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Am frühen Nachmittag erreichte ich endlich den Fuß des Schneeberg-Massivs (tschechisch Kralicky Sneznik, polnisch Snieznik). Der Grenzweg folgte nicht nur dem Kamm, sondern auch der Wasserscheide zwischen den Einzugsgebieten von Elbe und Oder. Am Trojmorski Wierch stieß dann - wie es der sprachgewandte Leser vielleicht schon vermuten wird - die dritte Wasserscheide hinzu: Zur Donau. Die "Drei-Meeres-Höhe" lädt eigentlich dazu ein, alle drei Einzugsgebiete auf einmal mit einem - wie soll ich es sagen? - "Wasserabschlagen" zu bedienen; allerdings ist nicht einmal ein symbolischer Punkt zu erkennen, wo die drei Wasserscheiden zusammentreffen. Es ist ein eher unübersichtliches Blockfeld. Immerhin gibt es einen 2009 errichteten Aussichtsturm, aber außer einer braunkohlegeschwängerten Dunstglocke war nicht viel zu sehen.
Aussichtsturm
Blick vom Turm in Richtung Schneeberg
Landestypischer Reisebegleiter auf dem trigonometrischen Punkt



Aber immerhin ließ sich die Tür öffnen. Vorsichtig tappte ich in den Vorraum, von dort auf den Flur. Am Ende des Flures drang durch eine Türritze Licht, und gelegentlich waren Besteckgeklapper zu hören. Ich betrat das "Bufet" und fühlte mich in den nie erschienenen Band "Asterix bei den Polen" versetzt: Hinter dem Tresen stand ein kleines Männchen mit einer Knollennase und einem Hütchen, das offenbar dazu dienen sollte, die Rückläufigkeit des Haarwuchses zu verbergen, diese Aufgabe aber mangels innerer Größe nicht erfüllen konnte. An den Tischen saßen ein Pärchen, das sich gerade Kartoffelbrei zurechtrührte, und ein nicht ganz outdooriger Mensch, der in einem sehr, sehr dicken Buch las.
Schnell war das Bett organisiert (kleiner Hinweis: "postel" heißt nur auf tschechisch "Bett", Polen hören da ihr Wort für "Bettbezug" heraus), denn schließlich wollte ich noch die Speisekarte des "Bufets" rauf- und runteressen. Doch welche Enttäuschung: Von der langen Liste handfester Gerichte gab es nur eine "bretonische Bohnensuppe". Eher skeptisch bestellte ich die Suppe, durfte aber feststellen, dass sie doch ordentlich sättigte.
Mit fortgeschrittener Stunde stellte sich dann heraus, dass der Wirt eine sehr eigene Sicht der Welt pflegte. Dass Joschka Fischer die Baude besucht haben sollte, war ich ja noch bereit zu glauben. Aber seine Überzeugung, dass er der nächste Bundeskanzler wird, konnte ich nicht teilen. Zweifel habe ich auch an der Geschichte, dass polnische Emigranten in den USA schon in den fünfziger Jahren das Mobiltelefon erfunden haben, aber von der Mafia an der Vermarktung gehindert wurden. Bezüglich der Zwerge, die angeblich auf der Rückseite des Mondes und in dem Hohlraum zwischen Erdkruste und Erdkern leben, will ich lieber nicht ins Detail gehen - sonst wird hier noch Trollalarm ausgelöst.
Technische Daten: 29,2 km in 8:00h brutto
4. November
Der Blick aus dem Fenster am Morgen war nicht ermutigend: Durch den trüben Nebel war kaum der äußere Rand der Straße vor der Baude zu erkennen. Ich war der einzige Gast, der vom Frühstücksangebot im Bufet Gebrauch machte, hätte es aber auch fast bereut: Der Wirt hatte nämlich nicht genügend Wechselgeld. Zum Glück reimte sich die Rechnung auf einen glatten Eurobetrag, den der Wirt ohne langes Zögern einkassierte. Wenn das die polnischen Nationalisten erfahren!

Auf dem Gipfel (1424m) selbst ist heute nichts los. Davon, dass es früher anders war, zeugen die Reste eines steinernen Aussichtsturmes. Die Wäscheleine über den Trümmern ist übrigens keine Parodie des "Bunten Zwergs" auf die Werbung für den "Weißen Riesen", sondern ein pseudotibetanisches Flatterband.

