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1. Tag 6. Sep 2011. Szczecin - Obryta (Woj. Zachodniopomorskie) 54 km
Es ist Dienstag, der 6.09.2011. Um 9.08 Uhr verlässt der Regionalzug Richtung Lübeck den Hamburger Hauptbahnhof. Von dort aus geht mein Anschlusszug nach Szczecin (Stettin). Meine Anreise zur ODS Mitgliederversammlung auf Burg Ludwigstein hat begonnen.
Im Zug nach Lübeck unterhalte ich mich nett mit einem angehenden Medizinstudenten. Der Umstieg in Lübeck ist problemlos, mittlerweile sind viele Bahnsteige behindertengerecht mit Aufzügen ausgestattet, so dass Abladen des Fahrrades der Vergangenheit angehört.

Der Regionalexpress ist komfortabel. Mein Ziel ist es, den Campingplatz in der Nähe von Stargard zu erreichen. Zwar hatten sowohl lutz-berlin als auch mein polnischer Arbeitskollege den Weg aus Stettin heraus als nicht unbedingt radwürdig abklassifiziert, aber ich will nicht noch in einen polnischen Zug umsteigen. Man will ja die Erfahrungen selbst machen.

Pünktlich 14.46 Uhr erreiche ich Stettin.

Es ist strahlender Sonnenschein und ich trage das Fahrrad die Treppe hinunter. Leider muss ich nun auch wieder eine Treppe hoch. Damit habe ich aber gerechnet. Jedoch nicht damit, dass mit ein netter Pole hilft. Dann stehe ich im Ausgang und sehe dieses Bild.

Ich freue mich. Wieder in Polen. Dennoch: Ich muss die Empfangshalle suchen. Mein Kollege hatte mir geraten, im Bahnhof das Geld zu wechseln und ich brauche Wasser. Die Bezeichnung Wechselstube klang deutsch und ich finde sie auch sofort: Kantor - Change. Ich erhalte für 150 Euro 589 Zloty, der Kurs ist also ungefähr 1:4. Am Kiosk nehme ich mein Fahrrad mit ins Geschäft und kaufe Wasser. Meine Frage nach Kaffeebonbons wird nicht verstanden – noch sind meine Polnischkenntnisse zu begrenzt. Nach einer Woche wird das erheblich besser! Das Wörterbuch habe ich übrigens vergessen.
Ich schiebe das Rad Richtung Brücke. Es ist Berufsverkehr, die Autos stehen im Stau. Hinter dem Bahnhof steht ein interessantes Gebäude, ich schiebe das Rad eine kleine Anhöhe hinauf. Aufgrund einer verschobenen Gehwegplatte falle ich fast hin – nein, bitte jetzt nicht mit dem Fuß umknicken. Erst einmal heraus aus der Stadt. Ich wende und fahre navigesteuert Richtung Kobylanka. Dort solle es einen Campingplatz geben. Eine gute Startbasis, um morgen den Drawa Nationalpark zu erreichen.
Der Weg aus der Stadt ist tatsächlich nicht sehr erfreulich. Viele Autos, schlechte Radwege. Dennoch genieße ich es – der Kontrast zu den Landstraßen wird wunderbar sein. An der Ausfallstraße aus dem Ort die üblichen hohen Bordsteine und unebenen Gehwegplatten, aber zum Teil gibt es für Radfahrer Ausweichmöglichkeiten. An einer vielbefahrenen Straße die übliche Baustelle: Ein Schild, der Rest findet sich. Als ich mich links an eine Abfahrt halten muss, denke ich, die Baustelle sei bereits vorbei und fahre leichtsinnig auf dem Bürgersteig. Eine Falle – der Weg endet an einer meterhohen Treppe, von der Fahrbahn trennen mich Leitplanken. Die Bauarbeiter ignorieren mich, also hebe ich kurzentschlossen das Fahrrad hoch – es hängt über den Leitplanken, der Gepäckträger ist zu schwer beladen. Verdammt. Ich höre nur ein „oh oh oh“ und schon sind die Bauarbeiter zur Stelle und transportieren das Fahrrad auf die andere Seite. Auch der Dame hinter mir wird sofort geholfen und sie diskutiert lautstark mit dem Arbeitern.
