[CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

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    • 18.04.2008
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    • Meine Reisen

    [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Was zuvor geschah:

    Vom Isergebirge ins Adlergebirge (Oktober 2010)
    Bis an die Grenze – aber nicht weiter (Mai 2011)
    Zwischen Mähren und Schlesien (November 2011)
    Mit dem Rad von Olmütz zum Beskidenfuß (Oktober 2012)


    Prolog

    Das erste, was ins Laufen kam, war der Schweiß. War es wirklich eine gute Idee gewesen, die Grenzlandtour im Hochsommer fortzusetzen? Das fragten sich Herr Pfad-Finder und Frau November, als sie auf dem Marktplatz in Valasske Mezirici standen. Dabei hatten sie bisher nur eineinhalb Kilometer vom Bahnhof zurückgelegt. Hosenbeine fielen in den Staub. Während Herr Pfad-Finder das breite kulturhistorische Angebot auf Silizium bannte, verschwand Frau November unbemerkt in einer Konditorei und kehrte mit einem Eis zurück. "Das musst du dir aber noch verdienen," mahnte Herr Pfad-Finder, "dafür sind 400 Höhenmeter netto nötig!"


    20. Juli

    Ein halbe Stunde und einen Einkaufsstop im Supermarkt später verließen wir bei Krhova nicht nur die Tiefebene des Becva-Tals, sondern auch die Stadt. Vor uns lag der Beskidenkamm, der hier bei trügerischen 400 Metern über dem Meeresspiegel anfängt, sich aber binnen einer normalen Tagestour Richtung Osten auf 1129 Meter hocharbeitet. Wie es sich für einen Kamm gehört, hat er auch noch reichlich Zinken.



    • Der Sockel der Statue auf dem Marktplatz von Valasske Mezirici erinnert an das verflossene Wallachisch Meseritsch
    • Wollziege oder Ziegenhornschaf?
    • Der E3 hat uns wieder



    Nach 40 Minuten erreichten wir zwar den Waldrand, aber die Abkühlung ließ auf sich warten: Der gelbe Strich wies eindeutig und unwiderlegbar einen steilen Trampelpfad über eine Rodungsfläche hinauf. Er war sogar so steil, dass es nicht eine einzige Mountainbike-Spur gab - und das will in tschechischen Verhältnissen etwas heißen.

    Nach einigen Zickzackmanövern erreichten wir schließlich den Kammweg, der hier - welch ein Zufall! - wieder einmal mit dem europäischen Fernwanderweg E3 zusammenfiel.

    Da das Wildcampen in den Beskiden eine rechtliche Grauzone darstellt, warteten wir die Dämmerung ab, bevor wir unseren "Hühnerstall" auf einem stillgelegten Forstweg aufbauten. Zumindest dem Wegegebot wurde damit Folge geleistet.

    Technische Daten: 14,6 km in 4:35h


    21. Juli


    Über diverse Zinken des Kammwegs ging es zielstrebig nach Osten. Der Kamm bildete hier zwar nicht die Grenze - die verläuft viel weiter im Norden bei Opava/Troppau und Ostrava/Mährisch Ostrau - aber die Wasserscheide zwischen Oder und Donau.



    • Kammweg...
    • ... und noch einmal Kammweg
    • Das Becva-Tal



    Es folgte ein steiler Abstieg zum Pindula-Pass. Es war nicht klar zu entscheiden, ob man diesen Pfad lieber nicht bergab oder lieber nicht bergauf laufen wollte. Wir waren jedenfalls nicht die einzigen, die die Botanik am Wegesrand als Ab- oder Aufstiegshilfe nutzten.

    Pindula ist einer der Pässe über die Beskiden. Der Name klingt in tschechischen Ohren durchaus anzüglich und weckt Assoziationen mit einem umgangssprachlichen Wort für das primäre männliche Geschlechtsorgan. Anders als in Roznov liegt an der Pindula aber kein Hotel Eroplan, sondern nur die gänzlich unverdächtige Gastwirtschaft Zbojnicka Koliba. Hier gab es zum ersten Mal Halusky mit Bryndza - Kartoffelnudeln mit Schafskäse: Ein traditionelles Gericht der Hirten in der mährischen Wallachei (Valassko) und der angrenzenden Slowakei.

    Pappsatt machten wir uns dann an den Wiederaufstieg auf der anderen Seite des Passes. Mit der Bemerkung, dass es bis zum Radhost 200 Höhenmeter weniger als ein Brockenaufstieg sind, vermochte ich Frau November nicht signifikant aufzuheitern. Vor allem deshalb, weil es auf dem Radhost genauso idyllisch war wie auf dem Brocken: Touristengewusel ohne Ende. Wir kamen uns mit unseren Schrankwänden etwas deplatziert vor. Die Skulptur des Slawengottes Radegast trägt irgendwie indianische Züge. Vielleicht liegt es daran, dass der Bildhauer ein nach Amerika emigrierter Tscheche ist.



    • Kyrill- und Method-Kapelle auf dem Radhost
    • Radegast
    • Eine Zusammenrottung von Steinmännchen



    Schließlich erreichten wir den Ferienort Pustevny. Er verdankt sein Gesicht zu einem wesentlichen Teil dem deutsch-tschechischen Nationalitätenkampf am Ende des 19. Jahrhunderts: Die 1881 gegründete Pohorska jednota Radhost ("Radhost-Gebirgsverein") war das Gegenstück zum deutschen Beskidenverein. Beide versuchten, mit Bauden und Sommerfrischen Reviermarken zu setzen. Im dem Teil Mährens, der dem Erzbistum Olmütz gehörte, hatten die Tschechen die Oberhand; im östlich gelegenen Teil, der den Habsburgern gehörte, war der deutsche Verein im Vorteil.



    • Pustevny
    • Die Tschechen sind die Tretroller-Nation Nr. 1
    • Partisanendenkmal an der Chata Martinak



    Da es zum einen jetzt so gut flutschte und zum anderen Wildcampen wegen geschützter Landschaft weder ratsam noch wegen steiler Hänge sinnvoll erschien, beschlossen wir, zur Chata Martinak vorzupreschen. Auf diesem Abschnitt wurden wir mit einem weitaus dunkleren Kapitel der Vergangenheit konfrontiert: Die Wälder der mährisch-schlesischen Beskiden waren im Zweiten Weltkrieg Rückzugsgebiet der größten tschechoslowakischen Partisanengruppe. Ihre Anführer waren zum Teil in der Sowjetunion ausgebildet und dann per Fallschirm abgesetzt worden.

    In der Chata Martinak waren trotz der Sommerferien von den geschätzt 20 Zimmern nur drei oder vier belegt. Wir wurden mit offenen Armen empfangen - zum Glück nur bildlich, denn Achselschweiß ist bis heute ein weit verbreiteter Belästigungsfaktor - und bekamen trotz eigentlich schon geschlossener Küche noch ein warmes Abendessen.

    Am Abend widmete ich mich dem Zehnagel meines linken großen Zehs, unter dem sich in ungehöriger Weise Körperflüssigkeit gesammelt hatte. Mit dem Feinmechaniker-Schraubenzieher meines Taschenmesser bohrte ich ein Loch durch den Nagel, bis mir ein Schwall aufgestauten Blutes entgegenkam. In den Folgetagen gab es zwar noch weitere unappetitliche Sickerverluste, aber der Schmerz war weg und kam auch nicht mehr wieder.



    • Stammbaum isoliert lebender Bergdörfler?
    • Chata Martinak
    • Die Feuerlöscherausstellung im Treppenhaus



    Technische Daten: 28,6 km in 11:00h


    22. Juli

    Gegen Mittag berührten wir bei Bumbalka zum ersten Mal die slowakische Grenze. Seit dem Start der Grenzlandtour im Herbst 2009 - seinerzeit noch solo - waren fast vier Jahre vergangen. Damals war es eine spontane wettergetriebene Verlegenheitslösung gewesen, denn es galt, eine Woche Resturlaub halbwegs sinnvoll abzufackeln. Dass mich das Thema "Grenze" und "Wasserscheide" so fesseln würde, hätte ich damals nicht erwartet.

    Weiteren philosophischen Erwägungen stand jedoch ein knurrender Magen im Weg. Im tschechischen Motorest, keine drei Meter von der Grenzlinie entfernt, wurden wir zum Glück auch ohne Vorlage von Autoschlüsseln bedient. Es gab ... natürlich Halusky mit Bryndza.



