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Prolog
Mit Wohnsitz in Baden liegt die Idee nahe, einmal den Westweg von Nord nach Süd zu gehen. Nicht unbedingt am Stück, sondern immer in einzelnen Abschnitten. So bin ich seit Sommer 2007 an mehreren Wochenenden von Ettlingen, direkt südlich von Karlsruhe, über Bad Herrenalb bis zum Dobel und von dort aus auf dem Westweg über die Hornisgrinde bis zum Schliffkopf gewandert. Seit Juli 2010 stand ich imaginär am Schliffkopf und wartete darauf, dass es weitergeht. Ende November fiel der erste Schnee und der Hochschwarzwald schneite über Weihnachten dermaßen ein, dass rund um die Hornisgrinde Schneehöhen von 100 bis 120 cm gemeldet wurden. Und mir wurde klar: Es wird Zeit, weiter zu gehen…
2. Januar 2011
Die Suche nach vermietbaren Schneeschuhen hat sich als erfolglos heraus gestellt. In ganz Karlsruhe gibt es am 30.12.2010 kein einziges Paar mehr zu leihen. Wenn man es sich genau überlegt, dann ist es natürlich durchaus vorhersehbar, dass zu Jahresbeginn angesichts von massig Schnee in Schwarzwald, Vogesen und Alpen sowie aufgrund von Schul- und Betriebsferien in der 1. Januarwoche sämtliche Schneeschuhe vermietet sind. Es gibt aber immer noch den einen oder anderen, der im letzten Moment auf die Idee einer Schneeschuhtour kommt – solche Leute wie wir. Und für solche Leute ist es dann eben überraschend, nach Schneeschuhen suchen zu müssen.
Michael hat sich für die Tour begeistern lassen, so dass wir zu zweit unterwegs sind. Beim Ruhestein stoßen wir in ca. 950 HM auf die Schwarzwaldhochstraße B500. Um 9 Uhr, kurz nach Öffnung, sind wir die ersten im Skiverleih, die nach Schneeschuhen fragen und tatsächlich – wir bekommen noch zwei Paare für die nächsten beiden Tage.
Wir fahren über die B500 nach Kniebis. Die Strecke zwischen dem Schliffkopf und Kniebis beträgt noch ca. 12 km, aber diese müssen wir aus logistischen Gründen überbrücken. In Kniebis präparieren sich bereits die ersten Langläufer am Langlaufstadion. Der Nordschwarzwald ist heute ein verschneites Wunderland. Schnee soweit das Auge reicht, an der Straße teilweise auf Schulterhöhe gefräst. Nur wenige Meter parallel zur Straße und wir gehen durch die Schneelandschaft in den Wald. Auf dem Pfad vor uns sind schon einige wenige Leute gelaufen, einige auch mit Schneeschuhen. Die Spuren sind leicht angeharscht, so dass es sich in den Spuren gut läuft. Die Schneeschuhe tragen uns, trotz des Gewichtes der Rucksäcke.
Der Weg führt zur Alexanderschanze und dann mit hervorragender Aussicht nach Süden. Einmal müssen wir die Karte bemühen, weil die vermutlich am Boden platzierten Wegweiser nicht zu finden sind und wir fast in die falsche Richtung laufen. Ansonsten kommen wir zügig voran.


