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[NO] Ryfylkeheiene Solotour
Land: Norwegen
Reisezeit: Juli / August 2012
Region: Rogaland, Ryfylkeheiene
19. bis 22.07.2012 - Karmøy
Es ist noch nicht richtig Abend, als ich am 19. Juli auf dem Flughafen Haugesund endlich norwegischen Boden betrete und meinen lang ersehnter Sommerurlaub 2012 beginnen kann. Diesmal ist Urlaub im Süden angesagt: Ich plane eine Trekkingtour durch Ryfylkeheiene. Während die nördlich angrenzende Hardangervidda eines der beliebtesten Wandergebietes Norwegens darstellt, sind die südlichsten norwegischen Fjellgebiete beidseitig des Setesdalen - Austheiene und Ryfylkeheiene - vergleichsweise unbekannt. Dabei gibt es auch hier noch "echtes" Fjell. Gerade Ryfylkeheiene gelten aber auch als Batterie Norwegens und sind in weiten Teilen durch massiven Kraftausbau und mehrere gigantische Stauseen geprägt. Insbesondere im Rahmen des Ulla-Førre-Ausbaus sind über 84 Quadratkilometer Fjellandschaft in dem gewaltigen Stausee Blåsjø versunken. Nichtsdestotrotz bietet Ryfylkeheiene eindrucksvolle Landschaften und eine Menge Einsamkeit.
Zunächst quartiere ich mich allerdings für drei Tage im Vandrerhjem in Kopervik auf der Insel Karmøy ein. Ich möchte hier ein paar Tage Geocachen gehen und insbesondere den Geocaching-Event auf dem Vikinggård in Avaldsnes besuchen. Avaldsnes ist ein alter Häuptlingssitz und als erster norwegischer Königshof bekannt. Von hier aus hatte man Kontrolle über die enge Schiffahrtsstraße zwischen Karmøy und dem Festland und damit über den Weg nach Norden - Norvegen. Der Begriff soll sich ursprünglich just auf diesen Seeweg beziehen. Neben einem Geschichtsmuseum und der Olavskirche aus christlicher Zeit erinnert ein nachgebauter Wikingerhof an die historische Bedeutung des Ortes.
Olavskirche in Avaldsnes
Um hier nicht zu weit vom Forumsthema abzukommen, verweise ich, was den Geocaching-Event und Avaldsnes angeht, auf meinen Bericht im deutschsprachigen Geocaching-Forum "Geoclub". Am Sontag ist es jedenfalls dann genug der Dosensuche und ich breche mit dem Hurtigbåt gen Süden auf. Noch einmal will ich in der norwegischen Erdölstadt Stavanger übernachten, dann soll es endlich losgehen. Sorgenvoll betrachte ich das Wetter. Heute regnet es und Besserung erscheint nicht in Sicht.
Montag,23.07.2012 - Fløyrli
Als ich im Vandrerhjem in Stavanger aufwache, ist draußen echtes Sauwetter. Ich beschließe, den ursprünglich geplanten Tagesausflug zum Preikestolen bleiben zu lassen und den Tag ganz gemütlich anzugehen. Den Vormittag sitze ich in einem Café in Stavanger und logge meine Geocaching-Funde, mittags geht es dann mit dem Boot in den nebelverhangenen Lysefjord, den südlichsten der großen norwegischen Fjorde. Vom Preikestolen hätte ich heute wirklich keine Aussicht gehabt. Ich sage dem Bootspersonal Bescheid, dass ich in Fløyrli aussteigen will - sonst legt das Boot dort nicht an.
Fløyrli
Fløyrli mit seinen 13 Wohnäusern diente ursprünglich als Unterkunft für die Arbeiter in dem ab 1913 gebauten Wasserkraftwerk und deren Familien und hatte zu Hochzeiten über 100 EinwohnerInnen. Sogar eine Schule gab es hier. Es gibt keinen befestigten Weg nach Fløyrli. Der Ort ist nur zu Fuß über die Berge oder per Boot erreichbar. Berühmt ist die Holztreppe entlang der Rohrleitung vom zugehörigen Stausee zum Kraftwerk; mit über 4000 Stufen und mehr als 700 Höhenmetern angeblich die längste Holztreppe Europas. 1999 wurde Fløyrli aufgegeben, da ein neues Wasserkraftwerk automatisch betrieben wurde und kein Personal vor Ort mehr notwendig war.
Um so überraschter bin ich, dass das alte Kraftwerksgebäude offen steht und eine ältere Dame dort für die wenigen Fremden, die sich nach Fløyrli verirren, ein Café und eine Kunstausstellung betreut. Ich komme mit ihr ins Gespräch und erfahre, dass in Fløyrli noch zwei Menschen leben und eine ehrenamtlich agierende Gruppe in dem historischen Kraftwerksgebäude Ausstellungen organisiert und es so vor dem Abriss bewahrt hat. Ich besichtige Ausstellung und Kraftwerk und bestelle mir eine Waffel im Café.
Kraftwerkshalle in Fløyrli
Derzeit wird in Fløyrli sogar ein Anleger für Freizeitboote neu gebaut, damit auch Gäste mit eigenem Boot den Ort besuchen können. Ich inspiziere noch die berühmte Treppe und stelle fest, dass die Stufen bei Regenwetter extrem glitschig sind. So beschließe ich, falls sich das Wetter nicht bessert, den "normalen" Pfad in die Berge zu wählen, auch wenn der erste Teil der geplanten Tour dadurch ein ganzes Stück länger wird. Die Nacht verbringe ich in der unbedienten Hütte der Stavanger Turistforening.
Dienstag,24.07.2012 - Aufbruch ins Fjell
Am nächsten Morgen hat der Regen nachgelassen, trocken ist es draußen aber beileibe nicht. Nach dem obligatorischen Säubern der Hütte mache ich mich etwas frustiert auf den Weg. Der erste Tag ist immer der anstrengendste, zumal ich heute etwa 1000 Höhenmeter vor mir habe. Und natürlich ist mein Rucksack mal wieder viel zu schwer. Die meisten Hütten der Stavanger Turistforening bieten zwar die Möglichkeit zum Proviantnachkauf, aber im Angebot fehlen dorch viele Dinge, die ich auf Tour für unentbehrlich halte, z.B. Müsli für's Frühstück und Studentenfutter und Riegel als Trail-Snacks. Auch was warme Speisen angeht, ist das Angebot für einen Vegetarier eher mager - ich habe also außer Reis und Nudeln mein Futter für zwei Wochen auf dem Rücken. Und auch das Zelt musste mit.