    • Der erste tschechisch-slowakische Grenzstein - auf dem grauen Stein steht sogar noch "Uhry" (Ungarn)
    • Motorest
    • Ein abgeblättertes slowakisches "Vitaj" ("Willkommen")



    Die heute "aktiven" Grenzsteine zwischen Tschechischer Republik und Slowakei haben teilweise eine interessante Geschichte: Sie wurden nach 1939 gesetzt, als dort das deutsch besetzte "Protektorat Böhmen und Mähren" und der slowakische Staat, eine Kreation von Hitlers Gnaden, zusammenstießen. Auf slowakischer Seite wurde schon damals ein "S" eingemeißelt, auf der mährischen Seite ein "D" für Deutschland. Nach dem Krieg wurde nur das unerwünschte "D" ausgemeißelt, die Steine blieben stehen. Immerhin markierten sie eine wichtige Verwaltungsgrenze, vor allem nach der Föderalisierung 1968. Nach der Teilung der Tschechoslowakei wurden die Steine für die Staatsgrenze reaktiviert, und in die freigemeißelte Fläche wurde ein "C" hineingemalt.

    Drei Kilometer hinter Bumbalka wartete der nächste Boxenstopp auf uns: Die Chata Kamyk. Sie liegt auf slowakischer Seite direkt an der Straße, die hier die Grenze bildet. Der Biergarten liegt allerdings auf tschechischer Seite. Trotzdem konnten wir in Euro bezahlen (Slowakei ist Euroland!) und haben slowakische Mehrwertsteuer bezahlt. Das wäre in Deutschland wohl undenkbar: Wenn die Bewirtungsleistung aus dem Ausland heraus in Deutschland erbracht wird, hält der deutsche Fiskus bestimmt die Hand auf. Es war allerdings einer von sehr wenigen Fällen in der slowakischen Gastronomie, wo überhaupt Mehrwertsteuer abgeführt wurde. Meistens öffneten die Wirte ihre Kassenschubladen mit der Notentriegelung am Unterboden, ohne zuvor etwas einzutippen...



    • Chata Kamyk: Links vom Weg CZ, rechts davon SK
    • Typische Landschaft
    • Wiederverwendeter deutsch-slowakischer Grenzstein



    Langsam wurde es Zeit, einen Schlafplatz zu suchen. Auf den Wiesen, die ich auf der Karte ausgemacht hatte, stand das Gras hüfthoch - für eine Zeckensammlerin wie Frau November und für einen Krabbeltier-Hasser wie mich also ungeeignet. Der Wald entlang des Weges war entweder verunterholzt oder zu steil oder zu gut einzusehen. Schließlich verließ ich den Fahrweg und erkundete einen Trampelpfad entlang der Grenzmarkierung. In einer älteren Fichtenplantage fanden wir, kaum drei Meter von der Grenze entfernt, einen schönen Platz. Herr Igelstroem sagt in seiner Signatur, er suche nicht seine Grenzen, sondern einen Schlafplatz. Ich korrigiere: Wer die Grenze sucht, findet auch einen Schlafplatz.

    Technische Daten: 22,4 km in 9:50h


    Am Abend stellte Frau November fest, dass ihre gute Hose vom französischen Globi-Stardesigner Jean-Jacques Meru an mehreren Stellen Öffnungen aufwies, wo sie baulich nicht vorgesehen waren. Wir mussten also in einen größeren Ort kommen, um eine neue Hose zu kaufen. Leider liegen in unmittelbarer Grenznähe keine "größeren Orte", und selbst kleinere Orte sind dünn gesät. Mit meinem Klugfon versuchte ich also, von der nächsten Siedlung an einer grenzquerenden Hauptstraße einen Busabstecher Richtung Binnenland zu ermitteln. Problem war nur, dass diese Siedlung "Konecna" hieß, was in elektronischen Fahrplanmedien die Auswahl nicht wirklich einschränkt. "Konecna" bedeutet nämlich auch "Endhaltestelle". 2 Megabyte später hatte ich ermittelt, dass unsere Haltestelle "Konecna,, Bila" hieß, und sich eigentlich nur eine Fahrt in tschechische Ostravice oder gleich in die Kreisstadt Frydek-Mistek anbot.


    23. Juli

    So brachen wir ungewöhnlich früh auf, nämlich schon um 8:20, und erreichten die Bushaltestelle gemäß dem Motto "Jetzt müssen wir uns aber beeilen!" viel zu früh. Dort stellten wir fest, dass sich der Fahrplan für die Rücktour gegenüber dem elektronischen Fahrplan geändert hatte und unser Zeitfenster bis zur Rückfahrt auch in Frydek-Mistek reichlich bemessen sein würde.

    In Frydek-Mistek erkundigten wir uns in einem Fahrradladen nach einen Outdoorgeschäft. Ja, das gäbe es, und zwar einen Intersport in einem Einkaufszentrum, 500 Meter entfernt. Als das Einkaufszentrum auch nach 800 Metern nicht in Sicht war, drehten wir um. Ein typischer Fall von "Tschechischem Meter": Der Wechselkurs schwankt zwar, aber als Faustregel kann man davon ausgehen, dass der Tschechische Meter mindestens das 1,3-fache des Deutschen Meters beträgt. Wie eine spätere Landkartenauswertung ergab, war in unserem Fall der Tschechische Meter sogar 2,3 Mal so lang wie ein Deutscher Meter.

    Über Umsatz freuen durfte sich dann ein vietnamesischer Textilladen, in dem es so eng war, dass sich die Klamotten von den Zuständen in der Näherei gar nicht umgewöhnen mussten.

    Nachdem uns der Bus am frühen Nachmittag wieder in Konecna abgesetzt hatte, eilten wir los, um einen Teil des Zeitverlustes wieder gut zu machen. Trotzdem verordnete ich uns einen Boxenstopp in der Chata Dorotanka, um dort ein Getränk einzuwerfen: Radegast Birell gehört zweifellos zu den Top 10 der alkoholfreien Biere. Ich kann das beurteilen, da ich schon über 70 Sorten getestet habe.

    Am Fuße des Sulov, rund drei Kilometer weiter, erwartete uns die nächste Einkehrmöglichkeit. Bei geschickter Routenwahl und Etappeneinteilung ist in den Beskiden wahrscheinlich sogar durchgängiges Ultra-UL-Kochen ("Die Speisekarte bitte!") und Ultra-UL-Biwakieren ("Ein Zweibettzimmer für eine Nacht bitte") möglich. Die meisten anderen Wanderer, die wir trafen, haben das mit leichten Abstrichen auch so gemacht. Schrankwanderer wie wir waren die absolute Ausnahme.



    • Vietnamesischer Haute-Couture-Flagship-Store in Frydek-Mistek
    • Die Grenze durch Konecna/Bila
    • Die namensgebende Kapelle der Streusiedlung Bily Kriz ("Weißes Kreuz")



    Auch diesmal entpuppte sich die Suche nach einem Zeltplatz als knifflig. Entweder es war zu steil oder zu gut einzusehen oder zu uneben. Schließlich schlugen wir unseren Hühnerstall am Rande eines stillgelegten Forstweges ein, der eigentlich eine Sackgasse war. Trotzdem donnerte im letzten Abendlicht noch ein Mountainbiker in zwei Metern Abstand am Zelt vorbei. Mir ist bis heute schleierhaft, wo er herkam.

    Technische Daten: 17,6 km in 7:00h


    24. Juli

    Der Start am Morgen war von einiger Verwirrung begleitet: Offensichtlich verlief der markierte Weg früher auf einem Trampelpfad, war dann aber auf eine neu angelegte Schotterstraße zehn Meter unterhalb verlegt worden, ohne dass die alten Markierungen sauber entfernt worden waren. Wir stolperten also - wie offensichtlich auch andere vor uns - durch Brombeerranken, Brennnesseln und andere hautreizende Botanik, bis ich an der Straße eine der neuen Markierungen entdeckte.

    Einige Kilometer später startete ein hörgeschädigter Schäferhund auf mich zu. Er gehörte zu einer Gruppe selbsternannter Naturschützer, die dort angeblich die Bären vor Wilderern schützen wollen. Was Bären von Hunden halten, die unkontrolliert durchs Unterholz streifen, will ich allerdings nicht wissen. Ich würde es durchaus begrüßen, wenn dann das Wort "Hundefutter" eine ganz neue Bedeutung annähme.

    Kurze Zeit hörten wir wilde Schreie im Wald. "Hattahattahattahatta!" rief da jemand, "zuuuh-rick!" Eine kurze Pause. "Brrrrrrr!" Erinnert sich noch jemand an den ersten "Jurassic Park"-Film, als die Velociraptoren durch das Unterholz brachen? Genauso hörte es sich hier an. Nur das nach dem letzten Rauschen im Blätterwald ein Rückepferd auf den Weg durchbrach. Ein einsamer Holzarbeiter kuppelte den Baumstamm ab und verschwand mit seinem Pferd wieder im Wald.

