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Auch wenn mein Urlaub auf Kreta auf Grund der Verkettung unglücklicher Umstände kein reiner Outdoorurlaub war, so möchte ich doch einen Bericht zu diesem Schreiben - war "Outdoor" doch trotzdem ein wichtiger Bestandteil des Urlaub. Und Kreta ist, wenn auch mit ein paar Einschränkungen, eine wunderschöne "Outdoorinsel", die hier noch viel zu wenig vertreten ist. Deshalb:
Land: Griechenland
Reisezeit: Oktober 2005
Region/Kontinent: Südosteuropa/Mittelmeer
Dienstag, 4. Oktober 2005
Eigentlich wollten wir doch in diesem Urlaub etwas gegen unsere Vorurteile tun. Nach langem Hin und her hatten wir uns dieses Reiseziel als Mischung aus Natur und Kultur ausgesucht. Nachdem mir in „endlosen“ Stunden, die ich mit einer griechischen Kollegin verbracht habe, Griechenland als Reiseziel schmackhaft gemacht wurde („unberührte Natur“ und „ein interessantes kulturelles Erbe“ wurden mir „versprochen“), begann in mir tatsächlich die Idee zu wachsen, das Land per Rad zu entdecken. Interessante Naturreiseziele entdecke ich tatsächlich, auch viele der kulturellen Sehenswürdigkeiten locken mich zu meiner eigenen Überraschung. Und die Mythologie ist, wie ich feststelle, auch ein spannender Aspekt bei einer Reise durch Griechenland. Doch dann kam die erste Einschränkung meiner Kollegin: „Dafür solltest du aber Griechisch können – oder dir ein Ziel aussuchen, das touristisch erschlossen ist!“ Also weiter recherchiert: Welches Ziel ist touristisch so gut erschlossen, dass ich mich ohne Griechischkenntnisse verständigen kann – trotzdem groß genug, um es mit dem Rad nicht zu schnell vollkommen entdeckt zu haben und bietet neben Kultur (die es in Griechenland ja wirklich überall zu geben scheint) auch noch genug Naturerlebnisse? So komme ich auf Kreta: Laut Reiseführer eine wilde Bergwelt und traumhafte Strände, eine interessante Geologie, mit den Minoern die älteste Hochkultur Europas (deren Untergang von vielen Historikern als der Untergang des sagenumwobenen Atlantis interpretiert wird), viele weitere historisch interessante Stätte, dazu als Geburtsinsel des Göttervaters Zeus mit einer herausragenden Rolle in der griechischen Mythologie.
„Kreta ist aber ganz schön bergig“, wendet Maike, mit der ich den Urlaub gemeinsam plane, ein. „Zu bergig, um es mit dem Rad zu erkunden!“, ergänzt sie noch.
Beim Wälzen der Literatur über Kreta habe ich aber noch einen Fernwanderweg, den E 4, entdeckt, den ich als Trumpf ausspiele. Für mich zwar nur zweite Wahl – Fernwandern in Griechenland kann ich mir als Skandinavienfan gar nicht vorstellen – aber Maike gefällt der Gedanke. Und so buchen wir unsere Flüge. Von Elafonisi im Westen der Insel wollen wir ostwärts wandern, so weit wir kommen.
Wenige Tage vor dem Abflug beginne ich zu zweifeln. Meine mündliche Diplomprüfung muss wegen einer Erkrankung des Prüfers kurzfristig verlegt werden – wir finden einen Termin kurz nach dem Urlaub. Soll ich wirklich die dicken Bücher über den E 4 schleppen? Die Frage beantwortet sich dann ganz kurzfristig von alleine: Nein. Maike verletzt sich beim letzten Tanztraining vor dem Abflug an der Leiste, ein Tragen des schweren Rucksacks ist unmöglich, selbst beim Gehen hat sie manchmal Schmerzen. Also organisieren wir uns einen Mietwagen, wir wollen (oder besser gesagt: müssen...) Kreta nun mit dem Auto bereisen. Ganz glücklich sind wir beide darüber nicht – aber wir wollen es mit Tageswanderungen versuchen, und auch das Zelt bleibt im Gepäck. Wir trösten uns: „Dank“ Auto haben wir die Chance, mehr von Kreta zu sehen – und auch die Chance, zu den bedeutenden Kultursehenswürdigkeiten zu kommen, die nicht direkt am E 4 liegen.
Also besteigen wir früh morgens um kurz vor 6:00 Uhr in Frankfurt das Flugzeug mit gemischten Gefühlen. Diese schlagen noch weiter in Richtung „Dieser Urlaub war eine einzige Fehlentscheidung“ um, als ich mich umgucke: Rund um uns herum sitzen typische „Pauschalurlauber“. Diese passen so gar nicht zu dem, was wir uns von einem Urlaub erwarten. Stattdessen wird mein doch stark von Vorurteilen geprägtes Bild von Kreta als Urlaubsziel für „Strandlieger“ und „Alte-Steine-Gucker“ (das „Alte“ hat dabei durchaus doppelte Bedeutung...) bedient.
