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Oder davon, wie die Wettergötter mir die Schau stahlen...
Land: Frankreich
Reisezeit: Juni 2014
Region/Kontinent: Vulkanpark Auvergne
Startpunkt: Volvic
Endpunkt: Saint Flour
GR 441 und GR 4
Wandertage: 8 (vom 23. bis zum 30. Juni)
Kilometer: ca 226
Am 22. Juni geht es los: Ich starte zu meiner diesjährigen viereinhalbwöchigen Trekkingtour, deren erster Teil mich in die Auvergne führt. Mit dem Zug reise ich über Lyon bis Clermont-Ferrand und bevor wir meinen Ausgangspunkt Volvic erreichen, kommen wir noch durch Vichy. In der Gegend scheint es ja von Mineralwasser-Grand-Crus nur so zu wimmeln.
Der Bahnhof von Volvic befindet sich übrigens gar nicht in Volvic, sondern ein paar Kilometer außerhalb. Was ja nun für eine Trekkerin kein wirkliches Problem darstellen sollte... Dennoch: Als zwei pensionierte Franzosen, die ihren Kumpel vom Zug abholen, mir spontan anbieten, mich im Städtchen abzusetzen, nehme ich das Angebot dankend an. Das fängt ja gut an!

Der Bahnhof von Volvic
1. Etappe: Volvic – Puy de Dôme
Montagmorgen in Frankreich – die meisten Läden sind geschlossen, was meine Laune nach einer ersten unruhigen Nacht im Zelt nicht unbedingt hebt. Es regnet. Der Aufbruch vom Campingplatz zieht sich dahin. Dennoch starte ich letzten Endes mit etwas Proviant (Brot, Käse, Obst) und einem Kaffee und Croissant im Magen in Richtung der Mineralwasserquelle von Volvic, an der der GR441 vorbeiführt. Dort fülle ich meine Trinkflasche auf, und gerade als ich mich wundern will, dass so viele Menschen mit Kanistern dort stehen – das frische Quellwasser schmeckt ja gut, aber dennoch... - , komme ich an der Wohnmobilsiedlung dahinter vorbei; Urlauber, die ebenfalls durch die Auvergne reisen.

An der Quelle des Mineralwassers 'Volvic'
Dann geht es endlich los. Mit Wald, Wald, Wald - im feuchten Nebel.
Die Auvergne ist grün. Sie ist grün, weil sie nass und neblig ist. Zumindest jetzt. Positiv denken: Immerhin bleibt man im Wald bei Regen länger trocken. Aber man ist länger nass, da es nach dem Regen noch lange nachtropft...
Und gerade als ich mir zu der sanften Hügellandschaft als Einstiegstag gratulieren will, steigt der Weg steil an...
Dann geht es über eine ausgedehnte Waldwiese. Das nasse Gras reicht mir bis zur Hüfte, bis zur Brust. Was an mir noch nicht durchnässt war, ist es spätestens nun. Und in meinen nicht wasserdichten Schuhen plantschen meine Füße wie in einer Pfütze umher...
Mittlerweile hat der Wald einer Ginster- und Heidelandschaft Platz gemacht und ich bin wohl schon mittendrin in den erloschenen Vulkanen. Jedoch nimmt mir der Nebel beharrlich jede Chance auf eine Aussicht.

Auf dem GR441
Irgendwann im Nachmittag lichtet er sich etwas und gibt den Blick in die Ferne frei und auf das, was der Puy de Dôme sein müsste: Die Kuppen bleiben jedoch beharrlich unter den Wolken verborgen…