Da ich von Körperbau doch eher Bär als Gazelle bin und gerade bergauf schon ohne Rucksack einiges zu tragen habe, bin ich ein zwar fjellgewohnter aber langsamer Wanderer; und ich war schon öfters in Situationen, wo ich auf Tour "schlapp gemacht" habe und froh war, einfach mein Zelt aufbauen zu können. Ohne Zeltausrüstung gehe ich daher nicht ins Fjell, auch wenn es reichlich Hütten in der Gegend gibt - um den Preis, dass der Rucksack dadurch schwerer und ich noch langsamer werden. Immerhin beim Kocher habe ich Gewicht gespart - da ich vorwiegend in Hütten übernachten will, sind nur ein Mini-Trangia und ein halber Liter Rødsprit mit dabei. Der steile Aufstieg von Fløyrli schlaucht jedenfalls ganz schön und ich bin froh, nicht die noch steilere Treppe benutzt zu haben. Während der Pfad anfangs recht bequem ist, führt mich die T-Markierung dann in einem Bachlauf nach oben. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das Wasser auf Grund der heftigen Regenfälle den erodierten Pfad als Lauf gesucht hat, oder ob hier immer ein Bach ist und der Wegmarkierer diesen als einzig gestrüppfreien Aufstieg zum Weg erkoren hat. Schließlich ist dann aber die Baumgrenze erreicht und vor mit tut sich eine grandiose Fjellandschaft auf. Auch das Wetter hat sich deutlich gebessert.
Baumgrenze am Lysefjord
Die weitere Route geht bald ein Stück über einen Schotterweg, die Spuren des Kraftausbaus sind hier deutlich zu sehen. Trotzdem freue ich mich, dass ich auf dem befestigten Weg schnell vorankomme. Mir wird aber klar, dass ich es nicht bis zur Langavatn-Hütte schaffen werde. Ich beschließe, noch ein Stück weiterzugehen, und mir dann irgendwo am Wegesrand einen Zeltplatz zu suchen. Kaum lasse ich den Schotterweg hinter mir, geht es auf blankem Fels wieder steil bergauf. Die Wegführung in diesem Gebiet habe ich mir von der Online-Karte auf UT.no abgezeichnet. Auf älteren Karten ist ein ganz anderer - in der Landschaft heute nicht mehr markierter Verlauf - eingezeichnet. Die Wegmarkierung ist aber vorbildlich. Trotzdem zeichne ich den richtigen Wegverlauf per GPS auf, um den Track ins Internet zu stellen. Als es schließlich wieder anfängt zu regnen, baue ich mein Zelt auf und beende relativ früh einen anstrengenden Wandertag. Der größte Teil der Höhenmeter ist immerhin geschafft. Während ich mir Polenta zum Abendessen bereite, verfluche ich den Mini-Trangia, der bei Wind trotz eines Schutzbleches erheblich mehr Flammen in die Gegend speit, als sein großer Bruder, so dass ich weit ab vom Zelt im Regen hocken muss, um es nicht abzufackeln.
Mittwoch,25.07.2012 - Langavatn
Am nächsten Morgen hat sich das Wetter deutlich gebessert. Frohen Mutes baue ich mein Zelt ab und genieße die Wanderung durch eine spektakuläre Fjellandschaft. Die Heiene sind in höheren Lagen geprägt von blankem plattgeschliffenem Fels, auf dem teilweise riesige Felsbrocken liegen. Es sieht aus, als ob hier Riesen mit Murmeln gespielt hätten. Der berühmteste Felsen am Lysefjord dürfte der Kjeragbolten sein. Eiszeitliche Gewalten haben hier einen fast 1000 Meter tiefen Riss in den Berg gesprent, in dem sich ein großer Fels verkantet hat.
Steinige Fjellandschaft am Lysefjord
Einen Endpunkt für meine Wanderung habe ich im Vorfeld nicht festgelegt. Je nach Wetter und Kondition habe ich Haukeliseter am Übergang zwischen Ryfylkeheiene und der nördlich angrenzenden Hardangervidda, die Gemeinde Suldal oder einen Ausstieg nach Osten ins Setesdal in Betracht gezogen. Ich will mich auch nicht stressen und kein Ziel setzen, das die Tour zur Tortour werden lässt. Da ich bereits auf dem ersten Stück langsamer bin als gedacht, beginne ich langsam, die Option Haukeliseter aus meiner Planung zu streichen.
Am Nachmittag erreiche ich den Kjerag. Da ich vor neun Jahren bereits auf dem Bolten gestanden und in die Tiefe geschaut habe, will ich diesmal diese Touristenattraktion auslassen und direkt zur Langavatn-Hütte gehen. Das Wetter ist jetzt prächtig und lässt einen den schweren Rucksack fast vergessen. Das letzte Stück nach Langavatn führt noch einmal durch spektakuläre Steinlandschaften.
Kjerag von hinten.
Donnerstag,26.07.2012 - Lyseveien
Von den beiden anstrengenden ersten Etappen bin ich ganz schön geschafft, für einen Ruhetag ist es mir aber doch noch zu früh. Außerdem soll das Wetter wieder schlechter werden und ich möchte die sonnigen Tage nutze. Ich lege in Langavatn daher einen "halben" Ruhetag ein und beschließe, ein Stück zu trampen.
Am anderen Ende des Sees Langavatn, an dem die gleichnamige Hütte liegt, beginnt ein Schotterweg, der zum Lyseveien führt, der Straße nach Lysebotn am Ende des Fjordes. Diese Straße ist von TouristInnen reich frequentiert, zur Not fährt hier einmal täglich sogar ein Bus. Vor den Schotterweg haben die Götter aber das Wasser gestellt. Ein Stück fällt das Ufer senkrecht zum Langavatn ab, ohne riskante Klettereien kommt man hier nur vorbei, wenn man im See läuft. Das Ufer ist zwar nicht tief, aber immerhin tief genug, dass die Stiefel an der Rucksack und die Watschuhe an die Füße müssen. Ist die Watstelle passiert, geht es nur noch drei Kilometer den Schotterweg entlang, bis der Lyseveien erreicht ist.
Lyseveien
Das Trampen erweist sich hier als schwierig, ich stehe fast eine Stunde. Es kommen vor allem norwegische und niederländische Autos vorbei, von denen aber niemand anstalten macht, einen Tramper mitzunehmen. Schließlich hält doch noch ein Wagen, obwohl der mit zwei Erwachsenen und einem Kind schon recht voll ist. Der Fahrer erweist sich als Pole, der in Norwegen arbeitet.
