[DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

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    [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Prolog

    Mit Wohnsitz in Baden liegt die Idee nahe, einmal den Westweg von Nord nach Süd zu gehen. Nicht unbedingt am Stück, sondern immer in einzelnen Abschnitten. So bin ich seit Sommer 2007 an mehreren Wochenenden von Ettlingen, direkt südlich von Karlsruhe, über Bad Herrenalb bis zum Dobel und von dort aus auf dem Westweg über die Hornisgrinde bis zum Schliffkopf gewandert. Seit Juli 2010 stand ich imaginär am Schliffkopf und wartete darauf, dass es weitergeht. Ende November fiel der erste Schnee und der Hochschwarzwald schneite über Weihnachten dermaßen ein, dass rund um die Hornisgrinde Schneehöhen von 100 bis 120 cm gemeldet wurden. Und mir wurde klar: Es wird Zeit, weiter zu gehen…


    2. Januar 2011

    Die Suche nach vermietbaren Schneeschuhen hat sich als erfolglos heraus gestellt. In ganz Karlsruhe gibt es am 30.12.2010 kein einziges Paar mehr zu leihen. Wenn man es sich genau überlegt, dann ist es natürlich durchaus vorhersehbar, dass zu Jahresbeginn angesichts von massig Schnee in Schwarzwald, Vogesen und Alpen sowie aufgrund von Schul- und Betriebsferien in der 1. Januarwoche sämtliche Schneeschuhe vermietet sind. Es gibt aber immer noch den einen oder anderen, der im letzten Moment auf die Idee einer Schneeschuhtour kommt – solche Leute wie wir. Und für solche Leute ist es dann eben überraschend, nach Schneeschuhen suchen zu müssen.

    Michael hat sich für die Tour begeistern lassen, so dass wir zu zweit unterwegs sind. Beim Ruhestein stoßen wir in ca. 950 HM auf die Schwarzwaldhochstraße B500. Um 9 Uhr, kurz nach Öffnung, sind wir die ersten im Skiverleih, die nach Schneeschuhen fragen und tatsächlich – wir bekommen noch zwei Paare für die nächsten beiden Tage.

    Wir fahren über die B500 nach Kniebis. Die Strecke zwischen dem Schliffkopf und Kniebis beträgt noch ca. 12 km, aber diese müssen wir aus logistischen Gründen überbrücken. In Kniebis präparieren sich bereits die ersten Langläufer am Langlaufstadion. Der Nordschwarzwald ist heute ein verschneites Wunderland. Schnee soweit das Auge reicht, an der Straße teilweise auf Schulterhöhe gefräst. Nur wenige Meter parallel zur Straße und wir gehen durch die Schneelandschaft in den Wald. Auf dem Pfad vor uns sind schon einige wenige Leute gelaufen, einige auch mit Schneeschuhen. Die Spuren sind leicht angeharscht, so dass es sich in den Spuren gut läuft. Die Schneeschuhe tragen uns, trotz des Gewichtes der Rucksäcke.

    Der Weg führt zur Alexanderschanze und dann mit hervorragender Aussicht nach Süden. Einmal müssen wir die Karte bemühen, weil die vermutlich am Boden platzierten Wegweiser nicht zu finden sind und wir fast in die falsche Richtung laufen. Ansonsten kommen wir zügig voran.





    Auf der Seeebene machen wir unsere Mittagspause. Mit meinem Gaskocher versuche ich, Schnee zu schmelzen und zum Kochen zu bringen. Das Schneeschmelzen klappt bei ca. -7 Grad noch halbwegs, an kochendes Wasser ist aber zumindest in angemessener Zeit nicht zu denken. Also fülle ich lediglich meine Wasservorräte auf und packe den Kocher für den Rest des Wochenendes ein. Während wir rasten kommt ein Paar, beide etwa um die 50, mit garantiert tourenungeeigneten Klamotten entgegen und fragt uns, ob es hier zu dem noch ca. 2 km entfernten Glaskopfsee gehe. Die Dame trägt zu einem wenig dezenten Make-up einen Pelz, in den vermutlich ein Dutzend oder mehr Nerze „verewigt“ wurden. Die Stiel sind eher einer Baden-Badener Boutique zuzuordnen und mit den glatten Sohlen im tiefen Schnee für den Ausflug gänzlich ungeeignet. Der Mann trägt wenigstens noch halbhohe Wanderschuhe, aber auch die sind bei den Bedingungen recht unbrauchbar. Wir unterhalten uns nett, trotzdem muss Michael anschließend den Kopf schütteln: Das seien jene Leute, so meint er, die selbst im Schwarzwald bei schönem Wetter noch von der Bergwacht geholt werden müssen. Ich wiegele zunächst noch ab. Ohne Zweifel sind die beiden unpraktisch gekleidet aber…

    Wir beenden unsere Pause und laufen weiter. Nach ca. 500 Meter geht es bergab. Steil bergab. Auf festgetretenem und harschigen Schnee. Nicht dass wir mit den Schneeschuhen irgendwelche Probleme hätten, aber wie zur Hölle haben es die beiden glatt besohlten Spaziergänger denn geschafft, hier heil hochzukommen und wie wollen sie denn wieder herunter kommen? Michael sieht das Gefälle an, lacht noch einmal und sagt nichts. Ich auch nicht. Ich stimme ihm stillschweigend zu.

    Nach einem Kilometer Abstieg kommen wir an die Straße über den Freiersbergsattel und queren den Parkplatz. Es ist das erste und auch das letzte Mal hinter Kniebis, dass wir heute eine Straße queren. Zahlreiche Langläufer haben ihre Autos hier abgestellt und nutzen den hier gewalzten Westweg als Langlaufstrecke. Es geht wieder bergauf. Die Langläufer begleiten uns für einige Kilometer. Zum Ausgleich für die fehlende Einsamkeit macht die gewalzte Loipe das Gehen sehr angenehm.

