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[CZ] Ab durch die Mitte - Aus dem Prager Speckgürtel nach Tabor
Nachdem mein erster Anlauf zur üblichen Frühjahrstour im Schnee steckengeblieben war, musste ich mich neu sortieren. Ich hatte noch vier Tage Urlaub - von Donnerstag bis Sonntag. Für aufwendige Planung und lange Anreise blieb da keine Zeit. Ich durchwühlte meine virtuelle Kiste mit noch nicht realisierten Touren: Die Euro-Zone fiel aus, weil richtiger Urlaub für mich bedeutet, nicht automatisch mit den Preisen in Deutschland vergleichen zu können. Also blieben Polen und Tschechei. In Polen hätte ich eine Wegvariante im Iser- und Riesengebirge zu meiner Grenzland-Tour von 2010 auf dem Schirm gehabt - das hätte aber wieder im Schnee geendet. Blieb also nur Tschechei, konkret Mittelböhmen.
Ich hatte schon immer mal vor, von Prag nach Tabor zu laufen. Das sind rund 75 km Luftlinie oder - heruntergebrochen auf Fußweg - mindestens 120 km, eher mehr. In netto dreieinhalb Tagen also kaum zu schaffen, wie ich beim Kartenstudium im Zug nach Prag feststellte. Also verlegte ich den Startpunkt an den Fuß meines "Hausgebirges" südwestlich von Prag, den Brdy-Höhenzug. Es blieben 63 km Luftlinie. Außerdem hatte ich schon eine gute Vorstellung, wo ich dort eine feine Übernachtungsstelle finden würde.
5. Mai
Nach fünfeinhalb Stunden stieg ich in Dobrichovice an der Berounka aus dem Zug. Noch kurz die Vorräte aufgefüllt - vor allem Wasser, das gab es oben nämlich nicht - und dann ging es los. 
Erstmals schaffte ich den Abstecher zum Hvizdinec-Felsen. Im 19. Jahrhundert sei er ein beliebter Aussichtspunkt gewesen, jetzt aber völlig zugewachsen, fabuliert der Klappentext auf meiner Wanderkarte. Zum Glück hatte er nicht Recht. Es gibt dort sogar ein Gipfelbuch, was man angesichts von 480 Metern Höhe allerdings gerne für eine etwas übertriebene Bezeichnung halten darf.
Kurz vor Kilometer 10 war es halb sieben und ich an meiner Übernachtungsstelle angelangt: Ein schöner alter Fichtenwald ohne kondensförderndes Gras. Wer übrigens die aktuellen KCT-Karten benutzt, wird den Weg nicht finden. Aber in OSM ist er drin.
Technische Daten: 9,7 km in brutto 2h 40'
Ich brutzelte mir einen "Deftigen Linsentopf". Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn das Regulieren der Flamme muss ich wohl noch üben. Um kurz nach acht ging das Licht aus und ich verbrachte eine ruhige Nacht ... bis pünktlich um 7 Uhr morgens ein Fichtenmoped im Wald jenseits des Weges loskrawallierte. Da ich keine Lust hatte herauszufinden, ob es die Forstverwaltung war oder nur Holzdiebe, faltete ich zügig meine Schildkröte zusammen.
6. Mai
Rekordverdächtig früh, nämlich um 8:12, war ich auf dem Weg. Während eines kurzen Intermezzos mit dem Fernwanderweg E1O - hier eine asphaltlastige Wanderautobahn - verließ ich den Kamm in Richtung Kytin. Über Chouzava gelangte ich nach Voznice.
Der Zusammenhang von Voznice mit dem Werbespruch "Nichts ist unmöglich" und einem spätsozialistischen Autohaus erschloss sich mir nicht ganz, aber für einen Schmunzler kam es gerade recht.
Der Zufall wollte es, dass die örtliche Kneipe gerade öffnete - immerhin war es schon kurz nach zehn. Das unvollendete Frühstück meldete sich und entdeckte auf dem Aushang einen Ertrunkenen, pardon, "Utopenec": Ein sauer eingelegtes Fleischwurst-ähnliches Produkt mit Zwiebeln und Brot. Eigentlich ein klassisches Katerfrühstück, aber das war mir egal. Dazu ein (alkoholfreies) Radegast Birrell. Ich begann, Blaulokes Wanderphilosophie zu verstehen.
Vorbei an der "Kralova stolice", einem Pavillon im Mittelpunkt eines sternförmig angelegten Jagdgeheges, ging es streng Richtung Süden. Kurz vor Erreichen der Straße zwischen Stara Hut und Novy Knin bekam ich das Gefühl, dass hier ein militärisches Objekt in der Nähe sein musste. Weder in der alten noch in der neuen Karte stimmten die Wege; in der alten Karte war ein völlig falscher Waldrand südlich der Karte eingezeichnet. Und in der Tat: Dort wo angeblich der Weg weitergehen sollte, war ein abgezäuntes Areal. Es wird zwar nicht mehr militärisch genutzt, sondern von holzverarbeitenden Betrieben. An der Undurchgänglichkeit änderte das nichts.
Der Umweg zum Waldrand bescherte mir allerdings die Gelegenheit, Schienengüterverkehr zu sehen, der sich offenbar nicht betriebswirtschaftlichen Zwängen beugen muss. Epoche III in Reinkultur, wäre da nicht das falsche Logo auf der Lok gewesen: Eine schwere Streckendiesellok schleppte einen leeren Güterwagen und - wer kann sich noch an so etwas erinnern? - einen Güterzugbegleitwagen! Als ich davon nach meiner Rückkehr erzählte, äußerte eine böse Zunge die Vermutung, dass der Zug die übrigen Güterwagen während der Fahrt verloren hatte.