An der Stelle, an der der Pfad zur Grautheller-Hütte beginnt, steige ich aus. Die grüne von Schafhaltung geprägte Landschaft macht deutlich, dass ich während der Autofahrt ein ganzes Stück an Höhe verloren habe. Ein Stück geht es jetzt auch erst einmal wieder bergauf. Ich laufe noch ein Stück und halte dann Ausschau nach einem guten Zeltplatz. Eine ebene und trockene Stelle zu finden, ist gar nicht so einfach, zumal es ziemlich windig wird. Schließlich baue ich mein Zelt an einem kleinen Tümpel auf. Der Platz ist schön und windgeschützt, nur fließendes Wasser gibt es nicht in der Nähe. Da ich dem Tümpelwasser wenig Vertrauen entgegenbringe, kommen hier das einzige Mal meine Chlortabletten zum Einsatz. Bei sonnigem Wetter verzeihe ich meinem Mini-Trangia seine Marotten und koche mir weit ab vom Zelt ein warmes Mahl.
Freitag,27.07.2012 / Samstag, 28.07.12 - Grautheller
Auch wenn der Lysefjord samt Preikesolen und Kjerag ein beliegtes Ziel für TouristInnen aus aller Herren Länder ist, sind die umliegenden Fjellregionen doch als Wandergebiet weitgehend unbekannt. Auf meiner gesamten Tour begegnen mit nur NorwegerInnen, die meisten aus der Region. Die einzige Ausnahme macht ein Berliner Studierenden-Pärchen, das mir auf dem Weg nach Grautheller entgegenkommt. Die beiden sind von Lysebotn Richtung Grautheller aufgestiegen und haben das Wandern im Fjell offensichtlich total unterschätzt. Sie erzählen, dass sie eine Nacht erschöpft im Regen ohne Zelt draußen übernachtet haben, da der Weg nach Grautheller zu weit und fordernd war. Die Zeitangaben in norwegischen Wegbeschreibungen richten sich in der Regel an recht sportliche Personen - dass die Beiden es nicht in einem Tag nach Grautheller geschafft haben, kann ich gut nachvollziehen, sie müssen da aber auch ziemlich unbedarft drangegangen sein. Nicht einmal eine Karte haben sie dabei.
Nun ja, der Weg zum Lyseveien ist nicht besonders schwierig und gut markiert, dort wollen die Beiden ihre Tour beenden. Ich überlasse sie also ihrem Schicksal und setzte meinen Weg nach Grautheller fort. Als ich am frühen Nachmittag die Hütte erreiche, habe ich sie für mich alleine. Später kommt dann noch ein norwegisches Paar, das sich als wenig gesprächig erweist und früh morgens weiterzieht.
Nebel an der Grautheller-Hütte
Ich hatte eh geplant, in Grautheller einen Ruhetag einzulegen. So bin ich gar nicht böse drum, als am Samstagmorgen die Landschaft in dichtem Nebel liegt. Ich mache ee mir gemütlich und genieße die Stille. Am Nachmittag ist es dann aber plötzlich mit der Ruhe vorbei. Zwei Familien mit insgesamt fünf Kleinkindern erreichen die Hütte und die Kinder beginnen sofort, alles im Chaos verinken zu lassen. Ich versuche schnell, alle meine Sachen in Sicherheit zu bringen. Den Kocherwindschutz übersehe ich dabei aber und muss ihn am nächsten Morgen nach längerer Suche aus einer Spielzugkiste bergen.
Schnell klärt sich die Frage, wie es mit den Kindern möglich war, Grautheller zu erreichen. Die beiden Familien sind Ehrenamtliche der Stavanger Turistforening, die den Kinderausflug mit Dugnad verbinden wollen. Als solche konnten sie einen Schotterweg am anderen Ende des Grauthellervatn, der zum nahegelegenen Svartevatn-Staudamm führt, mit dem Auto befahren. Zur Hütte waren es dann nur noch 2km. Ich bin trotzdem über die "Geländetauglichkeit" der Kinder erstaunt, der Weg um den Grauthellervatn ist nicht ganz ohne und es geht teilweise über verblocktes Gelände.
Später trifft dann noch ein Pärchen ein, das eine Fahrradtour auf dem Schotterweg unternommen hat. Froh bin ich, als am Abend dann noch ein älteres Paar eintrifft, das eine zweiwöchige Tour von Stranddalen kommend unternommen hat. Die Beiden wollen weiter zum Lyseveien, um dort den Bus zu nehmen. Sie können mir eine Menge über die Route erzählen, die ich in den nächsten Tagen nehmen will. In den höheren Lagen weiter nördlich liegt noch viel Schnee, WanderInnen, die von Haukeliseter kamen, haben von schwierigen Schneeverhältnissen berichtet. Auch im Bereich der Hütte Litle-Aurådalen soll es unangenehme Schneefelder geben. Just da wollte ich eigentlich morgen hin. Ich beschließe, den Stausee Svartevatn stattdessen östlich über Storevatn und Kringlevatn zu umgehen, so sind auch die Beiden gekommen. Der einzige "Nachteil" dieser Route: Ich bin vor neun Jahren von Berg im Setesdal zum Lysefjord gewandert und kenne daher den Weg bis kurz vor Kringlevatn. Aber das ist lange her und ich habe die Strecke als schön in Erinnerung.
Als die Kinder im Bett sind wird es in der Hütte richtig gemütlich und noch ein langer Abend in netter Runde.
Sonntag, 29.07.12 - Storevatn
Für den Ruhetag habe ich mir genau den richtigen Tag ausgesucht, der Sonntag macht seiem Namen alle Ehre - von Nebel keine Spur mehr. Ich mache mich auf den Weg um den Grauthellervatn und erreiche bald den Schotterweg. Dabei passiere ich eine am Sonntag ausgestorbene Großbaustelle in der Nähe des Staudamms; die schweren Maschinen sind ein eigenartiger Kontrast zur Atmosphäre im Fjell. Ich bin froh, dass hier kein Baubetrieb herrscht.
Einen markierten Weg direkt nach Storevatn gibt es nicht, ich erinnere mich aber noch, dass es problemlos möglich ist, hier zu gehen. Auf halbem Weg gibt es eine Hütte, die von Bauern beim Zusammentreiben der frei in den Bergen grasenden Schafe benutzt wird. Vom Schotterweg zu dieser Hütte ist ein Pfad auf der topographischen Karte eingezeichnet. Auf der Karte endet der Pfad hier, tatsächlich gibt es aber auch eine deutliche Spur weiter Richting Storevatn. Von der anderen Seite kommend steht an der Stelle, an der die Spur den markierten Weg verlässt, sogar ein Wegweiser "umerked sti til Grautheller". So wandere ich durch eine fruchtbare grüne Berglandschaft, sehe den Schafen beim Grasen zu und erreiche schließlich ohne große Mühe die Heiberghütte Storevatn. Da die Strecke ein echter missing link im Netz markierter Pfade in der Region ist, zeichne ich hier wieder einen Track auf.
