Tourentyp | |
Lat | |
Lon | |
Mitreisende | |
In den Bergen von Siebenbürgen
24. September
"Budapest scheint eine herrliche Stadt zu sein, soweit ich aus dem Waggon und in der kurzen Zeit, die mir zu einem Spaziergang zur Verfügung stand, beurteilen konnte. Ich fürchtete nämlich, mich allzuweit vom Bahnhofe zu entfernen, da wir so spät angekommen waren und jedenfalls so pünktlich wie möglich als möglich abfahren würden." (Bram Stoker, Dracula)
Das scheint sich seit dem 19. Jahrhundert nicht geändert zu haben. Auch uns blieben nur rund zwei Stunden Zeit. Wir stolperten nach mäßig durchschlafener Fahrt im Nachtzug von Berlin aus dem Bahnhof Budapest-Keleti gerade einmal bis zu einer Bank vor dem Seitenflügel. Dort ließen wir uns nieder und die Sonne auf uns einwirken, während die örtlichen Alkoholiker auf der Nachbarbank die Weltlage erörterten und Busse des Premiumherstellers "Ikarus" - aus gutem Grund nicht "Dädalus"! - ihre Fahrgäste auswechselten.
"Guck mal, der hat gar kein Nummernschild", stellte ich fest. Frau November reagierte gewohnt gelassen. "Der kann ja auch nicht abhauen", sagte sie. 
Ungarn und Rumänien sind zwar kleine Länder, aber dank maroder Schienennetze zog sich die Fahrt ganz gut in die Länge - fast sieben Stunden brauchte der Zug von Budapest bis Cluj/Klausenburg. Der einzige Trost war, dass die Autos auf der teilweise parallelen Fernstraße auch nicht schneller vorwärtskamen.
In Cluj hatten wir uns schon zwei Bettchen im "Retro Hostel" für 47 Lei (rund 12 Euro) organisiert. Das klappte reibungslos. Als schwieriger erwies es sich, ein "einheimisches" Restaurant zu finden. Pizzerias und Biertränken gab es jede Menge, aber einheimische Küche? Schließlich fanden wir mit Hilfe unserer Reiseführer ein Restaurant in der Altstadt. Dessen Wirt ließ aber keinen Zweifel, dass wir uns eigentlich in der ur-ungarischen Stadt Koloszvar aufhielten.

- Da haben wir den Kabelsalat
- Romulus und Remulade sollen an die römische Vergangenheit erinnern - und damit die Berechtigung des rumänischen Anspruchs auf die Stadt untermauern
- Die Fußgängerzone
- Denkmal für den ungarischen König Matthias Corvinus, den die Rumänen als einen der Ihren reklamieren
- Das Geburtshaus von Matthias Corvinus


25. September
"Oh, sind die süüüüß!" Der Nachbar des Retro Hostel ließ am nächsten Morgen seinen Jungdackeln freien Auslauf. Ohne ein entschiedenes "Nein" meinerseits wären wir wahrscheinlich noch vor Antritt der Tour Hundehalter geworden.
Mit der Methode "Jetzt gugeln wir mal ganz dumm" hatte ich schon von Deutschland aus den Busfahrplan von Klausenburg zu unserem Startpunkt Gilau in Erfahrung gebracht. Die Abfahrt um 7:30 Uhr - mit Zeitverschiebung gefühlte 6:30 Uhr - kam an einem Sonntagmorgen nicht in Frage. Blieb also der Bus um 12:00. Wir fanden den richtigen Busbahnhof, wir fanden auch ein Informationsbüdchen der Busfirma - doch damit endete unser Glück. Dem Wortschwall der Dame war nur zu entnehmen, dass der genaue Abfahrtsplatz irgendwas mit "bariera" zu tun haben musste. Keine sonderliche präzise Hilfestellung in einem Busbahnhof, der rundum von Zäunen und Schranken umgeben ist.
Schließlich entdeckte ich auf eine Nebenstraße seitlich einen abgestellten Bus, dessen Zielschild passte. Wir ließen ihn nicht aus den Augen - und in der Tat, nach einigen Minuten kam ein Fahrer, der uns bedeutete, noch einige Minuten zu warten. Nach ausführlicher Verabschiedung von seiner Familie begann er, sich der bevorstehenden Fahrt zu widmen. Passend zum Alter des Busses legte er eine Kassette mit Hits der 80er Jahre ein. "Life is life" und ähnliche Weisheiten der Popkultur füllten bald den stickigen Luftraum im Fahrzeuginneren. Und schließlich erfuhren wir auch, wo der Abfahrtsplatz mit "barriera" ist: Nämlich draußen vor der Einfahrtschranke zum Busbahnhof. 
Gleich nach dem Aussteigen in Gilau machten wir unsere erste Erfahrung mit der Präzision der aus Ungarn stammenden Wanderkarten von Dimap-Erfatur. Statt auf der Straße Richtung Gilau-Stausee landeten wir in der parallen Sackgasse einer "erst" 20 Jahre alten "neuen" Siedlung. In die Karten ist zwar ein Koordinatengitter eingedruckt, zu dem am besten das GPS-Kartendatum "Austrian Grid" passt. Allerdings sind die Wege teilweise so ungenau eingezeichnet, dass sie schon mal 200-400 Meter neben der "richtigen"Position liegen. Dass die Karten noch weitere Tücken haben, konnten wir einige Tage später feststellen.


Durch die Mittagshitze von deutlich über 20 Grad liefen wir auf der Straße Richtung Somesu Rece, wo wir dann endlich in die "Wildnis" abbogen. Unser Ziel war es, möglichst schnell Höhe zu gewinnen, um der Hitze zu entkommen. Dummerweise verlief der Weg durch baumloses Gelände. Nach einer halben Stunde hatten wir unsere erste Begegnung mit rumänischen Hirtenhunden. Kaum hatte ich die Schafsherde am Hang unter uns entdeckt, stürmten auch schon zwei Kläffkes undefinierbarer Abstammung auf uns zu. Die Hand fest um die Pfefferspray-Dose in meiner Hosentasche redete ich in tiefer Tonlage auf die Hunde ein. Das schien sie immerhin so zu beeindrucken, dass sie sich uns nicht näher als zehn Meter näherten und nach etwa zwei Minuten das Interesse an uns verloren.


Schnell erreichten wir das Ende des Tages. Laut Karte waren wir von Siedlungen umgeben, aber zu sehen war davon kaum etwas. Nur Hundegebell, Kreischsägen und gelegentliche Rufe von Personen im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit ließen keinen Zweifel daran, dass sich am Hang unter uns hinter dem Gebüsch Häuser befanden. Dementsprechend suchten wir einen halbwegs versteckten Zeltplatz, wurden aber nicht wirklich fündig. Schließlich ließen wir uns auf einer offenbar nicht genutzten Wiese in Sichtweite des Wirtschaftsweges und des Klosters La Enoi nieder.
Natürlich kam am nächsten Morgen ein Bauer mit seinem Pferdefuhrwerk direkt an uns vorbei, er tat aber zumindest so, als ob er uns nicht sehen würde. Und wir taten so, als ob es das normalste von der Welt ist, dass reiche Westeuropäer auf der Weide zelten.
Technische Daten: 15,6 km in 5h 55' brutto
26. September

Unser Weg führte uns zunächst zum Kloster. Es entpuppte sich als unvollendete Baustelle. Noch lebten die Mönche in einem Bauernhaus um die Ecke. Aber vor dem Kloster gab es einen öffentlichen Wasserhahn, den wir unter den Augen eines staunenden Pferdes ausgiebig nutzten. Die Karte verriet, dass wir auf der heutigen Tagesetappe voraussichtlich keiner weiteren Wasserquelle über den Weg laufen würden. So luden wir dreieinhalb Liter pro Person auf. Damit würden wir zumindest bis zum nächsten Morgen hinkommen. 
Weiter ging es auf dem Kammweg, der auch hier ein Fahrweg mit stark wechselnder Qualität war. Allerhand possierliche Tierchen ließen sich sehen:

- Yvonne, die Waldkuh
- Ein Alien
- Können Heuschrecken eigentlich kuscheln?
Zwei Kühe genießen die Aussicht auf die Almen.
Manchmal gab es einen Blick auf die Hügel der Umgebung, aber ansonsten war dieser Tag eher ereignisarm. So hatte Frau November Zeit für botanische Forschungen: Die ganze Zeit waren uns nämlich rosa Blümchen auf den Wiesen aufgefallen, die ein bisschen wie Krokusse? Krokeen? aussahen. Schließlich überwand sie sich und erkundete, ob diese Blumen die für Krokusse typischen Zwiebeln hatten. Hatten sie nicht. Unsere Wissenslücke wurde erst wieder in Deutschland gefüllt: Es handelt sich um Herbstzeitlose. Eine im übrigen ziemlich giftige Pflanze.