Nun wird die Straße entwas ruhiger und als ich die Odra quere (welchen Teil auch immer – das ist hier nicht einfach zu sagen), kommt Urlaubsstimmung auf.

Der Campingplatz von Stettin lockt, denn er sieht nett und gemütlich aus. Aber ich bin gerade mal eine Stunde gefahren, das ist mir für die heutige Etappe zu wenig. Also folge ich der Straße Richtung Stargard. In einem kleineren Ort dann perfekte Radwege – ich lasse mich hinreißen und gebe Gas. Natürlich komme ich viel zu weit nördlich heraus und verliere die Orientierung, da weder Karte noch Navi Alternativen bieten (die es aber durchaus gibt – die Karte habe ich da aber noch nicht besessen!). Also muss ich mich im Berufsverkehr in die Schlange einordnen, um zurück zur Strecke zu kommen. Aber da ich den polnischen Verkehr mittlerweile kenne, ist das ein Heimspiel. Sie nehmen nämlich durchaus Rücksicht, wenn man sich behauptet. Es gibt einfach zu viele Polen, die selbst Rad fahren.
Als ich richtig abbiege, stelle ich fest, dass ich immer noch in Stettin bin – der Ort ist wohl ein Vorort. Also weiter. Dann plötzlich wieder Baustelle, eine Autobahn oder Schnellstraße droht im Hintergrund, vor mir ist Einbahnstraße – wo soll ich jetzt hin? Ich fahre erst einmal ordnungsgemäß rechts ab und studiere auf dem Bürgersteig meine unzulängliche Karte. Ein LKW kommt um die Kurve gebraust und der Luftzug wirft mein Fahrrad um. Fast fällt es auf die Straße, ich kann es im letzten Moment abfangen und verhindern, dass es von den LKW Reifen zermalmt wird. Das hätte mir noch gefehlt. Der LKW Fahrer hat das selbst bemerkt, er bremst ab und schaut, ob nichts passiert ist. Nein, es ist alles gut.
Ich fahre wieder zu der Einbahnstraße, notfalls fahre ich eben falsch. Da sehe ich parallel zur Straße einen Sandweg – aha! Tatsächlich führt eine wunderschöne sandige MTB Strecke parallel zur Straße entlang. Sie weist tiefe Wasserpfützen auf und das erste Mal mache ich wieder Erfahrung mit den freundlichen Stechmücken – willkommen in Polen. Nun ist die rote, vierspurige Bundesstraße 10 angesagt. Die Autos sind schnell, die Strecke ist hügelig, aber der Asphalt ist sehr gut. Teilweise weiche ich auf den Grünstreifen aus, um die LKW vorbei zu lassen – sie sind mir einfach zu laut, wenn sie millimetergenau überholen. Dann geht es auf perfekten Radwegen rechts ab nach Kobylanka. Ein kleines Hotel lockt am Straßenrand, daneben ein kleines Restaurant, es sieht nach Urlaubsidylle, frisch bezogenen Betten und leckeren Pirogi aus. Aber ich will ja zelten. Oh, wie werde ich später insgeheim bereuen, dort nicht abgestiegen zu sein!
Kobylanka ist langgezogen und wirkt eher amerikanisch als polnisch. Auf der rechten Seite lockt der See, so dass ich in eine Seitenstraße einbiege und ein Foto mache. In der Ferne sehe ich am anderen Ufer Wohnmobile und leite daraus ab, dass der Campingplatz existiert. Es ist windig und die Boote hüpfen auf und ab. Die Szenerie hat Steinhuder-Meer- Charakter und voll Vorfreude fahre ich weiter.

Tatsächlich sehe ich dann hinter einem Zaun die Wohnmobile, aber es gibt weder ein Schild Camping noch ein Hinweis auf den Eingang. Anscheinend ein Privatplatz. Egal. Ich will ja auf den offiziellen Platz aus dem Campingführer.