Kurz darauf stieß ich auf den "blauen" Wanderweg. Ihm folgte ich stumpf über Chramiste und Libcice bis Prostredni Lhota. Noch gerade rechtzeitig entdeckte ich den Hinweis, dass der Aussichtsturm auf dem Vesely vrch in der Nebensaison geschlossen hatte. Den Umweg konnte ich mir also sparen.
Ein Speicher der Ordensritter
Und noch mehr Retrokultur: Ein Praga, der Rechtslenker deutet auf ein Produktionsdatum vor dem deutschen Einmarsch 1939 hin.
Durch ein kuscheliges Tal und dann wieder einen schweißtreibenden Hügel hinauf gelangte zum ersten Blick auf den Stausee Slapy. In seinen Fluten ist 1954 einer der wildesten Abschnitte der Moldau versenkt worden, die Svatojanske proudy oder Stromschnellen bei Stechovice (featured by Bedrich Smetana in "Die Moldau"). Aber ich habe das Gefühl, dass sich die Datschenbesitzer bzw. "Chatari" und "Chalupari" aufgrund der besseren Schiffbarkeit ganz gut damit abgefunden haben.
Den Campingplatz in Cholin direkt am Übergang auf die Südseite des Sees hatte ich eigentlich für mein Nachtlager ausersehen. Aber es war erst 17.15 Uhr und gerade einmal Kilometer 32. Das ging ja gar nicht. Was würde Chrischian von mir denken?
Blick von der Brücke über den Stausee Slapy bei Cholin
Ein Inventur der vor mir liegenden Strecke ließ noch weitere potenzielle Nachtlagerplätze erkennen. Außerdem würde ich mich dann am Morgen nicht als erstes mit gut drei Kilometern dicht befahrener Asphaltstraße herumärgern müssen. Am Abzweig in Krepenice setzte sich zum ersten Mal der innere Schweinehund in Gestalt des "opportunistischen Outdoorers" auf meine Schultern: "Bis zu einem komfortablen Bettchen in Sedlcany sind es nur noch neun Kilometer... hörst Du, BETTCHEN!" Irgendwie hörte sich das ja gut an: Ich würde ohne Zeitdruck bis Sonnenuntergang laufen können. Andererseits: Frau November hätte dafür bestimmt kein Verständnis. Abendessen ohne Riesaer Muscheln? Unvorstellbar!
Ich machte mir also vor, nach Nachtlagerplätzen Ausschau zu halten. Sie waren aber alle entweder steinig, zu gut zu sehen oder sahen nach Zeckenparadies aus. Unterdessen näherte ich mich zügig Sedlcany. Selbst die etwas kryptische Wegmarkierung zum Aussichtspunkt auf dem Hügel Libesov konnte das Zeitbudget nicht signifikant durcheinanderbringen. An einem See, dessen Uferbereich ich auf der Karte noch als potenzielles Lagergelände ausgemacht hatte, fuhr die Dorfjugend mit diversen Kraftfahrzeugen auf und ab. Auch nicht gut. 
Auch wenn wir hier nicht beim Outdoor-Fotorätsel sind: Wer mag Tipps abgeben, was dieses Bauwerk mal war?
(Die Antwort steht hier) und in den folgenden Beiträgen, Göttergatte hat freundlicherweise das Gesamtgebäude zeichnerisch rekonstruiert)
Hier ist die Zeit irgendwann in den achtziger Jahren stehengeblieben: Ein "Jednota"-Dorfladen mit spätsozialistischem Charme. Drinnen gibt es aber inzwischen Waren aus dem NSW, einschließlich des Inlands.