Ein wenig Erleichterung am Flughafen, als wir doch noch ein junges Paar entdecken, dass mit uns aus dem Flugzeug steigt. Und nicht nur das: Sie tragen Wanderstiefel. Ein kurzes Gespräch am Gepäckband bestätigt unsere Vermutung: Die beiden wollen auf dem E 4 wandern. Sie haben im letzten Jahr damit begonnen und fanden den Weg so schön, dass sie ihn nun fortsetzen möchten. Als die zwei ihre Rucksäcke vom Gepäckband nehmen, überkommt mich dann doch ein wenig Neid!
Wenig später halten wir die Schlüssel zu unserem Mietwagen in den Händen – und wir stürzen uns in den Trubel des kretischen Straßenverkehrs. In Hania herrscht das reinste Verkehrschaos. Zweispurige Straßen werden drei- bis vierspurig befahren, die Ampeln haben keine Bedeutung. Ich lasse mich auf das Spiel ein, in der Hoffnung, das alles gut geht. Und schnell stelle ich fest: Nur so haben wir eine Chance, vorwärts zu kommen. Trotzdem sind wir froh, als die Stadt hinter uns liegt und die Straße frei wird.
Doch hier eröffnet sich ein anderes Problem – die Ortsnamen auf den Ausschilderungen. Teilweise nur in griechischen Buchstaben, und da, wo uns bekannte Zeichen zu erkennen sind (was meistens der Fall ist), unterscheidet sich die Schreibweise der meisten Orte doch von der, wie wir sie in unserer Karte vorfinden – und hier unterscheidet sich die Schreibweise wieder von der in unseren Reiseführern, die auch nicht einheitlich ist... Ein wenig Fantasie gehört also zur Orientierung dazu. Aber, na gut, so bekommen wir wenigstens ein bisschen Abenteuer. Und Maike meistert ihre Aufgabe des Kartenlesens mit Bravour – in zwei Wochen verfahren wir uns nur ein mal kurz hinter Hania (also heute).
Wir fahren immer nach Süden, in die Levka Ori, die Weißen Berge. Wie diese zu ihrem Namen kommen, ist umstritten. In manchen Reiseführern liest man, dass dies mit der bis in den Frühsommer hinein anhaltenden Schneebedeckung der höchsten Gipfel zu tun hat. Andere verweisen auf das Kalkgestein, das in der Sonne weiß schimmert. Uns ist es egal wie es zu dem Namen kam – Schnee liegt keiner mehr, und ein „weißes Schimmern“ des Kalkgesteins können wir nicht registrieren.
Auf dem Weg in die Levka Ori queren wir kurz einen schönen Kiefernwald – ansonsten sieht die Vegetation sehr „strapaziert“ aus. So auch in der stark landwirtschaftlich genutzten Oropedio Omalou, der Omalos-Hochebene, auf rund 1.100 Metern Höhe. Das die Hochebene von 1669 bis 1898 die Hochburg des kretischen Widerstands gegen die türkische Besetzung war (und nie von den Türken erobert werden konnte – also irgendwie ein „kleines gallisches Dorf“ auf Kreta war), sieht man ihr heute nicht mehr an. Geologisch betrachtet ist diese Hochebene jedoch sehr interessant. Die Levka Ori bauen sich aus verschiedenen Kalkschichten, sogenannten Serien, auf. Zwischen der Plattenkalk- und der Tripolitza-Serie (beides sind sehr leicht verwitternde Serien, die auf Grund chemischer Lösungsprozesse verkarsten, was zu einem schnellen Versickern der Niederschlags- und Schmelzwasser führt), liegt ein dünnes Band aus wasserundurchlässigem Kalkschiefer. Dieses dient als Quellhorizont: Nahezu das gesamte Wasser, das oberhalb im Kalkgestein versickert, tritt hier wieder ans Tageslicht. Dieses austretende Quellwasser dichtet durch tonige und sandige Sedimente den verkarsteten Untergrund ab, die dabei entstehenden Ebenen werden als Poljen bezeichnet. Nur an wenigen Stellen kann das Wasser in feinen Klüften, sogenannten Ponoren, ablaufen. Die Oropedio Omalou, die größte Polje in den Levka Ori, entwässert nach Süden, wo sich die beeindruckende, tief eingeschnittene Faragi Samarias, die Samaria-Schlucht, gebildet hat. Diese wollen wir in den nächsten Tagen besuchen.