Diesen finde ich mit dem Navi problemlos – er liegt idyllisch unter Bäumen – es ist nur niemand da! Ein paar polnische Jugendliche langweilen sich in der Parkanlage vor dem Tor, aber die Rezeption hat geschlossen. Ich probiere, die Tür zu öffnen, sie ist offen. Aha, man könnte hier also nächtigen. Schließlich hat der Platz offiziell bis zum 15.09.2011 geöffnet. Ich schaue auf lange Reihe Wohnhütten, höre die Jugendlichen im Hintergrund und denke: Nein. Das ist mir zuwenig Sicherheit für Fahrrad und Ausrüstung. Mal sehen, ob ich einen netten Platz am See finde, der unbeobachtet ist.
Ich biege in die Straße am See Richtung Kunowo ein und genieße die Ruhe der autolosen Straße. 11 km weiter soll es ein Hotel geben, vielleicht ist dieses so schön wie das Erste. Der See ist nicht sichtbar, davor ist Wald, ein Zugang fehlt allerdings – jeder Feldweg mündet in einem Gehöft. Langsam wird es dämmerig, ich schaue im nächsten Ort nach Zimmern, eine Verkäuferin schaut mir aus der offenen Tür eines Skleps heraus sehnsüchtig nach und ich bereue kurz darauf, sie nicht nach Zimmern gefragt zu haben.
Dann erreiche ich Koszewo und sehe in der Ferne ein wunderschönes, weißes Herrenhaus, aber das Hotel links daneben überzeugt mich aus der Ferne nicht – es scheint zwar ebenfalls ein historisches Gebäude zu sein, aber es wirkt verlassen und nur ein Auto steht vor der Tür.

Bestimmt ist es auch viel zu teuer. Ich fahre weiter. Ein Schloss strahlt hinter einer Gittertür – eine von vielen Perlen dieser Region.

Am Ortsausgang sitzen Mädchen auf dem Gras, sie lachen mich an und winken – Umdrehen ist nun unmöglich, man hat ja seinen Stolz.

Ich fahre eine Sandstrecke entlang, hui macht das Spaß, es ist eine MTB Strecke. Auf der Straße zuvor waren mehrfach Hinweise auf ein MTB Radrennen aufgesprüht. Autos begegnen mir immer noch keine. Langsam reibt meine Radhose unangenehmerweise eine wichtige Stelle wund. Dies bestätigt meinen Verdacht, dass ich den Sitz etwas herunter stellen muss. Die Energie, dieses gleich zu erledigen, fehlt mir leider und bringt mir 3 Tage Schmerzen ein.
Im verschlafenen Wierzbno entscheide ich mich, nach einem Zimmer zu fragen. Jugendliche reparieren auf der Straße Fahrräder und im Sklep versammeln sich die alten Männer. Ich frage im Sklep nach „pokoje“. Ein alter Mann ohne Zähne schüttelt mitleidig den Kopf und verweist auf das Hotel im Ort zuvor, welches ich vor gut einer halben Stunde verschmäht habe. Oder eben in Pyrzyce, aber das ist noch ziemlich weit. Da ich grundsätzlich nur im Notfall umkehre, radele ich weiter. Ich muss nun eine Stelle für mein Zelt finden oder Pyrzyce erreichen. Ich hadere in Selbstgesprächen mit meiner Zeltwahl: Vielleicht wäre statt des Dragonfly zum Verstecken des Fahrrades ein SL 3 praktischer gewesen. Andererseits hattte mein polnisch Kollege gesagt: „Die klauen das nicht. Die wissen gar nicht, was das ist.“ Das hatte mich doch sehr beruhigt.
An einer kleinen Kreuzung halte ich und überlege, ob ich den kleinen Weg am See weiterfahre, der vielleicht im Nichts endet oder die Hauptstraße nehme. Mit lautem Surren stürzen alle Stechmücken der Umgebung auf meinen Nacken und mein Gesicht zu, scheinbar völlig ausgehungert. Auf der linken Seite erwische ich einige und sie sinken tot zu Boden, bevor sie zustechen können, aber am nächsten Tag werden Nacken, Stirn und Backen dennoch mit Stichen verziert sein. Es sind einfach zu viele. Sogar mein Ohrläppchen ist nicht sicher.