Meine Sicht auf den Puy de Dôme…
An dem heutigen Tag begegne ich sehr wenigen Menschen: einem Paar, das im Wald sein grünes Zelt aufgeschlagen hatten und noch später als ich aufbricht; einem Paar mit einem Jugendlichen, der noch willig hinter ihnen hertrottet; ein paar kreischenden Teenagern hinter mir als Geräuschkulisse; und später noch einem pensionierten Paar mit Auto, das an der Straße den GR4-Verlauf sucht für einen späteren Einstieg und mir (sicher wegen des unfreundlichen Wetters) anbietet, mich irgendwo abzusetzen, was ich diesmal jedoch heroisch ablehne.
Sie treffe ich kurz darauf ein zweites Mal (immer noch auf der Suche nach dem idealen Startpunkt) bei „Vulcania“, einem wohl pädagogisch-spektakulären Vulkanmuseum, dessen Errichtung dem ehemalige Staatschef Giscard d'Estaing am Herzen lag. Von außen sieht es eher nichtssagend aus.
Weiter geht es durch den Wald, der bei dem düsteren Himmel noch dunkler erscheint, so als dämmere es bereits und das, obwohl es höchstens 16 Uhr sein können.
Urplötzlich – ich schätze ich befinde mich mittlerweile am Fusse des Puy de Dôme – ist der GR4 gesperrt. Keine Umleitung zu sehen... Also 5 km zurückgehen zu der Stelle, wo die Variante des GR4 abgeht, die den Puy de Dôme umrundet? Oder über die dürftige Absperrung klettern?
Ich mag es gar nicht, zurückgehen zu müssen; was in dem Fall und nach anfänglichem Zögern die Entscheidung beschleunigt. Anscheinend werden die Wege gerade restauriert, wohl wegen der vielen Touristen und Wanderer, die alles plattlaufen und die Erosion vorantreiben. Etwas später stehe ich vor funkelnagelneuen Holzstufen, die dem Gipfel entgegenstreben. Der Puy de Dôme liegt verlassen im Nebel, die letzten Angestellten verlassen die gespenstisch wirkenden Gebäude an der Aussichtsplattform... Es ist 18 Uhr und für einen ersten Tag habe ich genug erlebt…

… und meine Sicht ab dem Puy de Dôme
2. Etappe: Puy de Dôme – Pessade
Auch heute morgen starte ich nicht sonderlich früh. Dann jedoch, einmal startklar, verschwinde ich schnell in dem immer noch dichten Nebel und steige zügig hinab; man sieht kaum die Hand vorm Gesicht, geschweige denn die Landschaft ringsherum.

Trübe Aussichten…
Hier begegnen mir mehr Menschen, der Puy de Dôme ist ein beliebtes Ausflugsziel. Die beiden Gaststätten am Col de Ceyssat sind noch geschlossen, so geht es bedauerlicherweise ohne Kaffee weiter abwärts durch Pappel- und Nadelwald bis nach Laschamp, wo ich endlich zu meinem Kaffee komme. Ein Hund, der vor dem fahrenden Käsestand sitzt, wartet vergeblich auf ein Scheibe Wurst.

Fahrender Laden
Das Wetter bleibt diesig, jedoch beständig; Wald und waldige Wiesen wechseln sich ab; der Nebel scheint weniger dicht, immerhin nehme ich von der Natur etwas mehr wahr. Eine Wandergruppe mit ihrem Wanderführer empfängt mich winkend und lärmend. Ich werde ihnen noch mehrfach heute begegnen, und diese Begegnungen bestätigen mir, dass ich für Gruppenerlebnisse dieser Art nicht geschaffen bin... Wie friedlich hingegen wirkt da die Schafherde, an der ich vorbeikomme.
Am Ortseingang von La Garandie bewacht ein wütend kläffender Hund den GR4, der an 'seinem' Haus vorbeiläuft; er ist alles andere als vertrauenserweckend. Der Campingplatz sieht geschlossen aus, und ich eile weiter, die Wandergruppe hinter mir wissend...
Endlich reißt der Himmel auf, ein Fetzen blauer Himmel lugt zaghaft hervor. In Saulzet-le-Froid wird mir vom Wanderführer ein „ravitaillement complet“ versprochen. Es bleibt bei dem Versprechen... Hier treffe ich auf eine zweite Wandergruppe, Senioren, die allerdings nicht wie ich in Pessade übernachten werden. Auf dem weiteren Weg wird nun auch die Sicht auf das Vulkanmassif frei und ich sehe all die Herrlichkeiten, die mir bisher verwehrt blieben. Unglaublich. Denn auch wenn der Nebel den Landschaften etwas gespenstisch-mystisches verleiht, so ist die volle Pracht, die ich von weitem nun sehe, einfach umwerfend schön.