    Die Loipe knickt irgendwann etwa auf der Littweger Höhe nach rechts ab. Jetzt sind wir wieder alleine auf dem wenig ausgetretenen Westweg. Die Sonne ist durch die Wolken durchgebrochen. Immer wieder bieten sich Blicke ins Tal und über verschneite Schwarzwaldgipfel.

    Wir kommen aus dem Wald heraus. Die Abendsonne strahlt über die Höhen des Schwarzwaldes. Etwas unterhalb des auf dem Kamm verlaufenden Westweges liegt der Harkhof.





    Vor dem schönen vor einigen Jahren renovierten Schwarzwaldhof ist noch die Schneebar von Sylvester aufgebaut. Einige Tagestouristen kommen über den geräumten Fahrweg, vermutlich von einem nahe liegenden Parkplatz, zum Harkhof. Wir checken ein. Wir sind die einzigen in dem für 12 Personen gebauten Matratzenlager. Die anderen Übernachtungsgäste sind in den Doppelzimmern untergebracht. Nach einer Dusche, einer urigen und üppigen Brotzeit, ein paar Bier und einem Topinambur, dem selbstgebrannten typischen Rosskartoffelschnaps des Schwarzwaldes, geht es recht früh schlafen in das Matratzenlager.

    Kilometer: ca. 19,0
    Höhenmeter: ca. 250


    3. Januar 2011

    Wir sind am Morgen die ersten im Frühstückraum. Nach einem guten Frühstück starten wir durch. Die Sonne hängt zwar noch hinter den Wolken, es ist aber schon abzusehen, dass sie bald hervor kommen wird. Es sieht nach einem Traumtag aus.

    Wir gehen ganz allein über den Westweg. Die Strecke geht mal etwas auf und etwas abwärts, meist du den Wald. Wir fühlen und gut. An einigen Stellen gehen die ein oder zwei Schneeschuhspuren, die vor uns durch den hohen Schnee führen. Auf einige Kilometer wird es deshalb recht mühsam. Zunächst stampft Michael die Spur aus, irgendwann wechseln wir. Die Sonne ist mittlerweile durchgebrochen. Der Nebel sammelt sich in den Tälern.



    Später, als der Westweg durch die eng stehenden Nadelbäume, führt, ist der Weg in der Mitte stark ausgetreten und formt sich zu einer Art Graben im Schnee. Ein Schneeschuh passt in die Mitte, der andere muss irgendwie auf der Höhe des nicht ausgetretenen Schnees aufgesetzt werden. Also humpeln wir auf diese Strecke über den unebenen Schnee hintereinander her.

    Die Täler links und rechts weiten sich. Der Westweg fällt zunächst leicht und dann immer stärker ab. In den tieferen Lagen ist zu sehen, wie die Sonne der vergangenen Tage in den sonnenexponierten Lagen den Schnee abgeschmolzen hat und das Grün der Hänge durchkommen lässt. Die Sonne strahlt. Es ist wie ein schöner Märztag mit Kaiserwetter in den Alpen. Das absolute Urlaubsgefühl, und das quasi direkt vor der Haustür.









    Der Weg steigt noch einmal kurz zum Spitzfelsen an, der in Schneeverwehungen versunken ist. Danach geht es steil bergab Richtung Hausach. Der Weg windet sich durch den Wald. Statt den Nadelbäumen auf den Höhen des Schwarzwaldes dominieren nun die im Winter kahlen Laubbäume. Der Schnee wird immer weniger, bis er schließlich nur noch wenige Zentimeter hoch ist. Michael zieht die Schneeschuhe aus und läuft mit den Wanderschuhen weiter. Ich lasse sie noch an. Auf der verharschten dünnen Schneeschicht lassen die Spikes mich erheblich schneller voran kommen. Als der Westweg an einer Serpentine einen Blick ins Tal ermöglicht, sehen wir schon Hausach unter uns. Bis jetzt haben wir nach Verlassen der Harkhöhe über den gesamten Tag nur zwei Wanderer getroffen. Als die ersten Spaziergänger uns entgegen kommen, wissen wir, dass wir bald in die „Zivilisation“ zurück kehren werden.

    Wir gehen steil durch den Wald nach unten und kommen an der Kinzig raus. Den Westweg haben wir auf den letzten 500 Metern wohl irgendwie verlassen. Es ist letztlich egal, zu der Rechten liegt Haslach sichtbar vor uns; nach links muss es also nach Wolfach gehen, wo irgendwann unser Bus zurück nach Kniebis abfährt. Der Weg verläuft über den Fuß- und Radweg am Ufer der Kinzig entlang. Recht schnell sind wir am kleinen Busbahnhof des kleinen Ortes Wolfach. Der Bus kommt bald. Wir genießen die Fahrt durch den verschneiten Schwarzwald und sind noch im Hellen in Kniebis. Noch während der Busfahrt beschließen Michael und ich, dass uns der Westweg in diesem Winter wieder sehen wird.

    Kilometer: ca. 18,5
    Höhenmeter: ca. 500


    6. Januar 2011

    Heute ist Feiertag in Baden-Württemberg. Ein guter Tag, um den Lückenschluss vom Schliffkopf bis Kniebis zu gehen. Michael hat keine Zeit, aber ich habe mich dazu entschlossen, allein zu gehen.

    Das Wetter ist jedoch geradezu ausladend. Herrschte bis gestern noch strenger Frost in den Mittel- und Höhenlagen des Schwarzwaldes, ist heute Nacht gemäß allen Vorhersagen eine Warmfront hinein. Es taut und das bis in die Höhenlagen. Zudem zieht noch eine Regenfront durch. Im Radio senden sie seit dem frühen Morgen Unwetterwarnungen wegen extremer Glätte im Schwarzwald. Um 10 Uhr verlagert sich die Glatteiswarnung vom Schwarzwald in Richtung Schwäbische Alb. Jetzt taut es wohl auch in den Höhelagen des Schwarzwaldes. Das gibt mir Anlass, loszufahren. Am Ruhestein bekomme ich wieder Schneeschuhe – diesmal problemlos.