Inzwischen waren es nur noch 5,5 km bis Sedlcany und kurz nach 19 Uhr. Jetzt war es egal. Die OSM-Karte kannte ein Hotel, ich mobilisierte mein Retro-Handy unter Aufbietung aller seiner Kräfte zum Ergoogeln der Telefonnummer und - natürlich war ein Zimmer frei. Wenige Minuten später verließ ich südöstlich von Pricovy das erste Kartenblatt der Tour. Dafür war natürlich am Abend eine Extrabelohnung fällig: Schnitzel mit Pommes und Blauschimmelkäsesauce plus Palatschinken mit Eis.
Technische Daten: 44,3 km in 12h glatt
7. Mai
Dass es erst um 8 Uhr Frühstück gab, störte mich nicht sonderlich. Heute wollte ich es ruhiger angehen lassen, denn auf den letzten vier bis fünf Kilometern des Vortages hatte ich meine linke Ferse etwas verärgert. Für eine richtige Blase hatte es aber nicht gereicht. Ein Hoch auf die noch neuen Lowa Timok!
Der Marktplatz von Sedlcany am Morgen
Durch eine typisch mittelböhmische Landwirtschafts-Landschaft kämpfte ich mich nach Süden vor. Die Wegmarkierung des ersten Stück des wunderbar naturnahen "grünen" Weges aus der Stadt heraus bis kurz hinter den Paciska-Hügel kann man als lückenhaft bezeichnen. Die sonst fast immer vorbildlichen Markierer des Wanderverbandes KCT haben hier geschlampt. In mehreren Fällen konnte nur der "Zauberkasten" (=GPS) für Klarheit sorgen, denn von dieser Gegend hatte ich nur die "neue" KCT-Karte mit bestenfalls lauwarmer Detailverliebtheit.
Typisch für Südböhmen sind die allgegenwärtigen Karpfenteiche.
Die Temperatur unter dem blauen Himmel stieg schnell in den unangenehmen Bereich, also 20 Grad. Wenig erfreulich war, dass die markierten Wanderwege zu einem erheblichen Teil in den Jahren nach der Wende auf Asphalt upgegradet worden war. Ich begann mit wechselhaften Erfolg, eine eigene Wegfindung zu improvisieren. Ebenso traurig ist, dass man sich nicht mehr auf die gastronomische Grundversorgung in jedem kleinen Dorf verlassen kann. Unter den Kommunisten hätte es das nicht gegeben!
Rindviecher begucken Schrankwandträger.
Erst bei Cunkov traf ich wieder auf eine Hospoda. Die Bedienung war leicht überfordert, als gleichzeitig zehn Touristen aus dem iberischen Sprachraum eintrafen. Das Chaos wurde allerdings durch den tschechischen Reiseführer mitverursacht. Sicher ungewöhnlich ist auch ein Biergarten auf der Nordostseite. Wahrscheinlich wollen sie mehr warme Speisen verkaufen. Aber damit wäre die Bedienung dann endgültig überfordert gewesen.
Der Fels Certovo bremeno ("Des Teufels Bürde") war eine arge Enttäuschung. Die Sagen um die Entstehung versprechen mehr als der vermutlich nur unter Drogeneinfluss klar erkennbare Hufabdruck auf einem Nullachtfuffzehn-Felsen im Wald.
Eine Dreiviertelstunde später verschwand ich im Wald. Schnell fand ich eine trockene Ecke in einem alten Fichtenwald - mein Favorit - und sogar eine Baumstumpf als Hocker.
Technische Daten: 27,9 km in 8h 40'
8. Mai
Nach einer perfekt verbrachten Nacht fiel ich als erstes auf fantasievoll eingezeichnete Waldwege herein. Teilweise waren sie kaum noch in der Natur erkennbar, teilweise verliefen sie ganz anders als versprochen. Ein real vorhandener Forstweg fehlte hingegen, obwohl er bestimmt schon seit Jahrzehnten existierte. Meinem Nick gerecht bleibend fand ich jedoch schließlich einen Weg zurück auf die Straße (und zwar nicht durchs Unterholz!).
Der letzte Tag startete noch einmal mit Bilderbuchwetter. Kurz hinter Kamenna Lhota begegnete ich zum ersten Mal während meiner Tour echten Wanderern - alle anderen vorher konnte man in die Schublade "Spaziergänger" stecken.