    Am Velky Polom wurden wir überraschend mit einem Aufstieg konfrontiert, der nur mit ergänzender Handarbeit zu bewältigen war. Laut Karte hätte der Weg eigentlich um den als Naturreservat ausgewiesenen Fels herumführen müssen. Doch offensichtlich hatten die Naturschutzverantwortlichen dem "natürlichen" und zweifellos historischen Wegverlauf nachgegeben. Ob wir in ähnlicher Weise jemals die Freigabe des Großen Zschand im Elbsandstein erleben werden?



    • Warnung für Wilderer: Das Rückzugsgebiet für Bären wird von Freiwilligenstreifen des Naturschutzvereins DUHA geschützt
    • Rückepferd
    • Gipfel des Velky Polom. Wenig Aussicht, viel Heldengetöse.



    Nachdem wir uns auf dem "Gipfel" des Velky Polom (1067 m, keine Aussicht) in das Gipfelbuch eingetragen hatten, eilten wir weiter. Auf dem letzten Tropfen Wasser erreichten wir die Kamenna chata, das frühere Hotel Tetrev. Und welch eine glückliche Fügung, es war nach 12 Uhr und damit eine Mittagspause erlaubt. Es gab für mich Halusky mit Speck und Wurst sowie die Reste von Frau Novembers Halusky mit Sauerkraut.

    Mit diesem Zusatzgewicht gestaltete sich der Abstieg nach Mosty u Jablunkova sehr einfach. Hier hatten wir wieder Berührung mit polnischer Kultur: "Mosty kolo Jablunkowa" stand neben dem tschechischen Bahnhofsschild. Eine Vielzahl kleiner Lebensmittelläden im Ort ließ keinen Zweifel daran, dass hier die polnische Minderheit in der Tschechischen Republik (ja, so etwas gibt es!) die kulturelle Lufthoheit ausübte.

    Der Pass bei Mosty ist seit Jahrhunderten der wichtigste Übergang zwischen Mährisch-Schlesien und der Slowakei. Das manifestiert sich in einer autobahnähnlichen Schnellstraße und einer Bahnstrecke. Dort geht es heute aber im Vergleich zu den 90er Jahren recht beschaulich zu. Damals fuhren in kurzen Abständen Züge mit Erz aus der Ukraine nach Westen und Züge mit Koks und Kohle Richtung Osten. Ehrlich gesagt war ich etwas enttäuscht: Ich hatte eine brummende Grenzstadt wie Sterzing/Vipiteno am Brenner erwartet, aber das hier war ein verschlafenes Dorf.

    Zwar hätte es mit der historischen Festung direkt vor der Grenze und den Sandsteinkugeln bei Vysne Megonky zwei "Sehenswürdigkeiten" gegeben, aber bei 25 Grad im Schatten war jegliche Neugier erlahmt. Bevor wir ganz erlahmten, nahmen wir den Wiederaufstieg in Angriff.



    • Verschlafenes Mosty
    • Zweisprachiger Bahnhof
    • Girova-Hütte



    Die Chata am Studenicny ließen wir links liegen, was möglicherweise ein Fehler war: Der Wirt in der Girova-Hütte drei Kilometer weiter tat nämlich überhaupt nicht von uns entzückt: "So'ne Scheiße", brummelte er, "hat wirklich keiner von Euch einen tschechischen Ausweis? Sonst muss ich das wieder der Fremdenpolizei melden..." Vielleicht war es auch nur gut gespielt. Als er sah, dass ich schon Bargeld in der Hand hatte, klappte er sein Beherbergungsbuch zu, sagte nur kurz "700" (28 Euro - recht stolzer Preis) und steckte das Geld auf dem Wege des beleglosen Zahlungsverkehrs ein.

    Technische Daten: 28,7 km in 10:35h


    25. Juli

    Ausgerechnet bei erstmals bedecktem Himmel stand ein historischer Meilenstein bei der Grenzlandtour an: Das tschechisch-slowakische-polnische Dreiländereck. Die von der Karte versprochenen Feldwege waren inzwischen asphaltiert worden, sicher dank des Europäischen Fonds für Regionalentwicklung oder des Europäischen Programms für die Entwicklung ländlicher Räume oder als Ziel-III-Region des Leader-Projekts ... die Fördermöglichkeiten sind beachtlich. Dummerweise folgten wir der tschechischen Ausschilderung zum Dreiländereck. Das bescherte uns mehr zwischenzeitlichen Abstieg als uns der Weg über Polen an zwischenzeitlichem Aufstieg gekostet hätte. Irgendwie ist das Vor-Schengen-Denken manchmal doch noch in den Köpfen drin.

    Das Dreiländereck war in gewisser Weise eine Enttäuschung und eignet sich kaum zur fotografischen Wiedergabe. Der tatsächliche Grenzpunkt liegt nämlich in einem Bachbett und wird durch einen schmucklosen, bestenfalls hüfthohen Obelisken markiert. Dafür hat jeder Staat seine eigene Rasthütte, seinen eigenen Marmorobelisken und seine eigene Erklärtafel. Da macht das Dreiländereck bei Zittau mehr her, auch wenn es auf einer Insel in der Neiße liegt.



    • Drei Granitsäulen...
    • ... und ein unscheinbarer Grenzstein im Bach
    • "Take only pictures, leave only footprints!"





    Jetzt ging es für uns zum ersten Mal ins slowakische Binnenland. Zwar wies die Karte keinen direkten Wanderweg vom Dreiländereck Richtung Slowakei aus, aber meine Vermutung, dass ein allgemeines Verkehrsbedürfnis schon für einen Pfad gesorgt haben würde, erwies sich als richtig. Es bedeutete zwar, zwischen zwei Forstabteilungen einen steilen Hang mit Handeinsatz zu bewältigen, aber so schnell waren vier Kilometer Umweg selten eingespart.

    Schnell näherten wir uns Skalite, unserem ersten "richtigen" Ort in der Slowakei. Das Einkaufen im Krämerladen war ein irritierendes Erlebnis, weil die Waren zwar in Euro ausgezeichnet waren, aber die Preise zum Teil in ganz anderen Regionen lagen. Produkte der Lebensmittelindustrie waren überwiegend teurer als in deutschen Discountketten; Gemüse, Obst und lokale Backwaren deutlich billiger. Um mir innerlich die Einordnung zu erleichtern, ob etwas "teuer" oder "billig" war, rechnete ich die Preise in die mir vertrauten tschechischen Kronen-Preise zurück. Dieses Verfahren wandte ich später auch bei Restaurantbesuchen an. Das Verfahren bewährte sich ... hoch lebe die Tschechoslowakei!

    Als wir vor dem Laden saßen und den hin- und hersausenden Lkw auf der trostlosen Durchgangsstraße blickten , fing es zum ersten Mal während unserer Tour an zu "regnen", sofern man die paar Tröpfchen so nennen darf. Zum Glück hatten wir schon den Großteil unseres "Mittagessens" hinter uns. Wer weiß, ob wir ansonsten nicht im Restaurant "Kolonial" eine Portion Schweinehund zu uns genommen hätten?



    • Bahnhof Skalite
    • Das Kulturzentrum
    • Svancarovci



    So aber machten wir uns an die Bekämpfung des nächsten Bergkamms. Beim Abstieg lernte ich eine wichtige Lektion für die Folgetage: Slowakische Wegmarkierungen sind bei weitem nicht so idiotensicher wie die tschechischen: Ich verlor den Weg und wir beide unnötig Höhenmeter. Wir gelangten in einen Ort namens Svancarovci. Das wird "Schwanzarowski" ausgesprochen, ist aber aber bitte trotzdem nicht zu verwechseln mit den ähnlich klingenden Klunkern auf Designerjeans für angelsächsische C-Promis!

    Im Ort wollten wir Wasser für die Nacht tanken. Als wir schon wieder am Ortsausgang waren, ohne Kneipe oder Laden entdeckt zu haben, machten wir kehrt, um in einem Bauernhof nach Wasser zu fragen. Aber offensichtlich sind Fremde in Svancarovci solche Sehenswürdigkeiten, dass uns bereits eine Hausfrau abfing und fragte, ob wir Wasser bräuchten.

    Voll betankt machten wir uns an den dritten Aufstieg des Tages - 400 Höhenmeter, also ein halber Brocken. Vermutlich als Ausgleich dafür, dass der Gipfel keine Aussicht bot, hatte er wenigstens zwei Namen: Die slowakische Hälfte heißt Kykula, die polnische Hälfte Kikula.