Auf der Seeebene machen wir unsere Mittagspause. Mit meinem Gaskocher versuche ich, Schnee zu schmelzen und zum Kochen zu bringen. Das Schneeschmelzen klappt bei ca. -7 Grad noch halbwegs, an kochendes Wasser ist aber zumindest in angemessener Zeit nicht zu denken. Also fülle ich lediglich meine Wasservorräte auf und packe den Kocher für den Rest des Wochenendes ein. Während wir rasten kommt ein Paar, beide etwa um die 50, mit garantiert tourenungeeigneten Klamotten entgegen und fragt uns, ob es hier zu dem noch ca. 2 km entfernten Glaskopfsee gehe. Die Dame trägt zu einem wenig dezenten Make-up einen Pelz, in den vermutlich ein Dutzend oder mehr Nerze „verewigt“ wurden. Die Stiel sind eher einer Baden-Badener Boutique zuzuordnen und mit den glatten Sohlen im tiefen Schnee für den Ausflug gänzlich ungeeignet. Der Mann trägt wenigstens noch halbhohe Wanderschuhe, aber auch die sind bei den Bedingungen recht unbrauchbar. Wir unterhalten uns nett, trotzdem muss Michael anschließend den Kopf schütteln: Das seien jene Leute, so meint er, die selbst im Schwarzwald bei schönem Wetter noch von der Bergwacht geholt werden müssen. Ich wiegele zunächst noch ab. Ohne Zweifel sind die beiden unpraktisch gekleidet aber…
Wir beenden unsere Pause und laufen weiter. Nach ca. 500 Meter geht es bergab. Steil bergab. Auf festgetretenem und harschigen Schnee. Nicht dass wir mit den Schneeschuhen irgendwelche Probleme hätten, aber wie zur Hölle haben es die beiden glatt besohlten Spaziergänger denn geschafft, hier heil hochzukommen und wie wollen sie denn wieder herunter kommen? Michael sieht das Gefälle an, lacht noch einmal und sagt nichts. Ich auch nicht. Ich stimme ihm stillschweigend zu.
Nach einem Kilometer Abstieg kommen wir an die Straße über den Freiersbergsattel und queren den Parkplatz. Es ist das erste und auch das letzte Mal hinter Kniebis, dass wir heute eine Straße queren. Zahlreiche Langläufer haben ihre Autos hier abgestellt und nutzen den hier gewalzten Westweg als Langlaufstrecke. Es geht wieder bergauf. Die Langläufer begleiten uns für einige Kilometer. Zum Ausgleich für die fehlende Einsamkeit macht die gewalzte Loipe das Gehen sehr angenehm.
Die Loipe knickt irgendwann etwa auf der Littweger Höhe nach rechts ab. Jetzt sind wir wieder alleine auf dem wenig ausgetretenen Westweg. Die Sonne ist durch die Wolken durchgebrochen. Immer wieder bieten sich Blicke ins Tal und über verschneite Schwarzwaldgipfel.
Wir kommen aus dem Wald heraus. Die Abendsonne strahlt über die Höhen des Schwarzwaldes. Etwas unterhalb des auf dem Kamm verlaufenden Westweges liegt der Harkhof.


Vor dem schönen vor einigen Jahren renovierten Schwarzwaldhof ist noch die Schneebar von Sylvester aufgebaut. Einige Tagestouristen kommen über den geräumten Fahrweg, vermutlich von einem nahe liegenden Parkplatz, zum Harkhof. Wir checken ein. Wir sind die einzigen in dem für 12 Personen gebauten Matratzenlager. Die anderen Übernachtungsgäste sind in den Doppelzimmern untergebracht. Nach einer Dusche, einer urigen und üppigen Brotzeit, ein paar Bier und einem Topinambur, dem selbstgebrannten typischen Rosskartoffelschnaps des Schwarzwaldes, geht es recht früh schlafen in das Matratzenlager.
Kilometer: ca. 19,0
Höhenmeter: ca. 250
3. Januar 2011
Wir sind am Morgen die ersten im Frühstückraum. Nach einem guten Frühstück starten wir durch. Die Sonne hängt zwar noch hinter den Wolken, es ist aber schon abzusehen, dass sie bald hervor kommen wird. Es sieht nach einem Traumtag aus.
