[NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

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    [NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    [NO] Ryfylkeheiene Solotour

    Land: Norwegen
    Reisezeit: Juli / August 2012
    Region: Rogaland, Ryfylkeheiene

    19. bis 22.07.2012 - Karmøy

    Es ist noch nicht richtig Abend, als ich am 19. Juli auf dem Flughafen Haugesund endlich norwegischen Boden betrete und meinen lang ersehnter Sommerurlaub 2012 beginnen kann. Diesmal ist Urlaub im Süden angesagt: Ich plane eine Trekkingtour durch Ryfylkeheiene. Während die nördlich angrenzende Hardangervidda eines der beliebtesten Wandergebietes Norwegens darstellt, sind die südlichsten norwegischen Fjellgebiete beidseitig des Setesdalen - Austheiene und Ryfylkeheiene - vergleichsweise unbekannt. Dabei gibt es auch hier noch "echtes" Fjell. Gerade Ryfylkeheiene gelten aber auch als Batterie Norwegens und sind in weiten Teilen durch massiven Kraftausbau und mehrere gigantische Stauseen geprägt. Insbesondere im Rahmen des Ulla-Førre-Ausbaus sind über 84 Quadratkilometer Fjellandschaft in dem gewaltigen Stausee Blåsjø versunken. Nichtsdestotrotz bietet Ryfylkeheiene eindrucksvolle Landschaften und eine Menge Einsamkeit.

    Zunächst quartiere ich mich allerdings für drei Tage im Vandrerhjem in Kopervik auf der Insel Karmøy ein. Ich möchte hier ein paar Tage Geocachen gehen und insbesondere den Geocaching-Event auf dem Vikinggård in Avaldsnes besuchen. Avaldsnes ist ein alter Häuptlingssitz und als erster norwegischer Königshof bekannt. Von hier aus hatte man Kontrolle über die enge Schiffahrtsstraße zwischen Karmøy und dem Festland und damit über den Weg nach Norden - Norvegen. Der Begriff soll sich ursprünglich just auf diesen Seeweg beziehen. Neben einem Geschichtsmuseum und der Olavskirche aus christlicher Zeit erinnert ein nachgebauter Wikingerhof an die historische Bedeutung des Ortes.


    Olavskirche in Avaldsnes

    Um hier nicht zu weit vom Forumsthema abzukommen, verweise ich, was den Geocaching-Event und Avaldsnes angeht, auf meinen Bericht im deutschsprachigen Geocaching-Forum "Geoclub". Am Sontag ist es jedenfalls dann genug der Dosensuche und ich breche mit dem Hurtigbåt gen Süden auf. Noch einmal will ich in der norwegischen Erdölstadt Stavanger übernachten, dann soll es endlich losgehen. Sorgenvoll betrachte ich das Wetter. Heute regnet es und Besserung erscheint nicht in Sicht.

    Montag,23.07.2012 - Fløyrli

    Als ich im Vandrerhjem in Stavanger aufwache, ist draußen echtes Sauwetter. Ich beschließe, den ursprünglich geplanten Tagesausflug zum Preikestolen bleiben zu lassen und den Tag ganz gemütlich anzugehen. Den Vormittag sitze ich in einem Café in Stavanger und logge meine Geocaching-Funde, mittags geht es dann mit dem Boot in den nebelverhangenen Lysefjord, den südlichsten der großen norwegischen Fjorde. Vom Preikestolen hätte ich heute wirklich keine Aussicht gehabt. Ich sage dem Bootspersonal Bescheid, dass ich in Fløyrli aussteigen will - sonst legt das Boot dort nicht an.


    Fløyrli

    Fløyrli mit seinen 13 Wohnäusern diente ursprünglich als Unterkunft für die Arbeiter in dem ab 1913 gebauten Wasserkraftwerk und deren Familien und hatte zu Hochzeiten über 100 EinwohnerInnen. Sogar eine Schule gab es hier. Es gibt keinen befestigten Weg nach Fløyrli. Der Ort ist nur zu Fuß über die Berge oder per Boot erreichbar. Berühmt ist die Holztreppe entlang der Rohrleitung vom zugehörigen Stausee zum Kraftwerk; mit über 4000 Stufen und mehr als 700 Höhenmetern angeblich die längste Holztreppe Europas. 1999 wurde Fløyrli aufgegeben, da ein neues Wasserkraftwerk automatisch betrieben wurde und kein Personal vor Ort mehr notwendig war.

    Um so überraschter bin ich, dass das alte Kraftwerksgebäude offen steht und eine ältere Dame dort für die wenigen Fremden, die sich nach Fløyrli verirren, ein Café und eine Kunstausstellung betreut. Ich komme mit ihr ins Gespräch und erfahre, dass in Fløyrli noch zwei Menschen leben und eine ehrenamtlich agierende Gruppe in dem historischen Kraftwerksgebäude Ausstellungen organisiert und es so vor dem Abriss bewahrt hat. Ich besichtige Ausstellung und Kraftwerk und bestelle mir eine Waffel im Café.


    Kraftwerkshalle in Fløyrli

    Derzeit wird in Fløyrli sogar ein Anleger für Freizeitboote neu gebaut, damit auch Gäste mit eigenem Boot den Ort besuchen können. Ich inspiziere noch die berühmte Treppe und stelle fest, dass die Stufen bei Regenwetter extrem glitschig sind. So beschließe ich, falls sich das Wetter nicht bessert, den "normalen" Pfad in die Berge zu wählen, auch wenn der erste Teil der geplanten Tour dadurch ein ganzes Stück länger wird. Die Nacht verbringe ich in der unbedienten Hütte der Stavanger Turistforening.

    Dienstag,24.07.2012 - Aufbruch ins Fjell

    Am nächsten Morgen hat der Regen nachgelassen, trocken ist es draußen aber beileibe nicht. Nach dem obligatorischen Säubern der Hütte mache ich mich etwas frustiert auf den Weg. Der erste Tag ist immer der anstrengendste, zumal ich heute etwa 1000 Höhenmeter vor mir habe. Und natürlich ist mein Rucksack mal wieder viel zu schwer. Die meisten Hütten der Stavanger Turistforening bieten zwar die Möglichkeit zum Proviantnachkauf, aber im Angebot fehlen dorch viele Dinge, die ich auf Tour für unentbehrlich halte, z.B. Müsli für's Frühstück und Studentenfutter und Riegel als Trail-Snacks. Auch was warme Speisen angeht, ist das Angebot für einen Vegetarier eher mager - ich habe also außer Reis und Nudeln mein Futter für zwei Wochen auf dem Rücken. Und auch das Zelt musste mit.

    Da ich von Körperbau doch eher Bär als Gazelle bin und gerade bergauf schon ohne Rucksack einiges zu tragen habe, bin ich ein zwar fjellgewohnter aber langsamer Wanderer; und ich war schon öfters in Situationen, wo ich auf Tour "schlapp gemacht" habe und froh war, einfach mein Zelt aufbauen zu können. Ohne Zeltausrüstung gehe ich daher nicht ins Fjell, auch wenn es reichlich Hütten in der Gegend gibt - um den Preis, dass der Rucksack dadurch schwerer und ich noch langsamer werden. Immerhin beim Kocher habe ich Gewicht gespart - da ich vorwiegend in Hütten übernachten will, sind nur ein Mini-Trangia und ein halber Liter Rødsprit mit dabei. Der steile Aufstieg von Fløyrli schlaucht jedenfalls ganz schön und ich bin froh, nicht die noch steilere Treppe benutzt zu haben. Während der Pfad anfangs recht bequem ist, führt mich die T-Markierung dann in einem Bachlauf nach oben. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das Wasser auf Grund der heftigen Regenfälle den erodierten Pfad als Lauf gesucht hat, oder ob hier immer ein Bach ist und der Wegmarkierer diesen als einzig gestrüppfreien Aufstieg zum Weg erkoren hat. Schließlich ist dann aber die Baumgrenze erreicht und vor mit tut sich eine grandiose Fjellandschaft auf. Auch das Wetter hat sich deutlich gebessert.


