AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit
17.09.2013 Verona
Im nächsten Morgen scheint wieder die Sonne. Als ich zur Dusche gehe, finde ich ein paar Walnüsse, die vom Baum gefallen sind. Sie sind innen noch ganz weich und die Schale bitter. So mag ich sie am liebsten.
Ich beschließe, diesmal den Weg an den Serpentinen zu nehmen, um die Bäckerei zu finden. Ich durchquere das Tor und laufe mit dem Roller unter dem Arm ein paar Treppen hinunter. Sie sind unangenehmer zu laufen als die anderen. Kurz darauf stelle ich fest, dass ich etwas vergessen habe – was, weiß ich nicht mehr – und als ich zurück komme, entscheide ich mich für die Straße. Ich entdecke, dass man in der Kurve ebenfalls einen schönen Ausblick über die Stadt hat und hier ein öffentlicher Park mit einem Wanderweg beginnt. Ich bin hin- und hergerissen, was ich jetzt tun soll, denn der Weg sieht nett aus. Er scheint die Hügel hinauf zu führen. Dann entscheide ich mich aber doch, in die Stadt zu fahren.
So rollere ich auf der Straße die Serpentinen hinunter und mache ein Bild von dem Turm, hinter dem mein Zelt steht. Die Abfahrt macht Spaß, denn ich bin ganz schön schnell, doch ich erkenne auch, dass die Serpentinen für die Abreise mit Gepäck keine gute Wahl sind. Dazu sind zu viele Autos unterwegs.

Ich finde die Bäckerei und kaufe Brötchen. Dann erwerbe ich in einem kleinen Gemüseladen Kartoffeln und etwas Obst. Die Verkäufer sind gut gelaunt und machen Späße. Vor der Tür stehen ein schwedischer Reisebus und ein Auto mit Hamburger Kennzeichen und St. Pauli Aufkleber.
Am Ende der Straße komme ich auf der Höhe der Kirche San Giorgio heraus. Sie hat eine Kuppel, und ich dachte bis dahin, sie sei der Dom. Tatsächlich ist der helle schlanke Turm, den ich abends fotografiert habe, der Campanile des Doms. Klick. Hätte ich gewusst, dass der Dom ein Bild von Tizian aufweist, hätte ich ihn vielleicht besichtigt. Aber da ich das nicht weiß, bin ich in diesem Moment eher fürs Rollern zu begeistern. Vor San Giorgio befindet sich ein Radweg am Fluss, den ich gerne nehme. Mein Ziel ist der alte Friedhof, der beeindruckend sein soll und mir von den anderen empfohlen wurde. Zunächst mache ich aber einmal wieder Fotos in Richtung Ponte Pietra und Castel San Pietro.