Fluchtartig radele ich weiter und weiß: ich muss das Zelt aufbauen. Links und rechts sind Felder und hinter den Alleebäumen bietet sich wenig Schutz. Die Felder selbst sind tabu, viel zu groß die Gefahr, von einem nächtlichen Trecker überrollt zu werden und schließlich ist frisch eingesät. Die Ernte zerstören, das macht man nicht. Ein kleiner Feldweg geht links ab, ich schiebe mein Fahrrad hinein, aber auch hier ist kaum Sichtschutz. Ein Licht leuchtet an der Hauptstraße – ein Hotel? Ich fahre zurück zur Straße, aber es ist eine Tankstelle. Also schnell wieder zurück, ich fahre die Baumreihe ab und der vorletzte Baum ist es: Ein Apfelbaum, der seinen Stamm mit einem Dach von Ästen und Blättern abschirmt.
Mittlerweile ist es dunkel, ich fluche, weil ich nicht sehen kann, welchen Teil des Zeltes ich in der Hand halte und welcher Gestängebogen in welchen Gestängekanal gehört – die farbliche Markierung nützt mir ohne Lampe nichts. Dann ist das Zelt doch schnell aufgebaut und ich bin erstaunt: Das Zelt passt aufgrund der geschwungenen Form perfekt unter den Baum. So als wäre es dafür gebaut. Der Boden ist pieksig, also kommt die Evazote unter das Zelt. Dann schnell der Apsis zwei Heringe spendiert, der Rest steht so, Semigeodät eben. Den Gestängebogen der Apsis lasse ich weg. In Sekundenschnelle werden die Packtaschen ins Zelt geworfen. Bloß keine Umstände. Ich packe nur den Schlafsack aus und das leuchtend gelbe Fahrrad wird unter dem Tarp versteckt. Die Radklamotten lasse ich an. Die Sitz-Evazote wird zusammen mit der Evazote unter dem Zelt reichen. Im Boden ist eine wunderbare Kuhle, so dass meine Behausung richtig kuschelig ist. Ich mache noch zwei Fotos und kurz darauf bin ich entschlummert.
Es ist Dienstag, der 6.09.2011. Um 9.08 Uhr verlässt der Regionalzug Richtung Lübeck den Hamburger Hauptbahnhof. Von dort aus geht mein Anschlusszug nach Szczecin (Stettin). Meine Anreise zur ODS Mitgliederversammlung auf Burg Ludwigstein hat begonnen.
Im Zug nach Lübeck unterhalte ich mich nett mit einem angehenden Medizinstudenten. Der Umstieg in Lübeck ist problemlos, mittlerweile sind viele Bahnsteige behindertengerecht mit Aufzügen ausgestattet, so dass Abladen des Fahrrades der Vergangenheit angehört.
Der Regionalexpress ist komfortabel. Mein Ziel ist es, den Campingplatz in der Nähe von Stargard zu erreichen. Zwar hatten sowohl lutz-berlin als auch mein polnischer Arbeitskollege den Weg aus Stettin heraus als nicht unbedingt radwürdig abklassifiziert, aber ich will nicht noch in einen polnischen Zug umsteigen. Man will ja die Erfahrungen selbst machen.
Pünktlich 14.46 Uhr erreiche ich Stettin.
Es ist strahlender Sonnenschein und ich trage das Fahrrad die Treppe hinunter. Leider muss ich nun auch wieder eine Treppe hoch. Damit habe ich aber gerechnet. Jedoch nicht damit, dass mit ein netter Pole hilft. Dann stehe ich im Ausgang und sehe dieses Bild.
Ich freue mich. Wieder in Polen. Dennoch: Ich muss die Empfangshalle suchen. Mein Kollege hatte mir geraten, im Bahnhof das Geld zu wechseln und ich brauche Wasser. Die Bezeichnung Wechselstube klang deutsch und ich finde sie auch sofort: Kantor - Change. Ich erhalte für 150 Euro 589 Zloty, der Kurs ist also ungefähr 1:4. Am Kiosk nehme ich mein Fahrrad mit ins Geschäft und kaufe Wasser. Meine Frage nach Kaffeebonbons wird nicht verstanden – noch sind meine Polnischkenntnisse zu begrenzt. Nach einer Woche wird das erheblich besser! Das Wörterbuch habe ich übrigens vergessen.