Der Trümmerberg auf dem Gipfel des Kralicky Sneznik
Die Quelle der March/Morava
Elefantenskulptur

Schnell verließ ich den ungastlichen Ort und stieg wieder ab. Erste Station war die Quelle der March/Morava, die dem tschechischen Landesteil Mähren/Morava den Namen borgte, obwohl sie über weite Strecken nur die Grenze zwischen Böhmen und Mähren markiert. Dass ich jetzt das Einzugsgebiet des Schwarzen Meeres betrat, war an den Temperaturen allerdings nicht zu spüren!
Nächste Sehenswürdigkeit war die Steinskulptur eines Elefanten. Sie erinnerte an den Feldzug Hannibals über das Schneeberg-Massiv. Der böhmische Universalgelehrte Jara Cimrman ist bekanntlich schon vor Jahrzehnten zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Hannibal auf dem Weg von der iberischen Halbinsel nach Italien katastrophal verlaufen hatte. Die Elefanten hätten die Alpenüberquerung problemlos überstanden, wenn sie nicht aufgrund des Irrlaufs über Böhmerwald und Sudeten beim Erreichen der Alpen bereits hoffnungslos entkräftet gewesen wären. Völlig abwegig erscheint hingegen die Darstellung, wonach die Elefantenskulptur das Symbol einer Künstlergruppe war, die in der Zwischenkriegszeit hier ein modernes Hotel errichten wollte!
Durch einen ereignisarmen Wald stieg ich auf dem E3 weiter ab, der sich zunehmend zu einer breiten Forststraße entwickelte. An der zweiten Serpentine bog ich daher auf den polnischen Grenzpfad ab. Der Wald wurde dadurch zwar nicht ereignisreicher, aber der Boden viel angenehmer zum Laufen.

Um überhaupt mal eine Chance zu haben, mich zu verlaufen, verließ ich kurz hinter dem Sattel den E3 mit dem Ziel, eine eigentlich unnötige Schleife abzukürzen. Vor lauter Freude, auf Anhieb den Abzweig zur Abkürzung gefunden zu haben, verpasste ich allerdings den zweiten Abzweig... und driftete prompt von meiner Ideallinie ab. Erst bei einem zufälligen Blick auf den Zauberkasten bemerkte ich den Fehler. Ein Viertelstunde später war ich wieder auf Kurs. Wer hatte hier unlängst gesagt "Für Abkürzungen haben wir keine Zeit"? Wie wahr.
Einem kurzen Intermezzo auf einem Waldpfad folgten weitere ereignisarme Kilometer auf Wirtschaftswegen durch öde Anlagen für die CO2-Bindung; früher nannte man es Wald.

Technische Daten: 25,7 km in 7:20h brutto
5. November


Ich nahm schnell Reißaus und den nächsten Anstieg in Angriff. Direkt den Skihang hoch, und dann auf festen Wirtschaftswegen zum Serak (Hochschar, 1423m). Das Training der Vortage hatte schon seine Spuren hinterlassen, und so schaffte ich die 600m Höhendifferenz plus die insgesamt 8km schweißfrei in nur zwei Stunden.




Der sich wieder zuziehende Nebel gab das Startsignal für den Aufbruch. Auf dem Kamm ging es nun munter auf und ab. Merke: Der Kammweg heißt deshalb so, weil er Zinken hat. Hätte er keine, hieße er wohl Spachtelweg. Dass sich der Nebel den ganzen Tag nicht mehr auflöste, muss ich wohl nicht ausdrücklich erwähnen.



Den letzten großen Aufstieg brachte ich schnell hinter mich, wunderte mich aber, dass ich selbst um kurz vor vier immer noch fußkranke Tagestouristen überholte, bei denen die Stirnlampe bestimmt nicht zur „Marschausrüstung“ gehörte.

Im letzten Tageslicht eilte ich an der Baude „Svycarna“ vorbei. Es waren jetzt nur noch 3 km bis zum Praded (Altvater), mit 1491m der zweithöchste tschechische Berg. Auf der sich nach oben ringelnden Straße zum Gipfel bekam ich einen ersten Vorgeschmack auf die Nacht: Sturm! Permanent trieb mir der Wind Tränen in die Augen, während der Nebel die eigentlich üppige Beleuchtung des Fernsehturms mit seinem Gastronomiebereich komplett verschwinden ließ. Dankbar nahm ich zur Kenntnis, dass eine mitfühlende Seele auf den Asphaltplatz vor dem Turm mit Ölfarbe Pfeile zum Haupteingang gemalt hatte. Erst kurz vor der Eingangstür kamen mir Zweifel, ob es sinnvoll gewesen war, alles auf die Karte Praded zu setzen: Es war die Nacht von Samstag auf Sonntag, und da sind selbst im November noch viele Einheimische unterwegs.
Meine Sorge war unbegründet. Sowohl in den Schlafsälen wie auch im Hotelbereich waren noch Betten frei, und für diese prominente Lage sogar recht günstig: Umgerechnet 12 Euro bzw. 26 Euro (offiziell: 34 Euro). Als bekennender opportunistischer Outdoorer wählte ich die Bequemversion, denn ich weiß, dass ich andernfalls spätestens um 6 Uhr morgens von frühaufstehenden Tschechen oder Bewohnern des Dresdner Südens geweckt worden wäre.
In der Nacht zeichnete sich ein leichter Wetterwechsel ab. Die Wolkenunterdecke stieg über das Hotel hoch und man konnte in der Ferne die Lichter von Jesenik erkennen.
Technische Daten: 27,7 km in 7:50h brutto
6. November

Die ersten Kilometer waren trivial, ich musste immer nur dem rot markierten E3 folgen. Nach dem Nebel der letzten beiden Tage tat es ganz gut, jetzt wieder unter blauem Himmel laufen zu können. Die Hütte Ovcarna werde ich übrigens Chrischians Frau empfehlen, wenn er weiterhin so frech ist: Das Frühstücksbüffet öffnet dort erst um 10:30. Da ist dann Schluss mit der Sklaventreiberei.