Der Radweg endet an der Ponte Garibaldi, und ich entscheide, quer durch die Innenstadt zu fahren. Ich fahre nach Stadtplan und als ich die Punkte der Sehenswürdigkeiten genauer betrachte, überlege ich, dass ich bei der Gelegenheit einen Blick auf die Häuser von Romeo und Julia werfen könnte. Es gelingt mir nicht. Ich finde die Häuser einfach nicht, obwohl sie ganz in der Nähe sein müssen. Zwar gehe ich davon aus, dass Romeo und Julia fiktive Figuren sind, aber Familien gleichen Namens lebten wohl in Verona und so hat man für Touristen die Häuser ausgewiesen und in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts an das Haus von Julia sogar einen Balkon angebaut.
Dafür komme ich an einem Platz heraus, der auch ganz schön ist. Ein Denkmal zeigt Guiseppe Garibaldi. Auf einer Bank esse ich ein Brötchen, während es zu nieseln anfängt. Durch Zufall finde ich das Museum, in dem die Rene Burtti Ausstellung gezeigt wird, welche die anderen besuchen wollten. Einen kurzen Moment überlege ich, ob ich sie mir anschaue, aber mir ist mehr danach, zu rollern. So quere ich wieder den Platz, an dem die Arena steht und biege zur Touristeninformation ab. Die Sonne strahlt jetzt wieder und ich flitze über den Bürgersteig. Hinweisschilder weisen auf das Grab von Julia hin und ich denke, dann suche ich eben dieses, wenn ich die Häuser schon nicht finde. Aber auch das finde ich nicht auf Anhieb. Ich rollere gefühlt dreimal um den Block, entdecke eine Parkanlage, in der deutsche Schüler Brote essen, zwei Gedenktafeln in der Nähe der Ponte Aleardi und einen Busparkplatz mit Sandwichkiosk, der von älteren deutschen Herrschaften frequentiert wird und jede Menge kleiner Cafés. Dann frage ich endlich jemanden, der mir zeigt, wo sich der Eingang befindet. Nämlich dort, wo ich schon zweimal war – ich habe es nur nicht gesehen. Nun bin ich aber richtig und fotografiere das Schild. Eine weiße Skupltur steht in der Zufahrt, es ist ein Geschenk von chinesischen Künstlern, die Romeo und Julia orientalisch interpretiert haben. Im Vorraum ist eine Büste Shakesspeares zu besichtigen. Das Grab selbst – sofern es das denn gibt - entpuppt sich als Bestandteil eines eintrittspflichtigen Museums. Enttäuscht wende ich und nehme den Friedhof in Angriff.

Es ist wieder heiß geworden und ich rollere über die Ponte Aleardi. Weithin sichtbar befindet sich vor mir ein Gebäude mit der Aufschrift „Resurrecturis“. Seine Majestät lässt vermuten, dass sich dahinter der Friedhof verbirgt, aber sicher bin ich mir nicht. Ich kenne das Wort nicht (es bedeutet: Auferstehung) und kann mir nicht vorstellen, dass ein Friedhof an so zentraler Stelle steht und ein derart imposantes Gebäude ein Haupteingang zu Gräbern ist. Da niemand da ist, den ich fragen kann, rollere ich nach rechts und finde einen weniger monumentalen Eingang. Blumenhändler stehen in der Nähe und ich werte das als Zeichen, dass ich richtig bin. Denkfehler! Blumenhändler verkaufen ihre Blumen wohl kaum dort, wo die Angehörigen schon lange verstorben sind. Es ist der neue Friedhof, den ich anschauen werde. Als ich ihn betrete, bemerke ich den Irrtum, aber der Friedhof ist so unglaublich still und gewaltig, dass ich lange in der Nähe des Eingangs verweile. Vor allem die Angewohnheit, die Bilder der Verstorbenen auf die Grabsteine zu setzen, berührt. Aber obwohl hier der Ort der Toten ist, ist es, als wäre etwas Heiteres, Tröstliches über diesem Platz. Das Leben nach dem Tode?
Nachdenklich verlasse ich den Friedhof. Nach alten Grabmälern steht mir jetzt nicht mehr der Sinn und ich habe das Bedürfnis, ein wenig zu rollern.

Ich überquere die große Kreuzung am Friedhof und bin erneut überrascht, wie rücksichtsvoll die Autofahrer hier sind. Dann passiere ich das Universitätsviertel. An der Ponte Navi komme ich heraus und fotografiere die Liebesschlösser, die in Sichtweite der Kirche San Fermo über den Fluss gehängt wurden. Auch ein paar Schuhe sind dabei und ich denke an den ods-Fotowettbewerb „Schuhe“. Das Motiv hätte gepasst. Auf der Brücke stauen sich Reisebusse und Busse und erneut zeigen sich dunkle Wolken. An der Ponte Nuovo biege ich in die Innenstadt ein und erstaunlicherweise - man hat ja Ehrgeiz - finde ich nach kurzem Suchen die Straße mit dem Haus der Julia. Trauben von Touristen stehen davor und der Torbogen wird von einer Polizistin gesichert, die nur so viele Touristen durchlässt, wie der Eingang fasst. Das wird mir dann doch zuviel und so muss ich auf den Anblick des Balkons verzichten. Kurz darauf fängt es in Strömen an zu regnen und ich flüchte mich in die Kirche Santa Anastasia, eine gotische Dominikanerkirche. Wieder eine wundervolle Innenausgestaltung, wie ich sie an italienischen Kirchen so schätzen gelernt habe. Am meisten beeindruckt mich ein neuer Altar, der eine Mischung aus alten Elementen und Neugotik darstellt. Ein paar Informationen zu der Kirche hier.