Blick in die Oropedio Omalou.
Der Vorteil an so frühen Flügen ist ja, dass man am Urlaubsort angekommen noch fast einen ganzen Urlaubstag genießen kann. Und so möchten wir heute zunächst von der Oropedio Omalou aus auf dem E 4 in Richtung Osten wandern. Wir parken unseren Mietwagen daher am Eingang in die Faragi Samarias, Xiloskalo – und müssen erschreckt feststellen, dass die Schlucht „zur Zeit geschlossen“ ist. Na ja, das soll uns heute erst einmal nicht bekümmern.
Auf einem schmalen Pfad wandern wir, zunächst kurz an der Grenze des Samarias-Nationalparks entlang, zum E 4. Auf der Nationalparkgrenze verläuft ein Zaun – der dringend nötig zu sein scheint. Auf unserer Seite des Zauns wachsen kaum grüne Pflanzen, den Büschen fehlen die Blätter (die „Übeltäter“ sind schnell ausgemacht: Ziegen), jenseits des Zauns hingegen scheint die Vegetation intakt.

Colchicum cretense - eine auf Kreta endemische Zeitlose.
Der E 4 erweist sich in diesem Teilstück als breiter „Wirtschaftsweg“, der sich ziemlich langweilig durch eine wenig spektakuläre Gebirgslandschaft zieht. Ursprünglich wollte man hier eine Straße bauen, die Hora Sfakion, einen kleinen Fischerort an der Südküste, mit Oropedio Omalou verbindet. Die Proteste von Naturschützern konnten dies nicht verhindern, erst die explodierenden Baukosten setzten dem Projekt ein Ende. Was bleibt, ist eine ziemlich unansehnliche Schneise durch die Einsamkeit der Levka Ori.
Erst ab der vom griechischen Bergsteigerverband EOS betrieben Kallergi-Hütte, die, wie wir später feststellen, wie ein Adlernest auf einem steilen Felssporn thront, wird der Weg abwechslungsreicher. Wir nähern uns wieder – am Zaun erkennbar – der Nationalparkgrenze und können spektakuläre Tiefblicke in die Schlucht genießen. An einer Stelle befindet sich ein Plumpsklo. Und hier plumpst es wirklich, wie wir bei einem Blick durch die „Schüssel“ in die Tiefen der Samaria-Schlucht feststellen.

Die Kallergi-Hütte über der Faragi Samarias.