    Hier nahm das Schicksal eine blöde Wendung. Mit 23 km hatten wir unser Tagessoll erfüllt, so dass ich begann, nach einem Schlafplatz Ausschau zu halten. Kurz hinter der Kikula entdeckte ich eine verborgene Nische in einem Wäldchen. Doch Frau November legte ihr Veto ein. Es sei ja erst kurz nach 18 Uhr! Bitte... Dreieinhalb Kilometer weiter war es eine Stunde später, und bei realistischer Fortschreibung des Geländes sah es nicht mehr so aus, als käme da noch ein Zeltplatz. Entweder war es steil oder steinig oder mit sperriger Vegetation überzogen. Der Sonnenuntergang rückte unerbittlich näher.

    Wir hatten unzweifelhaft ein Problem. Plan B hätte bedeutet, 200-300 Meter bis zur nächsten ebenen Fläche abzusteigen. Darauf hatten wir keine Lust. Es reifte Plan C wie "FluCht naCh vorne": Vier Wegkilometer vor uns und zweihundert Höhenmeter über uns lag nämlich die Hütte "Wielka Racza" des polnischen Wanderverbandes PTTK. Wir wären dort am nächsten Tag sowieso vorbeigekommen. Aber ob der Hüttenwirt um kurz vor 21 Uhr noch Gäste erwarten würde? Zum Glück waren auf der Rückseite der polnischen Wanderkarte die Telefonnummern der Hütten aufgelistet. Ich rief an. Den ersten Schwall an polnischen Zischlauten ließ ich an mir vorbeirauschen. Czy panstwo este ma luzka pre dve osoby, fragte ich in einem kabarettreifen Gemisch aus Slowakisch, Tschechisch und polnischen Wortfetzen. Erneut zischte es aus dem Hörer, ich vernahm aber auch das entscheidende "Tak" (ja). Ich avisierte unsere Ankunft für 20:45 und sollte damit fast auf die Minute Recht behalten.

    Die verstreuten Zischlaute fegte ich sorgfältig zusammen und packte sie ein. Schließlich würde ich sie noch benötigen, um schestnaschtschje (oder waren es oschemnaschtschje?) Zloty pro Person für die Übernachtung zu bezahlen, dazu noch tschie Zloty für ein neues Reservesnickers. Rund dwadscheschtschja Zloty würde das Frühstück kosten. Das kommt davon, wenn man mit seinem Latein am Ende ist!

    Anschließend erleichterten wir unser Gepäck um die jetzt sinnfreien Wasservorräte. Jeweils zweieinhalb Kilogramm leichter ging es dann an den Endspurt.


    Endspurt im letzten Licht

    An der Wielka Racza erwartete uns der Wirt bereits auf der Terrasse. Wie sich herausstellte, hätte ich mich am Telefon gar nicht so zum Horst machen müssen, denn er war im Zivilberuf Deutschstudent.

    Technische Daten: 30,6 km in 11:45h


    26. Juli

    Nach knackig kalter Nacht brüllte uns am Morgen die Sonne mit aller Kraft aus dem Schlaf. Die Aussicht von der Wielka Racza ließ keine Wünsche offen. Durch wunderbare Wiesenlandschaften bummelten wir - der Grenze folgend - erst nach Süden, dann nach Osten.



    • Aussicht von der Wielka Racza
    • Hier gibt es Bären - und auch bärensichere Mülleimer!



    Rechtzeitig zur Mittagszeit erreichten wir den Przegibek-Pass. Dort gab es nicht nur eine Streusiedlung, sondern auch die in Polen obligatorische Kirche, aber in ungewöhnlicher Aufmachung: Sollte sich Ikea einmal entscheiden, auch Holzkirchen ins Angebot aufzunehmen, würden sie nicht viel anders aussehen: Helles Holz, ganz unkatholisch, und "bequeme Bänke" - so habe ich es jedenfalls damals notiert. Beim Blick auf das Foto zweifle ich:.Kamen sie mir nur deshalb so bequem vor, weil in der Kirche 18 Grad waren und draußen eher 25? Jedenfalls bedurfte es einiger Überwindung, die Kirche zu verlassen, obwohl kaum 300 Meter entfernt die Berghütte Na Przegibku lockte. Einziger Nachteil der polnischen Berghütten ist, dass es kein alkoholfreies Bier gibt. Bei den Slowaken gibt es Zlaty Bazant ("Goldfasan"), das sich seit meinem ersten schmerzhaften Selbstversuch 1998 sehr zum Besseren gewandelt hat.



    • Ein unbekannte Wegmarkierung: Der Fernwanderweg Atlantikwall-Gotenhafen/Krim?
    • Kirche am Przegibek-Pass



    Ein Mittagessen und fünf ereignisarme Kilometer später erreichten wir die Berghütte Na Rycerzowej. Nach der Monsteretappe am Vortag hatten wir uns diesen Tag Wellness-Wandern verdient, der von einem Wellness-Schokoladeessen auf den Bänken vor der Hütte gekrönt wurde.



    • Indianerland?
    • Das Gras an den Sitzbänken ist doch das leckerste!
    • Wer verlässt sich darauf, dass grobmotorische Paarhufer die Abspannleinen sehen?



    Technische Daten: 15,8 km in 7:00h.


    28. Juli

    Die Schonung erwies sich als äußerst vorausschauend. Die nächste Etappe lullte uns anfänglich mit einem lockeren Wanderweg durch lichten Buchenwald ein, konfrontierte uns dann aber mit dem ersten "Wadenbeißer": So taufte ich die Steigungen, bei der die Ferse den Boden nicht erreicht, sondern der Fuß nur auf der Spitze ruht. Serpentinen alpenländischer Art sind Polen wie Slowaken nämlich fremd - getreu dem Grundsatz, dass die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten eine Gerade ist. Zum Glück war es trocken. Ich will nicht wissen, wieviel Halt der lehmige Boden bei Nässe bietet. "Wanderweg mit beschränkter Haftung"? Dem ersten Wadenbeißer zur Switkowa folgte ein zweiter zum "Panski Kopec" und ein dritter zum Wysoki Beskid/Usust. Die slowakischen Wanderkarten vom VKU mit ihren 20-Meter-Höhenlinien verharmlosen die Wadenbeißer etwas.




    • Der erste Wadenbeißer
    • Blick auf unsere Verfolger
    • Verlassene Grenzergebäude an der Straße Ujsoly/Novot



    Als wären wir nicht schon vom Schweiß nass genug, ging nun auch noch ein kurzer Schauer nieder. Er reichte eigentlich nicht, um Vollschutz nötig zu machen - er reichte aber aus, um die Vegetation auf und neben dem Pfad soweit zu benetzen, dass die Regenhose sinnvoll war. Etwas angefressen, aber trotzdem hungrig, erreichten wir die Passstraße zwischen Ujsoly (PL) und Novot (SK). Die Grenzabfertigungsanlagen sahen aus wie nach einer Neutronenbombe, und auch unsere Hoffnung auf eine Gaststätte oder einen Laden wurde enttäuscht. Nur ein schmieriger Typ mit Freundin im tiefergelegten Golf wollte bei uns Geld wechseln - ich lehnte dankend ab. Wer sein Geld nicht in einer Bank oder Wechselstube wechseln will, wird dafür Gründe haben, die im Strafgesetzbuch zu finden sind. Drei Kilometer später beendeten wir die Etappe in der polnischen Berghütte Krawcow Wierch.

    Technische Daten: 22 km in 9:35h


    Am Abend machten wir Inventur. Vor uns stand die Frage, ob die uns weiter streng an der Grenze festhalten, also noch einmal weit nach Norden ausholen und dort die Babia Gora/Diablak (1724m) mitnehmen, um dann fragwürdigen Wegen durch die Sümpfe nordöstlich des Orava-Stausees zu folgen. Alternative war, in die Slowakei abzuschwenken, den Orava-Stausee im Süden zu umgehen und die Grenze erst wieder in der Hohen Tatra aufzunehmen. Nachteil war ein hoher Anteil Straße.

    Aber bei nüchterner Betrachtung war es schon entschieden. Die Wadenbeißer hatten uns gezeigt, dass wir mit unserer skandinavientauglichen Ausrüstung viel zu schwer für ernsthaftes Bergwandern unterwegs waren. "Nur das Nötigste" - inkl. Zelt und Futter, aber ohne Wasser - wog bei mir rund 17 kg. Frau November lag definitiv nicht darunter, denn im Ausland gibt es weder Riesaer Muscheln noch selbst portionierten Kartoffelbrei.