    Am Schliffkopf ist außer mir kein Mensch. Es ist nur wenig über Null Grad, es nieselt, es taut und von Westen weht ein böiger Wind über die Höhen. Nur ein paar verwegen Spaziergänger sind außer mir unterwegs und um es vorweg zu nehmen: Abseits des Schliffkopfes werde ich bis Kniebis keinen einzigen Menschen treffen.

    Der Schnee ist nass und schwer, trägt aber noch sehr gut. Das Vorankommen auf Schnee ist heute kein Problem. Das geradezu eklige Wetter mit immer wieder stärker und schwächer werdenden Regen und heftigen Windböen ist dagegen zermürbend. Zwischendurch ebbt der Regen einmal ab, der Wind ist nur noch sehr schwach. Mit der warmen Kleidung wird es nun fast schon gemütlich.

    In Höhe des Lotharpfades, der die Sturmrodungen des Orkans Lothar an Weihnachten 1999 im Nordschwarzwald und die Wiederaufforstung dokumentiert, sehe ich wieder dicke Regenwolken aus der Rheinebene heran ziehen.





    Mit dem Regen frischt auch der Wind wieder auf. Von jetzt an weint sich der Himmel aus, der Wind bläst so stark, dass ich an den schottischen Horizontalregen denken muss – mit der Einschränkung, dass mir der schottische Regen wärmer in Erinnerung ist. Ich kämpfe mich stoisch durch Wind, Nebelschaden und Regenschauer. Langsam. Weiter. Immer weiter. Immer ein Schritt vor den anderen.

    Dort, wo vor einigen Tagen noch eine ausgelaufene Schneerinne auf dem Westweg waren, bilden sich ersten Pfützen und Bäche. An mehreren Stellen steige ich quer über das Rinnsal aus Tauwasser. An diesem Tag bleibe ich nicht mehr als wenige Minuten am Stück stehen, um angesichts des Wetters nicht auszukühlen. So bin ich recht schnell, nach ca. 3,5 Stunden, in Kniebis. Ich gehe zur Bushaltestelle und schaue nach, wann der Bus kommt. Um 15:50 Uhr und um 16:50 Uhr komme ich zurück. Ich habe meine Uhr vergessen und keine Ahnung, wie spät es ist. Ich gehe über die Straße in Richtung Skihütte, um zunächst einmal nach der Uhrzeit zu fragen und danach noch etwas zu trinken. Als ich in Höhe des Mittelstreifens bin, sehe ich den Bus kommen. Ob es meiner ist, weiß ich nicht. Trotzdem laufe ich zurück zur Haltestelle und steige ein. Es ist mein Bus, nämlich der um 15:50 Uhr. Ein späteren gibt es nicht, belehrt mich der Fahrer. Da müsse ich mich wohl im Fahrplan verguckt haben (später, nach Blick auf die Fahrpläne, stellt sich seine Einschätzung als zutreffend heraus). Nun - Glück muss man haben.

    Ich sitze vorne beim Busfahrer, der mir während des an sich sehr sympathischen Gespräches irgendwann seine politischen Ansichten aufdrängt, die man zusammenfassend als „nationalkonservativ“ beschreiben kann. Mir fällt der alte Gimmick ein: „In was für einem Land leben wir, in dem lediglich Busfahrer und Frisöre sich in Politik auskennen.“ Er setzt mich allerdings netterweise direkt beim Auto ab; ich bedanke mich aufrichtig bei ihm. Im Auto ziehe ich erst einmal trockene Kleidung an. Auch der Lückenschluss ist geschafft.

    Kilometer: ca. 12,0
    Höhenmeter: ca. 150
    Zuletzt geändert von Cattlechaser; 04.11.2011, 10:48.
    Magie ist Physik durch Wollen. www.uhempler.de

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    #2
    AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

    Interessanter Bericht. Ich habe öfter in Ettlingen zu tun. Schnee liegt hier ja recht selten. Letzten Winter ist es mir mal gelungen, am Abend eine 10km-Skirunde im angrenzenden Schwarzwald zu drehen. Als Skifahrer war ich ein Exot. Auf der Hornisgrinde war ich immerhin schon mit dem Fahrrad.

    Zitat von Cattlechaser Beitrag anzeigen
    abgestellt und nutzen den hier walzten Westweg als Langlaufstrecke. Es geht wieder bergauf. Die Langläufer begleiten uns für einige Kilometer. Zum Ausgleich für die fehlende Einsamkeit macht die gewalzte Loipe das Gehen sehr angenehm.
    Bei uns im Osterzgebirge stehen für alle Nichtskifahrer extra Hinweisschilder.



    Seit den Berichten hier im Forum, steht der Westweg auch auf meiner Liste.

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    • Atze1407
      Fuchs
      • 02.07.2009
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      #3
      AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

      Schöne Winterbilder, wird Zeit dass bei uns auch nochmal Schnee fällt.
      Wenn du den Charakter eines Menschen kennenlernen willst, gib ihm Macht.
      Abraham Lincoln

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        #4
        AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

        schöner Bericht aus der alten Heimat - werde wahrscheinlich jetzt bei den Zugfahrten dort runter noch sehnsüchtiger aus dem Fenster schauen und denken, was man alles machen könnte wenn...

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        • Cattlechaser
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          • 04.08.2010
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          #5
          AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

          Danke erstmal für die Reaktionen. Jetzt gehts auch schon weiter.