Ich schiebe das Rad Richtung Brücke. Es ist Berufsverkehr, die Autos stehen im Stau. Hinter dem Bahnhof steht ein interessantes Gebäude, ich schiebe das Rad eine kleine Anhöhe hinauf. Aufgrund einer verschobenen Gehwegplatte falle ich fast hin – nein, bitte jetzt nicht mit dem Fuß umknicken. Erst einmal heraus aus der Stadt. Ich wende und fahre navigesteuert Richtung Kobylanka. Dort solle es einen Campingplatz geben. Eine gute Startbasis, um morgen den Drawa Nationalpark zu erreichen.
Der Weg aus der Stadt ist tatsächlich nicht sehr erfreulich. Viele Autos, schlechte Radwege. Dennoch genieße ich es – der Kontrast zu den Landstraßen wird wunderbar sein. An der Ausfallstraße aus dem Ort die üblichen hohen Bordsteine und unebenen Gehwegplatten, aber zum Teil gibt es für Radfahrer Ausweichmöglichkeiten. An einer vielbefahrenen Straße die übliche Baustelle: Ein Schild, der Rest findet sich. Als ich mich links an eine Abfahrt halten muss, denke ich, die Baustelle sei bereits vorbei und fahre leichtsinnig auf dem Bürgersteig. Eine Falle – der Weg endet an einer meterhohen Treppe, von der Fahrbahn trennen mich Leitplanken. Die Bauarbeiter ignorieren mich, also hebe ich kurzentschlossen das Fahrrad hoch – es hängt über den Leitplanken, der Gepäckträger ist zu schwer beladen. Verdammt. Ich höre nur ein „oh oh oh“ und schon sind die Bauarbeiter zur Stelle und transportieren das Fahrrad auf die andere Seite. Auch der Dame hinter mir wird sofort geholfen und sie diskutiert lautstark mit dem Arbeitern.
Nun wird die Straße entwas ruhiger und als ich die Odra quere (welchen Teil auch immer – das ist hier nicht einfach zu sagen), kommt Urlaubsstimmung auf.
Der Campingplatz von Stettin lockt, denn er sieht nett und gemütlich aus. Aber ich bin gerade mal eine Stunde gefahren, das ist mir für die heutige Etappe zu wenig. Also folge ich der Straße Richtung Stargard. In einem kleineren Ort dann perfekte Radwege – ich lasse mich hinreißen und gebe Gas. Natürlich komme ich viel zu weit nördlich heraus und verliere die Orientierung, da weder Karte noch Navi Alternativen bieten (die es aber durchaus gibt – die Karte habe ich da aber noch nicht besessen!). Also muss ich mich im Berufsverkehr in die Schlange einordnen, um zurück zur Strecke zu kommen. Aber da ich den polnischen Verkehr mittlerweile kenne, ist das ein Heimspiel. Sie nehmen nämlich durchaus Rücksicht, wenn man sich behauptet. Es gibt einfach zu viele Polen, die selbst Rad fahren.
Als ich richtig abbiege, stelle ich fest, dass ich immer noch in Stettin bin – der Ort ist wohl ein Vorort. Also weiter. Dann plötzlich wieder Baustelle, eine Autobahn oder Schnellstraße droht im Hintergrund, vor mir ist Einbahnstraße – wo soll ich jetzt hin? Ich fahre erst einmal ordnungsgemäß rechts ab und studiere auf dem Bürgersteig meine unzulängliche Karte. Ein LKW kommt um die Kurve gebraust und der Luftzug wirft mein Fahrrad um. Fast fällt es auf die Straße, ich kann es im letzten Moment abfangen und verhindern, dass es von den LKW Reifen zermalmt wird. Das hätte mir noch gefehlt. Der LKW Fahrer hat das selbst bemerkt, er bremst ab und schaut, ob nichts passiert ist. Nein, es ist alles gut.