    28. Juli

    So verließen wir am Morgen die Grenze Richtung Osten, stolperten 250 Meter über einen zugewachsenen Waldweg und erreichten dann einen "Forstweg". "Einen" Forstweg ist eigentlich falsch, denn es waren bis zu drei Wege, die sich in unterschiedlichem Status der Bodenerosion zwischen den Bäumen durchschlängelten. Gemeinsam war ihnen lediglich, dass man sie nur mit einem Traktor oder Unimog befahren konnte. Der Mitsubishi des deutschen Försters hätte keine Chance gehabt. Fußgänger waren nicht vorgesehen, sie mussten sich zwischen vollgelaufenen Spurrinnen, knietiefem Matsch und Brennesseln ihren Weg selbst suchen.

    Dieses Phänomen der Vielwegigkeit - Ralf Böhm würde es in seiner Wegeheilkunde vermutlich als Multivialismus bezeichnen - hatten wir zuvor schon in Siebenbürgen beobachtet: Ist ein Weg verschlissen, wird einfach ein neuer aufgefahren. Ist das ein gemeinsames Erbe der jahrhundertelangen ungarischen Herrschaft über diese beiden Regionen?



    • Krawcowy Wierch
    • Waldweg auf slowakische Art
    • Wir sind nicht die einzigen Rindviecher, die bei diesen Temperaturen unterwegs sind.



    Bald erreichten wir aber eine umso besser ausgebaute Forststraße, die uns nach Novot führte. Die erstbeste Gastwirtschaft hatte zwar nur Getränke im Angebot, wir ergänzten das aber durch Festtreibstoffe aus dem Supermarkt nebenan, der auch an diesem Sonntag geöffnet hatte. Die Dorfjugend hatte offensichtlich den Gottesdienst geschwänzt und die Zeit zum "Vorheizen" genutzt. Es war zwar erst kurz nach zwölf Uhr, aber die ersten hingen schon an der Reling zum Fluss und ließen sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. An unserem Tisch saßen Profis, die eine Zwischenmahlzeit in Form der regionalen Red-Bull-Alternative zu sich nahmen.

    Schließlich entdeckten wir schräg gegenüber von der Kneipe den "Kurpark" der örtlichen Poliklinik. Dort war es zum einen nicht so verraucht wie im Biergarten. Zum anderen konnte ich an den Füßen von Frau November die Scheuerstellen verarzten, die seit einigen Tagen vor sich hinschwelten - wobei dieses Verb angesichts des Nässe im Schuhinnenfutter (O-Ton Frau November: "Leicht feucht") eigentlich unpassend ist. Da wir es versäumt haben, die Löcher zu dokumentieren, greife ich mal auf ein Bild von Waldhoschi zurück. Bei der Keltenwegtour im Herbst haben wir die neuralgischen Stellen von Anfang an täglich mit Fixomull abgeklebt.

    Wir bummelten die Dorfstraße herunter, entdeckten, dass es auch ein Restaurant gegeben hätte, zogen aber weiter und bogen auf den "Feldweg" hinüber nach Dulov ab. Das hatte jedenfalls die Karte versprochen - die Realität war eine nagelneue Landstraße. Auf der Kuppe begrüßten uns ein Hubertusdenkmal hinter Glas, ein Kruzifix mit Bank im Schatten und eine unfertige Rasthütte. Ich hätte mir gern ein paar Bretter hingelegt, um Siesta zu machen, durfte aber nicht, weil es zum einen "peinlich" sei und wir uns zum anderen uns beeilen müssten.



    • Die Jagdvereinigung Novot ist in perfekter Tarnung angetreten
    • Der Hubertusschrein
    • Benadovo, Dorf der zwei Türme



    Also runter nach Dulov und und gut einen Kilometer weiter westlich auf der anderen Talseite rauf nach Benadovo. Und, oh welche Freude, kurz hinter dem Ortseingang eine Kneipe. Wir wurden mit offenen Armen empfangen, was sicherlich auch auf den Promillegehalt des Kneipenbesitzers und seines Bruders zurückzuführen war. Noch größer war die Begeisterung, als sich sich herausstellte, dass diese wunderlichen Fremden mit ihren großen Rucksäcken ("Oh, sind die schwer!") auch noch die Landessprache verstanden. Es kam natürlich die Frage Woher-Wohin. Mit weit ausholenden Handbewegungen wurden uns zahlreiche Wegalternativen erläutert, aber keine davon war den entsprechenden Strichen in der Landkarte zuzuordnen. Böse Zungen würden sagen, dass dies dem veralteten Stand der Karten geschuldet war, ich würde aber noch einen draufsetzen und sagen, dass die Trunkenheit die Zahl der Wegalternativen glatt verdoppelt hat.

    Irgendwann wurden wir dann doch entlassen, und es gelang uns tatsächlich, den Wegen auf der Karte zu folgen. Kurz vor dem Erreichen des Kammwegs gerieten wir in ein frisch gemähtes Gravitationsfeld. Es hatte schon dafür gesorgt, dass sich ein Strauch in der Mitte schattenspendend niederbeugte. Als wir den Strauch erreichten, warf uns die Schwerkraft zu Boden. Sie zog uns sogar die Lider über die Augen! Erst eine Stunde später hatten wir uns mit dem bekannten Antigravitationsmittel Schokolade soweit gestärkt, dass wir weiterziehen konnten.



    • Letzte Aussicht vor dem Wald
    • Die Ziegen wissen sich dem Gravitationsfeld fernzuhalten




    Eigentlich wäre dort auch ein schöner Zeltplatz gewesen, aber die Dorfjugend bretterte regelmäßig in Sichtweite mit ihren Enduros über den Kammweg. Außerdem hatten wir noch keine 20 Kilometer voll, damit also noch keine "Wanderung" absolviert.

    Wir stiegen also weiter auf, fanden nach einigem Hin und Her den fast zugewachsenen Einstieg in den Abzweig des Kammwegs (die Trecker hatten sich inzwischen einen alternativen Zug aufgefahren). Der Wald entpuppte sich als sehr unaufgeräumt. Die in der Karte noch eingetragenen offenen Flächen waren verbuscht oder geradewegs aufgeforstet worden. Zu allem Überfluss herrschte auch noch ein wahres Fliegeninferno. Flucht nach vorne kam nicht in Frage, weil zu weit. Schließlich fanden wir doch noch einen stillgelegten seitlichen Waldweg, auf dem das Gras nicht hüfthoch stand.

    Technische Daten: 21,9 km in 10:20h


    29. Juli

    Nachdem wir am Morgen durch hektisches Auf- und Abwedeln des Zeltes alle Fliegen aus der Apsis und dem Zwischenraum zwischen Innen- und Außenzelt verscheucht hatten, kehrten wir auf den reichlich matschigen und verlotterten Kammweg zurück. Er verbesserte sich aber zunehmend: Ab einem Holzumschlagplatz war er geschottert, und an einer Freilicht-Wallfahrtstätte wurde er sogar Pkw-tauglich. Nur der Weg, den wir uns zum Abstieg ins Tal nach Oravska Jasenica ausgesucht hatten, war zwar konturenmäßig noch erkennbar, ansonsten aber undurchdringliches Biotop.



    • Der Orava-Stausee grüßt von weitem
    • Hier brummt's!



    Als wir uns innerlich schon auf einen großen Umweg über Lokca eingestellt hatten - denn dorthin schien die Forststraße zu führen-, kamen uns zwei Jäger im Geländewagen entgegen. Sie empfahlen uns einen nicht dokumentierten Abstieg nach Oravska Jasenica über einige Wiesen, "den auch die Traktoren nehmen".

    Schwuppdiwupp waren wir unten - und gleich an der Einmündung zur Hauptstraße lag auch ein Supermarkt. Einen alkoholfreien Zlaty Bazant später ging es weiter. Als wir die Flussbrücke überschritten, setzte aus den Dorflautsprechern Orgelmusik ein. "Das wäre aber nicht nötig gewesen", sagte ich zu Frau November. "So selten werden hier Ausländer doch auch nicht sein, dass man sie mit Orgelmusik begrüßen muss." Wie aber nach etwa fünf Minuten ein unsichtbarer Ansager verkündete, ging es nicht um Begrüßung, sondern um Verabschiedung: Ein Einwohner war gestorben, und das wurde jetzt bekanntgegeben.