Als ich die Kirche verlasse, gießt es immer noch. Ich denke an das Museum von gestern und beschließe, mir die Ausstellung über die Arena, die Oper und über Pavarotti an zu schauen. Die Ausstellung ist menschenleer, nur ganz am Ende werde ich kurz ein britisches Ehepaar treffen. Ein wenig gespenstisch ist es schon, alleine durch eine Ausstellung zu gehen. Unvermittelt und unhörbar tauchen an den Stellen, an denen ich die Räumlichkeiten oder das Stockwerk wechseln muss, die Wächterinnen auf, und ich vermute, dass die Räume komplett videoüberwacht sind. Die Ausstellung ist interessant und enttäuschend zugleich, denn sie richtet sich mehr an den Laien und die Schwerpunkte Kostüme oder Originalpartituren interessieren mich weniger. Eine Installation, in der auf einer großen Leinwand, in vier unterschiedlichen Bildabschnitten, in der Arena aufgeführte Opern parallel in einer aktuellen und in vergangenen Inszenierungen gezeigt werden, ist sehr berührend. Leider muss man einen Teil der Bilder wie ein Dirigent am Notenpult selbst aktivieren. Vermutlich ist das der pädagogische Versuch, hyperaktiven Schulklassen die Oper näher zu bringen. Mich überfordert das völlig, und ich bin froh, dass eine Wächterin die Koordination für mich übernimmt und ich mich in die Musik versenken kann.
Gut gelungen ist dafür die Pavarotti-Ausstellung, und ich habe mich gefreut, noch einmal seine junge Stimme hören zu können, die nichts mit der Stimme der kommerziellen Auftritte im Alter zu tun hat. Letztlich resumiere ich jedoch, dass ich mir mehr Oper und Opernaufnahmen gewünscht hätte. Die Frage ist, ob das eine derartige Ausstellung schon aufgrund urheberrechtlicher Erwägungen überhaupt leisten kann.
Als ich aus dem Gebäude trete, ist der Regen in Nieseln übergegangen und hört bald auf. Ich habe keine Lust mehr, in der Stadt zu verweilen und beschließe, mir etwas zu essen zu kochen. Die Treppen sind heute viel einfacher zu bewältigen als gestern und unerwartet schnell bin ich oben. Auf dem Parkplatz des Castel steht ein Reisebus, und ich rollere schnell weiter. Kurz hinter dem Castel sehe ich eine Abzweigung und kombiniere anhand des Stadtplans, dass dies der Weg sein dürfte, den ich treppenfrei mit Gepäck zum Bahnhof gehen kann. Also kein Taxi auf der Rückfahrt, das steht fest. Am Zeltplatz angekommen, erfreue ich mich an den glitzernden Regentropfen auf den Blättern und am Zaun.

Ich setze die Kartoffeln auf (sie werden mir mal wieder anbrennen, wie üblich, schmecken aber köstlich) und beobachte, wie ein italienisches Ehepaar auf dem Zeltplatz heimlich ein paar Reben Weintrauben pflückt.
Der Sonnenuntergang ist beeindruckender als der von gestern, und eine Frau aus Malaysia postiert ihre Kamera auf einem Gorillapod. Als ich das Wort Gorillapod nenne, lacht sie mir zu, und wir kommen kurz ins Gespräch. Sie und ihre Freunde – alle mit beeindruckender Kameraausrüstung bewaffnet - reisen morgen ab. Sie wollen nach Finnisch-Lappland, um Nordlichter zu sehen. Ich wünsche viel Glück. Die Niederländer setzen sich zu mir, und wir unterhalten uns nett. Die Frau ist Künstlerin und fertigt Skulpturen. Die deutschen Radler waren in der Rene Burtti Ausstellung, und sie umfasste bekannte Werke aber auch Unbekanntes. Vielleicht hätte ich mich doch für eine Ausstellung über Fotografie entscheiden sollen? Die Frau von gestern Abend bleibt diesmal nicht lange. Sie hat ein Date und ist schon ganz aufgeregt.