Aussicht bei Kamenna Lhota
Hinter Borotin folgte ich dem auf meiner alten Karte eingezeichneten grünen Weg zur Burgruine. Ich bin zwar durchgekommen, aber es hat gute Gründe, warum er heute entmarkiert hast: Bei Hochwasser ist er in weiten Teilen überschwemmt.
Die Burgruine war der Höhepunkt des Tages: Sie liegt über zwei Fischteichen gelegen und ist militärisch betrachtet gut geschützt; weniger gut geschützt war sie in der Vergangenheit gegen Abtrag durch Stein-Bedarfsträger aus der Nachbarschaft. Aber ansonsten wäre sie ja keine Ruine geworden.
Blick nach Borotin-Stadt
Damit begann der Endspurt nach Tabor. 14:08 sollte mein präferierter Zug in Richtung Prag fahren. Zum Glück hielt sich der Weg jetzt an wohldefinierte Wirtschaftswege und Pfade. Für zusätzliche Motivation sorgte der Himmel, der sich gerade atemberaubend schnell bezog und zeitweise den Eindruck erweckte, es könne in spätestens einer Stunde mit dem Regen losgehen. Die deutlich abnehmende landschaftliche Ereignisdichte beschleunigte mein Fortkommen. Außer Landwirtschaft gab es jetzt nicht mehr viel zu sehen.
Einen Fußweg so nah an den Gleisen würde das Eisenbahn-Bundesamt bestimmt nicht erlauben - ja, der Weg führt tatsächlich über die Brücke am Geländer rechts entlang. Der Abstand zu den Gleisen ist zwar ausreichend, aber wegen der geringen Verbreitung geschlossener Toilettensysteme bei den tschechischen Bahnen empfiehlt es sich trotzdem, vorbeifahrende Züge in sicherer Entfernung abzuwarten.
In Tabor kann jeder schadlos über den Jordan gehen. Jedenfalls, wenn er zugefroren ist.
Um 13:05 erreichte ich den Bahnhof. Erst wollte ich eigentlich nur noch etwas essen und dann auf den Zug warten. Als jedoch plötzlich wieder die Sonne herauskam, beschloss ich, noch eine kleine Platzrunde durch Tabor zu drehen.
Eindrücke aus Tabor:
Altstadtgasse
Denkmal für Jan Zizka, den militärischen Führer der Hussiten, auf dem Marktplatz
und ein etwas weggetreten anmutender Jan Hus
Technische Daten (bis zum Bahnhof): 21,9 km in 6h glatt
Um halb zehn abends war ich wieder zu Hause in Berlin. Fazit: Man macht sich viel zu wenig bewusst, dass das wilde Tschechistan eigentlich vor der Haustür liegt.
Pfad-Finder
Nachdem mein erster Anlauf zur üblichen Frühjahrstour im Schnee steckengeblieben war, musste ich mich neu sortieren. Ich hatte noch vier Tage Urlaub - von Donnerstag bis Sonntag. Für aufwendige Planung und lange Anreise blieb da keine Zeit. Ich durchwühlte meine virtuelle Kiste mit noch nicht realisierten Touren: Die Euro-Zone fiel aus, weil richtiger Urlaub für mich bedeutet, nicht automatisch mit den Preisen in Deutschland vergleichen zu können. Also blieben Polen und Tschechei. In Polen hätte ich eine Wegvariante im Iser- und Riesengebirge zu meiner Grenzland-Tour von 2010 auf dem Schirm gehabt - das hätte aber wieder im Schnee geendet. Blieb also nur Tschechei, konkret Mittelböhmen.
Ich hatte schon immer mal vor, von Prag nach Tabor zu laufen. Das sind rund 75 km Luftlinie oder - heruntergebrochen auf Fußweg - mindestens 120 km, eher mehr. In netto dreieinhalb Tagen also kaum zu schaffen, wie ich beim Kartenstudium im Zug nach Prag feststellte. Also verlegte ich den Startpunkt an den Fuß meines "Hausgebirges" südwestlich von Prag, den Brdy-Höhenzug. Es blieben 63 km Luftlinie. Außerdem hatte ich schon eine gute Vorstellung, wo ich dort eine feine Übernachtungsstelle finden würde.
5. Mai