    • "Pozor deti" heißt "Achtung Kinder", aber was bedeutet es? Sollen die Kinder sich vor Gummreifenmännern in Acht nehmen?
    • Vorsicht, Schwarzer Mann!
    • Die Kirche von Oravska Jasenica



    Die folgenden gut zwei Kilometer von Oravska Jasenica nach Namestovo entlang der Fernstraße 78 waren hochgradig unerfreulich, denn die Fahrkünste der Slowaken unterscheiden nicht wesentlich von denen ihrer Nachbarn. Insofern wischte ich in Namestovo nicht nur wegen der kurz vor 30 Grad liegenden Temperaturen Schweiß von der Stirn.

    Der Hauptplatz von Namestovo lag in Siesta-Stille. Nur in den Cafes und den Restaurants hockten Menschen. Wie sehr mich die Hitze mitnahm, lässt sich daran ablesen, dass ich nur einen Sopsky salat bestellte (Tomate, Gurke, Paprika, Pseudo-Feta). Wir fassten den Beschluss, nur noch auf die Südseite des Orava-Stausees zu wechseln, und dort dann nach einer Unterkunft Ausschau zu halten - obwohl die 20-Kilometer-Marke noch in weiter Ferne lag.



    • Ausgestorbener Hauptplatz in Namestovo
    • Marmorlastiger Friedhof wie überall im ehemaligen Königreich Ungarn


    Wir fanden die Unterkunft in Form der "Chata Slanica", einer mittelprächtigen Pension. "Verkehrsgünstig gelegen" hätten die Reisekatalogslyriker mit Blick auf die Hauptstraße vor der Tür geschrieben. Für 8 Euro pro Person in der Hochsaison mitten in einem Feriengebiet war sie fair bepreist - und einen kleinen Lebensmittelladen im Erdgeschoss gab es auch noch. Muss ich noch erwähnen, dass der Zahlungsverkehr beleglos abgewickelt wurde?

    Die trockene Hitze warf uns bis zum frühen Abend auf die Betten, sorgte aber auch dafür, dass binnen dieser wenigen Stunden Frau Novembers Botten zum ersten Mal seit langem wieder richtig trocken wurden.

    Technische Daten: 15,1 km in 6:10h

    Fortsetzung folgt
    Zuletzt geändert von November; 21.03.2014, 21:48.
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    #2
    AW: Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

    30. Juli

    In der Nacht überquerte uns die versprochene Kaltfront, und so brachen wir unter bedecktem Himmel bei höchst angenehmen 15 Grad auf. In Anbetracht des an diesem Tag vor uns liegenden Höhenmeterpensums verkniffen wir uns Umweg und Aufstieg zur Magurka. Stattdessen folgten wir bis zur Staumauer der Straße. Die Staumauer war ein Meisterwerk braunroter Naturbezwinger: Vom slowakischen Marionettenregime 1941 begonnen, in Stalins Todesjahr 1953 vollendet. Sofern man Stauseen aber als nützliches Mittel zur Gewinnung elektrischer Energie und zur Speicherung von Wasser ansieht, muss man anerkennen, dass der Baubeginn nur zwischen 1939 und 1945 überhaupt denkbar war - als es nämlich kein Polen gab, das gegen die Überflutung seines Territoriums Einspruch einlegen konnte.

    An der Staumauer trafen wir wieder einen alten Bekannten, nämlich den E3. Aber ohne Zauberkasten hätten wir ihn kurz dahinter fast wieder verloren. Dass der Weg mitten durch schulterhohe Vegetation abzweigte, wäre bei nichtelektrischer Navigation nur an der plötzlichen Abwesenheit von Markierungen erkennbar gewesen. Wo sind eigentlich die Strauchdiebe, wenn man welche braucht?



    • Die Staumauer
    • Mist, Machete vergessen!
    • Blick zurück auf den Stausee



    50 Meter weiter stießen wir dann zwar wieder auf Markierungen, sie führten aber irritierenderweise nach rechts und nach links weiter. Wieder beschleunigte der Zauberkasten das Finden der richtigen Lösung. Offensichtlich war der Weg vor einiger Zeit umgelegt worden, ohne die alten Markierungen zu entfernen. Schließlich erreichten wir doch wieder offenes Land und den versprochenen Wirtschaftsweg hinauf zum Uhlisko (860 m). Dieser Berg hat offenbar nur einen Zweck - dem Wanderer im Weg zu sein. Der bewaldete Gipfel bietet keinerlei Aussicht, es fliegen unzählige lästige Hirschlausfliegen (Arbeitstitel: "Flugspinnen") herum, und der Abstieg führt über matschige Wege. Entsprechend angenervt erreichten wir Trstena, das sich auf den ersten Blick nur mit Plattenbauten, einer Ruine von Stadion und Vollzeitalkoholikern profilierte. Irgendwie hatten wir das Gefühl, dass der Ort eigentlich Tristena hieß, nur dass das "i" von Kleinkriminellen geklaut und an einen Altvokalhändler verkauft worden war. Ein ähnliches Schicksal hatten wohl auch Tvrdosin, Strbske Pleso oder Trnava erlitten.

    Als ich wenige Kilometer später die Karte "Westliche Tatra" herauszog, musste auch Frau November anerkennen, dass das von mir zu Beginn der Tour aus dem Ärmel geschüttelte Grobziel Zakopane in greifbare Nähe gerückt war. Bestätigt wurde das auf dem Gipfel des Skorusina (1314m): Durch den Dunst waren die gezackten Konturen eines Hochgebirges zu erkennen.



    • Tr(i)stena
    • Wir nähern uns den 2000ern
    • "In der Slowakei werden gescheiterte Geländewagenfahrer mit den Reifen nach oben im Weg begraben"?
    • Chata Lux
    • Oravice





    Eigentlich hatten wir unser Tagespensum schon erfüllt, und auf dem Gipfelplateau hätte man auch schön ein Zelt aufbauen können, aber der Wegweiser versprach, dass es bis Oravice am Eingang zum Tatra-Nationalparks nur noch eine Stunde und fünfundzwanzig Minuten sein würde. Das traf auf die Minute zu, und so quartierten wir uns in der "Chata Lux" ein - nicht zu verwechseln mit dem "Hotel Lux". Selbst in dieser touristischen A-Lage gab es mitten in der Hochsaison noch jede Menge freie Zimmer!

    Technische Daten: 27,7 km in 10:10h


    31. Juli

    Am Morgen war die Kaltfront abgezogen, und es begrüßte uns wieder blauer Himmel. Wir folgten zunächst noch dem E3, bogen dann aber zu einem der zahlreichen Gipfel mit dem Namen Magura ab. Ein Jäger, dem wir begegneten, bewunderte meine Schrankwand und fragte dann grinsend in Anspielung auf ein tschechoslowakisches Soldatenlied aus dem Zweiten Weltkrieg "Smer Praha?"("Richtung Prag?") Als gelernter Historiker nahm ich den Ball auf und antwortete, wir seien eher in Richtung Dukla unterwegs: Am ostslowakischen Dukla-Pass hatte die tschechoslowakische Division in der Roten Armee 1944 zum ersten Mal slowakischen Boden betreten.

    Auf der Magura selbst gab es außer Bäumen nichts zu sehen, wir eilten daher schnell weiter; nachdem ich einen klitzekleinen Navigationsfehler korrigiert hatte, der uns zusätzliche 100 Höhenmeter bescherte, sogar in der richtigen Richtung.

    Jetzt waren wir wieder in Polen, was wir im Dorf Witow aber gar nicht so merkten, denn es dauerte tatsächlich fast einen Kilometer, bis wir den ersten Lebensmittelladen fanden. Das ist für polnische Maßstäbe sehr weit. Nun, der zweite Laden war dann auch praktisch gleich neben dem ersten. Anschließend bewunderten wir die Holzkirche, noch nicht ahnend, dass Holzkirchen in dieser Gegend der Standard sind.



    • Nicht der Silbersteig, sondern ein übermalter blauer Strich
    • Großartige Aussicht von der Magura (1232 m)
    • Holzkirche in Witow



    In Witow überquerten wir dann den hier noch unscheinbaren Czarny Dunajec, der trotz der Wortähnlichkeit nichts mit der Donau zu tun hat. Er mündet nämlich in die Weichsel.

    In Plazowka wartete die nächste Holzkirche auf uns. Schon etwas abgestumpft machten wir die Fotos nur noch aus der Ferne, bevor uns eine weitgehend zahnlose Oma ansprach. Irgendetwas wollte sie uns erklären - aber das an Zischlauten ohnehin nicht arme Polnisch wird durch den zusätzlichen Verzicht auf Dentallaute nicht besser verständlich. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte ich mir, und schwallte sie auf Tschechisch mit einer Frage nach dem Weg voll.

