befinde. Hier werde ich einen Schlafplatz finden. Ich schiebe mein Fahrrad in den Wald. Es muss hier wärmer sein, denn es fühlt sich feuchter an. Leider sind viele Bäume dem Sturm zum Opfer gefallen. Einige Bäume stehen unter Spannung. Hier kann ich schon mal nicht zelten. Eine große Lichtung lockt, aber Lichtungen sind mir suspekt – sie sind den Jägern vorbehalten. Außerdem will ich nicht auf dem Präsentierteller stehen. Ich laufe weiter und sehe, dass der Schnee ziemlich hoch ist. Da komme ich mit dem Fahrrad nicht rein. An einer Stelle sehe ich einen schmalen Pfad, ich merke ihn mir. Hier sind die Bäume in Ordnung und der Wald ist relativ dicht. Ich schaue noch weiter, aber ich finde nichts mehr und kehre zu der Stelle zurück. Schnell bin ich im Wald verschwunden, aber es gibt nur eine ebene, baumlose Stelle, die es mir gleichzeitig ermöglicht, mein Fahrrad an zu lehnen. Ich entscheide, dass die Stelle groß genug ist und baue flink mein Zelt auf. Es passt genau, aber breiter dürfte es auch nicht sein. Als ich hinten den Hering setzen will, sehe ich, dass das Zelt hinten in der Luft hängt. Merkwürdig. Ich zwinge es zu Boden und nehme statt des Herings einen Ast, den ich im Schnee vergrabe.



                                Als ich meine Tasche hole, bekomme ich einen gelinden Schreck. Ein kleines Bäumchen, dass ich mit meinem Zelt zu Boden gezwungen habe, ist wie ein Pfeil unter dem Zelt hervorgeschossen und hat ein merkwürdiges Geräusch gemacht. Ich beruhige mich wieder. Spaziergänger laufen vorbei, aber sie sehen mich nicht, obwohl ich sie sehen kann. Der Windmesser zeigt – 10,2 Grad. Aber die Feuchtigkeit deutet an, dass es morgen wärmer werden wird. Ich esse und mache gegen 18.00 Uhr die Augen zu. Ich bin 8 km weit gekommen.



                                Kurz darauf fällt ein Schuss. Mist. Jäger. Ich sehe schon die Schlagzeile: Jäger traf Zelt. Er scheint sich auf der Lichtung zu bewegen. Die Schüsse kommen näher und ein Hund verbellt die Beute, aber er scheint auf der anderen Seite des Hügels zu sein. Es ist auch unwahrscheinlich, dass er jagt, wo er Spaziergänger vermuten muss. Schließlich kehrt Ruhe ein. Ich schlafe ein.

                                In der Nacht schrecke ich erneut hoch. Ein ungewohntes Geräusch. Kurz und laut. Was ist das. Dann nochmal. Es schneit. Es ist der Schnee, der vom Zelt rutscht. Die spitze Form des Schlafraums sorgt dafür, dass der Schnee nicht liegen bleibt. Beruhigt schlafe ich hinter meinem Moskitonetz weiter.
                                Zuletzt geändert von Torres; 27.01.2012, 16:38.
                                Oha.
                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  #17
                                  AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                  Montag, 09.01.2012

                                  Lahnus

                                  Als ich aufwache, ahne ich noch nicht, dass dieser Tag nicht mein Tag sein wird. Aber noch bin ich guter Dinge. Erst einmal ein Bild von meinem Zelt in seiner natürlich Umgebung machen. Endlich! Und dafür, dass es lausig abgespannt und eigentlich gar nicht richtig befestigt war, macht es eine gute Figur.



                                  Dann ein Bild von meinem Fahrrad. Auch nicht schlecht.



                                  Und dann ist die Schonfrist vorbei. Unter meiner Evazote steht das Wasser zentimeterhoch. Schnee oder Tauwasser oder was auch immer hat sich durch den Zeltboden gedrückt. Ich weiß, dass der Boden dicht ist, denn das hatte ich auch schon bei anderen Zelten – mit und ohne Zeltunterlage. Aber das muss ja nicht gerade heute sein. Ich beschäftige mich mit erfreulicheren Dingen: Meiner Downmat. Ich öffne das Luftaustrittsloch und befinde mich inmitten minderwertiger Daunen. Yes. Der Tag beginnt erfreulich.



                                  Bisher hatte ich ja nur Matten, die Luft verloren haben. Eine Matte, die die Luft nicht rauslässt, ist mir neu. Ich fluche. Ich befreie das Loch von Daunen, aber es kommen ständig welche nach. Ich überlege, ob ich die Adresse von sarekmaniac dabei habe, vielleicht will sie die Daunen sezieren. Mit artistischen Verrenkungen hebe ich den Schutz am Austrittsloch hoch, ziehe die Daunen raus und presse gleichzeitig die Luft aus der Matte. Ich hätte ein Rentierfell mitnehmen sollen. Ich könnte mich in den Allerwertesten beißen.

                                  Irgendwann ist die Downmat verpackt und es kann weiter gehen. Um mein Seelenheil zu retten, entscheide ich mich, das Thema zu verdrängen.