Sicht auf das Massiv um den Puy de Dôme (endlich!)
In dem kleinen Dörfchen Pessade vor dem Gîte sitzt eine dritte Gruppe Wanderer (sie sind in der Gegenrichtung unterwegs). Ganz schön was los! Ganz zu schweigen von den 400 Militärs, die auf Manöver sind und heute Abend ebenfalls in dem kleinen Dorf lagern.
Die einzige Bar des Ortes ist heillos überfordert. Und überfüllt. Es wimmelt nur so von Wanderern mit Stöcken und Soldaten mit Maschinengewehren; und alle wollen sie ein kühles Getränk nach einem langen Tag...
Immerhin schläft die erste Gruppe in einer anderen Unterkunft, die zweite in einem anderen Dorf, die dritte, die kleinste, im Gîte d'étappe, die Militärs in ihren Zelten. Und so bekomme ich ohne Probleme und ohne Reservierung ein Bett. Und sogar ein Abendbrot in der Bar (Truffade, das Nationalgericht hier: eine Art Kartoffeln-Käse-Auflauf, dazu dicke Scheiben geräucherten Schinken und Kopfsalat)
Na also. Die Welt ist gut, das Leben unkompliziert.
3. Etappe: Pessade – Super-Besse
Zeitig werde ich wach. Draußen strahlender Sonnenschein! Das 6er Grüppchen ist schon frühmorgens recht geräuschvoll abgerauscht, die beiden Damen zu Pferd - sie kamen gestern etwas später an - bieten mir einen Kaffee an. Glück muss man haben.
Gutgelaunt und auf Sonne eingestellt geht es los.
Rauf auf die Sommerweiden, den 'estives', wo die Kühe mit ihren Kälbern friedlich grasen; zwischen den unzähligen Kuhfladen hindurch, von denen Tausende von Schmeißfliegen zugleich in einer riesigen schwarzen brummenden Wolke aufsteigen. Dann irgendwann eine unglaubliche Stille. Kein Geräusch. Nichts. Faszinierend!

Sind sie nicht wunderschön, die Aubrac-Kühe?
Die anfangs noch liebliche Hügellandschaft wird immer schroffer.
Dort, wo GR4 und GR4E (nach Mont Dore) sich trennen, muss erst eine weitere Kuhherde durchquert werden – tja, da hilft nix, die Viecher stehen einfach rechts und links vom Wanderweg, irgendwie muss es ja weitergehen. Der Weg steigt ordentlich an, er wird meist zwischen zwei Einzäunungen entlanggeführt: Auch hier lässt die Erosion grüßen, und die lokalen Behörden versuchen nun, mit recht erstaunlichen Methoden dem entgegenzutreten: „Jutematten“ mit Holzpflöcken und Seilen an den Boden genagelt dienen dazu, neuer Vegetation Halt zu geben. Und in der Tat: Etliche Grasbüschel schauen schon zwischen der Jute hervor.
In den nächsten Stunden bin ich vor allem auf „Gratwanderung“. Die Sonne scheint, die Sicht ist wunderbar! Ich genieße die Ausblicke, die sich mir rechts und links bieten.

Gratwanderung mit Sicht

Verschnaufpause
Ich komme an einer riesigen Schafherde vorbei, auf dem Po haben sie alle verschiedenartige Farbstempel: grün Kreuz, rot Karo. Ein Schafkartenspiel. Ihr Hirtenhund hat gerade einen anderen Hund sehr entschieden vertrieben, das Gebell hörte man meilenweit entfernt. Auch das Geschrei des Schäfers, der seinen Hund zur Ordnung rufen will. Von oben sahen alle zusammen aus wie kleine weiße Tupfer in der Natur. Ganz anders als der riesige weiße Fleck, der sich beim näherkommen als Schnee herausstellt.

Gemeinschaftsherde
Auch begegne ich vielen Wanderern. Einzelne, Gruppen, Junge, Alte, Familien, Paare. Das kurioseste Grüppchen sind ein paar sehr junge Mönche, die mir fröhlich mit ihren im Wind flatternden Kutten entgegenkommen.
Die Aussichten sind atemberaubend, der Puy Sancy türmt sich rechts auf, links liegt das Tal Chaudefour, über mir zieht sich der Himmel wieder zu…

Blick auf den Puy Sancy
Allmählich könnte ich auch einfach irgendwo ankommen. Aber noch bin ich da nicht. Für den Aufstieg zum Gipfel des Puy Sancy bin ich leider irgendwie nicht mehr zu haben, gewittrige Stimmung treibt mich eher ins Tal zurück. Zunächst jedoch traue ich meinen Augen kaum: ein Schneefeld auf dem GR4. Klein, aber Schneefeld! Das hatte ich nun wahrlich nicht erwartet.