Wir gehen ganz allein über den Westweg. Die Strecke geht mal etwas auf und etwas abwärts, meist du den Wald. Wir fühlen und gut. An einigen Stellen gehen die ein oder zwei Schneeschuhspuren, die vor uns durch den hohen Schnee führen. Auf einige Kilometer wird es deshalb recht mühsam. Zunächst stampft Michael die Spur aus, irgendwann wechseln wir. Die Sonne ist mittlerweile durchgebrochen. Der Nebel sammelt sich in den Tälern.

Später, als der Westweg durch die eng stehenden Nadelbäume, führt, ist der Weg in der Mitte stark ausgetreten und formt sich zu einer Art Graben im Schnee. Ein Schneeschuh passt in die Mitte, der andere muss irgendwie auf der Höhe des nicht ausgetretenen Schnees aufgesetzt werden. Also humpeln wir auf diese Strecke über den unebenen Schnee hintereinander her.
Die Täler links und rechts weiten sich. Der Westweg fällt zunächst leicht und dann immer stärker ab. In den tieferen Lagen ist zu sehen, wie die Sonne der vergangenen Tage in den sonnenexponierten Lagen den Schnee abgeschmolzen hat und das Grün der Hänge durchkommen lässt. Die Sonne strahlt. Es ist wie ein schöner Märztag mit Kaiserwetter in den Alpen. Das absolute Urlaubsgefühl, und das quasi direkt vor der Haustür.




Der Weg steigt noch einmal kurz zum Spitzfelsen an, der in Schneeverwehungen versunken ist. Danach geht es steil bergab Richtung Hausach. Der Weg windet sich durch den Wald. Statt den Nadelbäumen auf den Höhen des Schwarzwaldes dominieren nun die im Winter kahlen Laubbäume. Der Schnee wird immer weniger, bis er schließlich nur noch wenige Zentimeter hoch ist. Michael zieht die Schneeschuhe aus und läuft mit den Wanderschuhen weiter. Ich lasse sie noch an. Auf der verharschten dünnen Schneeschicht lassen die Spikes mich erheblich schneller voran kommen. Als der Westweg an einer Serpentine einen Blick ins Tal ermöglicht, sehen wir schon Hausach unter uns. Bis jetzt haben wir nach Verlassen der Harkhöhe über den gesamten Tag nur zwei Wanderer getroffen. Als die ersten Spaziergänger uns entgegen kommen, wissen wir, dass wir bald in die „Zivilisation“ zurück kehren werden.
Wir gehen steil durch den Wald nach unten und kommen an der Kinzig raus. Den Westweg haben wir auf den letzten 500 Metern wohl irgendwie verlassen. Es ist letztlich egal, zu der Rechten liegt Haslach sichtbar vor uns; nach links muss es also nach Wolfach gehen, wo irgendwann unser Bus zurück nach Kniebis abfährt. Der Weg verläuft über den Fuß- und Radweg am Ufer der Kinzig entlang. Recht schnell sind wir am kleinen Busbahnhof des kleinen Ortes Wolfach. Der Bus kommt bald. Wir genießen die Fahrt durch den verschneiten Schwarzwald und sind noch im Hellen in Kniebis. Noch während der Busfahrt beschließen Michael und ich, dass uns der Westweg in diesem Winter wieder sehen wird.
Kilometer: ca. 18,5
Höhenmeter: ca. 500
6. Januar 2011
Heute ist Feiertag in Baden-Württemberg. Ein guter Tag, um den Lückenschluss vom Schliffkopf bis Kniebis zu gehen. Michael hat keine Zeit, aber ich habe mich dazu entschlossen, allein zu gehen.
Das Wetter ist jedoch geradezu ausladend. Herrschte bis gestern noch strenger Frost in den Mittel- und Höhenlagen des Schwarzwaldes, ist heute Nacht gemäß allen Vorhersagen eine Warmfront hinein. Es taut und das bis in die Höhenlagen. Zudem zieht noch eine Regenfront durch. Im Radio senden sie seit dem frühen Morgen Unwetterwarnungen wegen extremer Glätte im Schwarzwald. Um 10 Uhr verlagert sich die Glatteiswarnung vom Schwarzwald in Richtung Schwäbische Alb. Jetzt taut es wohl auch in den Höhelagen des Schwarzwaldes. Das gibt mir Anlass, loszufahren. Am Ruhestein bekomme ich wieder Schneeschuhe – diesmal problemlos.