Der Gingolos erhebt sich über den fast senkrechten Felswänden der Faragi Samarias.

Blick in die Faragi Samaris.
Als wir die Schäferhütten von Bouria erreicht haben, können wir den breiten „Wirtschaftsweg“, der sich noch weiter durch die Levka Ori gen Osten zieht, verlassen. Wir wandern nun auf einem schmalen Pfad, der zum Gipfel des 1.810 Meter hohen Psari ansteigt. Maike bricht den Aufstieg auf Grund ihrer Verletzung, die ihr auf diesem Stück zu schaffen macht, relativ bald ab. Sie sucht sich im Schatten einer vom Wind geformten Zeder einen Platz mit Blick in die Samria-Schlucht, während ich weiter aufsteige. Vom Gipfel des Psari genieße ich dann einen herrlichen Blick über die Faragi Samarias auf die Gipfel von Gingilos (2.080 Meter) und Volakias (2.116 Meter), die die Schlucht im Westen überragen. Im Osten fallen mir die Felsbänder des Mavri, 1.828 Meter hoch, ins Auge. Eigentlich sollte dieser Gipfel unser Tagesziel sein, und mich „juckt“ es auch in den Füßen, weiter aufzusteigen. Mir hat der Pfad ab Bouria sehr gut gefallen (schmal, gut markiert – unser Reiseführer verrät uns, dass dies dem aus Österreich stammenden Wirt der Kallergi-Hütte zu verdanken ist) – und die weiteren Meter sehen auch sehr verlockend aus. Doch mit Rücksicht auf Maike – und dem Wissen, dass auf dem Gipfel des Mavri mit der Verlockung weiter zu wandern nicht Schluss sein würde – zerstreue ich diese Gedanken schnell wieder und begebe mich stattdessen auf den Rückweg.

Kalkfelsen am Aufstieg zum Psari.

Vom Wind geformte Zeder am Aufstieg zum Psari.