Später entscheide ich mich, noch ein wenig spazieren zu gehen und laufe Richtung Castel. Ein Kreuz leuchtet in der Dunkelheit und ich muss mehrere Fotos machen, bis ich es erkennbar auf die Speicherkarte bannen kann, ohne dass das Licht zu einer Kugel zerfließt.

Und dann liegt die Stadt zu meinen Füßen.




Ich denke an die Arena und sie muss bei diesem klaren Himmel heute eine großartige Kulisse für Sänger, Musiker und Publikum sein.


Ein Auto kommt in hoher Geschwindigkeit angefahren und eine Gruppe erwachsener Männer steigt zügig aus. Im Hinterkopf gehen bei mir Alarmglocken an, aber sie wollen nur die Aussicht genießen. Einer von ihnen ist ein Mönch und es ist schön zu sehen, wie der Anblick der Stadt sie in Bann zieht. Ein Liebespaar sitzt auf der Brüstung und kuschelt, den Motorradhelm neben sich, und ich bekomme einen kurzen Anfall von Höhenangst, denn hinter der Brüstung geht es steil nach unten. Langsam gehe ich zurück und fotografiere auf der oberen Terrasse den Mond. Die Beleuchtung des Platzes lässt die Bäume irreal wirken.

Ich beschließe, dass dieser Moment der Moment des Abschieds ist. Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Mein nächstes Ziel wird Innsbruck sein. Ich setzte mich an den öffentlichen Computer im Café und überprüfe die Bahnverbindungen. Morgen um 11.02 Uhr fährt ein Zug nach Innsbruck. Ich werde versuchen, ihn zu bekommen. In den Sanitäranlagen sitzt unbeweglich ein Falter.

Die Niederländerin ist bereits schlafen gegangen, während ihr Freund noch liest. Ich kuschele mich in meinen Schlafsack und versuche ein zu schlafen. Doch das ist nicht einfach. Nicht nur, dass mir schmerzlich bewusst wird, dass der Abschied morgen auch der Abschied von Italien sein wird. Ein Fahrzeug mit aufgebohrten Auspuff röhrt die Serpentinen hoch und fährt zum Castel. Kurze Zeit später röhrt es wieder zurück. Der Sound schallt über das ganze Tal und der Fahrer wird noch ein paar Male die Straße hoch- und runterfahren. Ein paar deutsche Jugendliche nisten sich auf der Terrasse vor dem Zeltplatz ein und unterhalten sich lautstark. Als ich sie darauf hinweise, dass hier ein Schlafplatz ist, entschuldigen sie sich und reden leiser. Kurz darauf wirft jemand in regelmäßigen Abständen etwas auf meine Apsis. Erst denke ich, die Jugendlichen werfen kleine Steinchen, aber das ist nicht logisch. So genau könnten sie aus der Ferne nicht treffen. Welches Tier es war, weiß ich nicht. Aber am nächsten Tag kleben auf meiner Apsis mehrere Weintrauben ohne Schale. Noch einmal röhrt das Fahrzeug durch die Straßen Veronas. Und wie gestern hört man Feuerwerksgeräusche - vielleicht wird das Konzert in der Arena mit einem Feuerwerk beendet? -, aber ich bin zu müde, um nachzuschauen und womöglich ein Foto zu machen. Dann schlafe ich endlich ein.
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17.09.2013 Verona
Im nächsten Morgen scheint wieder die Sonne. Als ich zur Dusche gehe, finde ich ein paar Walnüsse, die vom Baum gefallen sind. Sie sind innen noch ganz weich und die Schale bitter. So mag ich sie am liebsten.
Ich beschließe, diesmal den Weg an den Serpentinen zu nehmen, um die Bäckerei zu finden. Ich durchquere das Tor und laufe mit dem Roller unter dem Arm ein paar Treppen hinunter. Sie sind unangenehmer zu laufen als die anderen. Kurz darauf stelle ich fest, dass ich etwas vergessen habe – was, weiß ich nicht mehr – und als ich zurück komme, entscheide ich mich für die Straße. Ich entdecke, dass man in der Kurve ebenfalls einen schönen Ausblick über die Stadt hat und hier ein öffentlicher Park mit einem Wanderweg beginnt. Ich bin hin- und hergerissen, was ich jetzt tun soll, denn der Weg sieht nett aus. Er scheint die Hügel hinauf zu führen. Dann entscheide ich mich aber doch, in die Stadt zu fahren.
So rollere ich auf der Straße die Serpentinen hinunter und mache ein Bild von dem Turm, hinter dem mein Zelt steht. Die Abfahrt macht Spaß, denn ich bin ganz schön schnell, doch ich erkenne auch, dass die Serpentinen für die Abreise mit Gepäck keine gute Wahl sind. Dazu sind zu viele Autos unterwegs.