Am Schliffkopf ist außer mir kein Mensch. Es ist nur wenig über Null Grad, es nieselt, es taut und von Westen weht ein böiger Wind über die Höhen. Nur ein paar verwegen Spaziergänger sind außer mir unterwegs und um es vorweg zu nehmen: Abseits des Schliffkopfes werde ich bis Kniebis keinen einzigen Menschen treffen.
Der Schnee ist nass und schwer, trägt aber noch sehr gut. Das Vorankommen auf Schnee ist heute kein Problem. Das geradezu eklige Wetter mit immer wieder stärker und schwächer werdenden Regen und heftigen Windböen ist dagegen zermürbend. Zwischendurch ebbt der Regen einmal ab, der Wind ist nur noch sehr schwach. Mit der warmen Kleidung wird es nun fast schon gemütlich.
In Höhe des Lotharpfades, der die Sturmrodungen des Orkans Lothar an Weihnachten 1999 im Nordschwarzwald und die Wiederaufforstung dokumentiert, sehe ich wieder dicke Regenwolken aus der Rheinebene heran ziehen.


Mit dem Regen frischt auch der Wind wieder auf. Von jetzt an weint sich der Himmel aus, der Wind bläst so stark, dass ich an den schottischen Horizontalregen denken muss – mit der Einschränkung, dass mir der schottische Regen wärmer in Erinnerung ist. Ich kämpfe mich stoisch durch Wind, Nebelschaden und Regenschauer. Langsam. Weiter. Immer weiter. Immer ein Schritt vor den anderen.
Dort, wo vor einigen Tagen noch eine ausgelaufene Schneerinne auf dem Westweg waren, bilden sich ersten Pfützen und Bäche. An mehreren Stellen steige ich quer über das Rinnsal aus Tauwasser. An diesem Tag bleibe ich nicht mehr als wenige Minuten am Stück stehen, um angesichts des Wetters nicht auszukühlen. So bin ich recht schnell, nach ca. 3,5 Stunden, in Kniebis. Ich gehe zur Bushaltestelle und schaue nach, wann der Bus kommt. Um 15:50 Uhr und um 16:50 Uhr komme ich zurück. Ich habe meine Uhr vergessen und keine Ahnung, wie spät es ist. Ich gehe über die Straße in Richtung Skihütte, um zunächst einmal nach der Uhrzeit zu fragen und danach noch etwas zu trinken. Als ich in Höhe des Mittelstreifens bin, sehe ich den Bus kommen. Ob es meiner ist, weiß ich nicht. Trotzdem laufe ich zurück zur Haltestelle und steige ein. Es ist mein Bus, nämlich der um 15:50 Uhr. Ein späteren gibt es nicht, belehrt mich der Fahrer. Da müsse ich mich wohl im Fahrplan verguckt haben (später, nach Blick auf die Fahrpläne, stellt sich seine Einschätzung als zutreffend heraus). Nun - Glück muss man haben.
Ich sitze vorne beim Busfahrer, der mir während des an sich sehr sympathischen Gespräches irgendwann seine politischen Ansichten aufdrängt, die man zusammenfassend als „nationalkonservativ“ beschreiben kann. Mir fällt der alte Gimmick ein: „In was für einem Land leben wir, in dem lediglich Busfahrer und Frisöre sich in Politik auskennen.“ Er setzt mich allerdings netterweise direkt beim Auto ab; ich bedanke mich aufrichtig bei ihm. Im Auto ziehe ich erst einmal trockene Kleidung an. Auch der Lückenschluss ist geschafft.