Blick vom Psari auf den Mavri.
Auf einer serpentinenreichen Straße setzen wir unsere Fahrt nach Paleochora, einem gemütlichen Ort an der Südküste Kretas, fort. Dort steuern wir umgehend den Campingplatz an – doch sind wir deutlich vor Öffnung der Rezeption dort. So spazieren wir über die wenig befahrene Straße zurück in den Ort, um dort einen Supermarkt zu suchen – und zu finden. Unsere Vorräte haben wir schnell zusammen. Doch was ist mit Spiritus, den wir für unseren Kocher brauchen? Meine Kollegin hat mir das Wort zwar aufgeschrieben, aber weder gesprochen noch (leider nur in lateinischen Schriftzeichen) aufgeschrieben verstehen die VerkäuferInnen, was wir suchen...
Wir entschließen uns, dies zunächst einmal so hinzunehmen. Irgendwie werden wir schon an Spiritus kommen! Und tatsächlich: Zurück am Campingplatz, immer noch viel zu früh, wird die Rezeption für uns geöffnet und wir werden freundlich begrüßt. Der Campingplatzbesitzer stellt sich als deutscher Auswanderer, „Camping-Peter“, vor. Wir schildern ihm unser Spiritusproblem. „Wartet, ich habe da noch eine angebrochene Flasche. Die haben neulich Camper hier zurückgelassen, weil sie den Spiritus im Flugzeug nicht transportieren dürfen. Mit der solltet ihr zumindest noch ein paar Tage hinkommen.“ Und tatsächlich, für zwei bis drei Tage dürfte der Spiritus noch reichen. Als wir mit der Flasche am nächsten Tag wieder im Supermarkt stehen, weiß man auch sofort, was wir suchen – und man holt uns eine Flasche aus dem „Hinterzimmer“.
Müde schlagen wir unser Zelt zwischen alten Ölbäumen auf, dann genießen wir die Wärme der Sonne. Schnell sind wir uns einig, dass wir heute keine Lust mehr zum Kochen haben. Stattdessen setzen wir uns auf die Terrasse des kleinen Restaurants, das zum Campingplatz gehört. Das Essen ist gut, doch die anderen Gäste – alles deutsche Auswanderer – stören uns ein wenig. So bleiben wir nicht lange sitzen, sondern verabschieden uns früh in unser Zelt.
Land: Griechenland
Reisezeit: Oktober 2005
Region/Kontinent: Südosteuropa/Mittelmeer
Dienstag, 4. Oktober 2005
Eigentlich wollten wir doch in diesem Urlaub etwas gegen unsere Vorurteile tun. Nach langem Hin und her hatten wir uns dieses Reiseziel als Mischung aus Natur und Kultur ausgesucht. Nachdem mir in „endlosen“ Stunden, die ich mit einer griechischen Kollegin verbracht habe, Griechenland als Reiseziel schmackhaft gemacht wurde („unberührte Natur“ und „ein interessantes kulturelles Erbe“ wurden mir „versprochen“), begann in mir tatsächlich die Idee zu wachsen, das Land per Rad zu entdecken. Interessante Naturreiseziele entdecke ich tatsächlich, auch viele der kulturellen Sehenswürdigkeiten locken mich zu meiner eigenen Überraschung. Und die Mythologie ist, wie ich feststelle, auch ein spannender Aspekt bei einer Reise durch Griechenland. Doch dann kam die erste Einschränkung meiner Kollegin: „Dafür solltest du aber Griechisch können – oder dir ein Ziel aussuchen, das touristisch erschlossen ist!“ Also weiter recherchiert: Welches Ziel ist touristisch so gut erschlossen, dass ich mich ohne Griechischkenntnisse verständigen kann – trotzdem groß genug, um es mit dem Rad nicht zu schnell vollkommen entdeckt zu haben und bietet neben Kultur (die es in Griechenland ja wirklich überall zu geben scheint) auch noch genug Naturerlebnisse? So komme ich auf Kreta: Laut Reiseführer eine wilde Bergwelt und traumhafte Strände, eine interessante Geologie, mit den Minoern die älteste Hochkultur Europas (deren Untergang von vielen Historikern als der Untergang des sagenumwobenen Atlantis interpretiert wird), viele weitere historisch interessante Stätte, dazu als Geburtsinsel des Göttervaters Zeus mit einer herausragenden Rolle in der griechischen Mythologie.
„Kreta ist aber ganz schön bergig“, wendet Maike, mit der ich den Urlaub gemeinsam plane, ein. „Zu bergig, um es mit dem Rad zu erkunden!“, ergänzt sie noch.
Beim Wälzen der Literatur über Kreta habe ich aber noch einen Fernwanderweg, den E 4, entdeckt, den ich als Trumpf ausspiele. Für mich zwar nur zweite Wahl – Fernwandern in Griechenland kann ich mir als Skandinavienfan gar nicht vorstellen – aber Maike gefällt der Gedanke. Und so buchen wir unsere Flüge. Von Elafonisi im Westen der Insel wollen wir ostwärts wandern, so weit wir kommen.