- Eine etwas ungeschickt platzierte Holzkirche.
- Es wird Abend, und die Pferde machen sich auf dem Heimweg aus dem Büro.
- Sägewerk in den Bergen
Am Abend stellten wir schwindende Wasservorräte fest. Gemäß dem tradierten Rollenbild – "Männer fragen nie nach dem Weg, und nach Wasser erst recht nicht!" – übernahm Frau November die Kommunikation mit den Eingeborenen. In der letzten Siedlung vor Sonnenuntergang steuerte sie zielstrebig eine Großmutter an, die in ihrem Garten hockte und mit der einen Hand telefonierte, während sie mit der anderen Hand das Enkelkind im Sandkasten anleitete. Mit größter Selbstverständlichkeit bot sie uns sofort "apa buna" an, worin der Lateiner natürlich sofort "aqua bona" erkennt. Wir tankten wieder auf Vorrat. Und als Frau November der Großmutter und der Kleinen noch ihr Bild auf dem Kameradisplay zeigen konnte, waren die edlen Spender augenscheinlich ebenso erfreut wie wir.
Nun wurde es aber Zeit, einen Lagerplatz zu suchen. Die erste Lichtung, die uns die Karte versprach, war von einem mobilen Sägewerk belegt: Da die Einwohner einen Teil des geschlagenen Holzes gleich in den Bergen verbrauchen, werden die Stämme auf selbstgeschweißten Konstruktionen mit einem Gleitschlitten und einer Kreissäge zerlegt.
Eine Lichtung weiter fanden wir zwar eine geeignete Wiese, aber auch weidende Kühe. Weiterzulaufen hätte jedoch keinen Sinn gehabt. Also schlugen wir unseren Kikeriki-"Hühnerstall" dort auf und ich baute aus Ästen provisorische Schutzgerüste für die Abspannleinen. Die Mühe hätte ich mir aber sparen können, denn die Kühe marschierten kurz nach Sonnenuntergang unaufgefordert in Richtung Dorf - und kamen auch am nächsten Morgen nicht wieder. 
Technische Daten: 21,9 km in 8:25h
27. September
Ungestört von Kühen und Kreischsägen bauten wir unsere Hütte ab. Am Anfang war der Weg noch klar nachvollziehbar; Ja, wir stießen sogar auf unsere erste Wegmarkierung. Der Weg "gelbes Kreuz" war aber offenbar schon vor Jahren aufgegeben worden, denn weder aus der Karte noch aus der Natur war eine Fortsetzung der Markierung erkennbar.


Welche Spur entspricht dem "geradeaus" in der Karte?
Für uns galt es jetzt, auf den nächsten Kamm zu wechseln. Man hätte natürlich stumpf den Fahrwegen folgen können, doch weil sie einen an sich unnötigen Haken zu dem als Sperrgebiet ausgewiesenen Muntele Mare schlugen, hatten wir uns auf eine der Karte zufolge total simple Abkürzung geeinigt. Nach 100 Höhenmetern Abstieg bogen wir in einen Wald ab, wo uns angeblich ein Wirtschaftsweg zum Varful Piatro Grosilor führen sollte. Ohne langes Überlegen folgten wir dem klar ausgefahrenen Weg - nur um etwa 100 Höhenmeter später festzustellen, dass er in die völlig falsche Richtung abbog. Also bogen wir auf einen Seitenweg in die richtige Richtung ab - nur um weitere 30 Höhenmeter später vor einem frisch gerodeten Trümmerwald zu stehen. Nun, bis zu dem Kammweg, auf den wir gelangen wollten, waren es jetzt nur noch 700 Meter Entfernung. Deswegen 130 Höhenmeter aufgeben? Nein. Um es kurz zu machen: Auch der Wildwechsel, dem wir anfangs noch folgen konnten, verlor sich bald im Unterholz, noch dazu gab es ausgerechnet hier jede Menge Wasser in Form von schwammigem Jungmoor.
Während ich vorausstapfte und die Abkürzung verfluchte, hörte ich plötzlich hinter mir einen Schrei. Was war denn jetzt schon wieder los? War Frau November bis zu den Knien ins schwammige Moos eingesunken? Hatte sie einen Bären gesichtet? Nein. Es war noch viel dramatischer. "Hier ist alles voller Blaubeeren!!" Ich kam näher. "Das hättest Du nicht zu sagen brauchen“, sagte ich und und blickte auf ihr innovatives Make-up. „Das sehe ich.“
Nach 20 Minuten technischer Pause für die Blaubeerbergung konnten wir weitergehen. Durch eine von Wildschweinen verwüstete Wiese erreichten wir schließlich wieder den gesuchten Kammweg. Dort trafen wir auch die Einmündung des Weges an, den wir ursprünglich hatten nehmen wollen. So stark befahren, wie es die Karte suggerierte, sah er nicht aus. Eher nach einem Gelegenheitsweg.
Unterhalb vom Muntele Mare fiel uns ein, dass wir mal wieder tanken sollten. Zum Glück trafen hier drei Bäche zusammen. Wir nahmen sicherheitshalber nicht den Bach, der von der Radarstation auf dem Gipfel herunterkam.
Durch Latschenwacholder - anders kann man diese Vegetation nicht bezeichnen - ging es wieder weiter in Richtung Süden. Alibotuschs Brüder im Geiste hatten dort ganze Arbeit geleistet: Dort, wo der Wegeverlauf aufgrund fehlender Alternativen gänzlich unmissverständlich war, waren die Wegmarkierungen im 50- bis 100-Meter-Abstand zu finden. Aber wehe, es gab einen Abzweig: Das hat die Wegmarkierer offenbar immer so verunsichert, dass die nächste Markierung erst 200 Meter weiter zu finden war. Und anders als bei unseren tschechischen Freunden gab es auch keine Markierung in Gegenrichtung, die Rückschlüsse zuließ. Um den sorgfältigen Umgang mit der Karte kommt man nicht herum.
Und nach der Karte wollten wir unterhalb des Sesu Lupselui unseren Hühnerstall aufschlagen. Ein baumlose Wiese wurde uns verhießen, aber einen rumpelige Brachfläche fanden wir vor. Das war jetzt ziemlich blöd, denn rund um uns ging es nur steil bergab. Es rettete uns das bewährte Motto "Nicht die Wege verlassen!" Wir fanden wir einen offenbar seit Monaten nicht mehr genutzten Fahrweg, der einige ebene Stellen aufwies. Allerdings hatten wir erfolgreich verdrängt, dass nur 100 Meter parallel davon ein aktiver Weg verlief. Und natürlich kam dort pünktlich zum Abendessen auch noch der Jäger mit seinem Geländewagen vorbei. Aber die Irritation auf unserer Seite war offenbar größer als auf seiner Seite, denn er nahm keine Notiz von uns.
Technische Daten: 20,0 km in 7:35h
28. September
Am Morgen ging es höhenmetermäßig bergab und mit den Temperaturen noch einmal bergauf. Wir kehrten zu der Stelle zurück, wo der rote Weg den Abstieg begann. Noch in Rufweite unseres Lagerplatzes stießen wir auf die Gedenkstätte „La Morminte“. Wem dort gedacht wird, fanden wir nicht wirklich heraus – es könnten irgendwelche rumänischen Nationalhelden aus dem Nachmärz gewesen sein. Das Rumänische hat sich vom Großen Latinum doch schon sehr weit entfernt.


Am Waldeingang schaffte ich es, den roten Weg zu verfehlen. Zu selbstverständlich erschien es, dass wir einem aktiv genutzten Wirtschaftsweg folgen müssten. Der driftete jedoch - bei aller Toleranz gegenüber der Karte - zu weit nach Westen ab, wie mir mein elektronischer Zauberkasten nach dem Verlust der ersten 100 Höhenmeter verriet. Aber zurück bergauf? Bloß nicht. Bei nächstbester Gelegenheit bogen wir auf einen ebenfalls undokumentierten Wirtschaftsweg entlang der Höhenlinien Richtung Osten ab und stießen fast punktgenau auf den kleinen Sattel bei „La ruine“ und damit auch wieder den roten Weg.
Von der Ruine war nichts mehr zu sehen, dafür von der Landschaft, denn jetzt ging es wieder durch offenes Gelände. Hier konnte uns erst einmal nichts mehr passieren, denn obwohl die Wege in der Karte nur wenig mit der Lage der Wege im Gelände zu tun hatten, mussten wir einfach nur dem Kamm folgen.
Die Grashüpfer machten hier ihrem Namen alle Ehre. Bei jedem Schritt sprangen Dutzende empor und machten uns den Weg frei. Besonders interessant fand ich eine schwarze Art, die nur beim Fliegen ihre roten Flügel sehen ließ. Leider war ausgerechnet diese Art auch besonders fotoscheu.

Als wir den ersten Blick auf das Aries-Tal erhaschen konnten, verließen wir die detaillierte Wanderkarte – ein Anschlussblatt gibt es nicht. Jetzt waren wir nur noch auf eine Übersichtskarte 1:200.000 angewiesen. Zum Glück war unser angestrebter Weg weiterhin annähernd mit dem deckungsgleich mit dem Kamm.