    Natürlich ging es bergauf weiter, wurde meine Befürchtung bestätigt. Quer über eine frühere Weide hangaufwärts. Es war aber der letzte steile Anstieg des Tages. Auf dem Kamm ging es im Wald weiter, und abgesehen von der lückenhaften Markierung war der Wegverlauf eigentlich fast selbsterklärend.

    Bei Grunow erreichten wir den Dunstkreis von Zakopane und gerieten in Sonntagsausflugstrubel. Wir kamen uns mit unserem Gepäck zwischen all den Kinderwagenfahrern etwas verirrt vor. Die Idee, hier noch dem gelben Strich über eine Skipiste folgen zu wollen, war dann allerdings nicht die cleverste. Die Markierung verlor sich zwischen neuen Baugrundstücken, die in der Karte nicht andeutungsweise vorgesehen waren. Erst ein paar Anwohner steuerten uns zurück auf den richtigen Weg - natürlich nicht ohne zuvor Brombeeren und Brennesseln durchqueren zu müssen.



    • Plazowka
    • Neureichen-Neubau
    • Zakopane!





    An einer Hauptstraße orientierten wir uns in Richtung des vermuteten Stadtzentrums und landeten schließlich unter einer Schnellstraße mitten auf einem jener Märkte, die in Deutschland Polenmärkte genannt werden. Das Gewusel war nach der Ruhe der letzten Tage fast unerträglich. Zum Glück hatte ich per klugem Telefon schon ein paar Hostels notiert. Eines sollte nur 300 Meter entfernt sein.

    Das Privatzimmer für zwei Personen war kein Problem. Hieß es an der Rezeption. Bei näherer Besichtigung war es ein vergrößerter Schacht von vier mal vier Metern Bodenfläche und gefühlt fünf Metern Höhe. Das einzige Fenster war an der Decke und ließ sich nicht öffnen. Offensichtlich gelten die UN-Mindeststandards für Gefängniszellen nicht für Hostels. Ich dachte an die Ausdünstungen unserer Schuhe und daran, wie sich am nächsten Morgen die Tapete von den Wänden rollen würde. Einen Rabatz später hatten wir ein Zimmer mit kippbarem Dachfenster.

    Technische Daten: 25,4 km in 9:55h


    1. August

    Mit leichtem Gepäck ging es am nächsten Tag in die Hohe Tatra. In dichter Kolonne schlichen wir mit hunderten anderen Individualtouristen zum Kondracke sedlo auf dem Grenzkamm zwischen Polen und der Slowakei hoch. Auf dem Kamm herrschte ebenfalls reger Betrieb: Polen, Slowaken jede Menge Tschechen und auch einige Deutsche krabbelten den felsigen Pfad entlang. Auch wenn das Naturerlebnis zu wünschen übrig ließ: Das Wetter hätte kaum besser sein können. Vom Kasprowy Wierch ließen wir uns mit mit der Seilbahn wieder herunterkarren.



    • Tatra-Panorama
    • Berghütte Hala Kondratowa – man beachte die fünffache Mülltrennung vorne am Geländer!
    • Der Beweis, dass wir unserem Auftrag „Grenzlandtour“ treu geblieben sind
    • Touristische Erosion ist keine Illusion




    In Zakopane wurde unser Fortkommen massiv behindert: Für irgendein blödes Radrennen war eine Querstraße gesperrt, und wir kamen nicht weiter. Zwar waren weit und breit keine Radfahrer zu sehen - die Herrschaften waren wohl noch für eine Spritze bei Dr. Fuentes - , aber die Polizei ließ niemanden durch. Auch wüste Beschimpfungen halfen nicht, wie eine aufgebrezelte spätmittelalterliche Dame aus dem traditionsreichen polnischen Adelsgeschlecht derer von Rorszpac feststellen musste (im Deutschen bekannt durch die Redensart "sie schimpfte wie eine Rorszpac").

    Ich hingegen verordnete uns im vagen Vertrauen auf ostmitteleuropäischen Schlendrian eine seitliche Ausweichbewegung. Wir wurden nicht enttäuscht: In einer Kurve, nur 150 Meter entfernt, aber jenseits des Beobachtungsbereichs der Gesetzeshüter, hatte sich der unbändige Freiheitswille der Polen Bahn gebrochen. Durch eine auseinandergehobene Gitterabsperrung überquerten wir zusammen mit anderen freien Bürgern die Straße. Als wir wieder an die Kreuzung zurückkamen, war Frau Rorszpac immer noch am Schimpfen.

    Technische Daten: 13,1 km in 5:30h


    2. August

    Zwei Tage hatten wir noch: Es galt, eine günstige Ausgangsposition zu erreichen, um eventuell im Herbst auch nach dem ersten Schnee im Hochgebirge die Grenzlandtour fortsetzen zu können. Als sinnvolles und erreichbares Ziel erschien uns das slowakische Zdiar. Problem: Laut Karte durfte unser potenzieller Abstieg nach Zdiar nur in Gegenrichtung begangen werden. Wir mussten also die zweite Teiletappe "umdrehen" und uns mit dem Bus behelfen.

    Aber eigentlich hätten wir uns auch schon bei der ersten Teiletappe gerne mit dem Bus beholfen: Der Weg durch die Stadt vom Zentrum bis zum Start des Wanderweges zog sich nämlich rund sechs Kilometer hin, und auch eine entlang der Strecke aufgestellte Holzkirche (die wievielte eigentlich?) vermochte nicht aufzuheitern. Nach der Tortur bezahlten wir dann auch gerne den Eintritt in den Nationalpark... Der zeigte sich von seiner besten Seite, und wieder einmal bewunderte ich das klare Wasser in den Bächen. Kein Vergleich zu Schottland!

    Am Wierch Waksmundski vorbei stiegen wir zur Gesia Szyja auf, wo ein Trubel herrschte wie am Samstag im Elbsandstein. Nur dass dort weniger Nonnen in voller Ordenstracht den Berg raufsteigen!



    • Auf der Gesia Szyja
    • Auf welcher Seite des Zauns steht keine Herde?



    Im Tal der Bialka kamen wir wieder auf die Straße - genau dort, wo die Touristen in Richtung Morskie Oko vom Bus auf Pferdefuhrwerke umsteigen müssen. Es roch nicht nett, und das lag nicht an den Bussen.

    In Lysa Polana überquerten wir die Grenze. "Kraj Presov" verkündete das Schild auf der slowakischen Seite. Ich staunte: Wir waren schon im letzten Regierungsbezirk vor der ukrainischen Grenze?!

    Zahlreich verlassene Verkaufsbuden auf beiden Seiten der Grenze zeugten davon, dass die Preise in beiden Ländern offenbar gleich sind. Nur Alkoholika scheinen in der Slowakei geringfügig billiger zu sein. Jedenfalls guckte mich die slowakische Verkäuferin etwas irritiert an, als ich nach einem alkoholfreien Bier fragte. Immerhin: Sie hatte welches. Draußen setzten sich bald drei Tschechen zu uns, die das Verkaufspersonal nicht mit derart exotischen Wünschen verwirrt hatten. Sie auf dem Rückweg von einer Kammüberquerung als Hüttentour und warteten jetzt auf den Bus zurück in Richtung Poprad.

    Wir hingegen mussten noch nach Tatranska Javorina laufen, denn dort sollte am nächsten Tag unsere "umgedrehte" Etappe enden. Und Lücken gehen gar nicht! Es waren auch nur noch drei Kilometer, und wir haben dadurch auch keinen Bus verpasst.

    Allerdings zerschlug sich meine Hoffnung, schon in Tatranska Javorina eine Unterkunft zu finden. Selbst das Gasthaus hatte geschlossen - an einem Samstag in den Sommerferien! Es gibt hier offenbar nur eine Wintersaison. Wenigstens der Laden hatte geöffnet und verkaufte Bierspezialitäten wie Zlaty Bazant alkoholfrei mit Zitrone.



    • Wieder in der Slowakei
    • Verlassene Grenzabfertigung
    • Tatranska Javorina


    Technische Daten: 20,6 km in 7:55h


    Um nicht am Sonntagmorgen vor der Abfahrt des Zuges Richtung Heimat in Hektik zu geraten, ließen wir uns gleich nach Poprad karren und quartierten uns dort für zwei Nächte in einem als Hostel verkleideten Studentenwohnheim direkt am Busbahnhof ein. Poprad wirkte im Vergleich zu Zakopane geradezu verschlafen, was aber kein Nachteil war. In einem pseudointernationalen Restaurant verriet uns die Speisekarte, dass Gnocchi "italienische Halusky" sind, was vereinfachend sicherlich zutrifft, aber Halusky ungerechtfertigt herabwürdigt.