          26. Januar 2011

          Die letzten Tage hat es geschneit. In den mittleren bis höheren Lagen des Schwarzwaldes sollen sogar 30 bis 40 cm liegen geblieben sein. Keine schlechte Schneelage angesichts der Tatsache, dass Michael und ich den Termin unabhängig von jeder Schneelage geplant hatten. Am Tag vorher muss Michael mir leider absagen, obwohl unser Urlaub schon genehmigt ist. Aber familiäre Gründe gehen leider jeder Schneeschuhtour vor. Also packe ich allein meinen Rucksack. Diesmal habe ich Schneeschuhe bekommen, sogar solche mit Verlängerungen für höhere Tragkraft. Diesmal nehme ich auch den großen Rucksack, denn nicht nur Schlafsack sondern auch das Zelt kommt in den nächsten beiden Tagen mit. Den Gaskocher lasse ich aber dieses Mal zu Hause. Bei angekündigten Temperaturen von ca.-10 Grad in den höheren Lagen des Schwarzwaldes wäre er ohnehin wenig von Nutzen.

          Morgens frühstücke ich in Ruhe mit meiner Familie – soll der Westweg doch eine Stunde länger warten. Dann schaue ich noch kurz in den Wanderführer, um zu schauen, ob ich von Haslach oder von Hausach starten muss. Haslach, eindeutig Haslach, sagt der Wanderführer. Am Bahnhof kaufe ich mir also eine Fahrkarte nach Haslach und stelle beim Blick auf den Fahrplan fest, dass ich zunächst bis Hausach fahre und dann noch eben mal nach Haslach umsteige. Die Fahrt ist recht kurzweilig. Während die Oberrheinebene noch grün-braun ist, kann man an den vorbei ziehenden Schwarzwaldbergen sehen, wie die Schneegrenze auf etwa 400 bis 500 Meter liegt.

          Ich komme gegen 10:30 Uhr in Hausach an. Der Zug nach Haslach kommt wenige Minuten später auf dem Gleis gegenüber. Komisch, denke ich beim Einsteigen, dann fahre ich ja wieder Richtung Offenburg zurück? Ich habe das Gefühl, dass das nicht richtig sein kann, steige schnell wieder aus und entfalte die Wanderkarte auf dem Bahnsteig. Haslach könnte richtig sein, Hausach aber auch. Wo verläuft auf der Karte noch einmal der Westweg? Der Schaffner will abfahren lassen, also springe ich auf gut Glück wieder in den Zug und fahre mit. Im Zug schaue ich auf die Karte: Der Westweg geht über Hausach, Haslach ist falsch! Ich war also bereits richtig und fahre wieder zurück! Sieben Minuten später steige ich in Haslach aus. Der nächste Zug zurück nach Hausach kommt in 45 Minuten. Ich fluche, schließlich habe ich damit eine ganze Stunde verloren! Ich nutze die unfreiwillige Pause zumindest für ein zweites Frühstück beim Bäcker in einem Supermarkt. (Später stelle ich zu Hause beim erneuten Blick in den Wanderführer fest, dass dieser tatsächlich eine Route über Haslach empfiehlt, hier also vom Westweg abweicht. Beim Blick in den Wanderführer habe ich aber nur Haslach gelesen, ohne die Abweichung zu bemerken. Der Reiseführer ist ohnehin kompletter Mist, aber seitdem hat er nun endgültig bei mir verloren.)

          Mit der besagten Stunde Verspätung geht es also erst um 11:30 Uhr am Bahnhof in Hausach los. Das kleine Städtchen Hausach ist schnell durchquert. Da es ein regulärer Werktag im Januar ist, bin ich scheinbar der einzige Wanderer, der unterwegs ist. Mit dem großen Rucksack und den aufgeschnallten Schneeschuhen bekomme ich einige bewundernde bis stirnrunzelnde Blicke der arbeitenden Bevölkerung. Direkt hinter den letzten Häusern steigt der Westweg steil an. Der Aufstieg von Hausach bis auf knapp 1000 Meter, welcher sich über fast 15 Kilometer erstreckt, wie ich gelesen habe unter den Westwegwanderern berüchtigt. Ich komme trotz der starken Steigung gut voran. Noch liegt kein Schnee. Die Schneeschuhe sind an den Rucksack geschnallt, der Aufstieg erlaubt mir, nur einem dünnen Fleecepulli ohne Jacke zu gehen. Ich fühle mich gut, fresse die ersten beiden Kilometer.

          Ab ca. 350 HM liegen erste Schneeflecken. Ab ca. 450 HM beginnt die durchgehen Schneedecke. Zunächst sind es aber nur 1 bis 2 cm verharschter Schnee, über den man problemlos noch mit den Stiefeln gehen kann.



          An den Spuren im Schnee bemerke ich, dass an diesem Freitag waren wohl nur zwei Leute auf dem Westweg von Hausach nach Süden unterwegs sind. Nur eine Spur führt vor mir her, meine Spur ist die zweite. Der Schnee wird höher. Die Spuren meines Vorgängers weisen mir den Weg. Ich bin ihm oder ihr sehr dankbar, denn an einer Abzweigung zum Fahrenkopf helfen die Spuren mir wesentlich bei der Wegfindung. Mein Vorgänger hat hier den Spuren nach zu urteilen lange gesucht, bis er den richtigen Weg gefunden hat. Der Wegweisen war hier hinter einem kleinen Schneehaufen vergraben. Ich beginne, auf die Person vor mir wirklich neugierig zu werden. Schließlich teilen wir das Schicksal, als einzige unterwegs zu sein. Am Aufstieg zum Fahrenkopf wird der Weg steil. Er wird steiler und steiler. Mit dem schweren Rucksack wankte ich mit großer Anstrengung den Berg hinauf. Jetzt fresse ich nicht mehr die Kilometer, sondern die Höhenmeter fressen mich. Das ist also der berüchtigte Anstieg, von dem so viele Westwegwanderer geredet haben.