Heiberhytte Storevatn
Anfang des 20. Jahrhunderts begann der reiche Osloer Thv. Heiberg, im Gebiet östlich des Lysefjordes große Fjellgebiete den meist armen Bauern der Region abzukaufen. Heiberg war ein begeisterter Jäger und wollte ein exotisches Jagdrevier für die europäische Oberklasse schaffen. Das Gebiet der Heibergheiene beherbergt den südlichsten Wildrentierbestand Europas. Heiberg ließ an verschiedenen Stellen Jagdhütten unterschiedlicher Größe errichten. Typisch für die Heiberghütten ist eine Verkleidung mit verzinktem Blech als Wetterschutz. Während der deutschen Besatzungszeit brach der "Markt" insbesondere für britische Jagdgesellschaften zusammen und Heiberg war gezwungen, die Ländereien an das Quisling-Regime zu verkaufen. Heute befinden sich weite Teile der Heibergheiene in staatlichem Besitz und bilden den Kern des Naturschutzgebietes Setesdal Vesthei-Ryfylkeheiane.
Neben der unstrünglichen Heiberghütte am Storevatn stehen heute zwei weitere Heiberghütten, die an anderen Stellen abgebaut und hierhingebracht wurden. So ist eine Art "Freilichtmuseum" mitten im Fjell entstanden, das verschiedene der alten Jagdhütten authentisch eingerichtet zeigt. Die Hütten werden von der Stavanger Turistforening als Übernachtungshütten betrieben. Ich bin diese Nacht hier ganz alleine. Da ich wenig Lust auf eine große Reinemachaktion am nächsten Morgen habe, wähle ich die kleinste der drei Hütten als Quartier.
Montag, 30.07.12 / Dienstag, 31.07.12 - Kringlevatn
Ich verlasse zeitig Storevatn. Der Weg nach Norden führt zunächst ein ganzes Stück bergauf. Die Landschaft wird wieder kahler und steiniger. Nicht nur der inzwischen leichtere Rucksack, sondern auch der relativ bequeme Anstieg über plattgeschliffenen Fels lassen die Höhenmeter gar nicht so viel erscheinen. Ich genieße das sonnige Wetter und komme gut voran.
Nördlich von Storevatn
Kurz vor Kringlevatn zweigt der Pfad östlich ins Setesdal ab, auf dem ich vor neun Jahren in umgekehrter Richtung gekommen bin. Auch damals hatte ich in der Heiberghütte Storevatn übernachtet. Erinnerungen werden wach und ich blicke zurück, was sich in dieser Zeit in meinem Leben alles verändert hat. Ein seltsames Gefühl, nach so langer Zeit den vertrauten Pfad noch einmal zu gehen. Teilweise erinnere ich mich an einzelne markante Steine, andere Teile des Weges sagen mir gar nichts mehr. Auch der weitere Tourverlauf beschäftigt mich. Haukeliseter ist eindeutig zu weit, um ins Setesdal abzusteigen, ist es zu früh. Als wahrscheinliches Ziel kristallisert sich die Gemeinde Suldal heraus. Mostøl oder Kvilldal sind mögliche Endpunkte. Ich passiere den Abzweig Richtung Bossbu und setze meinen Weg nach Kringlevatn fort.
Jetzt führt der Weg fast direkt an den Svartevatn-Stausee. Die gewaltigen Ausmaße des künstlichen Reservoirs werden mir deutlich. Bei Grautheller habe ich den Staudamm am Südende des Sees passiert, jetzt - zweit Tage später - blicke ich auf das nördliche Ende. Dennoch, im Vergleich zum nördlich gelegenen Blåsjø ist der Svartevatn klein.
Ich freue mich, gleich in der Hütte zu sein, aber ich habe mich zu früh gefreut. Die letzten drei Kilometer sind eine ziemliche Plackerei. Nicht, dass der Weg steil wäre, nein: Matsch und Birkengestrüpp stellen sich dem Wanderer entgegen. Im nächsten Leben werde ich ein Wildschwein - dann macht mir Suhlen Spaß. So fluche ich teilweise lauthals in die Einsamkeit, wenn ich mal wieder bis weit über Stiefelhöhe einscke. Hinter Kringlevatn wird mich mein Weg in deutlich höhere Lagen führen - ich freue mich auf felsiges Gelände und verfluche Matsche und Birken. Endlich erreiche ich dann doch die Hütte, in der bereits ein Angler hockt. Zu meiner Überraschung wird es hier im Verlaufe des Abends richtig voll. Seit zwei Tagen habe ich keinen Menschen mehr gessehen und jetzt strömen sie von allen Seiten herbei.
Kringlevatn-Hütte
Die Kringlevatn-Hütte ist richtig gemütlich und schön am gleichnamigen See gelegen. Ich erfahre in abendlichen Gesprächen, das in den höheren Lagen tatsächlich noch immer relativ viel Schnee liegt. Die markierten Wege sollen aber alle begehbar sein. Vor Mostøl gibt es anscheinend sehr unangenehme Schneeverhältnisse; ich beschließe, Kvilldal als Ziel meiner Tour anzusteuern.
Am nächsten Morgen weckt mich prasselnder Regen ans Hüttenfenster. Sch... - Ich stehe auf, schaue aus dem Fesnster - und lege mich wieder ins Bett. Heute wird ein Ruhetag. Konditionsmäßig wäre er zwar noch nicht wieder nötig, aber ich habe einfach keinen Bock, durch den Regen zu latschen. Und mit dem Ziel Kvilldal sollte der Ruhetag zeitmäßig drin sein.
Nachdem die meisten weitergezogen sind und sich die Hütte merklich leert, beginnen drei Jugendliche mit Großreinemachen. Auch sie entpuppen sich als Ehrenamtliche der Stavanger Turistforening, die sich um die Hütten kümmern. Hier gibt es also auch junge Aktive. Ich biete meine Hilfe an und putze mit, die drei sind aber ein einhgespieltes Team und haben offensichtlich einen klaren Plan, wer was macht, so dass ich mir teilweise etwas als fünftes Rad am Wagen vorkomme. Den Rest des Tages widme ich mich der Hüttenbibliothek und und stöbere in Büchern über Natur und Geschichte der Region. Auch das ist immer ein spannender Aspekt solcher Hüttentage.