Ich fahre wieder zu der Einbahnstraße, notfalls fahre ich eben falsch. Da sehe ich parallel zur Straße einen Sandweg – aha! Tatsächlich führt eine wunderschöne sandige MTB Strecke parallel zur Straße entlang. Sie weist tiefe Wasserpfützen auf und das erste Mal mache ich wieder Erfahrung mit den freundlichen Stechmücken – willkommen in Polen. Nun ist die rote, vierspurige Bundesstraße 10 angesagt. Die Autos sind schnell, die Strecke ist hügelig, aber der Asphalt ist sehr gut. Teilweise weiche ich auf den Grünstreifen aus, um die LKW vorbei zu lassen – sie sind mir einfach zu laut, wenn sie millimetergenau überholen. Dann geht es auf perfekten Radwegen rechts ab nach Kobylanka. Ein kleines Hotel lockt am Straßenrand, daneben ein kleines Restaurant, es sieht nach Urlaubsidylle, frisch bezogenen Betten und leckeren Pirogi aus. Aber ich will ja zelten. Oh, wie werde ich später insgeheim bereuen, dort nicht abgestiegen zu sein!
Kobylanka ist langgezogen und wirkt eher amerikanisch als polnisch. Auf der rechten Seite lockt der See, so dass ich in eine Seitenstraße einbiege und ein Foto mache. In der Ferne sehe ich am anderen Ufer Wohnmobile und leite daraus ab, dass der Campingplatz existiert. Es ist windig und die Boote hüpfen auf und ab. Die Szenerie hat Steinhuder-Meer- Charakter und voll Vorfreude fahre ich weiter.
Tatsächlich sehe ich dann hinter einem Zaun die Wohnmobile, aber es gibt weder ein Schild Camping noch ein Hinweis auf den Eingang. Anscheinend ein Privatplatz. Egal. Ich will ja auf den offiziellen Platz aus dem Campingführer.
Diesen finde ich mit dem Navi problemlos – er liegt idyllisch unter Bäumen – es ist nur niemand da! Ein paar polnische Jugendliche langweilen sich in der Parkanlage vor dem Tor, aber die Rezeption hat geschlossen. Ich probiere, die Tür zu öffnen, sie ist offen. Aha, man könnte hier also nächtigen. Schließlich hat der Platz offiziell bis zum 15.09.2011 geöffnet. Ich schaue auf lange Reihe Wohnhütten, höre die Jugendlichen im Hintergrund und denke: Nein. Das ist mir zuwenig Sicherheit für Fahrrad und Ausrüstung. Mal sehen, ob ich einen netten Platz am See finde, der unbeobachtet ist.
Ich biege in die Straße am See Richtung Kunowo ein und genieße die Ruhe der autolosen Straße. 11 km weiter soll es ein Hotel geben, vielleicht ist dieses so schön wie das Erste. Der See ist nicht sichtbar, davor ist Wald, ein Zugang fehlt allerdings – jeder Feldweg mündet in einem Gehöft. Langsam wird es dämmerig, ich schaue im nächsten Ort nach Zimmern, eine Verkäuferin schaut mir aus der offenen Tür eines Skleps heraus sehnsüchtig nach und ich bereue kurz darauf, sie nicht nach Zimmern gefragt zu haben.
Dann erreiche ich Koszewo und sehe in der Ferne ein wunderschönes, weißes Herrenhaus, aber das Hotel links daneben überzeugt mich aus der Ferne nicht – es scheint zwar ebenfalls ein historisches Gebäude zu sein, aber es wirkt verlassen und nur ein Auto steht vor der Tür.
Bestimmt ist es auch viel zu teuer. Ich fahre weiter. Ein Schloss strahlt hinter einer Gittertür – eine von vielen Perlen dieser Region.
Am Ortsausgang sitzen Mädchen auf dem Gras, sie lachen mich an und winken – Umdrehen ist nun unmöglich, man hat ja seinen Stolz.