    3. August

    Mit leichtem Gepäck ließen wir uns vom Bus nach Zdiar schaukeln. Von dort ging es ziemlich schnell und ziemlich steil bergauf. Bei Regen wäre der nasse Fels und der Lehm dazwischen bergab bestimmt kein Vergnügen - die Einbahnregelung hat also schon ihren Sinn. Auch ist der Pfad für Begegnungsverkehr vielerorts zu schmal. Etwas deprimierend war, dass es uns nicht gelang, einen übergewichtigen Sandalenwanderer abzuhängen. Die Souveränität, mit der er den nicht ganz simplen Weg hochschnaufte, veriet den Intensivtäter.



    • Aufstieg durch Regenwald
    • Eine UFO-Abhöreinrichtung?
    • Gemse


    Für uns gab es am Vysne Kopske sedlo eine Belohnung unserer Mühen: In rund 500 Meter Entfernung sahen wir eine Gemse. Ganz ausgefallen ist das nicht, mit etwas Glück sieht man Gemsen auch in der Böhmischen Schweiz. Aber schön war es trotzdem.



    • Aussicht vom Kopske sedlo
    • Zwei Bären, aber ganz ungefährlich



    Ein unspektakulärer Abstieg nach Tatranska Javorina beendete unsere Tour - vorerst. Denn selbst wenn die slowakisch-polnische Grenze irgendwann endet, bleiben für uns noch genügend Grenzen übrig.


    Technische Daten: 16,6 km in 6:45h
    Zuletzt geändert von Pfad-Finder; 21.03.2014, 23:29.
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    • ranunkelruebe

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      #3
      AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

      Toll!

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      • German Tourist
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        #4
        AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

        Ich habe mich ganz köstlich amüsiert über den "französischen Globi-Stardesigner Jean-Jacques Meru", das Klugfon und ähnliche Sprachschöpfungen.
        Wo hast Du eigentlich Deine Ost-Sprachkenntisse her? Speziell für die Wandertouren erworben oder abgewandeltes Schul-Russisch?
        Schade nur, dass Du kein Bild von Deiner Nageloperation gepostet hast. Die Operationsbeschreibung hörte sich ja schon recht vielversprechend an.....
        http://christinethuermer.de/ 53.000 zu Fuß, 30.000 km per Fahrrad, 6.500 km im Boot

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        • Karliene
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          #5
          AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

          Sehr toll lieber Pfadi !! Aber diese Ausblicke gabs sicher nicht geschenkt Bin fast bissel neidisch, aber nur fast..
          OT: Arme Frau November
          @GT: Der Herr Pfadi ist unser Haus und Hof Dolmetscher in CZ...
          "Der Klügere gibt so lange nach, bis er der Dumme ist." Walter Kempowski - Schriftsteller (1929 - 2007)

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            #6
            AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

            Zitat von German Tourist Beitrag anzeigen
            Wo hast Du eigentlich Deine Ost-Sprachkenntisse her? Speziell für die Wandertouren erworben oder abgewandeltes Schul-Russisch?
            Weder noch, sondern nützliche Erblast aus dem Studium.

            Schade nur, dass Du kein Bild von Deiner Nageloperation gepostet hast.
            Ging leider nicht, ich brauchte beide Hände. Und Frau November hielt sich mit IHREN Händen die Ohren zu, um nicht meine Beschreibung des Operationsvorgangs hören zu müssen.
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            • Abt
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              #7
              AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra



              Danke für euren Tourenbericht. Ganz locker und lustig
              Warum sind denn die Walachen eigentlich dahin gesiedelt, weißt du das?

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                #8
                AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

                Zitat von Abt Beitrag anzeigen
                Warum sind denn die Walachen eigentlich dahin gesiedelt, weißt du das?
                Keine Ahnung, habe nur das hier gefunden. Die Wikipedia-Artikel auf DE, CZ und EN suggerieren einhellig, dass die Walachen (ursprünglich aus dem heutigen Rumänien) einfach bis dahin unbesiedelte Gebiete erschlossen haben; intuitiv würde ich vermuten, dass sie auch vor den Osmanen abgehauen sind.
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                • Juno234
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

                  schön

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                  • Meer Berge
                    Fuchs
                    • 10.07.2008
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                    #10
                    AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

                    Herrlich unterhaltsam und informativ geschrieben.
                    An vielen Stellen musste ich echt lachen

                    Ich freu mich auf die Fortsetzung!

                    Viele Grüße,
                    Sylvia

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                      • 13.01.2009
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                      #11
                      AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

                      Zitat von Abt Beitrag anzeigen
                      Warum sind denn die Walachen eigentlich dahin gesiedelt, weißt du das?
                      Ich erklär es mir so,
                      allerdings ohne es wirklich zu wissen:

                      Nach dem sich der Osten des römisch-katholischen Abendlandes vom Mongolensturm erhohlt hat, erleben die drei Königreiche Böhmen (Karl IV), Ungarn (Ludwig der Große) und Polen (Kazimir III) um 1350 einen rasanten wirtschaftlichen Entwicklungsschub, gute Böden und Bodenschätze, sowie die Tatsache, daß sie weitgehendst vom Schwarzen Tod unberührt blieben verschafften ihnen gegenüber dem Rest Europas erhebliche vorteile.
                      In den Beskiden treffen die drei Reiche aufeinander, was gewiß nicht konfliktfrei ablief.
                      Das Königreich Ungarn hat es seit dem Ende des 12. Jhdt wohl verstanden seine Grenzen im Süden und Osten mit rechtlich priveligierten dorthin umgesiedelten Wehr-Bauern zu schützen (Szekler, Sibenbürger-Sachsen und Walachen)
                      Die Walachen waren orthodoxe Romanen, die das von den Kumanen verlassene Land kolonisierten.
                      Ich kann mir gut vorstellen, das König Ludwig es passend gefunden hat, in einer Zeit der relativen Ruhe an der Byzantinischen Grenze, einige Walachen in den Beskiden Anzusiedeln um dort die Grenze zu sichern, abgesehen von wenigen Bergwerksiedlungen war die Gegend noch Siedlungsfrei und für die Walachen, die Fernweidewirtschaft betrieben wie geschaffen, und wer im Mittelalter in seiner Heimat keine Chanze sah, packte gerne die Gelegenheit beim Schopfe, den das Leben war kürzer als heute.

                      Es könnte es aber auch für fast eben so möglich halten, daß ein Teil der Walachen erst in die Beskiden zog, als die Walachei nach 1370 nach und nach unter Osmanische Oberhoheit geriet.
                      Vielleicht löste es aber auch nur einen zweiten walachischen Siedlungschub in die Beskiden aus ("da sind ja schließlich schon welche von uns")
                      "Wärme wünscht/ der vom Wege kommt----------------------
                      Mit erkaltetem Knie;------------------------------
                      Mit Kost und Kleidern/ erquicke den Wandrer,-----------------
                      Der über Felsen fuhr."________havamal
                      --------

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                      • Abt
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                        • 26.04.2010
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                        #12
                        AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

                        Auf alle Fälle eine intressante Hypothese.
                        Wallachen sind auch in Südwest - Bulgarien, Griechenland, Mazedoniens und Albaniens zu finden. Sie nennen sich dort zwar Aromunen und deren Um?Siedlung in der Vergangenheit ist genauso nebulös und bisher immer noch nicht so richtig geklärt ist. Können auch nur Wanderhirten sein, die Vlachi genannt werden. 2011 stand ich vor so einem Dorf im Pirin und habe es erst zu hause geschnallt. Muss da unbedingt noch mal hin. Sehen, ob ich mich da unterhalten kann.
                        Auch einige Orte bei Pfadfinder&Novembers Tour hier haben m .M. nach Endungen, die an das Rumänische erinnern.
                        Will aber jetzt nicht den Bericht hier zerquatschen und freue mich auf die amüsante Fortführung hier....

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                        • Pfad-Finder
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                          • 18.04.2008
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                          #13
                          AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

                          Zitat von Abt Beitrag anzeigen
                          ... freue mich auf die amüsante Fortführung hier....
                          Die ist jetzt drin.
                          Alles unter Nutriscore "D" ist rausgeschmissenes Geld.

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                          • blauloke

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                            • 22.08.2008
                            • 8711
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                            #14
                            AW: [CZ, SK, PL] Hart auf der Grenze V: Über Beskiden und Hohe Tatra

                            Wie üblich ein herrlicher Bericht von eueren Grenzwanderungen. Lese jeden mit Vergnügen.
                            Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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