    Baumgrenze am Lysefjord

    Die weitere Route geht bald ein Stück über einen Schotterweg, die Spuren des Kraftausbaus sind hier deutlich zu sehen. Trotzdem freue ich mich, dass ich auf dem befestigten Weg schnell vorankomme. Mir wird aber klar, dass ich es nicht bis zur Langavatn-Hütte schaffen werde. Ich beschließe, noch ein Stück weiterzugehen, und mir dann irgendwo am Wegesrand einen Zeltplatz zu suchen. Kaum lasse ich den Schotterweg hinter mir, geht es auf blankem Fels wieder steil bergauf. Die Wegführung in diesem Gebiet habe ich mir von der Online-Karte auf UT.no abgezeichnet. Auf älteren Karten ist ein ganz anderer - in der Landschaft heute nicht mehr markierter Verlauf - eingezeichnet. Die Wegmarkierung ist aber vorbildlich. Trotzdem zeichne ich den richtigen Wegverlauf per GPS auf, um den Track ins Internet zu stellen. Als es schließlich wieder anfängt zu regnen, baue ich mein Zelt auf und beende relativ früh einen anstrengenden Wandertag. Der größte Teil der Höhenmeter ist immerhin geschafft. Während ich mir Polenta zum Abendessen bereite, verfluche ich den Mini-Trangia, der bei Wind trotz eines Schutzbleches erheblich mehr Flammen in die Gegend speit, als sein großer Bruder, so dass ich weit ab vom Zelt im Regen hocken muss, um es nicht abzufackeln.

    Mittwoch,25.07.2012 - Langavatn

    Am nächsten Morgen hat sich das Wetter deutlich gebessert. Frohen Mutes baue ich mein Zelt ab und genieße die Wanderung durch eine spektakuläre Fjellandschaft. Die Heiene sind in höheren Lagen geprägt von blankem plattgeschliffenem Fels, auf dem teilweise riesige Felsbrocken liegen. Es sieht aus, als ob hier Riesen mit Murmeln gespielt hätten. Der berühmteste Felsen am Lysefjord dürfte der Kjeragbolten sein. Eiszeitliche Gewalten haben hier einen fast 1000 Meter tiefen Riss in den Berg gesprent, in dem sich ein großer Fels verkantet hat.


    Steinige Fjellandschaft am Lysefjord

    Einen Endpunkt für meine Wanderung habe ich im Vorfeld nicht festgelegt. Je nach Wetter und Kondition habe ich Haukeliseter am Übergang zwischen Ryfylkeheiene und der nördlich angrenzenden Hardangervidda, die Gemeinde Suldal oder einen Ausstieg nach Osten ins Setesdal in Betracht gezogen. Ich will mich auch nicht stressen und kein Ziel setzen, das die Tour zur Tortour werden lässt. Da ich bereits auf dem ersten Stück langsamer bin als gedacht, beginne ich langsam, die Option Haukeliseter aus meiner Planung zu streichen.

    Am Nachmittag erreiche ich den Kjerag. Da ich vor neun Jahren bereits auf dem Bolten gestanden und in die Tiefe geschaut habe, will ich diesmal diese Touristenattraktion auslassen und direkt zur Langavatn-Hütte gehen. Das Wetter ist jetzt prächtig und lässt einen den schweren Rucksack fast vergessen. Das letzte Stück nach Langavatn führt noch einmal durch spektakuläre Steinlandschaften.


    Kjerag von hinten.

    Donnerstag,26.07.2012 - Lyseveien

    Von den beiden anstrengenden ersten Etappen bin ich ganz schön geschafft, für einen Ruhetag ist es mir aber doch noch zu früh. Außerdem soll das Wetter wieder schlechter werden und ich möchte die sonnigen Tage nutze. Ich lege in Langavatn daher einen "halben" Ruhetag ein und beschließe, ein Stück zu trampen.

    Am anderen Ende des Sees Langavatn, an dem die gleichnamige Hütte liegt, beginnt ein Schotterweg, der zum Lyseveien führt, der Straße nach Lysebotn am Ende des Fjordes. Diese Straße ist von TouristInnen reich frequentiert, zur Not fährt hier einmal täglich sogar ein Bus. Vor den Schotterweg haben die Götter aber das Wasser gestellt. Ein Stück fällt das Ufer senkrecht zum Langavatn ab, ohne riskante Klettereien kommt man hier nur vorbei, wenn man im See läuft. Das Ufer ist zwar nicht tief, aber immerhin tief genug, dass die Stiefel an der Rucksack und die Watschuhe an die Füße müssen. Ist die Watstelle passiert, geht es nur noch drei Kilometer den Schotterweg entlang, bis der Lyseveien erreicht ist.


    Lyseveien

    Das Trampen erweist sich hier als schwierig, ich stehe fast eine Stunde. Es kommen vor allem norwegische und niederländische Autos vorbei, von denen aber niemand anstalten macht, einen Tramper mitzunehmen. Schließlich hält doch noch ein Wagen, obwohl der mit zwei Erwachsenen und einem Kind schon recht voll ist. Der Fahrer erweist sich als Pole, der in Norwegen arbeitet.

    An der Stelle, an der der Pfad zur Grautheller-Hütte beginnt, steige ich aus. Die grüne von Schafhaltung geprägte Landschaft macht deutlich, dass ich während der Autofahrt ein ganzes Stück an Höhe verloren habe. Ein Stück geht es jetzt auch erst einmal wieder bergauf. Ich laufe noch ein Stück und halte dann Ausschau nach einem guten Zeltplatz. Eine ebene und trockene Stelle zu finden, ist gar nicht so einfach, zumal es ziemlich windig wird. Schließlich baue ich mein Zelt an einem kleinen Tümpel auf. Der Platz ist schön und windgeschützt, nur fließendes Wasser gibt es nicht in der Nähe. Da ich dem Tümpelwasser wenig Vertrauen entgegenbringe, kommen hier das einzige Mal meine Chlortabletten zum Einsatz. Bei sonnigem Wetter verzeihe ich meinem Mini-Trangia seine Marotten und koche mir weit ab vom Zelt ein warmes Mahl.

    Freitag,27.07.2012 / Samstag, 28.07.12 - Grautheller

    Auch wenn der Lysefjord samt Preikesolen und Kjerag ein beliegtes Ziel für TouristInnen aus aller Herren Länder ist, sind die umliegenden Fjellregionen doch als Wandergebiet weitgehend unbekannt. Auf meiner gesamten Tour begegnen mit nur NorwegerInnen, die meisten aus der Region. Die einzige Ausnahme macht ein Berliner Studierenden-Pärchen, das mir auf dem Weg nach Grautheller entgegenkommt. Die beiden sind von Lysebotn Richtung Grautheller aufgestiegen und haben das Wandern im Fjell offensichtlich total unterschätzt. Sie erzählen, dass sie eine Nacht erschöpft im Regen ohne Zelt draußen übernachtet haben, da der Weg nach Grautheller zu weit und fordernd war. Die Zeitangaben in norwegischen Wegbeschreibungen richten sich in der Regel an recht sportliche Personen - dass die Beiden es nicht in einem Tag nach Grautheller geschafft haben, kann ich gut nachvollziehen, sie müssen da aber auch ziemlich unbedarft drangegangen sein. Nicht einmal eine Karte haben sie dabei.

    Nun ja, der Weg zum Lyseveien ist nicht besonders schwierig und gut markiert, dort wollen die Beiden ihre Tour beenden. Ich überlasse sie also ihrem Schicksal und setzte meinen Weg nach Grautheller fort. Als ich am frühen Nachmittag die Hütte erreiche, habe ich sie für mich alleine. Später kommt dann noch ein norwegisches Paar, das sich als wenig gesprächig erweist und früh morgens weiterzieht.


    Nebel an der Grautheller-Hütte

    Ich hatte eh geplant, in Grautheller einen Ruhetag einzulegen. So bin ich gar nicht böse drum, als am Samstagmorgen die Landschaft in dichtem Nebel liegt. Ich mache ee mir gemütlich und genieße die Stille. Am Nachmittag ist es dann aber plötzlich mit der Ruhe vorbei. Zwei Familien mit insgesamt fünf Kleinkindern erreichen die Hütte und die Kinder beginnen sofort, alles im Chaos verinken zu lassen. Ich versuche schnell, alle meine Sachen in Sicherheit zu bringen. Den Kocherwindschutz übersehe ich dabei aber und muss ihn am nächsten Morgen nach längerer Suche aus einer Spielzugkiste bergen.