Die letzten 500 Höhenmeter Abstieg waren Folter pur. "Der Rumäne an sich" hält den Wegebau in Form von Serpentinen für überflüssigen Aufwand. Der Weg verlief also im freien Fall und gerader Linie bergab. Trotz aller Schnürkünste senkten und spreizten sich meine Zehen ungut in den Vorderschuh. Von den Konsequenzen wird noch zu berichten sein.
Mit zitternden Knien erreichten wir Valea Lupsii und fielen ausgehungert über das erstbeste Magazin Mixt her. „Cola!“ (Herr Pfad-Finder) „Weintrauben!“ (Frau November)
Während wir vor dem Laden hockten, näherte sich aus einem toten Winkel ein Geräusch von Metall auf Stein, das Klimpern von Ketten und schließlich ein langgezogenes menschliches "Eyyyyyy!!". Mit einem letzten Ruck kam das Ochsengespann vor dem Laden zu stehen. Vor uns stand ein Leiterwagen, wie wir ihn bisher nur aus dem Museum kannten: Holzspeichenräder, beschlagen mit eisernen Laufflächen, ein Schultergeschirr aus Vollholz. In den folgenden Tagen konnten wir diese retrorumänischen Fahrzeuge noch häufiger in Aktion bestaunen. Und egal, ob es bergab oder bergauf ging: Ein anfeuerndes "Eyyyyyy!" des Wagenführers gehörte untrennbar dazu.
Aber dieses Ereignis entband uns leider nicht von der Notwendigkeit, uns über die Fortsetzung der Tour klarzuwerden. Ziel war es, bis Ende der Woche die Cabana (Berghütte) beim Kloster Rimet zu erreichen. Aber die hochsommerliche Temperatur hier im Aries-Tal lud überhaupt nicht mehr dazu ein, an diesem Tag noch einen Schritt weiter als nötig zu tun. Schon gar nicht bergauf. Übernachten mit Dusche in Baia de Aries?

Wir beugten uns über die Karten, erwogen das Für und Wider, denn Mogos war unser nächster nächster Fixpunkt. Doch wie kommen wir mit dem geringsten Umweg nach Mogos? Und gibt es nicht vielleicht eine Möglichkeit, ohne zuviel Bergaufbergab Mogos zu umgehen? Irgendwann konnte auch den um uns herum dösenden Dorfalkoholikern nicht mehr entgehen, dass wir nach Mogos wollten. Mit wilden Gesten und präzisen Wegbeschreibungen in destillatgeschwängertem Rumänisch versuchten sie uns zu helfen. Nun: Es war ja nicht so, dass wir nicht wussten, wie wir nach Mogos kommen - wir wollten nur nicht in der Hitze laufen! In die wilde Konversation stieß ein jüngerer Mann, der gerade seinen Dacia mit Maismehl belud. "Drvmo snbuvmtnbhk cunzga Mogos?" fragte er die Runde und blickte auf uns. "Cmiugsvrnsmi vuanrjgvhnfuk vnf vuzh Mogos!" antworte man ihm. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. "Dfcnmf shvndf vhfxvngbhn Mogos. Ghhvnu fcnzai cnrbzg." Dem nachfolgenden Palaver entnahm ich, dass er uns ein Stück in Richtung Mogos mitnehmen könnte. Wir sollten schon mal unsere Rucksäcke einladen und uns ins Auto setzen. Nachdem wir den Kofferraumdeckel mit einem laut UL-Philosophie völlig unnötigen Reserveschnürsenkel aus der Ramschecke meines Deckelfachs festgezurrt hatte, ging die Fahrt los.
Instinktiv wollte ich den Gurt anlegen, aber mir wurde bedeutet, dass sich nur Weicheier anschnallen. Nach 300 Metern hielten wir wieder. Sohn und Tochter stiegen ein, auf den Dachgepäckträger kam noch ein desolates Klapprad. Dann ging es in rasender Fahrt mit 20 km/h auf der Schotterstraße in Richtung Mogos. Nach deutschen Maßstäben war es ein Wirtschaftsweg. Unterdessen bekamen wir eine perfekte Vorführung der Multitaskingfähigkeit rumänischer Autofahrer: Etwas irritierend fand ich, dass sich unser Fahrer sofort nach dem Verlassen der Hauptstraße ein Bier aufgemacht hatte. Und es war nicht für die Mitreisenden! Aber das Bier hatte nach dem ersten Schluck zwischen den Oberschenkeln zu warten. Erst musste nämlich noch eine Zigarette angezündet werden. Als unser Fahrer damit fertig war, klingelte das Handy. Also das Bier wieder zwischen den Beinen festgeklemmt und den Anruf angenommen. Leider wurde jetzt gerade der Empfang schlechter. Also mit der anderen Hand das Radio etwas leiser gedreht.
Wo er dann noch die dritte Hand herzauberte, mit der er eine neue Volksmusikkassette einschob, kann ich mir bis heute nicht erklären.
Sechseinhalb Kilometer später war unsere Fahrt beendet, und wir hielten vor dem Haus der Familie. Nun war es wieder an Frau November, nach Wasser zu fragen. Kein Problem, apa buna gab es auf dem Hof. Es war allerdings ein Schock für uns, in welch ärmlichen Verhältnissen diese Familie lebte. Das war nicht postsozialistische Zweite Welt, das war Dritte Welt. Allerhand bellende und flatternde Haustiere liefen munter durch die Küche, die sich in einer offenen Baracke befand. Alles sah irgendwie verfallen und bestenfalls notdürftig repariert aus. Aber selbst ein kleines Dankeschön lehnte unser Fahrer ab.
Wir machten uns auf den Weg und folgten weiter der Straße nach Mogos. Zum Glück lag sie hier in einem Tal zwischen steilen Felswänden, so dass die Temperaturen ganz erträglich waren. Auch die nächsten Siedlungen machten einen extrem ärmlichen Eindruck. Die Zusammenrottungen von Straßenkötern waren allerdings harmlos. Entweder hielten sie respektvoll Abstand, oder sie zogen sich schon beim ersten energischen Ausfallschritt zurück.

Keine große Hilfe war die Dimap-Erfatur-Landkarte. Wir befanden uns immer noch im 1:200.000er Land. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn die "Hauptstraße" von Vinta Richtung Mogos eingezeichnet gewesen wäre. Dann hätten wir nämlich gewusst, dass wir auf einen Abzweig in Richtung Osten hätten achten müssen. So fiel mir der Fehler erst zwei Kilometer und 150 Höhenmeter zu spät auf, als ich zufällig wieder einmal auf das Display meines Zauberkastens blickte. Wir bogen bei der erstbesten Gelegenheit auf einen Feldweg Richtung Osten ab, der sich aber bald auf einer Wiese verlor.
Ebenso verlor sich das Tageslicht, und so bauten wir den Hühnerstall auf der Wiese auf. Dass in etwa eineinhalb Kilometer Entfernung am anderen Hang eine bewohnte Schäferhütte stand, nahmen wir zur Kenntnis, aber nicht ernst.
Technische Daten: 21,1 km gelaufene Strecke in 9:10h
Inzwischen war es dunkel geworden, wir hatten gegessen und wollten uns eigentlich zur Ruhe legen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass das Gebell der Hunde von der Schäferhütte näher kam. Nicht schnell, aber doch bemerkbar. Es waren mindestens zwei Hunde. Ich steckte meinen Kopf hinaus in die Vorhalle unserer Silnylon-Kathedrale, um besser hören zu können. Natürlich hatten wir den Hühnerstall so herum aufgebaut, dass sowohl die große Seitentür wie auch die Fronttür in die falsche Richtung zeigten. Abgesehen von der Dunkelheit war ich also auch noch technisch bedingt blind. So was blödes. Notiz an mich selber: Nächstes Mal kommt ein Periskop mit.
Aber es gab keinen Zweifel: Die Hunde kamen langsam näher und bellten uns in definitiv unfreundlicher Tonlage an. Ich kramte mein Pfefferspray hervor, Frau November folgte meinen Beispiel. Das Moskitonetz halb geöffnet, knieten wir mit gezückten Pfefferspray-Dosen dahinter und warteten. Die Hunde kamen immer näher. Jetzt waren es geschätzt nur noch 15 oder 20 Meter. Unvermindert kläfften sie vor sich hin. Wir hockten bewegungs- und lautlos hinter unserer massiven Schutzwand aus Moskitonetz. Es war Kalter Krieg im Kleinformat: Wer als erster Schwäche zeigt, hat verloren.
Wir gewannen. Nach etwa fünf Minuten zogen die Hunde ab. Ihr Pro-Forma-Gebell beeindruckte uns nicht mehr, es verriet nur noch die Geschwindigkeit ihres Rückzugs. Aber erst nach zehn Minuten erlaubten wir uns wieder die erste Bewegung.
Nach dem Aufstehen sah alles ganz harmlos aus. 
29. September
Als wir am Morgen ins Tageslicht krochen, lag die Schäferhütte verlassen da. Schäfer und Hunde waren bereits dabei, eine Herde Schafe auf den Hügel hinter der Hütte zu scheuchen. Wir konnten also unbehelligt die Wiese queren und endlich den abgestellten Trabant näher anschauen, der uns schon am Abend aufgefallen war. Dass Autos auf dem Lande kein Nummernschild haben, ist nicht so ungewöhnlich wie die Tatsache, dass sie keine Räder haben. Noch ungewöhnlicher ist allerdings, wenn der von Rädern und Antrieb befreite Trabant auf einem Schlittengestell ruht. 