Wenige Tage vor dem Abflug beginne ich zu zweifeln. Meine mündliche Diplomprüfung muss wegen einer Erkrankung des Prüfers kurzfristig verlegt werden – wir finden einen Termin kurz nach dem Urlaub. Soll ich wirklich die dicken Bücher über den E 4 schleppen? Die Frage beantwortet sich dann ganz kurzfristig von alleine: Nein. Maike verletzt sich beim letzten Tanztraining vor dem Abflug an der Leiste, ein Tragen des schweren Rucksacks ist unmöglich, selbst beim Gehen hat sie manchmal Schmerzen. Also organisieren wir uns einen Mietwagen, wir wollen (oder besser gesagt: müssen...) Kreta nun mit dem Auto bereisen. Ganz glücklich sind wir beide darüber nicht – aber wir wollen es mit Tageswanderungen versuchen, und auch das Zelt bleibt im Gepäck. Wir trösten uns: „Dank“ Auto haben wir die Chance, mehr von Kreta zu sehen – und auch die Chance, zu den bedeutenden Kultursehenswürdigkeiten zu kommen, die nicht direkt am E 4 liegen.
Also besteigen wir früh morgens um kurz vor 6:00 Uhr in Frankfurt das Flugzeug mit gemischten Gefühlen. Diese schlagen noch weiter in Richtung „Dieser Urlaub war eine einzige Fehlentscheidung“ um, als ich mich umgucke: Rund um uns herum sitzen typische „Pauschalurlauber“. Diese passen so gar nicht zu dem, was wir uns von einem Urlaub erwarten. Stattdessen wird mein doch stark von Vorurteilen geprägtes Bild von Kreta als Urlaubsziel für „Strandlieger“ und „Alte-Steine-Gucker“ (das „Alte“ hat dabei durchaus doppelte Bedeutung...) bedient.
Ein wenig Erleichterung am Flughafen, als wir doch noch ein junges Paar entdecken, dass mit uns aus dem Flugzeug steigt. Und nicht nur das: Sie tragen Wanderstiefel. Ein kurzes Gespräch am Gepäckband bestätigt unsere Vermutung: Die beiden wollen auf dem E 4 wandern. Sie haben im letzten Jahr damit begonnen und fanden den Weg so schön, dass sie ihn nun fortsetzen möchten. Als die zwei ihre Rucksäcke vom Gepäckband nehmen, überkommt mich dann doch ein wenig Neid!
Wenig später halten wir die Schlüssel zu unserem Mietwagen in den Händen – und wir stürzen uns in den Trubel des kretischen Straßenverkehrs. In Hania herrscht das reinste Verkehrschaos. Zweispurige Straßen werden drei- bis vierspurig befahren, die Ampeln haben keine Bedeutung. Ich lasse mich auf das Spiel ein, in der Hoffnung, das alles gut geht. Und schnell stelle ich fest: Nur so haben wir eine Chance, vorwärts zu kommen. Trotzdem sind wir froh, als die Stadt hinter uns liegt und die Straße frei wird.
Doch hier eröffnet sich ein anderes Problem – die Ortsnamen auf den Ausschilderungen. Teilweise nur in griechischen Buchstaben, und da, wo uns bekannte Zeichen zu erkennen sind (was meistens der Fall ist), unterscheidet sich die Schreibweise der meisten Orte doch von der, wie wir sie in unserer Karte vorfinden – und hier unterscheidet sich die Schreibweise wieder von der in unseren Reiseführern, die auch nicht einheitlich ist... Ein wenig Fantasie gehört also zur Orientierung dazu. Aber, na gut, so bekommen wir wenigstens ein bisschen Abenteuer. Und Maike meistert ihre Aufgabe des Kartenlesens mit Bravour – in zwei Wochen verfahren wir uns nur ein mal kurz hinter Hania (also heute).
Wir fahren immer nach Süden, in die Levka Ori, die Weißen Berge. Wie diese zu ihrem Namen kommen, ist umstritten. In manchen Reiseführern liest man, dass dies mit der bis in den Frühsommer hinein anhaltenden Schneebedeckung der höchsten Gipfel zu tun hat. Andere verweisen auf das Kalkgestein, das in der Sonne weiß schimmert. Uns ist es egal wie es zu dem Namen kam – Schnee liegt keiner mehr, und ein „weißes Schimmern“ des Kalkgesteins können wir nicht registrieren.
Auf dem Weg in die Levka Ori queren wir kurz einen schönen Kiefernwald – ansonsten sieht die Vegetation sehr „strapaziert“ aus. So auch in der stark landwirtschaftlich genutzten Oropedio Omalou, der Omalos-Hochebene, auf rund 1.100 Metern Höhe. Das die Hochebene von 1669 bis 1898 die Hochburg des kretischen Widerstands gegen die türkische Besetzung war (und nie von den Türken erobert werden konnte – also irgendwie ein „kleines gallisches Dorf“ auf Kreta war), sieht man ihr heute nicht mehr an. Geologisch betrachtet ist diese Hochebene jedoch sehr interessant. Die Levka Ori bauen sich aus verschiedenen Kalkschichten, sogenannten Serien, auf. Zwischen der Plattenkalk- und der Tripolitza-Serie (beides sind sehr leicht verwitternde Serien, die auf Grund chemischer Lösungsprozesse verkarsten, was zu einem schnellen Versickern der Niederschlags- und Schmelzwasser führt), liegt ein dünnes Band aus wasserundurchlässigem Kalkschiefer. Dieses dient als Quellhorizont: Nahezu das gesamte Wasser, das oberhalb im Kalkgestein versickert, tritt hier wieder ans Tageslicht. Dieses austretende Quellwasser dichtet durch tonige und sandige Sedimente den verkarsteten Untergrund ab, die dabei entstehenden Ebenen werden als Poljen bezeichnet. Nur an wenigen Stellen kann das Wasser in feinen Klüften, sogenannten Ponoren, ablaufen. Die Oropedio Omalou, die größte Polje in den Levka Ori, entwässert nach Süden, wo sich die beeindruckende, tief eingeschnittene Faragi Samarias, die Samaria-Schlucht, gebildet hat. Diese wollen wir in den nächsten Tagen besuchen.