    Schnell klärt sich die Frage, wie es mit den Kindern möglich war, Grautheller zu erreichen. Die beiden Familien sind Ehrenamtliche der Stavanger Turistforening, die den Kinderausflug mit Dugnad verbinden wollen. Als solche konnten sie einen Schotterweg am anderen Ende des Grauthellervatn, der zum nahegelegenen Svartevatn-Staudamm führt, mit dem Auto befahren. Zur Hütte waren es dann nur noch 2km. Ich bin trotzdem über die "Geländetauglichkeit" der Kinder erstaunt, der Weg um den Grauthellervatn ist nicht ganz ohne und es geht teilweise über verblocktes Gelände.

    Später trifft dann noch ein Pärchen ein, das eine Fahrradtour auf dem Schotterweg unternommen hat. Froh bin ich, als am Abend dann noch ein älteres Paar eintrifft, das eine zweiwöchige Tour von Stranddalen kommend unternommen hat. Die Beiden wollen weiter zum Lyseveien, um dort den Bus zu nehmen. Sie können mir eine Menge über die Route erzählen, die ich in den nächsten Tagen nehmen will. In den höheren Lagen weiter nördlich liegt noch viel Schnee, WanderInnen, die von Haukeliseter kamen, haben von schwierigen Schneeverhältnissen berichtet. Auch im Bereich der Hütte Litle-Aurådalen soll es unangenehme Schneefelder geben. Just da wollte ich eigentlich morgen hin. Ich beschließe, den Stausee Svartevatn stattdessen östlich über Storevatn und Kringlevatn zu umgehen, so sind auch die Beiden gekommen. Der einzige "Nachteil" dieser Route: Ich bin vor neun Jahren von Berg im Setesdal zum Lysefjord gewandert und kenne daher den Weg bis kurz vor Kringlevatn. Aber das ist lange her und ich habe die Strecke als schön in Erinnerung.

    Als die Kinder im Bett sind wird es in der Hütte richtig gemütlich und noch ein langer Abend in netter Runde.

    Sonntag, 29.07.12 - Storevatn

    Für den Ruhetag habe ich mir genau den richtigen Tag ausgesucht, der Sonntag macht seiem Namen alle Ehre - von Nebel keine Spur mehr. Ich mache mich auf den Weg um den Grauthellervatn und erreiche bald den Schotterweg. Dabei passiere ich eine am Sonntag ausgestorbene Großbaustelle in der Nähe des Staudamms; die schweren Maschinen sind ein eigenartiger Kontrast zur Atmosphäre im Fjell. Ich bin froh, dass hier kein Baubetrieb herrscht.

    Einen markierten Weg direkt nach Storevatn gibt es nicht, ich erinnere mich aber noch, dass es problemlos möglich ist, hier zu gehen. Auf halbem Weg gibt es eine Hütte, die von Bauern beim Zusammentreiben der frei in den Bergen grasenden Schafe benutzt wird. Vom Schotterweg zu dieser Hütte ist ein Pfad auf der topographischen Karte eingezeichnet. Auf der Karte endet der Pfad hier, tatsächlich gibt es aber auch eine deutliche Spur weiter Richting Storevatn. Von der anderen Seite kommend steht an der Stelle, an der die Spur den markierten Weg verlässt, sogar ein Wegweiser "umerked sti til Grautheller". So wandere ich durch eine fruchtbare grüne Berglandschaft, sehe den Schafen beim Grasen zu und erreiche schließlich ohne große Mühe die Heiberghütte Storevatn. Da die Strecke ein echter missing link im Netz markierter Pfade in der Region ist, zeichne ich hier wieder einen Track auf.


    Heiberhytte Storevatn

    Anfang des 20. Jahrhunderts begann der reiche Osloer Thv. Heiberg, im Gebiet östlich des Lysefjordes große Fjellgebiete den meist armen Bauern der Region abzukaufen. Heiberg war ein begeisterter Jäger und wollte ein exotisches Jagdrevier für die europäische Oberklasse schaffen. Das Gebiet der Heibergheiene beherbergt den südlichsten Wildrentierbestand Europas. Heiberg ließ an verschiedenen Stellen Jagdhütten unterschiedlicher Größe errichten. Typisch für die Heiberghütten ist eine Verkleidung mit verzinktem Blech als Wetterschutz. Während der deutschen Besatzungszeit brach der "Markt" insbesondere für britische Jagdgesellschaften zusammen und Heiberg war gezwungen, die Ländereien an das Quisling-Regime zu verkaufen. Heute befinden sich weite Teile der Heibergheiene in staatlichem Besitz und bilden den Kern des Naturschutzgebietes Setesdal Vesthei-Ryfylkeheiane.

    Neben der unstrünglichen Heiberghütte am Storevatn stehen heute zwei weitere Heiberghütten, die an anderen Stellen abgebaut und hierhingebracht wurden. So ist eine Art "Freilichtmuseum" mitten im Fjell entstanden, das verschiedene der alten Jagdhütten authentisch eingerichtet zeigt. Die Hütten werden von der Stavanger Turistforening als Übernachtungshütten betrieben. Ich bin diese Nacht hier ganz alleine. Da ich wenig Lust auf eine große Reinemachaktion am nächsten Morgen habe, wähle ich die kleinste der drei Hütten als Quartier.

    Montag, 30.07.12 / Dienstag, 31.07.12 - Kringlevatn

    Ich verlasse zeitig Storevatn. Der Weg nach Norden führt zunächst ein ganzes Stück bergauf. Die Landschaft wird wieder kahler und steiniger. Nicht nur der inzwischen leichtere Rucksack, sondern auch der relativ bequeme Anstieg über plattgeschliffenen Fels lassen die Höhenmeter gar nicht so viel erscheinen. Ich genieße das sonnige Wetter und komme gut voran.


    Nördlich von Storevatn

    Kurz vor Kringlevatn zweigt der Pfad östlich ins Setesdal ab, auf dem ich vor neun Jahren in umgekehrter Richtung gekommen bin. Auch damals hatte ich in der Heiberghütte Storevatn übernachtet. Erinnerungen werden wach und ich blicke zurück, was sich in dieser Zeit in meinem Leben alles verändert hat. Ein seltsames Gefühl, nach so langer Zeit den vertrauten Pfad noch einmal zu gehen. Teilweise erinnere ich mich an einzelne markante Steine, andere Teile des Weges sagen mir gar nichts mehr. Auch der weitere Tourverlauf beschäftigt mich. Haukeliseter ist eindeutig zu weit, um ins Setesdal abzusteigen, ist es zu früh. Als wahrscheinliches Ziel kristallisert sich die Gemeinde Suldal heraus. Mostøl oder Kvilldal sind mögliche Endpunkte. Ich passiere den Abzweig Richtung Bossbu und setze meinen Weg nach Kringlevatn fort.

    Jetzt führt der Weg fast direkt an den Svartevatn-Stausee. Die gewaltigen Ausmaße des künstlichen Reservoirs werden mir deutlich. Bei Grautheller habe ich den Staudamm am Südende des Sees passiert, jetzt - zweit Tage später - blicke ich auf das nördliche Ende. Dennoch, im Vergleich zum nördlich gelegenen Blåsjø ist der Svartevatn klein.

    Ich freue mich, gleich in der Hütte zu sein, aber ich habe mich zu früh gefreut. Die letzten drei Kilometer sind eine ziemliche Plackerei. Nicht, dass der Weg steil wäre, nein: Matsch und Birkengestrüpp stellen sich dem Wanderer entgegen. Im nächsten Leben werde ich ein Wildschwein - dann macht mir Suhlen Spaß. So fluche ich teilweise lauthals in die Einsamkeit, wenn ich mal wieder bis weit über Stiefelhöhe einscke. Hinter Kringlevatn wird mich mein Weg in deutlich höhere Lagen führen - ich freue mich auf felsiges Gelände und verfluche Matsche und Birken. Endlich erreiche ich dann doch die Hütte, in der bereits ein Angler hockt. Zu meiner Überraschung wird es hier im Verlaufe des Abends richtig voll. Seit zwei Tagen habe ich keinen Menschen mehr gessehen und jetzt strömen sie von allen Seiten herbei.


    Kringlevatn-Hütte

    Die Kringlevatn-Hütte ist richtig gemütlich und schön am gleichnamigen See gelegen. Ich erfahre in abendlichen Gesprächen, das in den höheren Lagen tatsächlich noch immer relativ viel Schnee liegt. Die markierten Wege sollen aber alle begehbar sein. Vor Mostøl gibt es anscheinend sehr unangenehme Schneeverhältnisse; ich beschließe, Kvilldal als Ziel meiner Tour anzusteuern.