Unsere nächste Station war Mamaligani, wörtlich übersetzt wahrscheinlich "Maisbreidorf". Was für ein Kontrast zu den Siedlungen am Vortag: Die EU hatte eine Asphaltstraße spendiert, und die Auswirkungen waren offensichtlich enorm: Die Häuser waren in einem Zustand, der sich vor tschechischen Verhältnissen nicht verstecken musste, die Gärten waren entrümpelt und selbst das Magazin Mixt machte einen freundlich-zeitgemäßen Eindruck. An der Kirche gab es darüber hinaus noch einen öffentlichen Wasserhahn. Obwohl wir jetzt 400 Höhenmeter brutalen Aufstieg vor uns hatten, tankten wir voll. Die Temperaturen waren nämlich schon jenseits meines Wohlfühlbereichs, und wenn die Karte an einer Tatsache keinen Zweifel ließ, war es die Wald- und Wasserlosigkeit des vor uns liegenden Bergrückens Gura Capatana.

Oben angekommen, folgten wir dem ausgefahrenen Kammweg. Der war zwar nicht der kürzeste Weg nach Butesti, aber der schnellste - der laut Karte viel kürzere Weg am Hang entlang war nämlich zugewachsen.
Am Ortseingang von Butesti musste ich erst einmal einen "kleinen" chirurgischen Eingriff vornehmen. Die beim gestrigen Abstieg nach Valea Lupsii beschädigten Zehnägel ruhten inzwischen auf Blasen und drückten. Frau November legte sich etwas abseits in den Schatten und wollte nicht einmal hören, wie ich eine Erfolgsmeldung nach der anderen über den herausspritzenden Siff verkündete. Der Graf hingegen zeigte seine Zähne, dieser olle Blutsauger... 
Unangenehm war, dass Wege in der Natur wieder einmal nicht hielten, was die Karte versprach. Der Plan sah vor, in das Tal südlich von Butesti einzusteigen und dort dem Wirtschaftsweg entlang des Baches über Tomesti-Macaresti-Oncesti bis Cheia zu folgen. Der Wirtschaftsweg war jedoch wegespült worden - dem Bewuchs nach zu urteilen schon vor mehr als zehn Jahren, eher 20 Jahren. Nur ein vager Pfad, eher ein Wildwechsel, war übriggeblieben. Und auch der endete nach gut einem Kilometer an einem verstacheldrahteten massiven Zaun. Nein, hier sollte wirklich niemand durchgehen.

Nachdem ich meinen Missmut in einer Form kundgetan hatte, deren Wiedergabe mir hier eine mindestens dreimonatige Sperre einbringen würde, fügten wir uns ins Schicksal und stiegen wieder nach Butesti hoch. Wir landeten wieder auf dem Kammweg, den wir zwei Stunden zuvor verlassen hatten - und konnten nur einen Netto-Kilometer mehr auf dem Habenkonto einbuchen.
Auf einem trockenen und nur spärlich begrünten, aber dafür mit brettebenem Boden gesegneten Bergrücken schlugen wir unser Lager auf. Es war der erste Lagerplatz, wo wir am Morgen keinen Kondens im Innen- und Außenzelt hatten.
Allerdings hatten wir auch ansonsten kein Wasser. Deswegen liefen wir am Abend noch in die nächste Siedlung. Das Glück war mit uns: Wir trafen einen Rentner, der gerade seinen Gartenschlauch einrollte. Er versicherte uns zwar, dass es kein Apa buna war, aber dafür hatten wir ja das Filtergedöns mitgeschleppt.
An diesem Tag hatten wir endlich gute Sicht. Ich sah eine rumänische MiG-21. Frau November konnte meine Begeisterung über dieses historische Luftfahrzeug wieder einmal nicht teilen. Ich würde es den Herren Mikojan und Gurewitsch nicht verdenken, wenn sie diese Ablehnung ihrer Konstruktionskünste allmählich persönlich nehmen. 
Technische Daten: 18,6 km in 9:15h
30. September

Morgens wurden wir von zwei "Eyyyyy!"-Gespannen geweckt, die sich auf dem Kamm hochkämpften. Am Abend vorher hatten wir uns den Plan B gebastelt, denn der Weg nach Cheia schien nicht mehr machbar. Statt durch die Schlucht Cheile Rametului zu gehen, wollten wir uns jetzt über Geogel, Ober-Ponor, Bradesti und Valea Uzei nach Ramet vorkämpfen. Auch wenn das deutlich mehr Kilometer und Höhenmeter bedeutete.
Geogel war wieder ein schon von der Neuzeit berührter Ort. Davon zeugte eine liebevoll restaurierte Kirche und ein freundlicher Laden mit Postamt.


- Die Kirche
- Ein Foltergestell unklarer Bestimmung
Während wir vor dem Laden eine kleine Futterpause einlegten, fanden sich wie üblich herrenlose Hunde ein, um die Fremden anzubetteln. Ganz gegen meine Art ließ ich mich erweichen und warf zwei Hunden jeweils einen Keks zu. Und dann nochmal zwei Kekse.
Als wir aufbrachen, bekamen wir die Quittung. Der größere der beiden Hunde, eine durchaus gepflegte Erscheinung, folgte uns. Auch am Ortsschild blieb er nicht zurück. Meine Aufforderung, ins Dorf zurückzukehren, verstand er offenbar nicht. Ich erteilte Frau November strenge Weisung, ihn ab sofort zu ignorieren und ihm nicht in die Augen zu schauen. Das ist recht schwierig, wenn so ein Hund fünf Meter vorausläuft und regelmäßig guckt, ob wir noch da sind. Wir erreichten den Wald. Plötzlich verschwand er nach rechts ins Unterholz. Richtung Dorf. Na endlich, dachte ich. Aber weit gefehlt. 300 Meter weiter kroch er wieder aus dem Wald heraus und wartete auf uns.
Dieses Spiel wiederholte sich noch ein paar Mal. Unser Versuch, ihn durch hohes Tempo abzuhängen oder den Spaß zu verderben, schlug fehl. Resultat war nur, dass wir die sechs Kilometer bis Ober-Ponor in Rekordzeit bewältigten. Erst am Ortseingang wurde er von den Ponorer Hunden zurückgebellt. Uff.
Ein hier nicht mehr aktiver User hatte mal berichtet, dass er sich auf seinen Wanderungen durch Rumänien auch gelegentlich Begleithunde - zum Beispiel als Bärenalarmanlage- angefüttert hat. "Unser" Hund wäre da ganz sicher ein heißer Kandidat gewesen. Frau November ist mir heute noch ein bisschen böse, dass wir "unseren Gutsten" so schnöde im Stich gelassen haben...
In Ponor fanden wir eine Art Biergarten, von der aber nur der Trinkhallen-Teil in Betrieb war. Vielleicht, weil da der teure Zigarettenqualm nicht so schnell verloren geht? Wir machten auf der schattigen Terasse Mittagspause.
Durch eine bereits herbstlich angefärbte Landschaft ging es weiter nach Bradesti auf dem Sattel zwischen Valea Poieni und dem Tal nach Cheia. In Bradesti gab es einen Laden, der wenig einladend aussah. Frau November versuchte ihr Glück, konnte aber nur den ersten Eindruck bestätigen: Der Ceausescu-Retro-Stil außen spiegelte sich auch im Warenangebot drinnen wieder.
Wir eilten weiter in Richtung Ramet. Die Highlights waren ein Kriegerdenkmal und ein Haltestellenhäuschen, das mit einem Querbalken auf Hüfthöhe gegen den Missbrauch als Wetterschutzeinrichtung für Kühe geschützt war.


- Bradesti
- Kriegerdenkmal
- Bushaltestellenhäuschen
Am späten Nachmittag erreichten wir endlich den Sattel zwischen Valea Inzelului und Valea Uzei. Da sollen wir runter? Na gut. Ohne Probleme fanden wir den Einstieg in den frisch rot markierten Pfad bergab.