Kilometer: ca. 12,0
Höhenmeter: ca. 150
Mit Wohnsitz in Baden liegt die Idee nahe, einmal den Westweg von Nord nach Süd zu gehen. Nicht unbedingt am Stück, sondern immer in einzelnen Abschnitten. So bin ich seit Sommer 2007 an mehreren Wochenenden von Ettlingen, direkt südlich von Karlsruhe, über Bad Herrenalb bis zum Dobel und von dort aus auf dem Westweg über die Hornisgrinde bis zum Schliffkopf gewandert. Seit Juli 2010 stand ich imaginär am Schliffkopf und wartete darauf, dass es weitergeht. Ende November fiel der erste Schnee und der Hochschwarzwald schneite über Weihnachten dermaßen ein, dass rund um die Hornisgrinde Schneehöhen von 100 bis 120 cm gemeldet wurden. Und mir wurde klar: Es wird Zeit, weiter zu gehen…
2. Januar 2011
Die Suche nach vermietbaren Schneeschuhen hat sich als erfolglos heraus gestellt. In ganz Karlsruhe gibt es am 30.12.2010 kein einziges Paar mehr zu leihen. Wenn man es sich genau überlegt, dann ist es natürlich durchaus vorhersehbar, dass zu Jahresbeginn angesichts von massig Schnee in Schwarzwald, Vogesen und Alpen sowie aufgrund von Schul- und Betriebsferien in der 1. Januarwoche sämtliche Schneeschuhe vermietet sind. Es gibt aber immer noch den einen oder anderen, der im letzten Moment auf die Idee einer Schneeschuhtour kommt – solche Leute wie wir. Und für solche Leute ist es dann eben überraschend, nach Schneeschuhen suchen zu müssen.
Michael hat sich für die Tour begeistern lassen, so dass wir zu zweit unterwegs sind. Beim Ruhestein stoßen wir in ca. 950 HM auf die Schwarzwaldhochstraße B500. Um 9 Uhr, kurz nach Öffnung, sind wir die ersten im Skiverleih, die nach Schneeschuhen fragen und tatsächlich – wir bekommen noch zwei Paare für die nächsten beiden Tage.
Wir fahren über die B500 nach Kniebis. Die Strecke zwischen dem Schliffkopf und Kniebis beträgt noch ca. 12 km, aber diese müssen wir aus logistischen Gründen überbrücken. In Kniebis präparieren sich bereits die ersten Langläufer am Langlaufstadion. Der Nordschwarzwald ist heute ein verschneites Wunderland. Schnee soweit das Auge reicht, an der Straße teilweise auf Schulterhöhe gefräst. Nur wenige Meter parallel zur Straße und wir gehen durch die Schneelandschaft in den Wald. Auf dem Pfad vor uns sind schon einige wenige Leute gelaufen, einige auch mit Schneeschuhen. Die Spuren sind leicht angeharscht, so dass es sich in den Spuren gut läuft. Die Schneeschuhe tragen uns, trotz des Gewichtes der Rucksäcke.
Der Weg führt zur Alexanderschanze und dann mit hervorragender Aussicht nach Süden. Einmal müssen wir die Karte bemühen, weil die vermutlich am Boden platzierten Wegweiser nicht zu finden sind und wir fast in die falsche Richtung laufen. Ansonsten kommen wir zügig voran.