    Am nächsten Morgen weckt mich prasselnder Regen ans Hüttenfenster. Sch... - Ich stehe auf, schaue aus dem Fesnster - und lege mich wieder ins Bett. Heute wird ein Ruhetag. Konditionsmäßig wäre er zwar noch nicht wieder nötig, aber ich habe einfach keinen Bock, durch den Regen zu latschen. Und mit dem Ziel Kvilldal sollte der Ruhetag zeitmäßig drin sein.

    Nachdem die meisten weitergezogen sind und sich die Hütte merklich leert, beginnen drei Jugendliche mit Großreinemachen. Auch sie entpuppen sich als Ehrenamtliche der Stavanger Turistforening, die sich um die Hütten kümmern. Hier gibt es also auch junge Aktive. Ich biete meine Hilfe an und putze mit, die drei sind aber ein einhgespieltes Team und haben offensichtlich einen klaren Plan, wer was macht, so dass ich mir teilweise etwas als fünftes Rad am Wagen vorkomme. Den Rest des Tages widme ich mich der Hüttenbibliothek und und stöbere in Büchern über Natur und Geschichte der Region. Auch das ist immer ein spannender Aspekt solcher Hüttentage.


    -- FORTSETZUNG FOLGT --
    Zuletzt geändert von medwed; 13.11.2012, 21:54. Grund: Link zum GC-Bericht eingefügt.

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    #2
    AW: [NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

    Hallo medwed,
    vielen Dank für den Bericht von Deiner Tour. Die Gegend ist fast ein Geheimtip, jedenfalls ist dort nicht das Allermeiste los. Dabei habe ich die Landschaft als sehr abwechslungsreich empfunden, auch das Hüttennetz mit den vielen selbstbedienten Hytten hat seine Vorteile.
    Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
    Gruß
    Ulrich

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    • medwed
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      #3
      Fortsetzung: [NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

      Mittwoch, 01.08.12 - bei Storsteinen

      Am Morgen herrscht passabeles Wanderwetter. Ich breche von der Kringlevatn-Hütte auf und laufe durch eine eigentümliche Toteislandschaft. Nach einer Watstelle, die zwar nicht schwierig ist, aber doch Schuhwechsel erfordert, führt die Wegmarkierung wieder in deutlich höhere Lagen. Das Gelände ist hügelig aber gut zu begehen. Ich halte mich Richtung Storsteinen-Hütte. Da ich weiter nördlich zum Ostufer des Blåsjøs will, liegt die Hütte für mich nicht direkt am Weg. Aus Gesprächen in der Kringlevatn-Hütte weiß ich, dass der letzte Kilometer nach Storsteinen durch schwieriges Gelände führt. Da ich keine Lust habe, diesen Weg zweimal zu gehen, beschließe ich, am Wegabzweig nach Vassdalstjørn auf meiner Route zu bleiben und unterwegs irgendwo einen Zeltplatz zu suchen.


      Auf dem Weg Richtung Storsteinen

      Auf dem Wegstück Richtung Storsteinen muss ich zum ersten Mal größere und teilweise auch steile Schneefelder passieren. Ich merke, dass ich in höher gelegene und rauhere Landschaften komme. Schließlich gelangt die südliches Staumauer des Blåsjøs in Sichtweite. Vor mir liegt das gewaltige Reservoir. Es ist ein seltsames Gefühl, mitten in der wilden Fjellandschaft auf diesen massiven Natureingriff zu stoßen. Ich weiß nicht recht, was ich darüber denken soll. Riesige Fjellflächen wurden hier unter Wasser gesetzt, der Lebensraum der südlichsten Wildrentiere Europas ist samt altem Weideland und historischen Pfaden auf dem Grund des Wassers verschwunden. Auch die alten Wanderpfade der Region samt einiger Übernachtungshütten sind für immer vom Stausee verschluckt. Die Stavanger Turistforening musste nach dem Ulla-Førre-Ausbau das Wegenetz komplett neu markieren und die Hütten am Hovatn und am Vassdalstjørn wurden (teilweise mit Hilfe von Entschädigungszahlungen der Kraftwerksbetreiber) komplett neu gebaut. Auch wenn die Schneeverhältnisse in diesem Jahr besonders schwierig sind - dass die markierten Wege hier durch schneereiche Hochlagen führen, ist ein bekanntes Problem und liegt vor allem daran, dass die tieferen Lagen samt ihrer historischen Pfade schlichtweg nicht mehr existieren.


      Staudamm am Blåsjø

      Trotz allem: Norwegen nutzt anders als das benachbarte Schweden keine Atomkraft und kann seinen Energiebedarf weitgehend aus Wasserkraft decken. Durch den billigen Strom hat das Land allerdings auch eine große Anziehung für extrem energiehungrige Industrieen und viele NorwegerInnen sehen die einseitige Ausrichtung der heimischen Wirtschaft durchaus kritisch. Bei meiner Anreise konnte ich die riesige Aluminiumschmelze auf Karmøy "bewundern", die ihren Strombedarf ebenfalls aus Wasserkraft deckt.

      So paradox es klingt: Die Gegend um den Staudamm ist als Naturschutzgebiet streng geschützt. Gerade durch den Blåsjø ist der Lebensraum für die letzten Wildrenherden extrem eng geworden und man versucht, die Gebiete, in denen die Rentiere leben, von weiteren Störungen freizuhalten. Ungewöhnlich für Norwegen: In der Gegend östlich des Blåsjø-Staudammes gibt es ein Wegegebot; es ist verboten, den markierten Pfad zu verlassen. So folge ich weiter der Wegmarkierung und steige zum Fuß der Staumauer ab. Der alte Weg zum Vestre Gyvatn existiert nicht mehr, sogar die ehemalige Heiberghütte wurde abgebaut. Sie wurde am Storevatn wieder aufgbaut und ist heute eine der drei Übernachtungshütten dort.

      Ganz wohl ist mir nicht, die Wassermassen des Blåsjøs jetzt quasi über mir zu wissen. Doch zunächst ärgert mich das Wasser noch in ganz anderer Form; es beginnt wieder zu regnen. Um zu zelten, erscheint es mir aber noch zu früh. So kraxele ich im recht anstrengendem Gelände die steile Seite eines Hügels empor. Auf der Karte und in der Landschaft ist zu sehen, dass es problemlos möglich wäre, den anstrengenden Hügel zu umgehen, aber das würde mich in die Nähe des Gyvatn führen. Ich achte das Wegegebot und bleibe auf dem markierten Pfad, der die andere Seite des Hügels gleich ebenso steil wieder herunterführt.

      Auch wenn der Hügel auf der Karte nur ein kleines Hindernis war, hat er mich doch einige Zeit gekostet. Und der Regen wird auch nicht weniger. Als ich die Stelle erreiche, an der sich der Weg gen Vassdalstjørn von der Route zur Storsteinen-Hütte trennt, beschließe ich hierzubleiben. Es gibt eine ebene Stelle für mein Zelt und frisches Wasser - was will ich mehr. Daran, dass ich fast direkt unter dem Staudamm zelte, versuche ich nicht zu denken.

      Donnerstag, 02.08.12 - Hovatn

      Am nächsten Morgen regnet es immernoch. Meine Stimmung ist an einem Tiefpunkt angelangt. Ich versuche, den Rucksack weitgehend im Zelt zu packen und stopfe das nasse Zelt ganz zum Schluss oben hinein. Das fängt ja gut an. Die Stimmung wird nicht gerade besser dadurch, dass ich die ganzen Höhenmeter, die ich gestern abgestiegen bin, jetzt wieder rauf muss. Weiter oben geht der Regen wenigstens in Nebel über; nur das GPS verrät mir, dass ich jetzt wieder über dem Niveau des Blåsjøs bin. Sehen kann ich den Stausee nicht.