50 Höhenmeter bergab dann das erste Problem: Der Weg teilte sich, aber wie üblich - keine Markierung. Der bessere Weg führte nach rechts, endete jedoch 50 Meter später auf einer ziemlich privat anmutenden Wiese. Beim zweiten Anlauf entdeckte ich an der Gabelung eine alte, kaum noch erkennbare Markierung, die eher nach links wies. 20 Meter war dann zwar noch zu erkennen, dass dort ein Weg gewesen sein könnte, aber heute nur noch Gebüsch steht. Also zurück zur Markierung, ein weiterer Deutungsversuch. Vielleicht dem Kuhpfad folgend noch vor dem Gebüsch abbbiegen? Auch nix. Dichtes Unterholz. Ich rief Frau November zu, dass es hier nicht weitergeht und sie schon mal wieder nach oben losstapfen sollte. Ich stapfte ebenfalls los und schüttelte den Kopf. So was Bescheuertes!
Während ich meinen Kopf so vor mich hinschüttelte, blitzte im Augenwinkel plötzlich etwas Rot-Weißes oberhalb von mir auf. Halthalthalt, was war das? Ich schlich dezimeterweise rückwärts. Oooh ha! Eine kaum fünf Zentimeter dicke Birke mit frischer rot-weißer Markierung am Waldrand über mir! "Frau November, anhalten!" Es stellte sich heraus, das der "Weg" - Fußspuren waren nicht zu entdecken - über eine mit E-Zaun gesicherte Weide führte.
Selbst die Rindviecher wussten, wo der Weg verläuft. Nur wir nicht.
Jetzt war die Markierung wieder eindeutig, und langsam mehrten sich die Merkmale eines tatsächlich benutzten Pfades. Noch einmal kamen wir kurz aus dem Tritt, als sich der Wegmarkierung wieder einmal an einer Gabelung verlor. Aber ein Openstreetmap-Kartograf, der sich von unten zumindest bis zur halben Höhe hochgearbeitet hatte, half uns aus der Patsche. Seine Eintragung gab uns eine verlässliche Auffanglinie.
Mit zitternden Knien erreichten wir nach 500 Höhenmetern den Talboden. Jetzt schnell zur Cabana.
Technische Daten: 23,2 km in 8:35h
Oh Schreck: Alles dunkel. Keine fremden Autos auf dem Parkplatz. Überall Baumaterial. Aber die Tür stand offen. Im Halbdunkel die vergitterte Rezeption. Und eine Tischklingel. Palimpalim!
Eine junge Frau schlich um die Ecke. 2 Personen, ok. 40 Lei, ok. Schon hatten wir den Schlüssel zum vermutlich einzigen fertigrenovierten Zimmer. Nach Entkeimung im noch nicht sanierten Sanitärbereich machten wir uns vom Gepäck befreit auf den Weg zum Kloster Rimet. Es war kurz vor sieben Uhr, beste Zeit für ein opulentes Abendessen. Doch Vorfreude war die letzte Freude. Keine Klostergaststätte, nicht einmal eine seriöse Kneipe. Nur ein still vor sich hinliegendes Kloster. Hungrig schlichen wir zur Cabana zurück und besorgten uns Nahrungsergänzungsmittel an der Rezeption. Das Corned Beef stellte sich als fast ungenießbar heraus, Frau November hatte mit ihren Waffeln deutlich mehr Glück. Auf der Terasse vor unserem Zimmer kochten wir uns das Abendessen.
1. Oktober
Halbwegs erholt machten wir uns daran, die am Vortag ausgelassene Schlucht Cheile Rametului zu erschließen. Wir liefen also bachaufwärts, erst durch eine Ferienhaussiedlung, dann durch die immer enger werdende Schlucht. Ist doch easy, dachte ich mir - bis wir vor einem rundgespülten Schlund aus Stein standen, in dem unabsehbar Wasser stand.


Die Markierung ließ keine Zweifel, dass der Weg dort durchführte. Hydrophob wie ich bin, wurde mir schon nach den ersten drei Metern klar, dass das kein Job für mich sein würde (schon gar nicht für meine lädierten Zehen). Die hydrophile Frau November sah nach zehn Metern ein, dass es mit dem Abzippen der Hosenbeine nicht getan sein würde. Aber das bremste ihren Eifer nicht. Sie legte ihre Kleidung ab, soweit es die orthodoxe Tradition außerhalb von Kirchenmauern zuließ, und lief so durch das brusthohe Wasser. Ich selbst setzte mich auf einen Stein vor dem Schlund und genoss die Herbstsonne.
Doch was fand Frau November auf der anderen Seite des Schlundes?
24. September

Das scheint sich seit dem 19. Jahrhundert nicht geändert zu haben. Auch uns blieben nur rund zwei Stunden Zeit. Wir stolperten nach mäßig durchschlafener Fahrt im Nachtzug von Berlin aus dem Bahnhof Budapest-Keleti gerade einmal bis zu einer Bank vor dem Seitenflügel. Dort ließen wir uns nieder und die Sonne auf uns einwirken, während die örtlichen Alkoholiker auf der Nachbarbank die Weltlage erörterten und Busse des Premiumherstellers "Ikarus" - aus gutem Grund nicht "Dädalus"! - ihre Fahrgäste auswechselten.


In Cluj hatten wir uns schon zwei Bettchen im "Retro Hostel" für 47 Lei (rund 12 Euro) organisiert. Das klappte reibungslos. Als schwieriger erwies es sich, ein "einheimisches" Restaurant zu finden. Pizzerias und Biertränken gab es jede Menge, aber einheimische Küche? Schließlich fanden wir mit Hilfe unserer Reiseführer ein Restaurant in der Altstadt. Dessen Wirt ließ aber keinen Zweifel, dass wir uns eigentlich in der ur-ungarischen Stadt Koloszvar aufhielten.
- Romulus und Remulade sollen an die römische Vergangenheit erinnern - und damit die Berechtigung des rumänischen Anspruchs auf die Stadt untermauern
- Die Fußgängerzone
- Denkmal für den ungarischen König Matthias Corvinus, den die Rumänen als einen der Ihren reklamieren
- Das Geburtshaus von Matthias Corvinus

25. September

Mit der Methode "Jetzt gugeln wir mal ganz dumm" hatte ich schon von Deutschland aus den Busfahrplan von Klausenburg zu unserem Startpunkt Gilau in Erfahrung gebracht. Die Abfahrt um 7:30 Uhr - mit Zeitverschiebung gefühlte 6:30 Uhr - kam an einem Sonntagmorgen nicht in Frage. Blieb also der Bus um 12:00. Wir fanden den richtigen Busbahnhof, wir fanden auch ein Informationsbüdchen der Busfirma - doch damit endete unser Glück. Dem Wortschwall der Dame war nur zu entnehmen, dass der genaue Abfahrtsplatz irgendwas mit "bariera" zu tun haben musste. Keine sonderliche präzise Hilfestellung in einem Busbahnhof, der rundum von Zäunen und Schranken umgeben ist.

Einen genauen Anhalt für die Lage des Schlosses Dracula konnte ich jedoch nicht finden, da die Landkarten jener Zeit mit denen unserer Landesvermessung nicht zu vergleichen sind.
Gleich nach dem Aussteigen in Gilau machten wir unsere erste Erfahrung mit der Präzision der aus Ungarn stammenden Wanderkarten von Dimap-Erfatur. Statt auf der Straße Richtung Gilau-Stausee landeten wir in der parallen Sackgasse einer "erst" 20 Jahre alten "neuen" Siedlung. In die Karten ist zwar ein Koordinatengitter eingedruckt, zu dem am besten das GPS-Kartendatum "Austrian Grid" passt. Allerdings sind die Wege teilweise so ungenau eingezeichnet, dass sie schon mal 200-400 Meter neben der "richtigen"Position liegen. Dass die Karten noch weitere Tücken haben, konnten wir einige Tage später feststellen.

Durch die Mittagshitze von deutlich über 20 Grad liefen wir auf der Straße Richtung Somesu Rece, wo wir dann endlich in die "Wildnis" abbogen. Unser Ziel war es, möglichst schnell Höhe zu gewinnen, um der Hitze zu entkommen. Dummerweise verlief der Weg durch baumloses Gelände. Nach einer halben Stunde hatten wir unsere erste Begegnung mit rumänischen Hirtenhunden. Kaum hatte ich die Schafsherde am Hang unter uns entdeckt, stürmten auch schon zwei Kläffkes undefinierbarer Abstammung auf uns zu. Die Hand fest um die Pfefferspray-Dose in meiner Hosentasche redete ich in tiefer Tonlage auf die Hunde ein. Das schien sie immerhin so zu beeindrucken, dass sie sich uns nicht näher als zehn Meter näherten und nach etwa zwei Minuten das Interesse an uns verloren.


Schnell erreichten wir das Ende des Tages. Laut Karte waren wir von Siedlungen umgeben, aber zu sehen war davon kaum etwas. Nur Hundegebell, Kreischsägen und gelegentliche Rufe von Personen im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit ließen keinen Zweifel daran, dass sich am Hang unter uns hinter dem Gebüsch Häuser befanden. Dementsprechend suchten wir einen halbwegs versteckten Zeltplatz, wurden aber nicht wirklich fündig. Schließlich ließen wir uns auf einer offenbar nicht genutzten Wiese in Sichtweite des Wirtschaftsweges und des Klosters La Enoi nieder.

Natürlich kam am nächsten Morgen ein Bauer mit seinem Pferdefuhrwerk direkt an uns vorbei, er tat aber zumindest so, als ob er uns nicht sehen würde. Und wir taten so, als ob es das normalste von der Welt ist, dass reiche Westeuropäer auf der Weide zelten.
Technische Daten: 15,6 km in 5h 55' brutto
26. September


Weiter ging es auf dem Kammweg, der auch hier ein Fahrweg mit stark wechselnder Qualität war. Allerhand possierliche Tierchen ließen sich sehen:
- Ein Alien
- Können Heuschrecken eigentlich kuscheln?