          Mein Vorläufer legt nach seinen Spuren zu urteilen irgendwann Spikes an. Toll, denke ich, er hat Spikes dabei, die habe ich vergessen. Als der Schnee aber weiter oben noch tiefer wird, kann ich die Schneeschuhe anziehen. Er hat scheinbar keine dabei. Der Schnee ist mittlerweile 20 bis 30 cm hoch. Das könnte für ihn/sie zum Problem werden. Nach einer ewig scheinenden Plackerei erreiche ich nach ca. 2 Stunden den Fahrenkopfgipfel auf 789 HM. Das ist der erste Zwischenstopp auf dem Weg nach oben. Auf dem Fahrenkopf steht eine fast schon luxuriöse Gipfelhütte (die Hütte, in welcher blue0711 laut Reisebericht im Herbst geschlafen hat). Im Hüttenbuch lese ich die Einträge. Heute ist ein einziger Eintrag verzeichnet. Das muss er sein. Er heißt Holger Z., kommt aus der Nähe von Stuttgart und ist tatsächlich allein auf dem Westweg unterwegs. Er hat sogar seine Emailadresse hinein geschrieben. Ich merke sie mir für den Fall, dass wir uns heute haben nicht treffen sollten.

          Vom Fahrenkopf geht es etwa 1 Kilometer leicht bergab. Ich folge beständig Holgers Spuren. Auf dem Sattel zwischen dem kurzen Abstieg und dem dort wieder beginnenden Aufstieg sehe ich etwas im Schnee liegen - es sind ContiTech-Spikes. Das müssen die Spikes von Holger sein. Ich hebe sie auf. Von jetzt an habe ich das klare Tagesziel, Holger zu treffen und ihm die Spikes zu geben. Da dieser Abschnitt des Westweges sehr einsam ist, dürften wir uns mit Sicherheit abends in der Nähe der Wilhelmshöhe treffen.

          Der Weg wird also wieder steil, steiler, sehr steil. Und ich keuche wieder. Das hätte ich mir dann doch nicht so Kräfte zehrend vorgestellt. Der Blick auf meine Uhr sagt mir, dass es zunehmend schwieriger wird, heute noch im Hellen die Wilhelmshöhe zu erreichen. Ich komme am Huberfelsen vorbei, der mit einer dicken Schneeschicht überzogen ist. Die Spuren von Holger sind immer noch zu sehen. Das Wasser ist mir ausgegangen. Jetzt wäre es schön, wenn ich mit dem Kocher etwas Schnee schmelzen könnte. Da ich aber keinen Kocher mitgenommen habe, muss ich dursten und auf eine baldige Auffüllmöglichkeit hoffen. Schließlich bin ich am Hauenstein. Hier, in 960 HM, liegen nun die vorhergesagten 40 cm Schnee. Trotz des tiefen, weichen Schnees, in welchen ich wegen des Gesamtgewichtes und trotz Schneeschuhen einsinke, läuft es sich nun sehr leicht, nachdem die große Steigung hinter mir liegt. Die Aussicht, nun auf der Hochebene ohne große Steigungen zu gehen, gibt mir Auftrieb.





          Kurze Zeit später trifft der Westweg auf eine kleine, nicht gestreute Fahrstraße, die über eine Freifläche zum Hotel Schöne Aussicht führt. Das Hotel ist sehr schön gemacht und gehört zur gehobenen Kategorie. Ich ziehe die Schneeschuhe aus, gehe nach innen und zapfe in der Toilette erst einmal Wasser. Mann, bei großem Durst kann einfaches Leitungswasser so köstlich sein. Im Restaurant frage ich dann eine Bedienung, ob sie heute einen Übernachtungsgast namens Holger Z. Die Bedienung verneint. Also gehe ich weiter.

          Ich sehe zwar die Ausschilderungen des Westweges parallel zur kaum befahrenen Fahrstraße, da der Westweg aber nicht gewalzt ist und auch Holgers Spuren nicht mehr sichtbar sind, bleibe ich die nächsten 3 Kilometer auf der schmalen Straße. Ich komme zu der Ansiedlung namens Rensberg, die eigentlich nur aus etwa einem Dutzend über die Hochebene verteilten Häusern besteht. Es dunkelt bereits, aber die Dämmerung ist gerade noch ausreichend, um etwas zu sehen. Entlang der Straße gibt es ein Gasthaus, das seine besten Zeit schon hinter sich zu haben scheint. Zimmer haben sie nicht, weshalb ich ohne nach Holger zu fragen vorüber laufe.

          Ich gehe die letzten 200 Meter Straße bis zum Schweitzer-Haus, welches derzeit nicht bewohnt ist. Es ist das letzte Haus von Rensberg. Hier zweigt der Westweg laut Wegweise nach rechts in den Wald ab. Ein Blick auf die Karte sagt mir, dass etwa 3 Kilometer bis nach Wilhelmshöhe vor mir liegen. Ich bin eigentlich schon sehr ausgelaugt, habe aber noch den Ehrgeiz, Holger heute zu treffen. Als ich von der Straße abgehe, stelle ich aber fest, dass ich seine Spur verloren habe. Hier stampfe ich durch jungfräulichen Schnee. Die Schneehöhe macht das gehen ohnehin noch beschwerlicher. Wo ist Holger hin? Weiter gegangen ist er zumindest nicht. Im Wald wird es angesichts der fortgeschrittenen Dämmerung so dunkel, dass ich die Stirnlampe aufziehe und anmache. Noch kann ich etwas sehen und ich würde vermutlich auch bis Wilhelmshöhe kommen aber – was ist, wenn ich hier mitten im Wald einen Wegweiser übersehe und dann in der Dunkelheit stundenlang im Wald umherirre? Nach 500 Metern wird es mir zu mulmig. Ich drehe um und gehe zum Schweitzer-Haus zurück. Dort trete ich den Schnee platt und stelle das Zelt auf. Es ist schon vollständig dunkel, als ich den Schlafsack ausrolle.