Kurz vor Kilometer 10 war es halb sieben und ich an meiner Übernachtungsstelle angelangt: Ein schöner alter Fichtenwald ohne kondensförderndes Gras. Wer übrigens die aktuellen KCT-Karten benutzt, wird den Weg nicht finden. Aber in OSM ist er drin.
Technische Daten: 9,7 km in brutto 2h 40'
Ich brutzelte mir einen "Deftigen Linsentopf". Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn das Regulieren der Flamme muss ich wohl noch üben. Um kurz nach acht ging das Licht aus und ich verbrachte eine ruhige Nacht ... bis pünktlich um 7 Uhr morgens ein Fichtenmoped im Wald jenseits des Weges loskrawallierte. Da ich keine Lust hatte herauszufinden, ob es die Forstverwaltung war oder nur Holzdiebe, faltete ich zügig meine Schildkröte zusammen.
6. Mai
Rekordverdächtig früh, nämlich um 8:12, war ich auf dem Weg. Während eines kurzen Intermezzos mit dem Fernwanderweg E1O - hier eine asphaltlastige Wanderautobahn - verließ ich den Kamm in Richtung Kytin. Über Chouzava gelangte ich nach Voznice.




Kurz darauf stieß ich auf den "blauen" Wanderweg. Ihm folgte ich stumpf über Chramiste und Libcice bis Prostredni Lhota. Noch gerade rechtzeitig entdeckte ich den Hinweis, dass der Aussichtsturm auf dem Vesely vrch in der Nebensaison geschlossen hatte. Den Umweg konnte ich mir also sparen.


Durch ein kuscheliges Tal und dann wieder einen schweißtreibenden Hügel hinauf gelangte zum ersten Blick auf den Stausee Slapy. In seinen Fluten ist 1954 einer der wildesten Abschnitte der Moldau versenkt worden, die Svatojanske proudy oder Stromschnellen bei Stechovice (featured by Bedrich Smetana in "Die Moldau"). Aber ich habe das Gefühl, dass sich die Datschenbesitzer bzw. "Chatari" und "Chalupari" aufgrund der besseren Schiffbarkeit ganz gut damit abgefunden haben.
Den Campingplatz in Cholin direkt am Übergang auf die Südseite des Sees hatte ich eigentlich für mein Nachtlager ausersehen. Aber es war erst 17.15 Uhr und gerade einmal Kilometer 32. Das ging ja gar nicht. Was würde Chrischian von mir denken?

Ein Inventur der vor mir liegenden Strecke ließ noch weitere potenzielle Nachtlagerplätze erkennen. Außerdem würde ich mich dann am Morgen nicht als erstes mit gut drei Kilometern dicht befahrener Asphaltstraße herumärgern müssen. Am Abzweig in Krepenice setzte sich zum ersten Mal der innere Schweinehund in Gestalt des "opportunistischen Outdoorers" auf meine Schultern: "Bis zu einem komfortablen Bettchen in Sedlcany sind es nur noch neun Kilometer... hörst Du, BETTCHEN!" Irgendwie hörte sich das ja gut an: Ich würde ohne Zeitdruck bis Sonnenuntergang laufen können. Andererseits: Frau November hätte dafür bestimmt kein Verständnis. Abendessen ohne Riesaer Muscheln? Unvorstellbar!


(Die Antwort steht hier) und in den folgenden Beiträgen, Göttergatte hat freundlicherweise das Gesamtgebäude zeichnerisch rekonstruiert)


Inzwischen waren es nur noch 5,5 km bis Sedlcany und kurz nach 19 Uhr. Jetzt war es egal. Die OSM-Karte kannte ein Hotel, ich mobilisierte mein Retro-Handy unter Aufbietung aller seiner Kräfte zum Ergoogeln der Telefonnummer und - natürlich war ein Zimmer frei. Wenige Minuten später verließ ich südöstlich von Pricovy das erste Kartenblatt der Tour. Dafür war natürlich am Abend eine Extrabelohnung fällig: Schnitzel mit Pommes und Blauschimmelkäsesauce plus Palatschinken mit Eis.
Technische Daten: 44,3 km in 12h glatt
7. Mai
Dass es erst um 8 Uhr Frühstück gab, störte mich nicht sonderlich. Heute wollte ich es ruhiger angehen lassen, denn auf den letzten vier bis fünf Kilometern des Vortages hatte ich meine linke Ferse etwas verärgert. Für eine richtige Blase hatte es aber nicht gereicht. Ein Hoch auf die noch neuen Lowa Timok!