Ich fahre eine Sandstrecke entlang, hui macht das Spaß, es ist eine MTB Strecke. Auf der Straße zuvor waren mehrfach Hinweise auf ein MTB Radrennen aufgesprüht. Autos begegnen mir immer noch keine. Langsam reibt meine Radhose unangenehmerweise eine wichtige Stelle wund. Dies bestätigt meinen Verdacht, dass ich den Sitz etwas herunter stellen muss. Die Energie, dieses gleich zu erledigen, fehlt mir leider und bringt mir 3 Tage Schmerzen ein.
Im verschlafenen Wierzbno entscheide ich mich, nach einem Zimmer zu fragen. Jugendliche reparieren auf der Straße Fahrräder und im Sklep versammeln sich die alten Männer. Ich frage im Sklep nach „pokoje“. Ein alter Mann ohne Zähne schüttelt mitleidig den Kopf und verweist auf das Hotel im Ort zuvor, welches ich vor gut einer halben Stunde verschmäht habe. Oder eben in Pyrzyce, aber das ist noch ziemlich weit. Da ich grundsätzlich nur im Notfall umkehre, radele ich weiter. Ich muss nun eine Stelle für mein Zelt finden oder Pyrzyce erreichen. Ich hadere in Selbstgesprächen mit meiner Zeltwahl: Vielleicht wäre statt des Dragonfly zum Verstecken des Fahrrades ein SL 3 praktischer gewesen. Andererseits hattte mein polnisch Kollege gesagt: „Die klauen das nicht. Die wissen gar nicht, was das ist.“ Das hatte mich doch sehr beruhigt.
An einer kleinen Kreuzung halte ich und überlege, ob ich den kleinen Weg am See weiterfahre, der vielleicht im Nichts endet oder die Hauptstraße nehme. Mit lautem Surren stürzen alle Stechmücken der Umgebung auf meinen Nacken und mein Gesicht zu, scheinbar völlig ausgehungert. Auf der linken Seite erwische ich einige und sie sinken tot zu Boden, bevor sie zustechen können, aber am nächsten Tag werden Nacken, Stirn und Backen dennoch mit Stichen verziert sein. Es sind einfach zu viele. Sogar mein Ohrläppchen ist nicht sicher.
Fluchtartig radele ich weiter und weiß: ich muss das Zelt aufbauen. Links und rechts sind Felder und hinter den Alleebäumen bietet sich wenig Schutz. Die Felder selbst sind tabu, viel zu groß die Gefahr, von einem nächtlichen Trecker überrollt zu werden und schließlich ist frisch eingesät. Die Ernte zerstören, das macht man nicht. Ein kleiner Feldweg geht links ab, ich schiebe mein Fahrrad hinein, aber auch hier ist kaum Sichtschutz. Ein Licht leuchtet an der Hauptstraße – ein Hotel? Ich fahre zurück zur Straße, aber es ist eine Tankstelle. Also schnell wieder zurück, ich fahre die Baumreihe ab und der vorletzte Baum ist es: Ein Apfelbaum, der seinen Stamm mit einem Dach von Ästen und Blättern abschirmt.
Mittlerweile ist es dunkel, ich fluche, weil ich nicht sehen kann, welchen Teil des Zeltes ich in der Hand halte und welcher Gestängebogen in welchen Gestängekanal gehört – die farbliche Markierung nützt mir ohne Lampe nichts. Dann ist das Zelt doch schnell aufgebaut und ich bin erstaunt: Das Zelt passt aufgrund der geschwungenen Form perfekt unter den Baum. So als wäre es dafür gebaut. Der Boden ist pieksig, also kommt die Evazote unter das Zelt. Dann schnell der Apsis zwei Heringe spendiert, der Rest steht so, Semigeodät eben. Den Gestängebogen der Apsis lasse ich weg. In Sekundenschnelle werden die Packtaschen ins Zelt geworfen. Bloß keine Umstände. Ich packe nur den Schlafsack aus und das leuchtend gelbe Fahrrad wird unter dem Tarp versteckt. Die Radklamotten lasse ich an. Die Sitz-Evazote wird zusammen mit der Evazote unter dem Zelt reichen. Im Boden ist eine wunderbare Kuhle, so dass meine Behausung richtig kuschelig ist. Ich mache noch zwei Fotos und kurz darauf bin ich entschlummert.
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