Um meinen Schweinehund nicht wieder in Verführung zu bringen, verließ ich an der Alfredka den E3 - der bald über mehrere Kilometer durch Rymarov/Römerstadt geführt hätte - und folgte stattdessen dem "grünen" Weg Richtung Zdarsky Potok. Dortselbst konsultierte ich den "Motorest" an der Hauptstraße. Das hört sich schlimmer an als war: Eigentlich war es ein ganz netter Landgasthof "in verkehrsgünstiger Lage", um es in Maklersprech zu formulieren.


Langsam wurde es Zeit, nach einem Plätzchen für die Nacht Ausschau zu halten. Auf den Feldern oder an ihren Rändern kam wegen der vielen Hochsitze nicht in Frage. Die Karte zeigte aber auch viele kleine Wäldchen. Wald #1 erwies sich aber als Laubwald mit endlosem Gestrüpp. Wald #2 war auf einer Abraumhalde des frühneuzeitlichen Silberbergbaus entstanden und entsprechend steinig. Wald #3 war zu Hälfte Schonung und im restlichen Bereich so dürr, dass er als weder als Sichtschutz noch als Kugelfang taugte. Allzuweit wollte ich mich aber auch nicht von meiner Ideallinie entfernen, denn das Tagesziel am nächsten Tag war ziemlich ambitioniert. Ich hatte ein Problem. Ich lief zunächst einmal weiter. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als ich das Dorf Skaly erreichte. Doch was war das? Die von mir als Wintersportpension abqualifizierte "Argema" (so die Karte - in Wirklichkeit "Argenta") war erleuchtet? Ich tappte näher. "Geöffnet" stand an der Tür, und es war auch die typische Geräuschkulisse einer "böhmischen Trinkhalle" zu vernehmen, selbst wenn es hier eher eine "mährische Trinkhalle" war. Der Gastraum bestätigte meine Erwartung: "Ich trinke Bier nur wegen des Geschmacks", sagte eine der dort sitzenden Gestalten, bevor sie sich einen Sliwowitz einwarf. Ja, Mähren ist schon ziemlich weit im Osten.
Auch die Antiraucherpolitik der EU-Kommission hatte dieses Haus noch nicht erreicht. Aber ich wollte ja nicht im Gastraum übernachten. Durch dichten Qualm arbeitete ich mich zum Tresen vor. Die Wirtin hatte ganz offensichtlich nicht mit meinem Kommen gerechnet, bot mir aber eine Übernachtung für umgerechnet 8 Euro an. Sie bräuchte aber noch "einige Minuten", um das Zimmer herzurichten. Meine Erwartung, dass "einige Minuten" die landesübliche Umschreibung für eine Dreiviertelstunde ist, wurde nicht enttäuscht. Dann konnte ich mich in einem im spätsozialistischen Stil holzvertäfelten Zimmer niederlassen.
Technische Daten: 27,3km in 7:20h brutto
7. November
Der letzte Wandertag war angebrochen. Da ich diesmal nicht durch ein Frühstück aufgehalten wurde, gelang mir der Abmarsch um 7:45. 30 Minuten später tauchte ich in den nächsten Wald ein. Anders, als die dicht gefächerten Höhenlinien der Karte vermuten ließen, hätte es dort einige Stellplätze gegeben! Aber die Frage ist, ob sie im Dunkeln gefunden hätte. Lebhaft erinnere ich mich darüber hinaus an eine Nacht im Isergebirge, als ich zwar von "meinem" Weg aus unsichtbar stand, aber den undokumentierten Forstweg in meinem Rücken nicht gesehen hatte.



1880: 502 Ew. in 66 Häusern
1930: 405/90
1950: 234/65
2005: 54/50





Technische Daten: 38,2 km in 10:05h

Narodni Dum ("Nationalhaus")
Cerny Orel ("Schwarzer Adler")
Das Rathaus mit neumodischem Anbau


Schließlich fand ich Altstadtnähe ich eine schnuckelige Pension, deren Preis allerdings auch den ausgedehnten Räumlichkeiten angemessen war.

8. November
Hier sollte eine GPX-Karte erscheinen! Wenn diese nicht nach wenigen Sekunden nachgeladen wird bitte die Seite aktualisieren.
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