Ich finde die Bäckerei und kaufe Brötchen. Dann erwerbe ich in einem kleinen Gemüseladen Kartoffeln und etwas Obst. Die Verkäufer sind gut gelaunt und machen Späße. Vor der Tür stehen ein schwedischer Reisebus und ein Auto mit Hamburger Kennzeichen und St. Pauli Aufkleber.
Am Ende der Straße komme ich auf der Höhe der Kirche San Giorgio heraus. Sie hat eine Kuppel, und ich dachte bis dahin, sie sei der Dom. Tatsächlich ist der helle schlanke Turm, den ich abends fotografiert habe, der Campanile des Doms. Klick. Hätte ich gewusst, dass der Dom ein Bild von Tizian aufweist, hätte ich ihn vielleicht besichtigt. Aber da ich das nicht weiß, bin ich in diesem Moment eher fürs Rollern zu begeistern. Vor San Giorgio befindet sich ein Radweg am Fluss, den ich gerne nehme. Mein Ziel ist der alte Friedhof, der beeindruckend sein soll und mir von den anderen empfohlen wurde. Zunächst mache ich aber einmal wieder Fotos in Richtung Ponte Pietra und Castel San Pietro.


Der Radweg endet an der Ponte Garibaldi, und ich entscheide, quer durch die Innenstadt zu fahren. Ich fahre nach Stadtplan und als ich die Punkte der Sehenswürdigkeiten genauer betrachte, überlege ich, dass ich bei der Gelegenheit einen Blick auf die Häuser von Romeo und Julia werfen könnte. Es gelingt mir nicht. Ich finde die Häuser einfach nicht, obwohl sie ganz in der Nähe sein müssen. Zwar gehe ich davon aus, dass Romeo und Julia fiktive Figuren sind, aber Familien gleichen Namens lebten wohl in Verona und so hat man für Touristen die Häuser ausgewiesen und in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts an das Haus von Julia sogar einen Balkon angebaut.
Dafür komme ich an einem Platz heraus, der auch ganz schön ist. Ein Denkmal zeigt Guiseppe Garibaldi. Auf einer Bank esse ich ein Brötchen, während es zu nieseln anfängt. Durch Zufall finde ich das Museum, in dem die Rene Burtti Ausstellung gezeigt wird, welche die anderen besuchen wollten. Einen kurzen Moment überlege ich, ob ich sie mir anschaue, aber mir ist mehr danach, zu rollern. So quere ich wieder den Platz, an dem die Arena steht und biege zur Touristeninformation ab. Die Sonne strahlt jetzt wieder und ich flitze über den Bürgersteig. Hinweisschilder weisen auf das Grab von Julia hin und ich denke, dann suche ich eben dieses, wenn ich die Häuser schon nicht finde. Aber auch das finde ich nicht auf Anhieb. Ich rollere gefühlt dreimal um den Block, entdecke eine Parkanlage, in der deutsche Schüler Brote essen, zwei Gedenktafeln in der Nähe der Ponte Aleardi und einen Busparkplatz mit Sandwichkiosk, der von älteren deutschen Herrschaften frequentiert wird und jede Menge kleiner Cafés. Dann frage ich endlich jemanden, der mir zeigt, wo sich der Eingang befindet. Nämlich dort, wo ich schon zweimal war – ich habe es nur nicht gesehen. Nun bin ich aber richtig und fotografiere das Schild. Eine weiße Skupltur steht in der Zufahrt, es ist ein Geschenk von chinesischen Künstlern, die Romeo und Julia orientalisch interpretiert haben. Im Vorraum ist eine Büste Shakesspeares zu besichtigen. Das Grab selbst – sofern es das denn gibt - entpuppt sich als Bestandteil eines eintrittspflichtigen Museums. Enttäuscht wende ich und nehme den Friedhof in Angriff.