-- FORTSETZUNG FOLGT --
Land: Norwegen
Reisezeit: Juli / August 2012
Region: Rogaland, Ryfylkeheiene
19. bis 22.07.2012 - Karmøy
Es ist noch nicht richtig Abend, als ich am 19. Juli auf dem Flughafen Haugesund endlich norwegischen Boden betrete und meinen lang ersehnter Sommerurlaub 2012 beginnen kann. Diesmal ist Urlaub im Süden angesagt: Ich plane eine Trekkingtour durch Ryfylkeheiene. Während die nördlich angrenzende Hardangervidda eines der beliebtesten Wandergebietes Norwegens darstellt, sind die südlichsten norwegischen Fjellgebiete beidseitig des Setesdalen - Austheiene und Ryfylkeheiene - vergleichsweise unbekannt. Dabei gibt es auch hier noch "echtes" Fjell. Gerade Ryfylkeheiene gelten aber auch als Batterie Norwegens und sind in weiten Teilen durch massiven Kraftausbau und mehrere gigantische Stauseen geprägt. Insbesondere im Rahmen des Ulla-Førre-Ausbaus sind über 84 Quadratkilometer Fjellandschaft in dem gewaltigen Stausee Blåsjø versunken. Nichtsdestotrotz bietet Ryfylkeheiene eindrucksvolle Landschaften und eine Menge Einsamkeit.
Zunächst quartiere ich mich allerdings für drei Tage im Vandrerhjem in Kopervik auf der Insel Karmøy ein. Ich möchte hier ein paar Tage Geocachen gehen und insbesondere den Geocaching-Event auf dem Vikinggård in Avaldsnes besuchen. Avaldsnes ist ein alter Häuptlingssitz und als erster norwegischer Königshof bekannt. Von hier aus hatte man Kontrolle über die enge Schiffahrtsstraße zwischen Karmøy und dem Festland und damit über den Weg nach Norden - Norvegen. Der Begriff soll sich ursprünglich just auf diesen Seeweg beziehen. Neben einem Geschichtsmuseum und der Olavskirche aus christlicher Zeit erinnert ein nachgebauter Wikingerhof an die historische Bedeutung des Ortes.
Olavskirche in Avaldsnes
Um hier nicht zu weit vom Forumsthema abzukommen, verweise ich, was den Geocaching-Event und Avaldsnes angeht, auf meinen Bericht im deutschsprachigen Geocaching-Forum "Geoclub". Am Sontag ist es jedenfalls dann genug der Dosensuche und ich breche mit dem Hurtigbåt gen Süden auf. Noch einmal will ich in der norwegischen Erdölstadt Stavanger übernachten, dann soll es endlich losgehen. Sorgenvoll betrachte ich das Wetter. Heute regnet es und Besserung erscheint nicht in Sicht.
Montag,23.07.2012 - Fløyrli
Als ich im Vandrerhjem in Stavanger aufwache, ist draußen echtes Sauwetter. Ich beschließe, den ursprünglich geplanten Tagesausflug zum Preikestolen bleiben zu lassen und den Tag ganz gemütlich anzugehen. Den Vormittag sitze ich in einem Café in Stavanger und logge meine Geocaching-Funde, mittags geht es dann mit dem Boot in den nebelverhangenen Lysefjord, den südlichsten der großen norwegischen Fjorde. Vom Preikestolen hätte ich heute wirklich keine Aussicht gehabt. Ich sage dem Bootspersonal Bescheid, dass ich in Fløyrli aussteigen will - sonst legt das Boot dort nicht an.
Fløyrli
Fløyrli mit seinen 13 Wohnäusern diente ursprünglich als Unterkunft für die Arbeiter in dem ab 1913 gebauten Wasserkraftwerk und deren Familien und hatte zu Hochzeiten über 100 EinwohnerInnen. Sogar eine Schule gab es hier. Es gibt keinen befestigten Weg nach Fløyrli. Der Ort ist nur zu Fuß über die Berge oder per Boot erreichbar. Berühmt ist die Holztreppe entlang der Rohrleitung vom zugehörigen Stausee zum Kraftwerk; mit über 4000 Stufen und mehr als 700 Höhenmetern angeblich die längste Holztreppe Europas. 1999 wurde Fløyrli aufgegeben, da ein neues Wasserkraftwerk automatisch betrieben wurde und kein Personal vor Ort mehr notwendig war.
Um so überraschter bin ich, dass das alte Kraftwerksgebäude offen steht und eine ältere Dame dort für die wenigen Fremden, die sich nach Fløyrli verirren, ein Café und eine Kunstausstellung betreut. Ich komme mit ihr ins Gespräch und erfahre, dass in Fløyrli noch zwei Menschen leben und eine ehrenamtlich agierende Gruppe in dem historischen Kraftwerksgebäude Ausstellungen organisiert und es so vor dem Abriss bewahrt hat. Ich besichtige Ausstellung und Kraftwerk und bestelle mir eine Waffel im Café.
Kraftwerkshalle in Fløyrli
Derzeit wird in Fløyrli sogar ein Anleger für Freizeitboote neu gebaut, damit auch Gäste mit eigenem Boot den Ort besuchen können. Ich inspiziere noch die berühmte Treppe und stelle fest, dass die Stufen bei Regenwetter extrem glitschig sind. So beschließe ich, falls sich das Wetter nicht bessert, den "normalen" Pfad in die Berge zu wählen, auch wenn der erste Teil der geplanten Tour dadurch ein ganzes Stück länger wird. Die Nacht verbringe ich in der unbedienten Hütte der Stavanger Turistforening.
Dienstag,24.07.2012 - Aufbruch ins Fjell
Am nächsten Morgen hat der Regen nachgelassen, trocken ist es draußen aber beileibe nicht. Nach dem obligatorischen Säubern der Hütte mache ich mich etwas frustiert auf den Weg. Der erste Tag ist immer der anstrengendste, zumal ich heute etwa 1000 Höhenmeter vor mir habe. Und natürlich ist mein Rucksack mal wieder viel zu schwer. Die meisten Hütten der Stavanger Turistforening bieten zwar die Möglichkeit zum Proviantnachkauf, aber im Angebot fehlen dorch viele Dinge, die ich auf Tour für unentbehrlich halte, z.B. Müsli für's Frühstück und Studentenfutter und Riegel als Trail-Snacks. Auch was warme Speisen angeht, ist das Angebot für einen Vegetarier eher mager - ich habe also außer Reis und Nudeln mein Futter für zwei Wochen auf dem Rücken. Und auch das Zelt musste mit.