Zwei Kühe genießen die Aussicht auf die Almen.
Manchmal gab es einen Blick auf die Hügel der Umgebung, aber ansonsten war dieser Tag eher ereignisarm. So hatte Frau November Zeit für botanische Forschungen: Die ganze Zeit waren uns nämlich rosa Blümchen auf den Wiesen aufgefallen, die ein bisschen wie Krokusse? Krokeen? aussahen. Schließlich überwand sie sich und erkundete, ob diese Blumen die für Krokusse typischen Zwiebeln hatten. Hatten sie nicht. Unsere Wissenslücke wurde erst wieder in Deutschland gefüllt: Es handelt sich um Herbstzeitlose. Eine im übrigen ziemlich giftige Pflanze.
- Es wird Abend, und die Pferde machen sich auf dem Heimweg aus dem Büro.
- Sägewerk in den Bergen

Am Abend stellten wir schwindende Wasservorräte fest. Gemäß dem tradierten Rollenbild – "Männer fragen nie nach dem Weg, und nach Wasser erst recht nicht!" – übernahm Frau November die Kommunikation mit den Eingeborenen. In der letzten Siedlung vor Sonnenuntergang steuerte sie zielstrebig eine Großmutter an, die in ihrem Garten hockte und mit der einen Hand telefonierte, während sie mit der anderen Hand das Enkelkind im Sandkasten anleitete. Mit größter Selbstverständlichkeit bot sie uns sofort "apa buna" an, worin der Lateiner natürlich sofort "aqua bona" erkennt. Wir tankten wieder auf Vorrat. Und als Frau November der Großmutter und der Kleinen noch ihr Bild auf dem Kameradisplay zeigen konnte, waren die edlen Spender augenscheinlich ebenso erfreut wie wir.
Nun wurde es aber Zeit, einen Lagerplatz zu suchen. Die erste Lichtung, die uns die Karte versprach, war von einem mobilen Sägewerk belegt: Da die Einwohner einen Teil des geschlagenen Holzes gleich in den Bergen verbrauchen, werden die Stämme auf selbstgeschweißten Konstruktionen mit einem Gleitschlitten und einer Kreissäge zerlegt.


Technische Daten: 21,9 km in 8:25h
27. September
Ungestört von Kühen und Kreischsägen bauten wir unsere Hütte ab. Am Anfang war der Weg noch klar nachvollziehbar; Ja, wir stießen sogar auf unsere erste Wegmarkierung. Der Weg "gelbes Kreuz" war aber offenbar schon vor Jahren aufgegeben worden, denn weder aus der Karte noch aus der Natur war eine Fortsetzung der Markierung erkennbar.

Welche Spur entspricht dem "geradeaus" in der Karte?
Für uns galt es jetzt, auf den nächsten Kamm zu wechseln. Man hätte natürlich stumpf den Fahrwegen folgen können, doch weil sie einen an sich unnötigen Haken zu dem als Sperrgebiet ausgewiesenen Muntele Mare schlugen, hatten wir uns auf eine der Karte zufolge total simple Abkürzung geeinigt. Nach 100 Höhenmetern Abstieg bogen wir in einen Wald ab, wo uns angeblich ein Wirtschaftsweg zum Varful Piatro Grosilor führen sollte. Ohne langes Überlegen folgten wir dem klar ausgefahrenen Weg - nur um etwa 100 Höhenmeter später festzustellen, dass er in die völlig falsche Richtung abbog. Also bogen wir auf einen Seitenweg in die richtige Richtung ab - nur um weitere 30 Höhenmeter später vor einem frisch gerodeten Trümmerwald zu stehen. Nun, bis zu dem Kammweg, auf den wir gelangen wollten, waren es jetzt nur noch 700 Meter Entfernung. Deswegen 130 Höhenmeter aufgeben? Nein. Um es kurz zu machen: Auch der Wildwechsel, dem wir anfangs noch folgen konnten, verlor sich bald im Unterholz, noch dazu gab es ausgerechnet hier jede Menge Wasser in Form von schwammigem Jungmoor.
Während ich vorausstapfte und die Abkürzung verfluchte, hörte ich plötzlich hinter mir einen Schrei. Was war denn jetzt schon wieder los? War Frau November bis zu den Knien ins schwammige Moos eingesunken? Hatte sie einen Bären gesichtet? Nein. Es war noch viel dramatischer. "Hier ist alles voller Blaubeeren!!" Ich kam näher. "Das hättest Du nicht zu sagen brauchen“, sagte ich und und blickte auf ihr innovatives Make-up. „Das sehe ich.“
Nach 20 Minuten technischer Pause für die Blaubeerbergung konnten wir weitergehen. Durch eine von Wildschweinen verwüstete Wiese erreichten wir schließlich wieder den gesuchten Kammweg. Dort trafen wir auch die Einmündung des Weges an, den wir ursprünglich hatten nehmen wollen. So stark befahren, wie es die Karte suggerierte, sah er nicht aus. Eher nach einem Gelegenheitsweg.

Durch Latschenwacholder - anders kann man diese Vegetation nicht bezeichnen - ging es wieder weiter in Richtung Süden. Alibotuschs Brüder im Geiste hatten dort ganze Arbeit geleistet: Dort, wo der Wegeverlauf aufgrund fehlender Alternativen gänzlich unmissverständlich war, waren die Wegmarkierungen im 50- bis 100-Meter-Abstand zu finden. Aber wehe, es gab einen Abzweig: Das hat die Wegmarkierer offenbar immer so verunsichert, dass die nächste Markierung erst 200 Meter weiter zu finden war. Und anders als bei unseren tschechischen Freunden gab es auch keine Markierung in Gegenrichtung, die Rückschlüsse zuließ. Um den sorgfältigen Umgang mit der Karte kommt man nicht herum.
Und nach der Karte wollten wir unterhalb des Sesu Lupselui unseren Hühnerstall aufschlagen. Ein baumlose Wiese wurde uns verhießen, aber einen rumpelige Brachfläche fanden wir vor. Das war jetzt ziemlich blöd, denn rund um uns ging es nur steil bergab. Es rettete uns das bewährte Motto "Nicht die Wege verlassen!" Wir fanden wir einen offenbar seit Monaten nicht mehr genutzten Fahrweg, der einige ebene Stellen aufwies. Allerdings hatten wir erfolgreich verdrängt, dass nur 100 Meter parallel davon ein aktiver Weg verlief. Und natürlich kam dort pünktlich zum Abendessen auch noch der Jäger mit seinem Geländewagen vorbei. Aber die Irritation auf unserer Seite war offenbar größer als auf seiner Seite, denn er nahm keine Notiz von uns.
Technische Daten: 20,0 km in 7:35h
28. September
Am Morgen ging es höhenmetermäßig bergab und mit den Temperaturen noch einmal bergauf. Wir kehrten zu der Stelle zurück, wo der rote Weg den Abstieg begann. Noch in Rufweite unseres Lagerplatzes stießen wir auf die Gedenkstätte „La Morminte“. Wem dort gedacht wird, fanden wir nicht wirklich heraus – es könnten irgendwelche rumänischen Nationalhelden aus dem Nachmärz gewesen sein. Das Rumänische hat sich vom Großen Latinum doch schon sehr weit entfernt.

Am Waldeingang schaffte ich es, den roten Weg zu verfehlen. Zu selbstverständlich erschien es, dass wir einem aktiv genutzten Wirtschaftsweg folgen müssten. Der driftete jedoch - bei aller Toleranz gegenüber der Karte - zu weit nach Westen ab, wie mir mein elektronischer Zauberkasten nach dem Verlust der ersten 100 Höhenmeter verriet. Aber zurück bergauf? Bloß nicht. Bei nächstbester Gelegenheit bogen wir auf einen ebenfalls undokumentierten Wirtschaftsweg entlang der Höhenlinien Richtung Osten ab und stießen fast punktgenau auf den kleinen Sattel bei „La ruine“ und damit auch wieder den roten Weg.
Von der Ruine war nichts mehr zu sehen, dafür von der Landschaft, denn jetzt ging es wieder durch offenes Gelände. Hier konnte uns erst einmal nichts mehr passieren, denn obwohl die Wege in der Karte nur wenig mit der Lage der Wege im Gelände zu tun hatten, mussten wir einfach nur dem Kamm folgen.

Die Grashüpfer machten hier ihrem Namen alle Ehre. Bei jedem Schritt sprangen Dutzende empor und machten uns den Weg frei. Besonders interessant fand ich eine schwarze Art, die nur beim Fliegen ihre roten Flügel sehen ließ. Leider war ausgerechnet diese Art auch besonders fotoscheu.

Als wir den ersten Blick auf das Aries-Tal erhaschen konnten, verließen wir die detaillierte Wanderkarte – ein Anschlussblatt gibt es nicht. Jetzt waren wir nur noch auf eine Übersichtskarte 1:200.000 angewiesen. Zum Glück war unser angestrebter Weg weiterhin annähernd mit dem deckungsgleich mit dem Kamm.

Die letzten 500 Höhenmeter Abstieg waren Folter pur. "Der Rumäne an sich" hält den Wegebau in Form von Serpentinen für überflüssigen Aufwand. Der Weg verlief also im freien Fall und gerader Linie bergab. Trotz aller Schnürkünste senkten und spreizten sich meine Zehen ungut in den Vorderschuh. Von den Konsequenzen wird noch zu berichten sein.
Mit zitternden Knien erreichten wir Valea Lupsii und fielen ausgehungert über das erstbeste Magazin Mixt her. „Cola!“ (Herr Pfad-Finder) „Weintrauben!“ (Frau November)
Während wir vor dem Laden hockten, näherte sich aus einem toten Winkel ein Geräusch von Metall auf Stein, das Klimpern von Ketten und schließlich ein langgezogenes menschliches "Eyyyyyy!!". Mit einem letzten Ruck kam das Ochsengespann vor dem Laden zu stehen. Vor uns stand ein Leiterwagen, wie wir ihn bisher nur aus dem Museum kannten: Holzspeichenräder, beschlagen mit eisernen Laufflächen, ein Schultergeschirr aus Vollholz. In den folgenden Tagen konnten wir diese retrorumänischen Fahrzeuge noch häufiger in Aktion bestaunen. Und egal, ob es bergab oder bergauf ging: Ein anfeuerndes "Eyyyyyy!" des Wagenführers gehörte untrennbar dazu.