Auf der Seeebene machen wir unsere Mittagspause. Mit meinem Gaskocher versuche ich, Schnee zu schmelzen und zum Kochen zu bringen. Das Schneeschmelzen klappt bei ca. -7 Grad noch halbwegs, an kochendes Wasser ist aber zumindest in angemessener Zeit nicht zu denken. Also fülle ich lediglich meine Wasservorräte auf und packe den Kocher für den Rest des Wochenendes ein. Während wir rasten kommt ein Paar, beide etwa um die 50, mit garantiert tourenungeeigneten Klamotten entgegen und fragt uns, ob es hier zu dem noch ca. 2 km entfernten Glaskopfsee gehe. Die Dame trägt zu einem wenig dezenten Make-up einen Pelz, in den vermutlich ein Dutzend oder mehr Nerze „verewigt“ wurden. Die Stiel sind eher einer Baden-Badener Boutique zuzuordnen und mit den glatten Sohlen im tiefen Schnee für den Ausflug gänzlich ungeeignet. Der Mann trägt wenigstens noch halbhohe Wanderschuhe, aber auch die sind bei den Bedingungen recht unbrauchbar. Wir unterhalten uns nett, trotzdem muss Michael anschließend den Kopf schütteln: Das seien jene Leute, so meint er, die selbst im Schwarzwald bei schönem Wetter noch von der Bergwacht geholt werden müssen. Ich wiegele zunächst noch ab. Ohne Zweifel sind die beiden unpraktisch gekleidet aber…
Wir beenden unsere Pause und laufen weiter. Nach ca. 500 Meter geht es bergab. Steil bergab. Auf festgetretenem und harschigen Schnee. Nicht dass wir mit den Schneeschuhen irgendwelche Probleme hätten, aber wie zur Hölle haben es die beiden glatt besohlten Spaziergänger denn geschafft, hier heil hochzukommen und wie wollen sie denn wieder herunter kommen? Michael sieht das Gefälle an, lacht noch einmal und sagt nichts. Ich auch nicht. Ich stimme ihm stillschweigend zu.
Nach einem Kilometer Abstieg kommen wir an die Straße über den Freiersbergsattel und queren den Parkplatz. Es ist das erste und auch das letzte Mal hinter Kniebis, dass wir heute eine Straße queren. Zahlreiche Langläufer haben ihre Autos hier abgestellt und nutzen den hier gewalzten Westweg als Langlaufstrecke. Es geht wieder bergauf. Die Langläufer begleiten uns für einige Kilometer. Zum Ausgleich für die fehlende Einsamkeit macht die gewalzte Loipe das Gehen sehr angenehm.
Die Loipe knickt irgendwann etwa auf der Littweger Höhe nach rechts ab. Jetzt sind wir wieder alleine auf dem wenig ausgetretenen Westweg. Die Sonne ist durch die Wolken durchgebrochen. Immer wieder bieten sich Blicke ins Tal und über verschneite Schwarzwaldgipfel.
Wir kommen aus dem Wald heraus. Die Abendsonne strahlt über die Höhen des Schwarzwaldes. Etwas unterhalb des auf dem Kamm verlaufenden Westweges liegt der Harkhof.
Vor dem schönen vor einigen Jahren renovierten Schwarzwaldhof ist noch die Schneebar von Sylvester aufgebaut. Einige Tagestouristen kommen über den geräumten Fahrweg, vermutlich von einem nahe liegenden Parkplatz, zum Harkhof. Wir checken ein. Wir sind die einzigen in dem für 12 Personen gebauten Matratzenlager. Die anderen Übernachtungsgäste sind in den Doppelzimmern untergebracht. Nach einer Dusche, einer urigen und üppigen Brotzeit, ein paar Bier und einem Topinambur, dem selbstgebrannten typischen Rosskartoffelschnaps des Schwarzwaldes, geht es recht früh schlafen in das Matratzenlager.
Kilometer: ca. 19,0
Höhenmeter: ca. 250
3. Januar 2011
Wir sind am Morgen die ersten im Frühstückraum. Nach einem guten Frühstück starten wir durch. Die Sonne hängt zwar noch hinter den Wolken, es ist aber schon abzusehen, dass sie bald hervor kommen wird. Es sieht nach einem Traumtag aus.