Da ich von Körperbau doch eher Bär als Gazelle bin und gerade bergauf schon ohne Rucksack einiges zu tragen habe, bin ich ein zwar fjellgewohnter aber langsamer Wanderer; und ich war schon öfters in Situationen, wo ich auf Tour "schlapp gemacht" habe und froh war, einfach mein Zelt aufbauen zu können. Ohne Zeltausrüstung gehe ich daher nicht ins Fjell, auch wenn es reichlich Hütten in der Gegend gibt - um den Preis, dass der Rucksack dadurch schwerer und ich noch langsamer werden. Immerhin beim Kocher habe ich Gewicht gespart - da ich vorwiegend in Hütten übernachten will, sind nur ein Mini-Trangia und ein halber Liter Rødsprit mit dabei. Der steile Aufstieg von Fløyrli schlaucht jedenfalls ganz schön und ich bin froh, nicht die noch steilere Treppe benutzt zu haben. Während der Pfad anfangs recht bequem ist, führt mich die T-Markierung dann in einem Bachlauf nach oben. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das Wasser auf Grund der heftigen Regenfälle den erodierten Pfad als Lauf gesucht hat, oder ob hier immer ein Bach ist und der Wegmarkierer diesen als einzig gestrüppfreien Aufstieg zum Weg erkoren hat. Schließlich ist dann aber die Baumgrenze erreicht und vor mit tut sich eine grandiose Fjellandschaft auf. Auch das Wetter hat sich deutlich gebessert.
Baumgrenze am Lysefjord
Die weitere Route geht bald ein Stück über einen Schotterweg, die Spuren des Kraftausbaus sind hier deutlich zu sehen. Trotzdem freue ich mich, dass ich auf dem befestigten Weg schnell vorankomme. Mir wird aber klar, dass ich es nicht bis zur Langavatn-Hütte schaffen werde. Ich beschließe, noch ein Stück weiterzugehen, und mir dann irgendwo am Wegesrand einen Zeltplatz zu suchen. Kaum lasse ich den Schotterweg hinter mir, geht es auf blankem Fels wieder steil bergauf. Die Wegführung in diesem Gebiet habe ich mir von der Online-Karte auf UT.no abgezeichnet. Auf älteren Karten ist ein ganz anderer - in der Landschaft heute nicht mehr markierter Verlauf - eingezeichnet. Die Wegmarkierung ist aber vorbildlich. Trotzdem zeichne ich den richtigen Wegverlauf per GPS auf, um den Track ins Internet zu stellen. Als es schließlich wieder anfängt zu regnen, baue ich mein Zelt auf und beende relativ früh einen anstrengenden Wandertag. Der größte Teil der Höhenmeter ist immerhin geschafft. Während ich mir Polenta zum Abendessen bereite, verfluche ich den Mini-Trangia, der bei Wind trotz eines Schutzbleches erheblich mehr Flammen in die Gegend speit, als sein großer Bruder, so dass ich weit ab vom Zelt im Regen hocken muss, um es nicht abzufackeln.
Mittwoch,25.07.2012 - Langavatn
Am nächsten Morgen hat sich das Wetter deutlich gebessert. Frohen Mutes baue ich mein Zelt ab und genieße die Wanderung durch eine spektakuläre Fjellandschaft. Die Heiene sind in höheren Lagen geprägt von blankem plattgeschliffenem Fels, auf dem teilweise riesige Felsbrocken liegen. Es sieht aus, als ob hier Riesen mit Murmeln gespielt hätten. Der berühmteste Felsen am Lysefjord dürfte der Kjeragbolten sein. Eiszeitliche Gewalten haben hier einen fast 1000 Meter tiefen Riss in den Berg gesprent, in dem sich ein großer Fels verkantet hat.
Steinige Fjellandschaft am Lysefjord
Einen Endpunkt für meine Wanderung habe ich im Vorfeld nicht festgelegt. Je nach Wetter und Kondition habe ich Haukeliseter am Übergang zwischen Ryfylkeheiene und der nördlich angrenzenden Hardangervidda, die Gemeinde Suldal oder einen Ausstieg nach Osten ins Setesdal in Betracht gezogen. Ich will mich auch nicht stressen und kein Ziel setzen, das die Tour zur Tortour werden lässt. Da ich bereits auf dem ersten Stück langsamer bin als gedacht, beginne ich langsam, die Option Haukeliseter aus meiner Planung zu streichen.
Am Nachmittag erreiche ich den Kjerag. Da ich vor neun Jahren bereits auf dem Bolten gestanden und in die Tiefe geschaut habe, will ich diesmal diese Touristenattraktion auslassen und direkt zur Langavatn-Hütte gehen. Das Wetter ist jetzt prächtig und lässt einen den schweren Rucksack fast vergessen. Das letzte Stück nach Langavatn führt noch einmal durch spektakuläre Steinlandschaften.
Kjerag von hinten.
Donnerstag,26.07.2012 - Lyseveien
Von den beiden anstrengenden ersten Etappen bin ich ganz schön geschafft, für einen Ruhetag ist es mir aber doch noch zu früh. Außerdem soll das Wetter wieder schlechter werden und ich möchte die sonnigen Tage nutze. Ich lege in Langavatn daher einen "halben" Ruhetag ein und beschließe, ein Stück zu trampen.
Am anderen Ende des Sees Langavatn, an dem die gleichnamige Hütte liegt, beginnt ein Schotterweg, der zum Lyseveien führt, der Straße nach Lysebotn am Ende des Fjordes. Diese Straße ist von TouristInnen reich frequentiert, zur Not fährt hier einmal täglich sogar ein Bus. Vor den Schotterweg haben die Götter aber das Wasser gestellt. Ein Stück fällt das Ufer senkrecht zum Langavatn ab, ohne riskante Klettereien kommt man hier nur vorbei, wenn man im See läuft. Das Ufer ist zwar nicht tief, aber immerhin tief genug, dass die Stiefel an der Rucksack und die Watschuhe an die Füße müssen. Ist die Watstelle passiert, geht es nur noch drei Kilometer den Schotterweg entlang, bis der Lyseveien erreicht ist.
Lyseveien
Das Trampen erweist sich hier als schwierig, ich stehe fast eine Stunde. Es kommen vor allem norwegische und niederländische Autos vorbei, von denen aber niemand anstalten macht, einen Tramper mitzunehmen. Schließlich hält doch noch ein Wagen, obwohl der mit zwei Erwachsenen und einem Kind schon recht voll ist. Der Fahrer erweist sich als Pole, der in Norwegen arbeitet.