Aber dieses Ereignis entband uns leider nicht von der Notwendigkeit, uns über die Fortsetzung der Tour klarzuwerden. Ziel war es, bis Ende der Woche die Cabana (Berghütte) beim Kloster Rimet zu erreichen. Aber die hochsommerliche Temperatur hier im Aries-Tal lud überhaupt nicht mehr dazu ein, an diesem Tag noch einen Schritt weiter als nötig zu tun. Schon gar nicht bergauf. Übernachten mit Dusche in Baia de Aries?

Wir beugten uns über die Karten, erwogen das Für und Wider, denn Mogos war unser nächster nächster Fixpunkt. Doch wie kommen wir mit dem geringsten Umweg nach Mogos? Und gibt es nicht vielleicht eine Möglichkeit, ohne zuviel Bergaufbergab Mogos zu umgehen? Irgendwann konnte auch den um uns herum dösenden Dorfalkoholikern nicht mehr entgehen, dass wir nach Mogos wollten. Mit wilden Gesten und präzisen Wegbeschreibungen in destillatgeschwängertem Rumänisch versuchten sie uns zu helfen. Nun: Es war ja nicht so, dass wir nicht wussten, wie wir nach Mogos kommen - wir wollten nur nicht in der Hitze laufen! In die wilde Konversation stieß ein jüngerer Mann, der gerade seinen Dacia mit Maismehl belud. "Drvmo snbuvmtnbhk cunzga Mogos?" fragte er die Runde und blickte auf uns. "Cmiugsvrnsmi vuanrjgvhnfuk vnf vuzh Mogos!" antworte man ihm. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. "Dfcnmf shvndf vhfxvngbhn Mogos. Ghhvnu fcnzai cnrbzg." Dem nachfolgenden Palaver entnahm ich, dass er uns ein Stück in Richtung Mogos mitnehmen könnte. Wir sollten schon mal unsere Rucksäcke einladen und uns ins Auto setzen. Nachdem wir den Kofferraumdeckel mit einem laut UL-Philosophie völlig unnötigen Reserveschnürsenkel aus der Ramschecke meines Deckelfachs festgezurrt hatte, ging die Fahrt los.

Instinktiv wollte ich den Gurt anlegen, aber mir wurde bedeutet, dass sich nur Weicheier anschnallen. Nach 300 Metern hielten wir wieder. Sohn und Tochter stiegen ein, auf den Dachgepäckträger kam noch ein desolates Klapprad. Dann ging es in rasender Fahrt mit 20 km/h auf der Schotterstraße in Richtung Mogos. Nach deutschen Maßstäben war es ein Wirtschaftsweg. Unterdessen bekamen wir eine perfekte Vorführung der Multitaskingfähigkeit rumänischer Autofahrer: Etwas irritierend fand ich, dass sich unser Fahrer sofort nach dem Verlassen der Hauptstraße ein Bier aufgemacht hatte. Und es war nicht für die Mitreisenden! Aber das Bier hatte nach dem ersten Schluck zwischen den Oberschenkeln zu warten. Erst musste nämlich noch eine Zigarette angezündet werden. Als unser Fahrer damit fertig war, klingelte das Handy. Also das Bier wieder zwischen den Beinen festgeklemmt und den Anruf angenommen. Leider wurde jetzt gerade der Empfang schlechter. Also mit der anderen Hand das Radio etwas leiser gedreht.
Wo er dann noch die dritte Hand herzauberte, mit der er eine neue Volksmusikkassette einschob, kann ich mir bis heute nicht erklären.
Sechseinhalb Kilometer später war unsere Fahrt beendet, und wir hielten vor dem Haus der Familie. Nun war es wieder an Frau November, nach Wasser zu fragen. Kein Problem, apa buna gab es auf dem Hof. Es war allerdings ein Schock für uns, in welch ärmlichen Verhältnissen diese Familie lebte. Das war nicht postsozialistische Zweite Welt, das war Dritte Welt. Allerhand bellende und flatternde Haustiere liefen munter durch die Küche, die sich in einer offenen Baracke befand. Alles sah irgendwie verfallen und bestenfalls notdürftig repariert aus. Aber selbst ein kleines Dankeschön lehnte unser Fahrer ab.
Wir machten uns auf den Weg und folgten weiter der Straße nach Mogos. Zum Glück lag sie hier in einem Tal zwischen steilen Felswänden, so dass die Temperaturen ganz erträglich waren. Auch die nächsten Siedlungen machten einen extrem ärmlichen Eindruck. Die Zusammenrottungen von Straßenkötern waren allerdings harmlos. Entweder hielten sie respektvoll Abstand, oder sie zogen sich schon beim ersten energischen Ausfallschritt zurück.

Keine große Hilfe war die Dimap-Erfatur-Landkarte. Wir befanden uns immer noch im 1:200.000er Land. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn die "Hauptstraße" von Vinta Richtung Mogos eingezeichnet gewesen wäre. Dann hätten wir nämlich gewusst, dass wir auf einen Abzweig in Richtung Osten hätten achten müssen. So fiel mir der Fehler erst zwei Kilometer und 150 Höhenmeter zu spät auf, als ich zufällig wieder einmal auf das Display meines Zauberkastens blickte. Wir bogen bei der erstbesten Gelegenheit auf einen Feldweg Richtung Osten ab, der sich aber bald auf einer Wiese verlor.
Ebenso verlor sich das Tageslicht, und so bauten wir den Hühnerstall auf der Wiese auf. Dass in etwa eineinhalb Kilometer Entfernung am anderen Hang eine bewohnte Schäferhütte stand, nahmen wir zur Kenntnis, aber nicht ernst.
Technische Daten: 21,1 km gelaufene Strecke in 9:10h
Inzwischen war es dunkel geworden, wir hatten gegessen und wollten uns eigentlich zur Ruhe legen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass das Gebell der Hunde von der Schäferhütte näher kam. Nicht schnell, aber doch bemerkbar. Es waren mindestens zwei Hunde. Ich steckte meinen Kopf hinaus in die Vorhalle unserer Silnylon-Kathedrale, um besser hören zu können. Natürlich hatten wir den Hühnerstall so herum aufgebaut, dass sowohl die große Seitentür wie auch die Fronttür in die falsche Richtung zeigten. Abgesehen von der Dunkelheit war ich also auch noch technisch bedingt blind. So was blödes. Notiz an mich selber: Nächstes Mal kommt ein Periskop mit.
Aber es gab keinen Zweifel: Die Hunde kamen langsam näher und bellten uns in definitiv unfreundlicher Tonlage an. Ich kramte mein Pfefferspray hervor, Frau November folgte meinen Beispiel. Das Moskitonetz halb geöffnet, knieten wir mit gezückten Pfefferspray-Dosen dahinter und warteten. Die Hunde kamen immer näher. Jetzt waren es geschätzt nur noch 15 oder 20 Meter. Unvermindert kläfften sie vor sich hin. Wir hockten bewegungs- und lautlos hinter unserer massiven Schutzwand aus Moskitonetz. Es war Kalter Krieg im Kleinformat: Wer als erster Schwäche zeigt, hat verloren.
Wir gewannen. Nach etwa fünf Minuten zogen die Hunde ab. Ihr Pro-Forma-Gebell beeindruckte uns nicht mehr, es verriet nur noch die Geschwindigkeit ihres Rückzugs. Aber erst nach zehn Minuten erlaubten wir uns wieder die erste Bewegung.

29. September


Unsere nächste Station war Mamaligani, wörtlich übersetzt wahrscheinlich "Maisbreidorf". Was für ein Kontrast zu den Siedlungen am Vortag: Die EU hatte eine Asphaltstraße spendiert, und die Auswirkungen waren offensichtlich enorm: Die Häuser waren in einem Zustand, der sich vor tschechischen Verhältnissen nicht verstecken musste, die Gärten waren entrümpelt und selbst das Magazin Mixt machte einen freundlich-zeitgemäßen Eindruck. An der Kirche gab es darüber hinaus noch einen öffentlichen Wasserhahn. Obwohl wir jetzt 400 Höhenmeter brutalen Aufstieg vor uns hatten, tankten wir voll. Die Temperaturen waren nämlich schon jenseits meines Wohlfühlbereichs, und wenn die Karte an einer Tatsache keinen Zweifel ließ, war es die Wald- und Wasserlosigkeit des vor uns liegenden Bergrückens Gura Capatana.


Oben angekommen, folgten wir dem ausgefahrenen Kammweg. Der war zwar nicht der kürzeste Weg nach Butesti, aber der schnellste - der laut Karte viel kürzere Weg am Hang entlang war nämlich zugewachsen.