Schnee auf dem GR, und das am 25. Juni!
Der Weg zieht sich noch einige Zeit bergab, über verlassene Skipisten und unter der Seilbahn durch. Dann endlich Super-Besse; außer dem Namen ist jedoch nichts super; nichts ist deprimierender als eine verlassene Skistation im Sommer...
4. Etappe: Super-Besse – Condat
Zunächst geht es von Super-Besse aus ein paar Kilometer der Landstraße entlang (eine Wegumleitung des GR4), über eine Kuhweide (mit ihrem Stier, jawohl) bis zur kleinen Pilgerkapelle von Vassivière mit ihrer kleinen schwarzen Madonna. Ein paar Herrschaften werkeln an und um die angrenzende Kirche herum, ohne mich zu beachten. Weiter über Landstraße und Forstweg durch einen Wald bis zu einer Sumpflandschaft, die mich sehr an das Hohe Venn in meiner Heimat Belgien erinnert. Auch hier führen kleine Holzstege über die sumpfigsten Stellen.

Sumpfgebiet mit ehemaligem Torfabbau
Der GR4 führt an dem Maar Chauvet entlang (tatsächlich wird das Wort „un maar“ auch im Französischen gebraucht) und verläuft dann wieder über weite Wiesen. Aus der Ferne kommt mir ein Mann entgegengewandert. Wir begrüßen uns, und bevor ich es recht realisiere, begrüßt mich der Fremde mit zwei Küsschen, jeweils eines auf die linke und eines auf die rechte Wange. Das ist ja seltsam! Wildfremde Menschen mit Kuss begrüßen, tzzzz... Nachdem wir ein paar Sätze ausgetauscht haben, schüttele ich den neugierigen Menschen ab und mache, dass ich weiter komme.

Ich grübele der befremdlichen Begegnung noch einige Zeit nach, und komme schließlich immer noch etwas perplex im frühen Nachmittag in Eglises d'Entraigues an, wo ich ursprünglich für heute stoppen wollte. Da es allerdings noch sehr früh ist, der Ort wenig inspirierend und ich im Café „Chez Force“ eine halbe Stunde lang vergeblich auf einen Kaffee warte, ziehe ich dann resigniert weiter Richtung „Condat“. Die Stadt scheint etwas größer und vielversprechend. Ich setze alle Hoffnung auf Condat. Ein Eldorado. Mein Eldorado!
Recht bald trifft mein Weg auf eine Kuhherde, die jedoch freundlicherweise Richtung Stall unterwegs ist, und mir Platz macht.

Da geht's lang, geradeaus durch die Salers-Kuhherde mit den beeindruckenden Hörnern
Dann weist ein Schild nach links. Der Weg führt zwar eindeutig auf die große Weide, jedoch wo genau er weiter verläuft, ist nicht so ganz klar.

Äh… und nun?
Nach einigem Suchen und sich auf seine Sinne verlassen, komme ich am anderen Ende des weitläufigen Feldes aus, und siehe da: eine Wegmarkierung. Auf den nun folgenden „alten Wegen“, wie mein Wanderführer diese Pfade bezeichnet, reicht mir das Gras zunächst bis an die Hüften, dann bis an die Brust (ich bin zugegebenermaßen recht klein!) - dieser Teil des GR4 wird wohl nicht ständig begangen…

Soviel zur Frequentierung des GR4...

Unterwegs nach 'Chez de Carry'
Bei dem Ort „Chez de Carry“ treffe ich auf zwei französische Damen mit Hund, die sich nach einem netten kurzen Plausch erkundigen, ob ich denn nichts bräuchte.
Sehr freundlich, leider brauche ich wirklich nichts; und so ziehe ich weiter Richtung Condat. Der Himmel mit seinen gewaltigen düsteren Wolkenformationen auf der einen und Sonnenstrahlen auf der anderen Seite fasziniert mich nicht zum ersten (und nicht zum letzten) Mal.

Regnet's oder regnet's nicht, das ist hier die Frage...
Am späten Nachmittag erreiche ich es endlich, das Städtchen Condat, um festzustellen, dass es „à vendre“ ist: An jedem zweiten Haus hängt das Schild „Zu verkaufen“... Das Eldorado hatte ich mir anders vorgestellt.
Immerhin werde ich auf dem Campingplatz fröhlich begrüßt. Und weil es just in dem Moment anfängt zu regnen, als mein Zelt steht, verkrieche ich mich sofort darin und verbringe die wohl bisher längste Nacht.
5. Etappe: Condat – Buron d'Eylat
Die Sonne scheint. Ich hatte am Vorabend an der Rezeption Frühstück bestellt, das ich nun um 9 Uhr morgens gutgelaunt auf der Terrasse zu mir nehme. Saft, leckeres Brot, eine riesige Kanne Kaffee, Joghurt... und ein nettes „Schwätzchen“ mit dem Herrn des Hauses. Den heutigen Tag möchte ich mal gemächlicher angehen...
Als die Frau des Hauses mir jedoch mitteilt, dass für den nächsten Tag mit einem Wetterumschwung zu rechnen sei, schalte ich eine höhere Gangart ein.
Allerdings ist es schon fast zehn, als ich voranschreite. Und gleich geht es steil einen Forstweg hinauf. Schwer atmend (keuchend ?) steige ich hinan und bin schnell klatschnass geschwitzt. In dem Zustand könnte ich nicht einmal mehr einem Eichhörnchenangriff standhalten – geschweige denn dem der Fliegen, die mich boshaft umschwirren. Lauthals protestiert eine Falkenfamilie, als ich durch ihr Wohnzimmer stapfe, und schimpft mir noch lange Zeit hinterher. Endlich bin ich oben angekommen und werde prompt von Stechmücken und Bremsen angefallen.