          Nach einer kurzen Pause gehe ich die 200 Meter zurück zur Gaststätte. Ich bin der einzige Gast, aber, so versichert mir der Wirt, es gebe Essen. Die Gaststätte wurde nach allem Anschein (auch die Toiletten bestätigen später die Einschätzung) das letzte Mal so um 1970 renoviert. An der holzgetäfelten Garderobe hängt ein Messingschild in Frakturschrift: „Swing Tanzen Verboten! – Das Reichskulturamt“. Da hat jemand tatsächlich noch die alten Nazischilder hängen gelassen. Geschmacklos, aber trotzdem guter Gag, denke ich – als in diesem Moment die Tür aufgeht und zwei Einheimische, etwa um die 40 hinein kommen und freundlich rufen: „Heil Hitler!“ Sie grinsen den Wirt an, fügen dazu: „Ja, oder etwa nicht?“. Es scheint ein Spaß gewesen zu sein, aber sie haben wohl einen gänzlich anderen Humor als ich.

          Ich esse, nein, ich verschlinge mein Wildgulasch mit Spätzle. Das Essen ist selbstgemacht und überraschend gut. Dazu lass ich mir mein Bier schmecken, trinke noch einen Obstbrand zum vorsorglichen Aufwärmen und gehe dann zurück zum Zelt. Es ist bitter kalt, -11 Grad. Gegen 21 Uhr liege ich im Schlafsack. Die Schlafsackkombi ist wohlig warm und ich bin hundemüde.


          Kilometer: ca. 19,0
          Höhenmeter: ca. 1.100

          Wird fortgesetzt…
          Magie ist Physik durch Wollen. www.uhempler.de

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          • hosentreger
            Fuchs
            • 04.04.2003
            • 1406

            • Meine Reisen

            #6
            AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

            Westweg mit Schneeschuhen - klingt gut!
            Es muss nicht immer Kanada sein...

            Freue mich auf die Fortsetzung
            hosentreger
            Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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            • blenn
              Erfahren
              • 08.06.2010
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              • Meine Reisen

              #7
              AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

              Ich habs dieses Jahr leider nicht hinbekommen - als endlich ein freier Termin nahte, begann das Tauwetter und angesichts tagelangem strömendem Regens bin ich dann nicht los.

              Umso mehr freue ich mich über deinen Bericht, weil man dann wenigstens im Kopf einige Minuten mitgehen kann. Auch die Bilder sind faszinierend und machen gleichzeitig Spaß wie auch Sehnsucht.

              Nur über den Gaskocher rätsel ich ein wenig. Klar mangelt es auch meinem bei Kälte am Druck, aber den für solche Touren unverzichtbaren Morgenkaffee hab ich noch immer hingekriegt. Bei den "blauen" ist doch die Düse austauschbar. Mußte ich mich noch nie drum kümmern, aber vielleicht weiß ein Ausrüstungsexperte hier im Forum, ob es die einzeln dafür zu kaufen gibt und welche sich wann empfehlen.

              Hast mir einen schönen Sonntagmorgen bereitet, danke.
              --
              http://www.rolf-blenn.de/adventure.htm

              "da ist so `n Mann im Wald"

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                #8
                AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

                Zitat von blenn Beitrag anzeigen
                Nur über den Gaskocher rätsel ich ein wenig. Klar mangelt es auch meinem bei Kälte am Druck, aber den für solche Touren unverzichtbaren Morgenkaffee hab ich noch immer hingekriegt.
                Da wundere ich mich auch. Mit Zelt, aber ohne Kocher? Ein passender Alternativkocher war wohl nicht in Sicht?

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                • Cattlechaser
                  Dauerbesucher
                  • 04.08.2010
                  • 848
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

                  Erstmal danke für die Reaktionen. Mit dem Kocher war es so, dass ich aufgrund der Absage meines Wanderpartners relativ kurzfristig vor die Situation gestellt wurde, allein zu gehen und alles selbst tragen zu müssen. Angesichts des vollen Rucksacks habe ich dann auf Kocher und Topf verzichtet. Für den Morgenkaffee hatte ich geplant, in der Nähe der Wilhelmshöhe zu zelten und dann dort frühstücken zu gehen. Dieser Plan ist ja wie ich schon geschrieben habe durcheinander geraten. Das war allerdings bezüglich des Kaffees nicht so schlimm. Schlechter auszuhalten war die Tatsache, dass ich mit starkem Durst die lange Steigung von Hausach hoch bin, da mir mein Wasser irgendwann ausgegangen war. Da hätte ich dann doch gerne einen Kocher gehabt, um Wasser schmelzen und meinen Durst stillen zu können. Wenn ich nächstes Jahr eine Wintertour mache, werde ich auf alle Fälle einen Kocher organisieren – und zwar keinen Gaskocher, sondern einen der wirklich funzt…


                  So, jetzt aber zur Schlussetappe:


                  27. Januar 2011

                  Ich bin früh wach. Der Tag beginnt neblig. Während die Schlafsackkombi trotz der kalten Nacht wunderbar warm war, wird es umso kälter, als ich mich aus ihr heraus schäle. Schnell ziehe ich die dicken Klamotten an. Als Frühstück gibt es ein paar Riegel. In einer knappen Stunde werde ich die Wilhelmshöhe erreicht haben, wo ich hoffentlich ein richtiges Frühstück bekommen werde. Ich baue das Zelt ab und gehe weiter. Auf den ersten hundert Metern folge ich meinen Spuren von gestern, dann trete ich wieder erste Spuren in den Schnee.