Wir gehen ganz allein über den Westweg. Die Strecke geht mal etwas auf und etwas abwärts, meist du den Wald. Wir fühlen und gut. An einigen Stellen gehen die ein oder zwei Schneeschuhspuren, die vor uns durch den hohen Schnee führen. Auf einige Kilometer wird es deshalb recht mühsam. Zunächst stampft Michael die Spur aus, irgendwann wechseln wir. Die Sonne ist mittlerweile durchgebrochen. Der Nebel sammelt sich in den Tälern.
Später, als der Westweg durch die eng stehenden Nadelbäume, führt, ist der Weg in der Mitte stark ausgetreten und formt sich zu einer Art Graben im Schnee. Ein Schneeschuh passt in die Mitte, der andere muss irgendwie auf der Höhe des nicht ausgetretenen Schnees aufgesetzt werden. Also humpeln wir auf diese Strecke über den unebenen Schnee hintereinander her.
Die Täler links und rechts weiten sich. Der Westweg fällt zunächst leicht und dann immer stärker ab. In den tieferen Lagen ist zu sehen, wie die Sonne der vergangenen Tage in den sonnenexponierten Lagen den Schnee abgeschmolzen hat und das Grün der Hänge durchkommen lässt. Die Sonne strahlt. Es ist wie ein schöner Märztag mit Kaiserwetter in den Alpen. Das absolute Urlaubsgefühl, und das quasi direkt vor der Haustür.
Der Weg steigt noch einmal kurz zum Spitzfelsen an, der in Schneeverwehungen versunken ist. Danach geht es steil bergab Richtung Hausach. Der Weg windet sich durch den Wald. Statt den Nadelbäumen auf den Höhen des Schwarzwaldes dominieren nun die im Winter kahlen Laubbäume. Der Schnee wird immer weniger, bis er schließlich nur noch wenige Zentimeter hoch ist. Michael zieht die Schneeschuhe aus und läuft mit den Wanderschuhen weiter. Ich lasse sie noch an. Auf der verharschten dünnen Schneeschicht lassen die Spikes mich erheblich schneller voran kommen. Als der Westweg an einer Serpentine einen Blick ins Tal ermöglicht, sehen wir schon Hausach unter uns. Bis jetzt haben wir nach Verlassen der Harkhöhe über den gesamten Tag nur zwei Wanderer getroffen. Als die ersten Spaziergänger uns entgegen kommen, wissen wir, dass wir bald in die „Zivilisation“ zurück kehren werden.
Wir gehen steil durch den Wald nach unten und kommen an der Kinzig raus. Den Westweg haben wir auf den letzten 500 Metern wohl irgendwie verlassen. Es ist letztlich egal, zu der Rechten liegt Haslach sichtbar vor uns; nach links muss es also nach Wolfach gehen, wo irgendwann unser Bus zurück nach Kniebis abfährt. Der Weg verläuft über den Fuß- und Radweg am Ufer der Kinzig entlang. Recht schnell sind wir am kleinen Busbahnhof des kleinen Ortes Wolfach. Der Bus kommt bald. Wir genießen die Fahrt durch den verschneiten Schwarzwald und sind noch im Hellen in Kniebis. Noch während der Busfahrt beschließen Michael und ich, dass uns der Westweg in diesem Winter wieder sehen wird.
Kilometer: ca. 18,5
Höhenmeter: ca. 500
6. Januar 2011
Heute ist Feiertag in Baden-Württemberg. Ein guter Tag, um den Lückenschluss vom Schliffkopf bis Kniebis zu gehen. Michael hat keine Zeit, aber ich habe mich dazu entschlossen, allein zu gehen.
Das Wetter ist jedoch geradezu ausladend. Herrschte bis gestern noch strenger Frost in den Mittel- und Höhenlagen des Schwarzwaldes, ist heute Nacht gemäß allen Vorhersagen eine Warmfront hinein. Es taut und das bis in die Höhenlagen. Zudem zieht noch eine Regenfront durch. Im Radio senden sie seit dem frühen Morgen Unwetterwarnungen wegen extremer Glätte im Schwarzwald. Um 10 Uhr verlagert sich die Glatteiswarnung vom Schwarzwald in Richtung Schwäbische Alb. Jetzt taut es wohl auch in den Höhelagen des Schwarzwaldes. Das gibt mir Anlass, loszufahren. Am Ruhestein bekomme ich wieder Schneeschuhe – diesmal problemlos.