Es ist wieder heiß geworden und ich rollere über die Ponte Aleardi. Weithin sichtbar befindet sich vor mir ein Gebäude mit der Aufschrift „Resurrecturis“. Seine Majestät lässt vermuten, dass sich dahinter der Friedhof verbirgt, aber sicher bin ich mir nicht. Ich kenne das Wort nicht (es bedeutet: Auferstehung) und kann mir nicht vorstellen, dass ein Friedhof an so zentraler Stelle steht und ein derart imposantes Gebäude ein Haupteingang zu Gräbern ist. Da niemand da ist, den ich fragen kann, rollere ich nach rechts und finde einen weniger monumentalen Eingang. Blumenhändler stehen in der Nähe und ich werte das als Zeichen, dass ich richtig bin. Denkfehler! Blumenhändler verkaufen ihre Blumen wohl kaum dort, wo die Angehörigen schon lange verstorben sind. Es ist der neue Friedhof, den ich anschauen werde. Als ich ihn betrete, bemerke ich den Irrtum, aber der Friedhof ist so unglaublich still und gewaltig, dass ich lange in der Nähe des Eingangs verweile. Vor allem die Angewohnheit, die Bilder der Verstorbenen auf die Grabsteine zu setzen, berührt. Aber obwohl hier der Ort der Toten ist, ist es, als wäre etwas Heiteres, Tröstliches über diesem Platz. Das Leben nach dem Tode?
Nachdenklich verlasse ich den Friedhof. Nach alten Grabmälern steht mir jetzt nicht mehr der Sinn und ich habe das Bedürfnis, ein wenig zu rollern.

Ich überquere die große Kreuzung am Friedhof und bin erneut überrascht, wie rücksichtsvoll die Autofahrer hier sind. Dann passiere ich das Universitätsviertel. An der Ponte Navi komme ich heraus und fotografiere die Liebesschlösser, die in Sichtweite der Kirche San Fermo über den Fluss gehängt wurden. Auch ein paar Schuhe sind dabei und ich denke an den ods-Fotowettbewerb „Schuhe“. Das Motiv hätte gepasst. Auf der Brücke stauen sich Reisebusse und Busse und erneut zeigen sich dunkle Wolken. An der Ponte Nuovo biege ich in die Innenstadt ein und erstaunlicherweise - man hat ja Ehrgeiz - finde ich nach kurzem Suchen die Straße mit dem Haus der Julia. Trauben von Touristen stehen davor und der Torbogen wird von einer Polizistin gesichert, die nur so viele Touristen durchlässt, wie der Eingang fasst. Das wird mir dann doch zuviel und so muss ich auf den Anblick des Balkons verzichten. Kurz darauf fängt es in Strömen an zu regnen und ich flüchte mich in die Kirche Santa Anastasia, eine gotische Dominikanerkirche. Wieder eine wundervolle Innenausgestaltung, wie ich sie an italienischen Kirchen so schätzen gelernt habe. Am meisten beeindruckt mich ein neuer Altar, der eine Mischung aus alten Elementen und Neugotik darstellt. Ein paar Informationen zu der Kirche hier.