      Ich hangele mich von Wegmarke zu Wegmarke. Das Gelände ist anfangs ein ständiges Auf und Ab und anstrengend zu gehen. In meinen nassen Sachen habe ich keine Lust auf eine weitere Zeltnacht und beschließe, die Hütte am Hovatn anzusteuern, auch wenn diese nicht direkt am Weg liegt, und die Nacht im Trockenen mit heute und morgen jeweils einem Kilometer zusätzlicher Wegstrecke erkauft ist. Ich erreiche eine Stelle, an der der Weg auf einigen kleinen Dämmen durch einen Ausläufer des Blåsjøs führen soll. Der Abstieg zum Seeufer erweist sich als ziemlich anstrengend. Laut meiner Karte soll es hinter den Dämmen aber ebener werden. Kurz bevor die Dämme erreicht sind, kommt mir eine sportliche Norwegerin entgegen, die am Morgen von der Vassdalstjørn-Hütte aufgebrochen ist und noch nach Storsteinen will. Sie kann mir immerhin bestätigen, dass mich auf dem weiteren Weg keine unangenehmen Überraschungen zu erwarten haben. Schwierige Schneefelder gibt es ihrer Einschätzung nach erst nördlich von Krossvatn.


      Schneefelder

      Tatsächlich stoße ich auf der weiteren Tour zwar auf mehr und größere Schneefelder, das Gelände wird aber wie erwartet deutlich weniger steil und auf dem Schnee lässt sich da, wo ich rüber muss, bequem laufen. Hier durchwandere ich wieder die typische Landschaft aus plattgeschliffenem Fels und großen Steinblöcken, die ich schon vom Lysefjord kenne. Nur schade, dass ich im dichten Nebel nicht viel sehe.

      Ausgerechnet die letzten 500 Meter zur Hovatn-Hütte bieten dann noch einmal gleich vier Schneefelder, von denen zwei unangenehm zu begehen sind. Ich fluche, zumal ich weiß, dass ich morgen früh den gleichen Weg zurück muss. Ich habe bereits gemerkt, dass die Wegstücke, an denen der Pfad an Seen entlang läuft, in dieser Gegend die anstrengendsten sind. Während sich auf dem plattgeschliffenen Fels meist gut laufen lässt sind Seeufer hier oft sehr steil und teilweise voller Geröll. So gut sich Wasserflächen zur Orientierung eignen, wer hier in unmarkiertem Gelände geht, sollte sie eher meiden.

      In der Hütte treffe ich zu meiner Überraschung auf ein norwegisches Paar mit Angelausrüstung. Da mich weder jemand überholt hat noch die Norwegerin etwas von anderen WanderInnen zu berichten wusste, frage ich mich, wo die zwei herkommen. Das klärt sich bald im abendlichen Gespräch: Sie haben ihr Auto an einem Wirtschaftweg beim Setesdal stehen und sind von dort mit Karte und Kompass zum Hovatn gewandert. Alle Achtung - ich bin in dem Gelände hier froh über Wegmarkierungen und stelle mir die Orientierung nach der Karte recht schwierig vor.

      Grund sind die häufigen senkrechten Felsbänder und steilen Abbrüche, die gerade in der Nähe von Seen und Wasserläufen die Landschaft durchziehen. Da sie meist unter der Äquidistanz der Karte liegen, sind sie dort nicht erkennbar und machen das Gelände zu einer Art Labyrinth. Eine zusätzliche Markierung mit Schraffen gibt es auf norwegischen Karten nur ausnahmsweise. Um einen Weg zu finden, kann man nur jeden Gipfel unterwegs mitnehmen und immer Ausschau halten, wie es weitergehen könnte; bei Nebel ein schier aussichtsloses Unterfangen. Die beiden erzählen mit, dass die Fjellandschaft der Ryfylkeheiene tatsächlich für diese schwierigen Formationen berüchtigt ist, und dass sie zusätzlich mit einigen tiefen Watstellen zu kämfen hatten. Sie haben aber einen GPS-Track aufgezeichnet und wollen morgen den gleichen Weg zurück.

      Freitag, 03.08.12 / Samstag, 04.08.12 - Vassdalstjørn

      Der Weg vom Hovatn zur Vassdalstjørn-Hütte ist nicht so weit und führt laut Wegbeschreibung über leicht begehbares Gelände. Ich schlafe daher aus, und als ich aufstehe sind die zwei NorwegerInnen längst aufgebrochen. Das Wetter hat sich gebessert und der Frust des letzten Tages ist vergessen. Nachdem die vier Schneefelder wieder überwunden und der Hauptpfad erreicht ist, warten tatsächlich keine weiteren Schwierigkeiten mehr auf mich.

      Ich überquere den Ausfluss des Hovatn auf einer der klassischen Fjell-Hängebrücken. Von hier sieht man die Hütte schön am anderen Ende des Sees liegen. Während der Abstieg zur Brücke noch einmal steil ist, führt der Pfad am anderen Ende eher sanft wieder in die Höhe. Die Wegmarkierung leitet mich geschickt an den auch hier häufigen senkrechten Felsbändern vorbei und führt mich überwiegend über gut begehbaren Fels. Immer wieder habe ich eine eindrucksvolle Aussicht über den Blåsjø, da der Pfad ein ganzes Stück höher verläuft.

      Schließlich taucht vor mir ein steiler Abstieg zu einem kleinen See auf; der Vassdalstjørn ist ereicht. Schon von weitem sehe ich die Hütte am Ufer liegen. Obwohl der Vassdalstjørn auf 1120 m Höhe liegt, ist die Landschaft um die Hütte durch die geschützte Tallage grün und fruchtbar und wirkt so ganz anders als die umliegenden Steinheiene. Die Hütte ist mit ihren 30 Übernachtungsplätzen völlig überdimensioniert für die einsame Lage. Da es erst früher Nachmittag ist, hole ich mir aus der Proviantkammer die phänomenale Fertig-Pfannkuchen-Mischung und mache mir Pfannkuchen als verpätetes Mittagessen. Ich habe die Vassdalstjørn-Hütte ganz für mich alleine. Sie wird die nächsten zwei Nächte mein Zuhause sein. Ich mache es mir gemütlich und genieße einen stimmungsvollen Abend an dem kleinen See.


      Abend am Vassdalstjørn

      Der Samstag ist wieder mein Ruhetag. Auch heute habe ich die Hütte weitgehend für mich alleine. Gegen Mittag kommen drei Norwegerinnen vorbei, die sich ein Mittagessen kochen und dann weiterziehen, sonst ist kein Mensch in der Nähe. Ich hole mir ein paar Eimer Wasser aus dem See und wasche mich endlich einmal richtig gründlich. Ansonsten koche ich, was Proviantlager und Rucksack hergeben, und schlemme eigentlich den ganzen Tag.

      In der Hüttenbibliothek finde ich noch einige Bücher mit Wegbeschreibungen der Region und gehe im Geiste die weitere Wegstrecke durch. Wenn ich nach Kvilldal will, geht der markierte Weg über die Hütte am Krossvatn und dann zur bewirtschafteten Stranddalen-Hütte. Während der Weg zur Krossvatn-Hütte eine kurze Tagesetappe ist, erscheint mir die Route von Krossvatn nach Stranddalen als ziemlicher Gewaltmarsch. Zwar ist mein Rucksack mittlerweile weitgehend leergefressen, aber ich schätze trotzdem, dass ich unterwegs noch einmal zelten muss. Auch führt der Pfad in ziemlich hohe und schneereiche Lagen, in denen ich die Schneesituation nicht richtig einschätzen kann. Wenn ich drei Tage nach Stranddalen brauche, bin ich zwar noch rechtzeitig, habe aber kein Spiel für unvorhergesehene Situationen mehr.

      Ich studiere die Karte und beschließe, eine Alternative auszuproblieren. Am Nordende des Blåsjøs gibt es mehrere Staudämme, daher führt hier ein Schotterweg entlang. Wenn ich das Ufer des Blåsjøs erreiche und dort entlanggehe, sollte es möglich sein, diesen Weg zu erreichen. Nördlich von Vassdalstjørn befindet sich ein wassereicher Wegabschnitt, hier befürchte ich wieder schwieriges Gelände und unpassierbare Steilstellen. Ich beschließe daher, zunächst dem markierten Pfad Richtung Krossvatn zu folgen, bis ich an den Gewässern vorbei bin, und mich dann mit Karte und kompass zum Blåsjø-Ufer durchzuschlagen. Auf einer alten Wanderkarte ist ein markierter Pfad das Ufer entlang zum Damm eingezeichnet, der auf der aktuellen topographischen Karte aber fehlt. Ob es noch eine sichtbare Markierung gibt, weiß ich nicht; es scheint aber möglich zu sein, dem Ufer zu folgen. Da bei meiner geplanten Route die Strecke durch völlig pfadloses Terrain nur drei Kilometer sind und mit dem Blåsjø-Ufer eine unübersehbare Auffanglinie existiert, denke ich, dass ich auch bei schwierigen Verhältnissen mit vertretbarem Aufwand vorankommen werde. Ist der Schotterweg erreicht, kann ich ihm bis zum Parkplatz am Øvre Moen folgen und von dort den markierten Pfad zur Stranddalen-Hütte nehmen.