Blick in die Oropedio Omalou.
Der Vorteil an so frühen Flügen ist ja, dass man am Urlaubsort angekommen noch fast einen ganzen Urlaubstag genießen kann. Und so möchten wir heute zunächst von der Oropedio Omalou aus auf dem E 4 in Richtung Osten wandern. Wir parken unseren Mietwagen daher am Eingang in die Faragi Samarias, Xiloskalo – und müssen erschreckt feststellen, dass die Schlucht „zur Zeit geschlossen“ ist. Na ja, das soll uns heute erst einmal nicht bekümmern.
Auf einem schmalen Pfad wandern wir, zunächst kurz an der Grenze des Samarias-Nationalparks entlang, zum E 4. Auf der Nationalparkgrenze verläuft ein Zaun – der dringend nötig zu sein scheint. Auf unserer Seite des Zauns wachsen kaum grüne Pflanzen, den Büschen fehlen die Blätter (die „Übeltäter“ sind schnell ausgemacht: Ziegen), jenseits des Zauns hingegen scheint die Vegetation intakt.

Colchicum cretense - eine auf Kreta endemische Zeitlose.
Der E 4 erweist sich in diesem Teilstück als breiter „Wirtschaftsweg“, der sich ziemlich langweilig durch eine wenig spektakuläre Gebirgslandschaft zieht. Ursprünglich wollte man hier eine Straße bauen, die Hora Sfakion, einen kleinen Fischerort an der Südküste, mit Oropedio Omalou verbindet. Die Proteste von Naturschützern konnten dies nicht verhindern, erst die explodierenden Baukosten setzten dem Projekt ein Ende. Was bleibt, ist eine ziemlich unansehnliche Schneise durch die Einsamkeit der Levka Ori.
Erst ab der vom griechischen Bergsteigerverband EOS betrieben Kallergi-Hütte, die, wie wir später feststellen, wie ein Adlernest auf einem steilen Felssporn thront, wird der Weg abwechslungsreicher. Wir nähern uns wieder – am Zaun erkennbar – der Nationalparkgrenze und können spektakuläre Tiefblicke in die Schlucht genießen. An einer Stelle befindet sich ein Plumpsklo. Und hier plumpst es wirklich, wie wir bei einem Blick durch die „Schüssel“ in die Tiefen der Samaria-Schlucht feststellen.

Die Kallergi-Hütte über der Faragi Samarias.

Der Gingolos erhebt sich über den fast senkrechten Felswänden der Faragi Samarias.