An der Stelle, an der der Pfad zur Grautheller-Hütte beginnt, steige ich aus. Die grüne von Schafhaltung geprägte Landschaft macht deutlich, dass ich während der Autofahrt ein ganzes Stück an Höhe verloren habe. Ein Stück geht es jetzt auch erst einmal wieder bergauf. Ich laufe noch ein Stück und halte dann Ausschau nach einem guten Zeltplatz. Eine ebene und trockene Stelle zu finden, ist gar nicht so einfach, zumal es ziemlich windig wird. Schließlich baue ich mein Zelt an einem kleinen Tümpel auf. Der Platz ist schön und windgeschützt, nur fließendes Wasser gibt es nicht in der Nähe. Da ich dem Tümpelwasser wenig Vertrauen entgegenbringe, kommen hier das einzige Mal meine Chlortabletten zum Einsatz. Bei sonnigem Wetter verzeihe ich meinem Mini-Trangia seine Marotten und koche mir weit ab vom Zelt ein warmes Mahl.
Freitag,27.07.2012 / Samstag, 28.07.12 - Grautheller
Auch wenn der Lysefjord samt Preikesolen und Kjerag ein beliegtes Ziel für TouristInnen aus aller Herren Länder ist, sind die umliegenden Fjellregionen doch als Wandergebiet weitgehend unbekannt. Auf meiner gesamten Tour begegnen mit nur NorwegerInnen, die meisten aus der Region. Die einzige Ausnahme macht ein Berliner Studierenden-Pärchen, das mir auf dem Weg nach Grautheller entgegenkommt. Die beiden sind von Lysebotn Richtung Grautheller aufgestiegen und haben das Wandern im Fjell offensichtlich total unterschätzt. Sie erzählen, dass sie eine Nacht erschöpft im Regen ohne Zelt draußen übernachtet haben, da der Weg nach Grautheller zu weit und fordernd war. Die Zeitangaben in norwegischen Wegbeschreibungen richten sich in der Regel an recht sportliche Personen - dass die Beiden es nicht in einem Tag nach Grautheller geschafft haben, kann ich gut nachvollziehen, sie müssen da aber auch ziemlich unbedarft drangegangen sein. Nicht einmal eine Karte haben sie dabei.
Nun ja, der Weg zum Lyseveien ist nicht besonders schwierig und gut markiert, dort wollen die Beiden ihre Tour beenden. Ich überlasse sie also ihrem Schicksal und setzte meinen Weg nach Grautheller fort. Als ich am frühen Nachmittag die Hütte erreiche, habe ich sie für mich alleine. Später kommt dann noch ein norwegisches Paar, das sich als wenig gesprächig erweist und früh morgens weiterzieht.
Nebel an der Grautheller-Hütte
Ich hatte eh geplant, in Grautheller einen Ruhetag einzulegen. So bin ich gar nicht böse drum, als am Samstagmorgen die Landschaft in dichtem Nebel liegt. Ich mache ee mir gemütlich und genieße die Stille. Am Nachmittag ist es dann aber plötzlich mit der Ruhe vorbei. Zwei Familien mit insgesamt fünf Kleinkindern erreichen die Hütte und die Kinder beginnen sofort, alles im Chaos verinken zu lassen. Ich versuche schnell, alle meine Sachen in Sicherheit zu bringen. Den Kocherwindschutz übersehe ich dabei aber und muss ihn am nächsten Morgen nach längerer Suche aus einer Spielzugkiste bergen.
Schnell klärt sich die Frage, wie es mit den Kindern möglich war, Grautheller zu erreichen. Die beiden Familien sind Ehrenamtliche der Stavanger Turistforening, die den Kinderausflug mit Dugnad verbinden wollen. Als solche konnten sie einen Schotterweg am anderen Ende des Grauthellervatn, der zum nahegelegenen Svartevatn-Staudamm führt, mit dem Auto befahren. Zur Hütte waren es dann nur noch 2km. Ich bin trotzdem über die "Geländetauglichkeit" der Kinder erstaunt, der Weg um den Grauthellervatn ist nicht ganz ohne und es geht teilweise über verblocktes Gelände.
Später trifft dann noch ein Pärchen ein, das eine Fahrradtour auf dem Schotterweg unternommen hat. Froh bin ich, als am Abend dann noch ein älteres Paar eintrifft, das eine zweiwöchige Tour von Stranddalen kommend unternommen hat. Die Beiden wollen weiter zum Lyseveien, um dort den Bus zu nehmen. Sie können mir eine Menge über die Route erzählen, die ich in den nächsten Tagen nehmen will. In den höheren Lagen weiter nördlich liegt noch viel Schnee, WanderInnen, die von Haukeliseter kamen, haben von schwierigen Schneeverhältnissen berichtet. Auch im Bereich der Hütte Litle-Aurådalen soll es unangenehme Schneefelder geben. Just da wollte ich eigentlich morgen hin. Ich beschließe, den Stausee Svartevatn stattdessen östlich über Storevatn und Kringlevatn zu umgehen, so sind auch die Beiden gekommen. Der einzige "Nachteil" dieser Route: Ich bin vor neun Jahren von Berg im Setesdal zum Lysefjord gewandert und kenne daher den Weg bis kurz vor Kringlevatn. Aber das ist lange her und ich habe die Strecke als schön in Erinnerung.
Als die Kinder im Bett sind wird es in der Hütte richtig gemütlich und noch ein langer Abend in netter Runde.
Sonntag, 29.07.12 - Storevatn
Für den Ruhetag habe ich mir genau den richtigen Tag ausgesucht, der Sonntag macht seiem Namen alle Ehre - von Nebel keine Spur mehr. Ich mache mich auf den Weg um den Grauthellervatn und erreiche bald den Schotterweg. Dabei passiere ich eine am Sonntag ausgestorbene Großbaustelle in der Nähe des Staudamms; die schweren Maschinen sind ein eigenartiger Kontrast zur Atmosphäre im Fjell. Ich bin froh, dass hier kein Baubetrieb herrscht.
Einen markierten Weg direkt nach Storevatn gibt es nicht, ich erinnere mich aber noch, dass es problemlos möglich ist, hier zu gehen. Auf halbem Weg gibt es eine Hütte, die von Bauern beim Zusammentreiben der frei in den Bergen grasenden Schafe benutzt wird. Vom Schotterweg zu dieser Hütte ist ein Pfad auf der topographischen Karte eingezeichnet. Auf der Karte endet der Pfad hier, tatsächlich gibt es aber auch eine deutliche Spur weiter Richting Storevatn. Von der anderen Seite kommend steht an der Stelle, an der die Spur den markierten Weg verlässt, sogar ein Wegweiser "umerked sti til Grautheller". So wandere ich durch eine fruchtbare grüne Berglandschaft, sehe den Schafen beim Grasen zu und erreiche schließlich ohne große Mühe die Heiberghütte Storevatn. Da die Strecke ein echter missing link im Netz markierter Pfade in der Region ist, zeichne ich hier wieder einen Track auf.