Es geht auf Landstraßen weiter nach Lugarde und nach Saint Saturnin. Dort ist zwar die „Epicerie“ geschlossen, aber immerhin ist die Bar geöffnet. Die nette Besitzerin bereitet mir Kaffee und „Perrier menthe“ zu und sucht sogar nach der Telefonnummer des „Buron d'Eylac“, wo ich eventuell übernachten möchte. Es ist schon nach 15 Uhr, als ich zu den nächsten 18+ Kilometern aufbreche. Kurz hinter dem Ort verpasse ich eine recht versteckte Abzweigung, und mache noch ein paar extra Kilometer. Überhaupt ist der Pfad verwachsen; Brennnesseln und Disteln, ein umgefallener Baum, Gestrüpp. An dessen Ende drei kläffende Hunde, die mich sehr ungern nur vorbeilassen. Dann wieder Landstraße in Richtung „Plateau de Limon“. Die Sonne scheint immer noch, die Landschaft ist sattes Grün mit Kuhtupfern drauf. Irgendwann verlässt der Gr4 die Landstraße, bzw. hört die Straße an einem Hof einfach auf. Jetzt nur noch Weiden; mal mit mal ohne Kuh in der Nähe, mal neugierig, mal stoisch; der Weg mal mit mal ohne Wegmarkierung : das „Plateau de Limon“. Kurz: Eine längere Suche nach dem richtigen Weg beginnt, auf einer ausgedehnten Hocheben nicht unbedingt die einfachste Übung...

Das Plateau de Limon
Als dieser dann einer Art Steinmarkierung folgt, und später dem Stacheldrahtzaun, bin ich fast erleichtert. Und auch, dass die riesige zügig mir entgegenkommende Kuhherde und ich durch Stacheldraht voneinander getrennt sind. Immerhin warnt heute zum allerersten Mal der Wanderführer vor der Überquerung dieser Sommerweiden. Kein Wunder, null Ausweichmöglichkeiten.
Die Zeit vergeht, die Schatten werden länger und länger. Und immer noch geht es stetig bergauf, und kein Ende, und kein bergab in Sicht.

Die Schatten werden länger
Endlich – endlich! - geht es hinunter über Stein und Geröll, das versprochene Café ist jedoch eine Baustelle. Mittlerweile ist mir fast alles egal, auch wo ich übernachte. (Habe ich das Wandernirwana erreicht?) Ich sehe einen möglichen Schlafplatz, kurzes Zögern, soll ich, soll ich nicht? Plötzlich stehen vor mir ein paar Pferde, die mir recht unmissverständlich klar machen, dass ich hier nichts zu suchen habe und dass dies ihre Weide ist …

Abenddämmerung
Ich gehe, hetze, also weiter; denn es ist kurz vor zehn, das letzte Tageslicht erlischt. Ganz plötzlich stehe ich vor einem kleinen Steingebäude: dem Buron d'Eylac! Fast hätte ich es verpasst, hatte ich doch ein Dorf erwartet. Die vier anwesenden Wanderer ums Lagerfeuer begrüßen mich nett – Platz sei auch vorhanden. So verbringe ich die Nacht in dem urigen Gîte, nachdem ich am Lagerfeuer ein kleines Abendbrotpicknick zu mir genommen habe. Ich schlafe in der Nacht übrigens sehr sehr gut...

Morgendlicher Blick auf den 'Buron d'Eylat - im Hintergrund der Puy Mary
6. Etappe: Buron d'Eylat - Super-Lioran
Heute geht es zeitig los, gleich zu Beginn durch eine Kuhherde durch, die noch verschlafen daliegt. Die anfängliche Sonne versteckt sich allmählich hinter den immer tiefer liegenden Wolken, der versprochene Wetterwechsel lässt nicht auf sich warten. Die Landschaft hüllt sich mir nichts dir nichts in dichte Schleier.