                  Der Weg führt auf dem ersten Kilometer durch den Wald. Es geht etwas bergauf, allerdings nicht wirklich steil. Außerdem ist es recht mühsam, durch den unberührten Schnee zu gehen. Dann mündet der Westweg auf einer präparierten Langlaufloipe. Hier komme ich schneller voran.

                  In der kalten Nacht war es sehr neblig. Der Nebel hat hier in den hohen Lagen Raureif an Bäume und Schilder gemalt.



                  Nach einer Stunde komme ich an die Wilhelmshöhe. Ich schnalle die Schneeschuhe ab und gehe in Vorfreude auf ein Frühstück im Warmen mit Kaffee hinein. Als ich hereinkomme, bin ich der einzige Gast. Der Senior räumt gerade die letzten Reste weg. Auf meine Frage sagt mir, die Frühstückzeit sei eigentlich schon vorüber. Für mich räumt deckt er aber gerne noch einmal auf und macht mir einen frischen Kaffee; er fragt sogar mehrere Male nach, ob denn alles genug sei und ob er nicht noch mehr Kaffee machen solle. Das Frühstück und die Gastfreundlichkeit tun gut.

                  Es geht weiter durch das Tor an der Wilhelmshöhe. Große Teile des Westweges sind hier präpariert. Es ist Samstag und wenn sich ein freier Blick über die Hochebene ergibt, kann man hin und wieder einen Blick auf die Langläufer erhaschen, die sich aus den umliegenden Tälern oder der Oberrheinebene hierhin aufgemacht haben. Teilweise ist der Westweg auch vollkommen unpräpariert, so dass ich meine Spuren als erster in den Schnee stampfen kann.





                  Kurz hinter dem Blindensee, bei einer nur aus drei Häusern bestehenden Siedlung, holt mich ein Mann ein. Er hält an und fragt freundlich woher und wohin. Er findet es toll, dass –wie er sagt- auch mal junge Menschen Wandern gehen und nicht immer nur die alten. Er gehe als Rentner drei bis viermal die Woche lange Strecken und könne im (nahe gelegenen) Triberg niemand finden, der dies mit ihm mache. Wir fangen an, ein Stück zusammen zu gehen. Es werden schließlich zwei Stunden, in welchen er fast ohne Unterlass erzählt, während ich still und gut unterhalten neben ihm her laufe. Weder von seiner Erscheinung noch von seinem Aussehen würde man normalerweise sein richtiges Alter ableiten. Er ist, wie er mir sagt, 75 ½ Jahre. Ich hätte ihn auf Anfang 60 geschätzt.

                  Er war früher auch als Bergsteiger und Eiskletterer in den Alpen unterwegs, bis er vor 13 Jahren (also mit 62) mit dem Bergsteigen aufgehört hat. Das Alter nage an ihm, sagt er lachend. Bis vor zwei Jahren habe er noch im Winter Langlauf gemacht. Das könne er zwar körperlich noch, er habe allerdings zu viel Angst vor einem Sturz – in seinem Alter seien die Knochen so porös. Also gehe er jetzt wenigstens noch Bergwanderungen – in der Woche im Schwarzwald und manchmal, so weit er sich dies mit seiner kleinen Rente leisten könne, im Allgäu rund um Oberstdorf. In Triberg finde er wie gesagt keinen Gleichaltrigen und auch keine Partnerin, der bzw. die ihn begleiten könnte.

                  Während er mir dies sagt gehen wir die einzige nennenswerte Steigung dieses Tages auf die Anhöhe in Richtung Bregquelle. Ich gehe mein normales und recht zügiges Tempo und muss mich dabei anstrengen, mit ihm mitzuhalten. Gut, ich habe den schweren Rucksack auf, aber er ist knapp 40 Jahre älter als ich. Erstaunlich, wie fit dieser Mann ist. In Anbetracht seines Fitnesszustandes ist es dann auch kein Wunder, dass er niemand in seiner Altersgruppe zum Wandern findet.

                  Mein Begleiter ist aber nebenher auch noch Wegwart des Schwarzwaldvereins für die Gegend, durch die wir gerade laufen. Dies schließt auch das Stück des Westweges zwischen Wilhelmshöhe und Donauquelle ein. Ich glaube, er ist durchaus etwas stolz, dass ein in seinen Augen junger Mann (wobei ich so jung ja nicht mehr bin) „seinen“ Abschnitt des Westweges mit ihm zusammen läuft. Zusätzlich hat er in den vergangenen Jahren auch öfters als Wanderführer gearbeitet und den Touristen hier die Gegend gezeigt. Aufgrund seiner Begleitung bekomme ich nun nebenbei und völlig kostenlos eine Führung mit Hintergrundberichten. Er erzählt mir bei den vorbei ziehenden Schwarzwaldhöfen, wer mit wem verwandt ist und wann welcher Hof gebaut oder renoviert wurde. Ab und an deutet er in recht und links des auf der Hochebene verlaufenden Westweges in die Seitentäler und erzählt, welches kleine Bächlein dort entspringt und als Fluss in den Rhein oder den Neckar fließt oder welches Städtchen sich im Tal verbirgt.