Heiberhytte Storevatn
Anfang des 20. Jahrhunderts begann der reiche Osloer Thv. Heiberg, im Gebiet östlich des Lysefjordes große Fjellgebiete den meist armen Bauern der Region abzukaufen. Heiberg war ein begeisterter Jäger und wollte ein exotisches Jagdrevier für die europäische Oberklasse schaffen. Das Gebiet der Heibergheiene beherbergt den südlichsten Wildrentierbestand Europas. Heiberg ließ an verschiedenen Stellen Jagdhütten unterschiedlicher Größe errichten. Typisch für die Heiberghütten ist eine Verkleidung mit verzinktem Blech als Wetterschutz. Während der deutschen Besatzungszeit brach der "Markt" insbesondere für britische Jagdgesellschaften zusammen und Heiberg war gezwungen, die Ländereien an das Quisling-Regime zu verkaufen. Heute befinden sich weite Teile der Heibergheiene in staatlichem Besitz und bilden den Kern des Naturschutzgebietes Setesdal Vesthei-Ryfylkeheiane.
Neben der unstrünglichen Heiberghütte am Storevatn stehen heute zwei weitere Heiberghütten, die an anderen Stellen abgebaut und hierhingebracht wurden. So ist eine Art "Freilichtmuseum" mitten im Fjell entstanden, das verschiedene der alten Jagdhütten authentisch eingerichtet zeigt. Die Hütten werden von der Stavanger Turistforening als Übernachtungshütten betrieben. Ich bin diese Nacht hier ganz alleine. Da ich wenig Lust auf eine große Reinemachaktion am nächsten Morgen habe, wähle ich die kleinste der drei Hütten als Quartier.
Montag, 30.07.12 / Dienstag, 31.07.12 - Kringlevatn
Ich verlasse zeitig Storevatn. Der Weg nach Norden führt zunächst ein ganzes Stück bergauf. Die Landschaft wird wieder kahler und steiniger. Nicht nur der inzwischen leichtere Rucksack, sondern auch der relativ bequeme Anstieg über plattgeschliffenen Fels lassen die Höhenmeter gar nicht so viel erscheinen. Ich genieße das sonnige Wetter und komme gut voran.
Nördlich von Storevatn
Kurz vor Kringlevatn zweigt der Pfad östlich ins Setesdal ab, auf dem ich vor neun Jahren in umgekehrter Richtung gekommen bin. Auch damals hatte ich in der Heiberghütte Storevatn übernachtet. Erinnerungen werden wach und ich blicke zurück, was sich in dieser Zeit in meinem Leben alles verändert hat. Ein seltsames Gefühl, nach so langer Zeit den vertrauten Pfad noch einmal zu gehen. Teilweise erinnere ich mich an einzelne markante Steine, andere Teile des Weges sagen mir gar nichts mehr. Auch der weitere Tourverlauf beschäftigt mich. Haukeliseter ist eindeutig zu weit, um ins Setesdal abzusteigen, ist es zu früh. Als wahrscheinliches Ziel kristallisert sich die Gemeinde Suldal heraus. Mostøl oder Kvilldal sind mögliche Endpunkte. Ich passiere den Abzweig Richtung Bossbu und setze meinen Weg nach Kringlevatn fort.
Jetzt führt der Weg fast direkt an den Svartevatn-Stausee. Die gewaltigen Ausmaße des künstlichen Reservoirs werden mir deutlich. Bei Grautheller habe ich den Staudamm am Südende des Sees passiert, jetzt - zweit Tage später - blicke ich auf das nördliche Ende. Dennoch, im Vergleich zum nördlich gelegenen Blåsjø ist der Svartevatn klein.
Ich freue mich, gleich in der Hütte zu sein, aber ich habe mich zu früh gefreut. Die letzten drei Kilometer sind eine ziemliche Plackerei. Nicht, dass der Weg steil wäre, nein: Matsch und Birkengestrüpp stellen sich dem Wanderer entgegen. Im nächsten Leben werde ich ein Wildschwein - dann macht mir Suhlen Spaß. So fluche ich teilweise lauthals in die Einsamkeit, wenn ich mal wieder bis weit über Stiefelhöhe einscke. Hinter Kringlevatn wird mich mein Weg in deutlich höhere Lagen führen - ich freue mich auf felsiges Gelände und verfluche Matsche und Birken. Endlich erreiche ich dann doch die Hütte, in der bereits ein Angler hockt. Zu meiner Überraschung wird es hier im Verlaufe des Abends richtig voll. Seit zwei Tagen habe ich keinen Menschen mehr gessehen und jetzt strömen sie von allen Seiten herbei.
Kringlevatn-Hütte
Die Kringlevatn-Hütte ist richtig gemütlich und schön am gleichnamigen See gelegen. Ich erfahre in abendlichen Gesprächen, das in den höheren Lagen tatsächlich noch immer relativ viel Schnee liegt. Die markierten Wege sollen aber alle begehbar sein. Vor Mostøl gibt es anscheinend sehr unangenehme Schneeverhältnisse; ich beschließe, Kvilldal als Ziel meiner Tour anzusteuern.
Am nächsten Morgen weckt mich prasselnder Regen ans Hüttenfenster. Sch... - Ich stehe auf, schaue aus dem Fesnster - und lege mich wieder ins Bett. Heute wird ein Ruhetag. Konditionsmäßig wäre er zwar noch nicht wieder nötig, aber ich habe einfach keinen Bock, durch den Regen zu latschen. Und mit dem Ziel Kvilldal sollte der Ruhetag zeitmäßig drin sein.
Nachdem die meisten weitergezogen sind und sich die Hütte merklich leert, beginnen drei Jugendliche mit Großreinemachen. Auch sie entpuppen sich als Ehrenamtliche der Stavanger Turistforening, die sich um die Hütten kümmern. Hier gibt es also auch junge Aktive. Ich biete meine Hilfe an und putze mit, die drei sind aber ein einhgespieltes Team und haben offensichtlich einen klaren Plan, wer was macht, so dass ich mir teilweise etwas als fünftes Rad am Wagen vorkomme. Den Rest des Tages widme ich mich der Hüttenbibliothek und und stöbere in Büchern über Natur und Geschichte der Region. Auch das ist immer ein spannender Aspekt solcher Hüttentage.
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