      Ich genieße noch einmal die Ruhe und die Abendstimmung am Vassdalstjørn undfreue mich auf die etwas "abenteuerliche" Etappe, die vor mir liegt.


      Abendstimmung in der Hütte

      Sonntag, 05.08.12 - Schotterweg am Blåsjø

      Nachdem ich die Vassdalstjørn-Hütte geputzt habe, breche ich etwas besorgt auf. Zwar scheint die Sonne, aber das Wetter wirkt instabil und ich befürchte, es könnte heute noch ein Gewitter geben. Zunächst habe ich aber Glück und genieße ein angenehmes Wanderwetter. Meine Einschätzung der Wegstrecke erweist sich als richtig; ich bin froh, dass mich die Wegmarkierung sicher durchs Gelände leitet. Schließlich überquere ich einen Bach, der sich zwar prima als Leitlinie eignen würde, bei dem aber schon auf der Karte erkennbar war, dass er tief ins Gelände eingeschnitten ist. Der Blick in die Landschaft bestätigt; hier führt kein sinnvoller Weg nach Westen. Wenig später markiert eine Reihe von kleinen Tümpeln auf der Karte aber eine Strecke in relativ flachem Gelände, die mir begehbar erscheint. Hier will ich die markierte Route verlassen.

      Ich bin etwas überrascht, als ich dort angekommen nach Westen blicke und dort ein deutlich sichtbares Steimännchen entdecke. Ich bin offensichtlich nicht der erste, der die Idee hatte hier langzugehen. Es existiert eine Wegmarkierung genau in die Richtung, in die ich gehen will. Zunächst folge ich den Steinmännchen, merke aber dann, dass der Pfad mich zu weit nach Süden leitet. Da ich keine Ahnung habe, wohin er führt, entschließe ich mich, mir jetzt eine eigene Route zu suchen. Da ich bald in deutlich schwierigeres Gelände komme, vermute ich fast, dass der Pfad dieses umgangen und weiter südlich auch zum Blåsjø geführt hätte; das wird aber einE andereR überprüfen müssen.

      Ich suche mir jedenfalls einen erhöhten Punkt, um zu sondieren, wie es weitergehen kann. So laufe ich ein Stück weiter und lande schließlich an einem See, der fast überall von steilen Abbrüchen umgeben ist. Hier bestimmt die Landschaft den weiteren Weg, nicht die Richtung in die ich will. Der einzig gangbare Weg - wenn ich nicht umkehren will - führt über ein unangenehmes, steiles Schneefeld. Ich passiere es aber sicher und und erreiche eine Stelle, von der ich wieder Aussicht in die richtige Richtung habe. Zunächst erschrecke ich etwas, weil sich vor mir ein riesiges Schneefeld auftut. Aber dann erkenne ich eine sichere Wegführung. Der steile Aufstieg im Schneefeld ist nur sehr kurz und im oberen Bereich ist es so flach, dass es einen bequemen Weg in die richtige Richtung bietet. Kaum habe ich es passiert, kann ich vor mir einen möglichen Abstieg zum Blåsjø-Ufer erkennen. Ich nehme unterwegs einen GPS-Track auf. Im Nachhinein erscheint mit, dass ich mit Ausnahme des Eiertanzes um den kleinen See eine recht gute Strecke durch das weglose Gelände gefunden habe. Ich kann allerdings nicht garantieren, dass es möglich ist, meinem Track zu folgen. Schließlich habe ich mehrere Schneefelder passiert, bei denen ich nicht weiß, wie die Landschaft hier zu anderen Zeiten und bei anderen Schneeverhältnissen aussieht.

      Beim Abstieg Richtung Blåsjø sehe ich schon von Weitem eine deutliche Reihe von Steinmännchen in Ufernähe. Den markierten Uferpfad gibt es also noch. In der Ferne kann ich bald den kleinen Damm erkennen, an dem der Schotterweg beginnt. Jetzt geht es schnell voran und ich freue mich, dass bislang auch das Wetter hält. Als ich den Damm fast erreicht habe, blicke ich allerdings einmal ungläubig auf ein Steinmännchen hoch über mir. Ich frage mich, ob der Weg hier doch in eine andere Richtung führt. Leider nein: Kurz vor dem Damm gibt es ein steiles unpassierbares Stück am Ufer und ich muss tatsächlich noch einmal ein ganze Stück aufsteigen. So sehr ich mich über die unnötigen Höhenmeter ärgere, bin ich doch dankbar, dass ich mir hier keinen Pfad suchen miuss, sondern die Steinmännchen mich sicher an der steilen Stelle vorbeileiten.

      Auch die letzte Unsicherheit ist bald geklärt: Der Damm ist problemlos begehbar. Am anderen Ende leiten mich die letzten Markierungen sicher auf den Schotterweg. Ich liege gut in der Zeit und beschließe, so weit es geht noch heute dem Schotterweg zu folgen. Nach einer kurzen Pause geht es weiter und ich bin überrascht, wie schnell ich vorankomme. Ein paar Unterbrechungen gibt es allerdings, da auch der befestigte Weg teilweise von Schneefeldern überdeckt ist. Geräumt wurde hier nicht, der Weg ist nicht befahrbar. Die meisten zugeschneiten Stellen sind einfach, ein Schneefeld erweist sich aber als etwas steiler.

      Etwas mulmig wird mir, als ich in der Ferne Donnergrollen höre und sich die aufgetürmten Wolken deutlich verfinstern. Sollte es doch noch Gewitter geben. Der Weg führt leider zunächst auf fast 1.200 Meter hoch. Ich beeile mich, um den höchsten Punkt möglichst schnell zu überschreiten. Die Sorge verflüchtigt sich aber bald, das Gewitter zieht weit entfernt vorbei. Regen wird es heute Abend aber wohl trotzdem noch geben. Ich rechne mir aus, wie lange ich bei meinem derzeitigen Gehtempo bis Øvre Moen brauchen werde und stelle fest, dass ich keine Eile habe. Gegen 19.00 Uhre habe ich eine flache Stelle am Wegesrand gefunden, an der ich mein Zelt aufbauen kann, bevor es anfängt zu regnen. Nur meine Abend-Polenta muss ich auf dem vermaledeiten Mini-Trangia wieder im Nassen kochen. Trotzdem bin ich froh, dass ich nicht noch den großen Kocher mit mir rumgeschleppt habe. Die alte Weisheit gilt hier wieder: Wer schwere Ausrüstung hat, leidet am Tag - wer leichte Ausrüstung hat, leidet am Abend.

      Montag, 06.08.12 - Stranddalen

      Da es am Morgen noch immer regnet, lasse ich mir Zeit mit dem Aufstehen. Vor mir liegt schließlich nur eine kurze Etappe. Und schließlich lässt der Regen nach, so dass ich gegen 10.00 Uhr aufbreche und dem Schotterweg weiter folge. Jetzt geht es nur noch bergab. Bald erreiche ich den Oddatjørn-Staudamm. Hier beginnt das Bachtal der Oddaa, die sich bei Øvre Moen mit der Ulla vereinigt. Ein kleiner Nachteil meiner Route ist, dass der Weg hier dem Bachlauf ins Tal folgt und dabei fast 300 Höhenmeter verliert, die ich nachher zur Stranddalen-Hütte alle wieder aufsteigen muss. Zunächst genieße ich aber den schnellen und bequemen Weg ins Tal.