                  Die schönste Geschichte aber erzählt er mir zum Schluss, als wir uns dem Gasthaus Kolmenhof bei der Bregquelle, des eigentlichen Ursprungsquells der Donau, nähern. Neben dem Gasthof steht ein altes Schwarzwaldhaus. Die Schindeln haben sichtlich schon ein paar Jahre zuviel auf dem Buckel und weisen Verwitterungsspuren auf. Die Fenster sind noch einfachverglast – und zwar in 1.000 Metern Höhe! Insgesamt sieht das Haus so aus, als würde im Sommer der Transporttrupp vom Freilichtmuseum in Hausach vorbei kommen, um das Gebäude Stück für Stück ab- und im Freilichtmuseum „Vogtsbauernhöfe“ wieder auf zu bauen. Mein Begleiter erzählt mir, dort habe bis vor einige Jahren noch eine alte Frau gelebt, nicht nur im Sommer gelegentlich sondern dauerhaft und das ganze Jahr. Sie sei aber schon „mindestens fünf bis sechs Jahre“ tot. Vor ca. 10 Jahren (sprich: noch mindestens bis zum Jahr 2000!) habe sie aber noch gelebt. Das Haus habe nur einen einzigen Raum, der mittels eines alten Ofens heizbar sei. Dort habe die Frau auch damals die gesamte kalte Jahreszeit verbracht. Das Haus sei auch noch mit alten Möbeln eingerichtet, wie es bei einem alten Schwarzwaldbauernhof klassisch sei. Die Frau sei die einzige Erbin gewesen und schon immer ziemlich verschroben. Sie habe nie einen Mann gefunden und deshalb auch nie Kinder gehabt. Gelebt habe sie von einigen Schweinen, Ziegen und einer Kuh. Von der Milch der Kuh habe sie selbst Käse hergestellt und an Touristen verkauft. „Ich habe aber selbst nie etwas gekauft“, sagt mein Begleiter und lächelt „- wegen der Sauberkeit!“. Ein beträchtliches Zubrot habe sich die alte Dame verdient, in dem sie den Wander- und Touristenführer regelmäßig erlaubt habe, die Touristen durch ihre Stube zu führen, die sich das alles wie in einem Museum als lebendiges Inventar haben ansehen können. „Für zu DM-Zeiten noch eine Mark sechzig“, sagt mein Begleiter.

                  Nach zwei Stunden gemeinsamen Marsch kehren wir beide in den Gasthof ein. Er trinkt sein wohl obligatorisches kleines Bier, ich eine Apfelschorle. Wir reden noch ein bisschen, dann gehe ich auf Toilette, um mein Wasser aufzufüllen, zahle auf dem Rückweg an der Theke ohne sein Wissen die Rechnung und verabschiede mich herzlich von ihm.

                  Auf einer Langlaufpiste komme ich schnell zum Brend, dem mit 1.149 HM dem höchsten Punkt meiner heutigen Etappe. Hier bricht hin und wieder die Sonne durch. Insgesamt bleibt es an diesem tag meist neblig, aber hin und wieder taucht die Sonne die Winterlandschaft in ein schönes Licht. Es geht von nun meist ganz leicht bergab. Ich komme gut voran. In Höhe des Hotel Raben knicke ich nach links vom Westweg ab und gehe statt in südlicher Richtung auf dem Westweg zu bleiben nach Südwesten Richtung Furtwangen ab. Von hier aus fahren Busse, die mich zurück an einen Bahnhof bringen. Der Weg nach Furtwangen geht noch einmal wundervoll einsam durch den Wald. Furtwangen selbst liegt recht hoch in einem steil abfallenden Tal und ist mit Schnee überzogen.



                  Ich passiere die am Berg gelegene Schule und auf einige hundert Meter den Berg herab. Nun folgt in kurzen räumlichen Abstand hintereinander 1. Friedhof, 2. Bestattungsinstitut (!), 3. Altersheim (!!) und 4. Kirche (!!!). Da hat sich ein Stadtplaner aber wirklich Gedanken gemacht. Am Rössleplatz sehe ich, dass der nächste Bus in einer knappen Stunde kommt. Das gibt mir Zeit, meine zwei Tage Urlaub noch einmal in einem nahe gelegenen Gasthaus bei einem Weizen ausklingen zu lassen.

                  Abends bin ich dann wieder zu Haus und bin mir sicher: Die Tour wird fortgesetzt, entweder im Sommer oder im kommenden Winter. Für diese Wintersaison ist die Tour aber erst einmal zu

                  Ende.


                  Kilometer: ca. 18,0
                  Höhenmeter: ca. 250

                  P.S.: Wenn jemand im Triberger Schwarzwaldverein tätig ist und den alten Herren kennt (was ja nicht schwierig sein sollte, wenn man in Triberg aktiv ist), dann bitte meine allerherzlichste Grüße. Ich würde ihn gerne noch einmal für den wundervollen Vormittag auf dem Westweg danken und ihn wenigstens auch mal nach seinem Namen fragen.
                  Magie ist Physik durch Wollen. www.uhempler.de

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                  • janis
                    Gerne im Forum
                    • 28.08.2010
                    • 97
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                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

                    Echt guter Bericht. Ich bin den westweg im Sommer gelaufen, deswegen ist es sehr interessant ihn mal in weiß zu sehen.

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                    • jola5
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                      • 18.03.2011
                      • 86
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                      #11
                      AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

                      toller Bericht. ... und was ist aus Holger Z. und seinen Spikes geworden?

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                      • Cattlechaser
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                        • 04.08.2010
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                        #12
                        AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

                        Zitat von jola5 Beitrag anzeigen
                        toller Bericht. ... und was ist aus Holger Z. und seinen Spikes geworden?
                        Ich habe Holger auf seiner Emailadresse angeschrieben. Die Adresse war richtig, zumindest wurde die Email zugestellt. Geantwortet hat Holger leider nicht.

                        Der eine Teil der Spikes liegt bei mir in der Schublade; er passt mir sogar. Vielleicht finde ich bei der nächsten Tour ja noch die andere Hälfte

                        Momentan schneit es im Hochschwarzwald. Mal sehen, ob dieses Jahr noch etwas geht.
                        Magie ist Physik durch Wollen. www.uhempler.de

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                        • jola5
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                          • 18.03.2011
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                          #13
                          AW: [DE] Schneeschuhtour auf dem Westweg

                          Zitat von Cattlechaser Beitrag anzeigen
                          ... Momentan schneit es im Hochschwarzwald...
                          Ja, aber mittlerweile ist der Schnee auch in den höheren Lagen wieder weg: http://www.todtnauer-huette.de/webcam/webcam.jpg

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