Am Schliffkopf ist außer mir kein Mensch. Es ist nur wenig über Null Grad, es nieselt, es taut und von Westen weht ein böiger Wind über die Höhen. Nur ein paar verwegen Spaziergänger sind außer mir unterwegs und um es vorweg zu nehmen: Abseits des Schliffkopfes werde ich bis Kniebis keinen einzigen Menschen treffen.
Der Schnee ist nass und schwer, trägt aber noch sehr gut. Das Vorankommen auf Schnee ist heute kein Problem. Das geradezu eklige Wetter mit immer wieder stärker und schwächer werdenden Regen und heftigen Windböen ist dagegen zermürbend. Zwischendurch ebbt der Regen einmal ab, der Wind ist nur noch sehr schwach. Mit der warmen Kleidung wird es nun fast schon gemütlich.
In Höhe des Lotharpfades, der die Sturmrodungen des Orkans Lothar an Weihnachten 1999 im Nordschwarzwald und die Wiederaufforstung dokumentiert, sehe ich wieder dicke Regenwolken aus der Rheinebene heran ziehen.
Mit dem Regen frischt auch der Wind wieder auf. Von jetzt an weint sich der Himmel aus, der Wind bläst so stark, dass ich an den schottischen Horizontalregen denken muss – mit der Einschränkung, dass mir der schottische Regen wärmer in Erinnerung ist. Ich kämpfe mich stoisch durch Wind, Nebelschaden und Regenschauer. Langsam. Weiter. Immer weiter. Immer ein Schritt vor den anderen.
Dort, wo vor einigen Tagen noch eine ausgelaufene Schneerinne auf dem Westweg waren, bilden sich ersten Pfützen und Bäche. An mehreren Stellen steige ich quer über das Rinnsal aus Tauwasser. An diesem Tag bleibe ich nicht mehr als wenige Minuten am Stück stehen, um angesichts des Wetters nicht auszukühlen. So bin ich recht schnell, nach ca. 3,5 Stunden, in Kniebis. Ich gehe zur Bushaltestelle und schaue nach, wann der Bus kommt. Um 15:50 Uhr und um 16:50 Uhr komme ich zurück. Ich habe meine Uhr vergessen und keine Ahnung, wie spät es ist. Ich gehe über die Straße in Richtung Skihütte, um zunächst einmal nach der Uhrzeit zu fragen und danach noch etwas zu trinken. Als ich in Höhe des Mittelstreifens bin, sehe ich den Bus kommen. Ob es meiner ist, weiß ich nicht. Trotzdem laufe ich zurück zur Haltestelle und steige ein. Es ist mein Bus, nämlich der um 15:50 Uhr. Ein späteren gibt es nicht, belehrt mich der Fahrer. Da müsse ich mich wohl im Fahrplan verguckt haben (später, nach Blick auf die Fahrpläne, stellt sich seine Einschätzung als zutreffend heraus). Nun - Glück muss man haben.
Ich sitze vorne beim Busfahrer, der mir während des an sich sehr sympathischen Gespräches irgendwann seine politischen Ansichten aufdrängt, die man zusammenfassend als „nationalkonservativ“ beschreiben kann. Mir fällt der alte Gimmick ein: „In was für einem Land leben wir, in dem lediglich Busfahrer und Frisöre sich in Politik auskennen.“ Er setzt mich allerdings netterweise direkt beim Auto ab; ich bedanke mich aufrichtig bei ihm. Im Auto ziehe ich erst einmal trockene Kleidung an. Auch der Lückenschluss ist geschafft.
Kilometer: ca. 12,0
Höhenmeter: ca. 150
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