Als ich die Kirche verlasse, gießt es immer noch. Ich denke an das Museum von gestern und beschließe, mir die Ausstellung über die Arena, die Oper und über Pavarotti an zu schauen. Die Ausstellung ist menschenleer, nur ganz am Ende werde ich kurz ein britisches Ehepaar treffen. Ein wenig gespenstisch ist es schon, alleine durch eine Ausstellung zu gehen. Unvermittelt und unhörbar tauchen an den Stellen, an denen ich die Räumlichkeiten oder das Stockwerk wechseln muss, die Wächterinnen auf, und ich vermute, dass die Räume komplett videoüberwacht sind. Die Ausstellung ist interessant und enttäuschend zugleich, denn sie richtet sich mehr an den Laien und die Schwerpunkte Kostüme oder Originalpartituren interessieren mich weniger. Eine Installation, in der auf einer großen Leinwand, in vier unterschiedlichen Bildabschnitten, in der Arena aufgeführte Opern parallel in einer aktuellen und in vergangenen Inszenierungen gezeigt werden, ist sehr berührend. Leider muss man einen Teil der Bilder wie ein Dirigent am Notenpult selbst aktivieren. Vermutlich ist das der pädagogische Versuch, hyperaktiven Schulklassen die Oper näher zu bringen. Mich überfordert das völlig, und ich bin froh, dass eine Wächterin die Koordination für mich übernimmt und ich mich in die Musik versenken kann.
Gut gelungen ist dafür die Pavarotti-Ausstellung, und ich habe mich gefreut, noch einmal seine junge Stimme hören zu können, die nichts mit der Stimme der kommerziellen Auftritte im Alter zu tun hat. Letztlich resumiere ich jedoch, dass ich mir mehr Oper und Opernaufnahmen gewünscht hätte. Die Frage ist, ob das eine derartige Ausstellung schon aufgrund urheberrechtlicher Erwägungen überhaupt leisten kann.
Als ich aus dem Gebäude trete, ist der Regen in Nieseln übergegangen und hört bald auf. Ich habe keine Lust mehr, in der Stadt zu verweilen und beschließe, mir etwas zu essen zu kochen. Die Treppen sind heute viel einfacher zu bewältigen als gestern und unerwartet schnell bin ich oben. Auf dem Parkplatz des Castel steht ein Reisebus, und ich rollere schnell weiter. Kurz hinter dem Castel sehe ich eine Abzweigung und kombiniere anhand des Stadtplans, dass dies der Weg sein dürfte, den ich treppenfrei mit Gepäck zum Bahnhof gehen kann. Also kein Taxi auf der Rückfahrt, das steht fest. Am Zeltplatz angekommen, erfreue ich mich an den glitzernden Regentropfen auf den Blättern und am Zaun.

Ich setze die Kartoffeln auf (sie werden mir mal wieder anbrennen, wie üblich, schmecken aber köstlich) und beobachte, wie ein italienisches Ehepaar auf dem Zeltplatz heimlich ein paar Reben Weintrauben pflückt.
Der Sonnenuntergang ist beeindruckender als der von gestern, und eine Frau aus Malaysia postiert ihre Kamera auf einem Gorillapod. Als ich das Wort Gorillapod nenne, lacht sie mir zu, und wir kommen kurz ins Gespräch. Sie und ihre Freunde – alle mit beeindruckender Kameraausrüstung bewaffnet - reisen morgen ab. Sie wollen nach Finnisch-Lappland, um Nordlichter zu sehen. Ich wünsche viel Glück. Die Niederländer setzen sich zu mir, und wir unterhalten uns nett. Die Frau ist Künstlerin und fertigt Skulpturen. Die deutschen Radler waren in der Rene Burtti Ausstellung, und sie umfasste bekannte Werke aber auch Unbekanntes. Vielleicht hätte ich mich doch für eine Ausstellung über Fotografie entscheiden sollen? Die Frau von gestern Abend bleibt diesmal nicht lange. Sie hat ein Date und ist schon ganz aufgeregt.