      Ich bin überrascht, als vor mir plötzlich ein Tunnel mit einem Wegweiser zum Blåsjø auftaucht, der links vom Weg abgeht. Nach der Karte beginnt der befahrbare Weg zum Westufer des Blåsjøs in Øvre Moen. Später stelle ich fest, dass die Wegführung geändert wurde und der auf der Karte eingezeichnete Weg gesperrt ist. Erstaunlich, meine topographische Karte ist die ganz aktuelle neue Ausgabe von 2011 (die mit bedruckter Vor- und Rückseite), der Berichtigungsstand für Straßen ist mit 2005 angegeben. Der neue Tunnel ist also erst vor Kurzem angelegt worden. Ich lasse den Abzweig hinter mir und Stelle fest, dass die Straße ab hier asphaltiert ist. Jetzt gibt es auch Autoverkehr, nicht nur Dienstfahrzeuge der Kraftwerksbetreiber, auch Touri-Autos, die sich offenbar den Stausee anschauen wollen.

      Ich beeile mich, zum Parkplatz Øvre Moen zu kommen. Hier befand sich während des Ulla-Førre-Ausbaus ein Wohncontainer-Lager für die Arbeiter. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Auf dem Parkplatz stehen allerdings zahlreiche Autos. Die bewirtschaftete Stranddalen-Hütte ist ein beliebtes Ausflugsziel und der Weg von Øvre Moen ist der kürzeste Zugang. Ganz kann ich dem allerdings nicht folgen: Der Aufstieg aus dem Ulla-Tal ist extrem steil und anstrengend. Obwohl der Weg vom DNT mit 2 Stunden angegeben wird, benötige ich über 4 Stunden. Der deutlich gemäßigtere Weg vom Pumpwerk Saurdal dürfte in der Praxis für alle, die nicht extrem steigungsgewohnt sind, schneller sein, obwohl er mit 3 Stunden angegeben wird.

      Um eine Tour abzubrechen, wäre Øvre Moen kein guter Ort. Hier kann man allenfalls auf ankommende WanderInnen warten und hoffen, dass jemand einen im Auto mitnimmt. Es gibt keinen Handyempfang, ein Taxi kann man nicht rufen. Das wäre auch sehr teuer, die Hauptstraße ist mehr als 30 km entfernt. Aber ich will sowieso zur Stranddalen-Hütte und mache mich an den schlauchenden Aufstieg.

      Stranddalen ist eine der wenigen bewirtschafteten Hütten der Stavanger Turistforening. Hier gibt es einen "richtigen" Hotelbetrieb mit Verpflegung. Sogar warmes fließendes Wasser und Duschen hat die Hütte. Dabei liegt die Stranddalen-Hütte nicht an einem befahrbaren Weg, sondern mitten in den Bergen. Hubschrauber und Lastpferde sind die einzigen Verkehrsmittel, um sie zu versorgen. Gegen 16.00 Uhr komme ich in Stranddalen an und checke ein. Es ist nach der zweiwöchigen Wanderung ungewohnt, so viele Menschen zu treffen.


      Stranddalen-Hütte

      Der Luxus in Stranddalen hat seinen Preis. Zwar ist die Übernachtung mit Frühstück gar nicht so teuer, aber das Abendessen schlägt ganz schön zu Buche. Das ist aber bei norwegischen Lohnkosten auch nicht verwunderlich, wenn jeden Tag jemand frische Lebensmittel via Pferd zur Hütte schaffen muss. Das Essen ist jedenfalls vorzüglich - als Vegetarier bekomme ich extra etwas gekocht. Zum Frühstück gibt es frisch gebackene Brötchen von Buffet. Ein eigenartiger Kontrast zwischen wilder Fjellnatur und Luxusunterkunft.

      Der Abend in Stranddalen wird einer der nettesten meiner Tour. Ich lerne einen Rentner aus Jaeren kennen, der hier angeln und Tagesausflüge machen will. Zusdammen mit mit einigen Pensionistinnen aus der Region verbringen wir gemeinsam den Abend. Während es sich bei den meisten Hüttengesprächen doch um Wandern, Routen und Tourplanung gehandelt hat, kommen wir heute von Hölzchen auf Stöckschen und es geht um Politik, Geschichte, Lokales und allerlei andere Themen. Mit den unterschiedlichen Dialekten habe ich teilweise so meine Probleme, fühle mich aber trotzdem wohl in der Runde. Auch wenn ich teilweise Svorsk (Svensk-Norsk) spreche, kann ich mich problemlos einbringen. Ich lerne heute Abend noch, dass auf dieser Seite der Skanden der Piepsvogel, der einem in hellen Zeltnächten den Schlaf raubt, Heilo und nicht Ljungpipare heißt und dass eine einfache Schutzhütte mit drei Wänden und Dach hier kein Vindskydd, sondern ein Gapahuk ist. Vorher wusste ich nicht einmal, dass es solche für mich typisch schwedischen Unterstände in Norwegen überhaupt gibt. Erst spät abends löst sich die Runde auf und alle gehen zu Bett.

      Dienstag, 07.08.12 - Suldalsosen

      Heute ist also der letzte Tag meiner Tour. Das Wetter ist zwar durchwachsen, aber es regnet nicht. Mit den netten Wirtsleuten der Hütte (die Gelder für die Übernachtung bekommt in bewirtschafteten Hütten übrigens die Turistforening, die Bewirtung ist nicht fest angestellt, sondern lebt ausschließlich von der Verpflegung und vom Kioskverkauf) bespreche ich, wie ich am Besten zurück in besiedelte Regionen komme. Die nächste Straßenanbindung im Norden ist das Pumpwerk in Saurdal. Dorthin kann man ein Taxi bestellen. Suldalsosen - der nächste Ort im Tal - hat einen lokalen Taxibetrieb, so dass man keine teure Anfahrt von sonstwoher bezahlen muss. Nebenher betreibt der Taxiunternehmer auch gleich eine Pension, so dass Abholung und Unterkunft mit einem Anruf geregelt ist. Stranddalen verfügt über ein Satellitentelefon und kann so Kontakt zur Außenwelt halten. Zwar soll es in Saurdal Handyempfang geben, vorsichtshalber bitte ich die Wirtsleute aber, mir ein Taxi auf 17.00 zu bestellen - mit der Option, dass ich selber anrufe und es umbestelle, wenn ich eher in Saurdal bin.

      Verglichen mit dem Weg von Øvre Moen ist der Pfad Richtung Kvilldal und Saurdal einfach zu begehen. Von Kvilldal aus gehen auch die Pferdetransporte zur Hütte los. Ich komme gut voran und genieße meinen letzten Wandertag. Unterwegs treffe ich dann auch auf die berühmten Lastpferde.


      Lastpferd auf dem Weg nach Stranddalen

      Bald ist der Abzweig zum Pumpwerk Saurdal erreicht und ich sehe vor mir bereits, dass die Fjellandschaft in Kulturland übergeht. Ich treffe auf die ersten Ferienhäuser und wundere mich, dass der Weg dennoch nicht ausgebauter ist. Zwar liegen einige teilweise verrottete Bohlen in der Gegend, es geht aber durch ziemlich sumpfiges Gelände und ich suhle mich noch einmal richtig ein. Die letzte 500 Meter folgt die Markierungh dann einem steilen Schotterweg runter zur Straße. Ich erreiche das Pumpwerk Saurdal gegen 15.00 Uhr und rufe in Suldalsosen an, dass das Taxi eher kommen soll.


      Straße beim Punpwerk Saurdal

      Während ich auf meine Abholung warte, schaue ich dem regen Werksverkehr an der Einfahrt zum Pumpwerk zu. Wie die meisten Anlagen des Ulla-Førre-Ausbaus ist auch das Pumpwerk unterirdisch gebaut. Ein Auto nach dem anderen verschwindet hier im Fels. In Zeiten mit Energieüberschuss wird hier Wasser hoch in den Blåsjø gepumpt, um so die Energie zu speichern und nutzen zu können, wenn sie benötigt wird.

      Die Taxifahrerin erzählt mir, dass in Suldalsosen ca. 900 Menschen leben. Wie so oft in Norwegen gibt es keinen richtigen Ortskern, die Häuser stehen verstreut; auch Saurdal gehört noch zu Suldalsosen. Für die Zuordnung orientiert man sich daran, welche Schule für die Kinder, die dort wohnen, zuständig ist. Als Ein- und Ausstiegspunkt für Wanderungen ist Suldalsosen beliebt, die Pension lebt aber vor allem von ArbeiterInnen auf Montage, die in den Ulla-Førre-Kraftwerksanlagen zu tun haben. Dementsprechend gesalzen sind leider auch die Zimmerpreise - hier zahlt normalerweise wohl der Arbeitgeber. Eine Alternative habe ich aber nicht, also quartiere ich mich in Suldalsosen für eine Nacht ein. Gleich zwei Supermärkte gibt es in 500 Meter Entfernung an der Straße, mich überfällt der Proteinhunger und ich decke mich erst einmal reichlich mit Käse ein.