Unangenehm war, dass Wege in der Natur wieder einmal nicht hielten, was die Karte versprach. Der Plan sah vor, in das Tal südlich von Butesti einzusteigen und dort dem Wirtschaftsweg entlang des Baches über Tomesti-Macaresti-Oncesti bis Cheia zu folgen. Der Wirtschaftsweg war jedoch wegespült worden - dem Bewuchs nach zu urteilen schon vor mehr als zehn Jahren, eher 20 Jahren. Nur ein vager Pfad, eher ein Wildwechsel, war übriggeblieben. Und auch der endete nach gut einem Kilometer an einem verstacheldrahteten massiven Zaun. Nein, hier sollte wirklich niemand durchgehen.
Nachdem ich meinen Missmut in einer Form kundgetan hatte, deren Wiedergabe mir hier eine mindestens dreimonatige Sperre einbringen würde, fügten wir uns ins Schicksal und stiegen wieder nach Butesti hoch. Wir landeten wieder auf dem Kammweg, den wir zwei Stunden zuvor verlassen hatten - und konnten nur einen Netto-Kilometer mehr auf dem Habenkonto einbuchen.
Auf einem trockenen und nur spärlich begrünten, aber dafür mit brettebenem Boden gesegneten Bergrücken schlugen wir unser Lager auf. Es war der erste Lagerplatz, wo wir am Morgen keinen Kondens im Innen- und Außenzelt hatten.
Allerdings hatten wir auch ansonsten kein Wasser. Deswegen liefen wir am Abend noch in die nächste Siedlung. Das Glück war mit uns: Wir trafen einen Rentner, der gerade seinen Gartenschlauch einrollte. Er versicherte uns zwar, dass es kein Apa buna war, aber dafür hatten wir ja das Filtergedöns mitgeschleppt.

Technische Daten: 18,6 km in 9:15h
30. September

Morgens wurden wir von zwei "Eyyyyy!"-Gespannen geweckt, die sich auf dem Kamm hochkämpften. Am Abend vorher hatten wir uns den Plan B gebastelt, denn der Weg nach Cheia schien nicht mehr machbar. Statt durch die Schlucht Cheile Rametului zu gehen, wollten wir uns jetzt über Geogel, Ober-Ponor, Bradesti und Valea Uzei nach Ramet vorkämpfen. Auch wenn das deutlich mehr Kilometer und Höhenmeter bedeutete.

Geogel war wieder ein schon von der Neuzeit berührter Ort. Davon zeugte eine liebevoll restaurierte Kirche und ein freundlicher Laden mit Postamt.

- Ein Foltergestell unklarer Bestimmung

Während wir vor dem Laden eine kleine Futterpause einlegten, fanden sich wie üblich herrenlose Hunde ein, um die Fremden anzubetteln. Ganz gegen meine Art ließ ich mich erweichen und warf zwei Hunden jeweils einen Keks zu. Und dann nochmal zwei Kekse.

Dieses Spiel wiederholte sich noch ein paar Mal. Unser Versuch, ihn durch hohes Tempo abzuhängen oder den Spaß zu verderben, schlug fehl. Resultat war nur, dass wir die sechs Kilometer bis Ober-Ponor in Rekordzeit bewältigten. Erst am Ortseingang wurde er von den Ponorer Hunden zurückgebellt. Uff.
Ein hier nicht mehr aktiver User hatte mal berichtet, dass er sich auf seinen Wanderungen durch Rumänien auch gelegentlich Begleithunde - zum Beispiel als Bärenalarmanlage- angefüttert hat. "Unser" Hund wäre da ganz sicher ein heißer Kandidat gewesen. Frau November ist mir heute noch ein bisschen böse, dass wir "unseren Gutsten" so schnöde im Stich gelassen haben...
In Ponor fanden wir eine Art Biergarten, von der aber nur der Trinkhallen-Teil in Betrieb war. Vielleicht, weil da der teure Zigarettenqualm nicht so schnell verloren geht? Wir machten auf der schattigen Terasse Mittagspause.
Durch eine bereits herbstlich angefärbte Landschaft ging es weiter nach Bradesti auf dem Sattel zwischen Valea Poieni und dem Tal nach Cheia. In Bradesti gab es einen Laden, der wenig einladend aussah. Frau November versuchte ihr Glück, konnte aber nur den ersten Eindruck bestätigen: Der Ceausescu-Retro-Stil außen spiegelte sich auch im Warenangebot drinnen wieder.
Wir eilten weiter in Richtung Ramet. Die Highlights waren ein Kriegerdenkmal und ein Haltestellenhäuschen, das mit einem Querbalken auf Hüfthöhe gegen den Missbrauch als Wetterschutzeinrichtung für Kühe geschützt war.

- Kriegerdenkmal
- Bushaltestellenhäuschen

Am späten Nachmittag erreichten wir endlich den Sattel zwischen Valea Inzelului und Valea Uzei. Da sollen wir runter? Na gut. Ohne Probleme fanden wir den Einstieg in den frisch rot markierten Pfad bergab.

50 Höhenmeter bergab dann das erste Problem: Der Weg teilte sich, aber wie üblich - keine Markierung. Der bessere Weg führte nach rechts, endete jedoch 50 Meter später auf einer ziemlich privat anmutenden Wiese. Beim zweiten Anlauf entdeckte ich an der Gabelung eine alte, kaum noch erkennbare Markierung, die eher nach links wies. 20 Meter war dann zwar noch zu erkennen, dass dort ein Weg gewesen sein könnte, aber heute nur noch Gebüsch steht. Also zurück zur Markierung, ein weiterer Deutungsversuch. Vielleicht dem Kuhpfad folgend noch vor dem Gebüsch abbbiegen? Auch nix. Dichtes Unterholz. Ich rief Frau November zu, dass es hier nicht weitergeht und sie schon mal wieder nach oben losstapfen sollte. Ich stapfte ebenfalls los und schüttelte den Kopf. So was Bescheuertes!
Während ich meinen Kopf so vor mich hinschüttelte, blitzte im Augenwinkel plötzlich etwas Rot-Weißes oberhalb von mir auf. Halthalthalt, was war das? Ich schlich dezimeterweise rückwärts. Oooh ha! Eine kaum fünf Zentimeter dicke Birke mit frischer rot-weißer Markierung am Waldrand über mir! "Frau November, anhalten!" Es stellte sich heraus, das der "Weg" - Fußspuren waren nicht zu entdecken - über eine mit E-Zaun gesicherte Weide führte.

Jetzt war die Markierung wieder eindeutig, und langsam mehrten sich die Merkmale eines tatsächlich benutzten Pfades. Noch einmal kamen wir kurz aus dem Tritt, als sich der Wegmarkierung wieder einmal an einer Gabelung verlor. Aber ein Openstreetmap-Kartograf, der sich von unten zumindest bis zur halben Höhe hochgearbeitet hatte, half uns aus der Patsche. Seine Eintragung gab uns eine verlässliche Auffanglinie.
Mit zitternden Knien erreichten wir nach 500 Höhenmetern den Talboden. Jetzt schnell zur Cabana.
Technische Daten: 23,2 km in 8:35h

Eine junge Frau schlich um die Ecke. 2 Personen, ok. 40 Lei, ok. Schon hatten wir den Schlüssel zum vermutlich einzigen fertigrenovierten Zimmer. Nach Entkeimung im noch nicht sanierten Sanitärbereich machten wir uns vom Gepäck befreit auf den Weg zum Kloster Rimet. Es war kurz vor sieben Uhr, beste Zeit für ein opulentes Abendessen. Doch Vorfreude war die letzte Freude. Keine Klostergaststätte, nicht einmal eine seriöse Kneipe. Nur ein still vor sich hinliegendes Kloster. Hungrig schlichen wir zur Cabana zurück und besorgten uns Nahrungsergänzungsmittel an der Rezeption. Das Corned Beef stellte sich als fast ungenießbar heraus, Frau November hatte mit ihren Waffeln deutlich mehr Glück. Auf der Terasse vor unserem Zimmer kochten wir uns das Abendessen.
1. Oktober
Halbwegs erholt machten wir uns daran, die am Vortag ausgelassene Schlucht Cheile Rametului zu erschließen. Wir liefen also bachaufwärts, erst durch eine Ferienhaussiedlung, dann durch die immer enger werdende Schlucht. Ist doch easy, dachte ich mir - bis wir vor einem rundgespülten Schlund aus Stein standen, in dem unabsehbar Wasser stand.

Die Markierung ließ keine Zweifel, dass der Weg dort durchführte. Hydrophob wie ich bin, wurde mir schon nach den ersten drei Metern klar, dass das kein Job für mich sein würde (schon gar nicht für meine lädierten Zehen). Die hydrophile Frau November sah nach zehn Metern ein, dass es mit dem Abzippen der Hosenbeine nicht getan sein würde. Aber das bremste ihren Eifer nicht. Sie legte ihre Kleidung ab, soweit es die orthodoxe Tradition außerhalb von Kirchenmauern zuließ, und lief so durch das brusthohe Wasser. Ich selbst setzte mich auf einen Stein vor dem Schlund und genoss die Herbstsonne.
Doch was fand Frau November auf der anderen Seite des Schlundes?
Kommentar