Später entscheide ich mich, noch ein wenig spazieren zu gehen und laufe Richtung Castel. Ein Kreuz leuchtet in der Dunkelheit und ich muss mehrere Fotos machen, bis ich es erkennbar auf die Speicherkarte bannen kann, ohne dass das Licht zu einer Kugel zerfließt.

Und dann liegt die Stadt zu meinen Füßen.




Ich denke an die Arena und sie muss bei diesem klaren Himmel heute eine großartige Kulisse für Sänger, Musiker und Publikum sein.


Ein Auto kommt in hoher Geschwindigkeit angefahren und eine Gruppe erwachsener Männer steigt zügig aus. Im Hinterkopf gehen bei mir Alarmglocken an, aber sie wollen nur die Aussicht genießen. Einer von ihnen ist ein Mönch und es ist schön zu sehen, wie der Anblick der Stadt sie in Bann zieht. Ein Liebespaar sitzt auf der Brüstung und kuschelt, den Motorradhelm neben sich, und ich bekomme einen kurzen Anfall von Höhenangst, denn hinter der Brüstung geht es steil nach unten. Langsam gehe ich zurück und fotografiere auf der oberen Terrasse den Mond. Die Beleuchtung des Platzes lässt die Bäume irreal wirken.

Ich beschließe, dass dieser Moment der Moment des Abschieds ist. Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Mein nächstes Ziel wird Innsbruck sein. Ich setzte mich an den öffentlichen Computer im Café und überprüfe die Bahnverbindungen. Morgen um 11.02 Uhr fährt ein Zug nach Innsbruck. Ich werde versuchen, ihn zu bekommen. In den Sanitäranlagen sitzt unbeweglich ein Falter.

Die Niederländerin ist bereits schlafen gegangen, während ihr Freund noch liest. Ich kuschele mich in meinen Schlafsack und versuche ein zu schlafen. Doch das ist nicht einfach. Nicht nur, dass mir schmerzlich bewusst wird, dass der Abschied morgen auch der Abschied von Italien sein wird. Ein Fahrzeug mit aufgebohrten Auspuff röhrt die Serpentinen hoch und fährt zum Castel. Kurze Zeit später röhrt es wieder zurück. Der Sound schallt über das ganze Tal und der Fahrer wird noch ein paar Male die Straße hoch- und runterfahren. Ein paar deutsche Jugendliche nisten sich auf der Terrasse vor dem Zeltplatz ein und unterhalten sich lautstark. Als ich sie darauf hinweise, dass hier ein Schlafplatz ist, entschuldigen sie sich und reden leiser. Kurz darauf wirft jemand in regelmäßigen Abständen etwas auf meine Apsis. Erst denke ich, die Jugendlichen werfen kleine Steinchen, aber das ist nicht logisch. So genau könnten sie aus der Ferne nicht treffen. Welches Tier es war, weiß ich nicht. Aber am nächsten Tag kleben auf meiner Apsis mehrere Weintrauben ohne Schale. Noch einmal röhrt das Fahrzeug durch die Straßen Veronas. Und wie gestern hört man Feuerwerksgeräusche - vielleicht wird das Konzert in der Arena mit einem Feuerwerk beendet? -, aber ich bin zu müde, um nachzuschauen und womöglich ein Foto zu machen. Dann schlafe ich endlich ein.
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