      Schon in Stranddalen hatten mit Gäste erzählt, dass die Straße nördlich aus Suldal wegen Steinschlag gesperrt ist. Zur Hauptstraße von Haugesund nach Haukeligrend (so wollte ich ursprünglich weiterfahren) gibt es derzeit keine Verbindung. Ortskundige hatten mir eh empfohlen, aus Sand, dem Hauptort von Suldal, das Hurtigbåt nach Stavanger zu nehmen und von dort nach Krisitansand weiterzufahren. Ich frage nach, am nächsten Morgen gibt es um 06.55 Uhr einen Bus nach Sand, der direkt Anschluss an das Boot hat.

      Mittwoch, 08.08.12 - Stavanger

      Begeistert bin ich nicht, dass ich am Ende meiner Tour nicht ausschlafen kann, sondern in aller Herrgottsfrühe den Bus nehmen muss. Der Bus in die andere Richtung wäre ohne den Steinschlag zu einer zivileren Zeit gefahren. Dafür beschert mir der frühe Aufbruch quasi einen ganzen Urlaubstag in Stavanger. Von Sand sehe ich nicht viel, da ich wie geplant sofort Anschluß habe. Dafür genieße ich die Fahrt durch die Insellandschaften der Ryfylkeküste. In Stavanger angekommen packe ich mein Gepäch ins Schließfach, reserviere mir telefonisch ein Bett im schon von der Hinreise bekannten Vandrerhjem und gehe erst einmal zum Bahnhof, um für morgen einen Zug nach Kristiansand zu buchen.


      Stavanger

      Obwohl Stavanger als Norwegens Erdölstadt bekannt ist, hat es eine schöne historische Altstadt. Ich verbringe den Tag mit Touristeln und Museumsbesuchen und bummele von Café zu Café. Unterwegs hebe ich noch zwei Geocaches, habe aber keine Lust, mich ernsthaft auf Dosensuche zu begeben. Einige Zeit verbringe ich wieder in dem bekannten Café mit Internetanschluss und lese die E-Mails der vergangene Wochen. Wie erwartet, habe ich in der computerlosen Zeit nicht viel verpasst.


      Gamle Stavanger - die Altstadt

      Nach zwei Wochen Fjelleinsamkeit bin ich noch etwas empfindlich, was die Menschenmassen der Großstadt angeht. Im Hafen von Stavenger liegt ein riesiges Kreuzfahrtschiff und von dort strömen fotografierende Horden in die Altstadt. Ich wundere mich, wie man so seinen Urlaub verbringen kann.


      Kreuzfahrtschiff vor Altstadtkulisse

      Ich fühle mich ermattet und fahre bereits früh zum Vandrerhjem. Dort erstaunt mich, dass ein Schild um Entschuldigung für Probleme wg. Wasserschäden durch die heftigen Regenfälle der letzten Tage bittet. Ich frage nach - ja in Stavanger hat es teilweise geschüttet, während ich im nahen Fjell nur kurzzeitigen Regen und überwiegend nur Nebel hatte. Erstaunlich, wie unterschiedlich das Wetter zwischen Fjell und Küste sein kann. Zum Glück hat das Vandrarhjem zwei Fernsehräume, denn es ist offensichtlich gerade Olympiede. Während vor dem einen Fernseher sportbegeisterte Horden hocken, habe ich den anderen die meiste Zeit für mich alleine. Herrlich, genau das richtige für die Rückkehr in die Zivilisation.

      Donnerstag, 09.08.12 / Freitag, 10.08.12 / Samstag, 11.08.12 - Rückreise

      Gefühlt ist mein Urlaub zuende, die Rückreise nach Deutschland beginnt. Diesmal will ich den Land- und Seeweg benutzen. All zu eilig habe ich es nicht mit der Heimkehr. Die Eindrücke der Tour wollen verarbeitet sein und ich weiß. dass es auch, wenn ich mit dem Zug fahre, noch einige Zeit dauern wird, bis ich wieder richtig angekommen sein werde.

      Ich verbringe einen Nachmittag in Kristiansand, gehe dort ein wenig Geocachen auf der vorgelagereten Insel Odderøy. Am nächsten Morgen nehme ich die Fähre nach Hirtshals. Gut, dass ich auf der Fähre meine norwegischen Kronen in dänische getauscht habe, Fahrkarten für die Privatbahn ab Hirtshals gibt es nur an einem Automaten im Zug, der nicht nur ausschließlich dänisches Bargeld (auch keine Kreditkarten) nimmt, sondern zu allem Überfluss auf Münzen besteht. Etliche NorwegerInnen schauen ziemlich verdutzt drein, und trotz der Warnung vor dem Schwarzfahren an der Zugwand dürften die Meisten hier letztlich ohne Fahrschein sitzen. Ein Stück gibt es dann noch Schienenersatzverkehr, aber schließlich erreiche ich Aalborg.

      Da die Stadt zwar ein Vandrerhjem hat, das aber ziemlich weit außerhalb liegt und unglaublich teuer ist, steuere ich die Touri-Info an. Tatsächlich bekomme ich für nur unwesentlich mehr Geld ein ordentliches Hotelzimmer in der City. Ich fühle mich von der Tour noch recht geschafft und habe trotz Zelt im Rucksack keine Lust auf einen Campingplatz. Aalborg erweist sich als hübsches Staädtchen, ich gehe noch ein bisschen spazieren und mache es mir dann in meinem Zimmer gemütlich. Für den nächsten Tag habe ich ein Europa-Spezial der Deutschen Bahn. Den letzten Urlaubstag werde ich in dänischen und deutschen Intercitys verbringen, um am späten Abend dann wieder zu Hause anzukommen.

      medwed
      Zuletzt geändert von medwed; 26.08.2012, 20:24.

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      • gnubat
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        • 20.04.2011
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        #4
        AW: [NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

        Hi, schöner Bericht.
        In der Gegend wollte ich auch immer schonmal für 2-3 Tage unterwegs sein, hat sich aber leider noch nie ergeben.

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        • fcelch
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          • 02.06.2009
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          #5
          AW: [NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

          Hei,

          tusen Takk für den schönen Bericht.
          Wir sind wieder mal nur durchgefahren.....von Stavanger ins Setesdalen. Aber eine Tour dort reizt sehr.
          Gruß,
          FCElch

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          • Squirrl
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            • 25.06.2009
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            #6
            AW: [NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

            Hallo,
            Ich wollte einfach nur danke sagen, für einen sehr guten Reisebericht. Top!

            Eine Tour, die ich die nächsten Male sicher einbeziehen werde...

            Zack, gleich abonniert, um auch Nachfragen mitzubekommen!

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            • andrea2
              Dauerbesucher
              • 23.09.2010
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              #7
              AW: [NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

              Hallo medwed,

              gestern heimgekehrt aus dem Setesdalen, freue ich mich sehr hier deinen Reisebericht vorzufinden. Auch wenn wir nur den kleinen Teil von Storevatn bis zum Abzweiger nach Bossbu die gleiche Route gelaufen sind. So komme ich zumindest noch virtuell bis zum Blåsjø.

              Andrea
              Zuletzt geändert von andrea2; 02.10.2012, 13:25.

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              • vinne90
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                • 26.04.2010
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                #8
                AW: [NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

                Hi,

                super Bericht wie ich finde. Gerade deine Beschreibungen des Weges sind hilfreich für eigene Überlegungen in der Gegend. War selber mal am Nordufer des LYsefjords unterwegs, aber es gibt dort ja noch soviel mehr zu entdecken!

                Gruß,
                Vincent
                vinne90-Blog&Bilder

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                • Fliir
                  Erfahren
                  • 27.07.2011
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [NO] Ryfylkeheiene - Solotour 2012

                  Ein schöner und sehr ausführlicher Bericht, klasse! Ich finde insbesondere Deine ganzen Nebeninformationen über die Region und Norwegens Energiepolitik an diesem Beispiel sehr interessant. Du lebst in Norwegen, oder?
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