Blick in die Faragi Samaris.
Als wir die Schäferhütten von Bouria erreicht haben, können wir den breiten „Wirtschaftsweg“, der sich noch weiter durch die Levka Ori gen Osten zieht, verlassen. Wir wandern nun auf einem schmalen Pfad, der zum Gipfel des 1.810 Meter hohen Psari ansteigt. Maike bricht den Aufstieg auf Grund ihrer Verletzung, die ihr auf diesem Stück zu schaffen macht, relativ bald ab. Sie sucht sich im Schatten einer vom Wind geformten Zeder einen Platz mit Blick in die Samria-Schlucht, während ich weiter aufsteige. Vom Gipfel des Psari genieße ich dann einen herrlichen Blick über die Faragi Samarias auf die Gipfel von Gingilos (2.080 Meter) und Volakias (2.116 Meter), die die Schlucht im Westen überragen. Im Osten fallen mir die Felsbänder des Mavri, 1.828 Meter hoch, ins Auge. Eigentlich sollte dieser Gipfel unser Tagesziel sein, und mich „juckt“ es auch in den Füßen, weiter aufzusteigen. Mir hat der Pfad ab Bouria sehr gut gefallen (schmal, gut markiert – unser Reiseführer verrät uns, dass dies dem aus Österreich stammenden Wirt der Kallergi-Hütte zu verdanken ist) – und die weiteren Meter sehen auch sehr verlockend aus. Doch mit Rücksicht auf Maike – und dem Wissen, dass auf dem Gipfel des Mavri mit der Verlockung weiter zu wandern nicht Schluss sein würde – zerstreue ich diese Gedanken schnell wieder und begebe mich stattdessen auf den Rückweg.

Kalkfelsen am Aufstieg zum Psari.

Vom Wind geformte Zeder am Aufstieg zum Psari.

Blick vom Psari auf den Mavri.
Auf einer serpentinenreichen Straße setzen wir unsere Fahrt nach Paleochora, einem gemütlichen Ort an der Südküste Kretas, fort. Dort steuern wir umgehend den Campingplatz an – doch sind wir deutlich vor Öffnung der Rezeption dort. So spazieren wir über die wenig befahrene Straße zurück in den Ort, um dort einen Supermarkt zu suchen – und zu finden. Unsere Vorräte haben wir schnell zusammen. Doch was ist mit Spiritus, den wir für unseren Kocher brauchen? Meine Kollegin hat mir das Wort zwar aufgeschrieben, aber weder gesprochen noch (leider nur in lateinischen Schriftzeichen) aufgeschrieben verstehen die VerkäuferInnen, was wir suchen...
Wir entschließen uns, dies zunächst einmal so hinzunehmen. Irgendwie werden wir schon an Spiritus kommen! Und tatsächlich: Zurück am Campingplatz, immer noch viel zu früh, wird die Rezeption für uns geöffnet und wir werden freundlich begrüßt. Der Campingplatzbesitzer stellt sich als deutscher Auswanderer, „Camping-Peter“, vor. Wir schildern ihm unser Spiritusproblem. „Wartet, ich habe da noch eine angebrochene Flasche. Die haben neulich Camper hier zurückgelassen, weil sie den Spiritus im Flugzeug nicht transportieren dürfen. Mit der solltet ihr zumindest noch ein paar Tage hinkommen.“ Und tatsächlich, für zwei bis drei Tage dürfte der Spiritus noch reichen. Als wir mit der Flasche am nächsten Tag wieder im Supermarkt stehen, weiß man auch sofort, was wir suchen – und man holt uns eine Flasche aus dem „Hinterzimmer“.
Müde schlagen wir unser Zelt zwischen alten Ölbäumen auf, dann genießen wir die Wärme der Sonne. Schnell sind wir uns einig, dass wir heute keine Lust mehr zum Kochen haben. Stattdessen setzen wir uns auf die Terrasse des kleinen Restaurants, das zum Campingplatz gehört. Das Essen ist gut, doch die anderen Gäste – alles deutsche Auswanderer – stören uns ein wenig. So bleiben wir nicht lange sitzen, sondern verabschieden uns früh in unser Zelt.
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