                                  Ich schütte das Wasser aus dem Zelt, der Rest vereist sofort und ich packe. Dann bewundere ich, wie klein mein Palast ist, dass er in diese kleine Stelle gepasst hat.



                                  Nachdem das Fahrrad abgebürstet ist, lehne ich es an einen strategisch günstiger gelegenen Baum und belade es. In einem Kraftakt wuchte ich es aus dem Neuschnee auf den Wanderweg. Viel höher dürfte der Schnee nicht sein, sonst habe ich keine Chance mehr.

                                  Als ich die Straße betrete, trifft mich der Schlag. Der wunderbare kalte, eisige Belag ist weg und von feuchtem Neuschnee durchdrungen. Schneepflüge tanzen auf der Straße Ballett und machen einen Höllenlärm.



                                  Unter dem Schnee lässt sich nicht mehr erkennen, was reiner Schnee und was Eiskante ist. Ich mache etwas ganz Originelles: Ich schiebe mein Fahrrad.




                                  Als der Straßenzustand durch das Wirken der Schneepflüge etwas besser geworden ist, wird die Straße so hügelig, so dass ich nicht mehr auf die Straße ausweichen kann. Denn dafür bin ich einfach zu langsam und die Autofahrer wissen, dass es einen Radweg gibt. Ich fluche.




                                  Immerhin weiß ich nun, wo ich bin. Dieser Ort ist auf meiner Karte verzeichnet. Ich bin wieder auf einem lokalen Radweg.




                                  Außerhalb der Ortschaft wird der Weg besser, da es hier keine vereisten Fußgängerspuren und Einfahrten gibt. Ich radele ein Stück. Dann sehe ich ein Schild „Café“ und bekomme Hunger. Die Anlage heißt Margareteberg und es muss im Sommer hier sehr schön sein. Sie ist zwar in direkter Autobahnnähe, grenzt aber an ein Wandergebiet und die Seen Matalajärvi und Boddominjärvi an. Das Hostel ist natürlich geschlossen, und der Parkplatz nicht vom Schnee geräumt. Daher ist es nicht einfach, das Fahrrad voran zu schieben, aber es gefällt mir hier. Am Café duftet es nach Essen und ich bekomme einen mörderischen Hunger. Auch hier gibt es einen Mittagstisch und von überall her kommen Leute, um zu essen. Ich zahle 9,90 Euro und lerne dazu. Man kann sich zum Essen nicht nur Wasser nehmen, sondern auch Brot mit Butter und Milch. Wow. In Deutschland frische Milch zum Essen zu bekommen, ist eine Herausforderung. Ich genieße.







                                  Danach holt mich die Realität wieder ein. Mein Navi schickt mich in eine kleine Landstraße hinein, aber sie ist eng und ungeräumt und daher für mich nicht befahrbar. Also schiebe ich weiter. Ein freundlicher Schneepflugfahrer heizt frontal mit vollem Tempo auf mich zu, als wollte er mich auf die Schippe nehmen. In letzter Sekunde schiebt er die Schaufel zur anderen Seite und donnert an mir vorbei. Sehr witzig.
                                  Ich schiebe weiter, jede Einfahrt, jede Seitenstraße wird zur Gefahr. Selbst beim Schieben ist es nicht einfach, das Fahrrad über die Kanten oder vereisten Schneehaufen zu wuchten. Ich kämpfe mich bis Hämenkyla durch und biege in die Straße Richtung Niiperii ein.

                                  Der Radweg endet kurz und ich weiche auf die Straße aus. Die Straße ist nicht so stark befahren und die Autofahrer sind rücksichtsvoll. In zwanzig Minuten habe ich meine Tageskilometerleistung verdoppelt. Allerdings tue ich mich mit den Steigungen schwerer und schwerer. Ich habe einfach zuviel Gewicht auf dem Fahrrad. Eigentlich sind sie ein Klacks und die Kondition ist auch in Ordnung.
                                  Dann wird der Verkehr dichter und ich weiche wieder auf den Radweg aus. Die nächste Ortschaft kommt und der Weg wird wieder unbefahrbar. In einem Supermarkt kaufe ich etwas zu essen, es wird langsam dunkel und die Straße endet an der vielbefahrenen Bundesstraße 120. Ich überlege, ob ich in die Ortschaft fahre, aber es sind viele Menschen da, hinter dem Supermarkt ist ein Schwimmbad. Und der Wald dahinter sieht sehr dicht aus. Ortskundig müsste man sein. Oder Finnisch sprechen können. Am besten beides.