Durch eine typisch mittelböhmische Landwirtschafts-Landschaft kämpfte ich mich nach Süden vor. Die Wegmarkierung des ersten Stück des wunderbar naturnahen "grünen" Weges aus der Stadt heraus bis kurz hinter den Paciska-Hügel kann man als lückenhaft bezeichnen. Die sonst fast immer vorbildlichen Markierer des Wanderverbandes KCT haben hier geschlampt. In mehreren Fällen konnte nur der "Zauberkasten" (=GPS) für Klarheit sorgen, denn von dieser Gegend hatte ich nur die "neue" KCT-Karte mit bestenfalls lauwarmer Detailverliebtheit.

Die Temperatur unter dem blauen Himmel stieg schnell in den unangenehmen Bereich, also 20 Grad. Wenig erfreulich war, dass die markierten Wanderwege zu einem erheblichen Teil in den Jahren nach der Wende auf Asphalt upgegradet worden war. Ich begann mit wechselhaften Erfolg, eine eigene Wegfindung zu improvisieren. Ebenso traurig ist, dass man sich nicht mehr auf die gastronomische Grundversorgung in jedem kleinen Dorf verlassen kann. Unter den Kommunisten hätte es das nicht gegeben!

Erst bei Cunkov traf ich wieder auf eine Hospoda. Die Bedienung war leicht überfordert, als gleichzeitig zehn Touristen aus dem iberischen Sprachraum eintrafen. Das Chaos wurde allerdings durch den tschechischen Reiseführer mitverursacht. Sicher ungewöhnlich ist auch ein Biergarten auf der Nordostseite. Wahrscheinlich wollen sie mehr warme Speisen verkaufen. Aber damit wäre die Bedienung dann endgültig überfordert gewesen.
Der Fels Certovo bremeno ("Des Teufels Bürde") war eine arge Enttäuschung. Die Sagen um die Entstehung versprechen mehr als der vermutlich nur unter Drogeneinfluss klar erkennbare Hufabdruck auf einem Nullachtfuffzehn-Felsen im Wald.
Eine Dreiviertelstunde später verschwand ich im Wald. Schnell fand ich eine trockene Ecke in einem alten Fichtenwald - mein Favorit - und sogar eine Baumstumpf als Hocker.
Technische Daten: 27,9 km in 8h 40'
8. Mai
Nach einer perfekt verbrachten Nacht fiel ich als erstes auf fantasievoll eingezeichnete Waldwege herein. Teilweise waren sie kaum noch in der Natur erkennbar, teilweise verliefen sie ganz anders als versprochen. Ein real vorhandener Forstweg fehlte hingegen, obwohl er bestimmt schon seit Jahrzehnten existierte. Meinem Nick gerecht bleibend fand ich jedoch schließlich einen Weg zurück auf die Straße (und zwar nicht durchs Unterholz!).
Der letzte Tag startete noch einmal mit Bilderbuchwetter. Kurz hinter Kamenna Lhota begegnete ich zum ersten Mal während meiner Tour echten Wanderern - alle anderen vorher konnte man in die Schublade "Spaziergänger" stecken.

Die Burgruine war der Höhepunkt des Tages: Sie liegt über zwei Fischteichen gelegen und ist militärisch betrachtet gut geschützt; weniger gut geschützt war sie in der Vergangenheit gegen Abtrag durch Stein-Bedarfsträger aus der Nachbarschaft. Aber ansonsten wäre sie ja keine Ruine geworden.


Damit begann der Endspurt nach Tabor. 14:08 sollte mein präferierter Zug in Richtung Prag fahren. Zum Glück hielt sich der Weg jetzt an wohldefinierte Wirtschaftswege und Pfade. Für zusätzliche Motivation sorgte der Himmel, der sich gerade atemberaubend schnell bezog und zeitweise den Eindruck erweckte, es könne in spätestens einer Stunde mit dem Regen losgehen. Die deutlich abnehmende landschaftliche Ereignisdichte beschleunigte mein Fortkommen. Außer Landwirtschaft gab es jetzt nicht mehr viel zu sehen.



Eindrücke aus Tabor:





Technische Daten (bis zum Bahnhof): 21,9 km in 6h glatt
Um halb zehn abends war ich wieder zu Hause in Berlin. Fazit: Man macht sich viel zu wenig bewusst, dass das wilde Tschechistan eigentlich vor der Haustür liegt.
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