                                  Ich biege auf die Bundesstraße ein und vertraue auf mein Glück. Aber das hat mich verlassen. Ich schiebe und schiebe, neben mir ist Wald, aber die Bäume stehen dicht an dicht. Wanderwege gibt es keine und der Schnee ist hier verdammt hoch. Bietet sich mal ein Zwischenraum, so sieht dieser nach einem Bach aus – auch nicht der beste Zeltplatz. Also schiebe ich weiter, bergauf, bergab, bergauf, bergab. Die Autos fahren schnell, zu schnell, um auf der Straße zu fahren. Es ist immer noch Berufsverkehr. Und es ist dunkel. Also weiter. Ich sehe in meiner Karte, dass es hinter Lahnus einen Campingplatz gibt. Er wird geschlossen sein, aber vielleicht findet sich dort eine Möglichkeit, das Zelt auf zustellen, denn dort ist ein Wandergebiet. Endlich erreiche ich die Tankstelle bei Lahnus, ich bin am Ende meiner Kräfte. An der Kreuzung steht ein Hinweisschild. Hier muss es ein Hotel geben. Die kaputte Downmat schiebt sich wieder in mein Bewusstsein. Ich habe die Wahl: 4 km schieben in der Hoffnung, am Campingplatz etwas zu finden oder das Hotel.

                                  Ich studiere die Karte und sehe, dass der Fahrradweg hinter der Tankstelle endet. Es bleibt nur die vielbefahrene Landstraße. Und auf der bildet sich gerade fieses, scharfkantiges Eis. Ich muss eine Entscheidung treffen und zwar bevor ich umfalle. Ich frage an der Tankstelle, ob das Hotel geöffnet ist. Die Verkäuferin bejaht und zeigt mir die Karte. Also dann: Hotel. Ich wuchte das Fahrrad durch hohen Schnee, hier ist der Radweg nicht mehr geräumt. Dann geht es in einer Seitenstraße immer bergauf. Der Bodenbelag ist kritisch, es ist rutschig und glatt. Ich schiebe und schiebe und bin am Ende meiner Kraft. Das Hotel soll laut Tankstelle Serena heißen und endlich stehe ich vor einem Schild. Hotel Korpilampi – Serena welcome. Was denn nun? Ist das Hotel weiter oben? Oder gibt es hier zwei Hotels? Korpilampi und Serena? Ich habe keinen Plan. Menschen gibt es hier auch nicht. Ich entscheide mich, ab zu biegen. Natürlich ist die Entscheidung falsch. Und gefährlich, denn ich bewege mich auf purem Eis. Als ich am Ende der Straße ankomme, sehe ich selbst, dass ich falsch bin. Aber der Ausblick ist beeindruckend. Roter Dampf bläst zischend in die kalte Luft, die Szenerie sieht aus wie ein Weltuntergang. Es handelt sich um eine Skianlage. Und – wie ich später feststellen werde, - um ein riesiges Freizeitbad.

                                  Also wieder zurück. Dann ein Stück den Berg hoch und ich sehe das Hotel. Es sind angenehme – 8 Grad, aber jeder Schritt will jetzt wohl überlegt sein. Der Parkplatz und die Wege sind mörderisch glatt.



                                  Ich sehe sofort, das Hotel ist teuer, aber das ist mir jetzt egal. Der Herr an der Rezeption ist nett und muss erst einmal auf Englisch umschalten. Auch mein Wortschatz ist in der Kälte verglüht und wir verstehen uns trotzdem. Ich nehme ein Zimmer für zwei Tage und zahle 80 Euro die Nacht inklusive Frühstück. Mein Fahrrad kann ich im Skiabstellraum einschliessen und dort kann es auftauen.

                                  Als ich auf dem Bett liege, merke ich erst, wie müde ich bin. Ich rufe die ODS Hotline an und bin gefrustet. Downmat, Hotel, Fahrrad schieben. Ich bin so ein softegg! Die ODS Hotline ruft Exped an, erreicht aber niemanden. Ich schaue noch kurz den Wetterbericht an und höre von starken Schneefällen im Süden Finnlands. Aber es bleibt kalt. Dann schlafe ich ein. Gegen 10.00 Uhr wache ich wieder auf. Im Nebenzimmer feiern zwei russische Familien alkoholreich ihren Skiurlaub. Ich schlafe wieder ein und wache um Mitternacht wieder auf. Die Russen feiern immer noch. Ich knalle lautstark die Klotür zu und hoffe, dass das vielleicht für Ruhe sorgt. Zehn Minuten später ist tatsächlich Ruhe und ich falle in ein Schlafkoma.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  • Vegareve
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                                    • 19.08.2009
                                    • 14492
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                                    #18
                                    AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                    OT: Torres is back .

                                    ODS Hotline?
                                    Zuletzt geändert von Vegareve; 27.01.2012, 17:54.
                                    "Niemand hört den Ruf des Meeres oder der Berge, nur derjenige, der dem Meer oder den Bergen wesensverwandt ist" (O. Chambers)

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                                    • Harry
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                                      • 10.11.2003
                                      • 5068
                                      • Privat

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                                      #19
                                      AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                      Irre.Wahnsinn.
                                      Wir haben uns letztens schon gefragt, wo du wohl steckst.
                                      da bin ich ja gespannt, wie es weiter geht.
                                      Gruß Harry.
                                      Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen. (Johann Wolfgang von Goethe)

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                                      • derSammy

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                                        • 23.11.2007
                                        • 7413
                                        • Privat

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                                        AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                        Torres!!

                                        Du hast echt ein Rad ab !!


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