Der Cirque de l'Impradine von unten betrachtet

Ein sonniger Start in den Tag. Das soll sich schnell legen...
Am Col de Peyrol angekommen, bläst ein mehr als frisches Lüftchen. Die Gaststätte, deren Licht gestern munter ins Tal hinunter geschienen hat, ist geschlossen. Vor mir liegen die kahlen Betonstufen, die auf den Gipfel des Puy Mary hinaufführen. Mittlerweile rüttelt und zerrt der Wind an mir; die Vorstellung, diese nackten Stufen, die schutzlos den Elementen ausgeliefert sind, emporzusteigen, behagt mir nicht. Und das mal wieder ohne Frühstück (Frühstück = Kaffee). Unentschlossen drücke ich mich an der Wand entlang, als ein Auto angebraust kommt: das Personal der Gaststätte, das mir auch prompt einen Kaffee macht.
Einer meldet, dass im ganzen Departement „alerte orange“ angekündigt sei mit allem Drum und Dran: Regen, Sturm, Hagel, Gewitter. Ich entscheide mich gegen den Weg über den Gipfel, für eine Alternative und ein paar Kilometer Umweg. Später treffen die Varianten aufeinander und führen entlang des Grats bis zur Breche de Rolland, einer doch recht halsbrecherischen wirkenden Angelegenheit, auf deren Schwierigkeit die Wanderer auch im Vorfeld mit Warnschildern hingewiesen werden.

Unterwegs zur Brèche de Rolland
Naja, da hilft nix, noch mehr Kilometer Umweg will ich einfach nicht machen. Vorsichtig klettere ich die höchstens 4 Meter über Felsen runter und an der anderen Seite wieder hoch; nur keinen falschen Schritt, ansonsten war's das mit der Sommertour.

Der Cirque de l'Impradine und seine Brèche de Roland, diesmal von 'oben'
Der Pfad folgt zunächst weiterhin dem Grat, dann der rechten Flanke des Berges. Just als ich mich schon alleine auf weiter Flur wäge, tauchen aus dem Nichts vorne vier Wanderer auf. Kurz darauf eine zweite etwas größere Gruppe, die mir Spalier stehen und mir auf dem schmalen Pfad den Vortritt lassen. Und dann ein Jakobspfeil, und noch einer... Ja, ja, der Jakob ist überall...
Über Skipisten gehe ich hinab nach Super-Lioran, einer weiteren Skistation. Diesmal entscheide ich mich jedoch, mich dort im Gîte einzuquartieren, Wäsche zu machen, Emails zu lesen – kurz ein halber Rasttag ist angesagt. Im Nachmittag fahre ich mit der Seilbahn hinauf auf den Plomb du Cantal, der morgen früh eigentlich sowieso auf meinem Plan steht, aber irgendwie muss ich die viele Zeit ja rumkriegen in einem Ort, in dem es nichts zu sehen und zu tun gibt. Es wackelt schon sehr; die Seilbahn hält sogar unterwegs eine Zeitlang an, damit sich die Kabine wieder „beruhigt“. Mir wir schwummerig, wie viel lieber spüre ich festen Boden unter meinen Füßen... Neben mir steht ganz unverkennbar ein Wanderer; er wirkt recht „entrückt“ und schweigsam; immerhin verrät er mir, dass er öfters in der Gegend unterwegs ist und „oben“ irgendwo schlafen wird. Ich beneide ihn etwas dafür, habe ich immer noch nicht „draußen“ alleine mein Zelt aufgeschlagen...
Bevor ich zum Abendbrot ins Gîte zurückkehre, probiere ich noch was Lokales: Apéro à la Gentiane (ein Likör aus gelbem Enzian).
Der angekündigte Regen-und-Gewitter-Riesen-Sturm bleibt übrigens aus...
7. Etappe: Super-Lioran - Valuéjols
Gleich morgens sieht es dort oben, wo ich heute hin muss, nicht sonderlich gemütlich aus. Der Gîtebetreiber meint beim Frühstück noch fröhlich, immerhin regne es nicht. Auch sei es kühl, gut zum Wandern und so brauche man auch kein Gewitter zu befürchten. Seine Frau empfiehlt mir, den Weg über den Grat zu nehmen, das sei der schönere von beiden.
Viel Grund zum Glücklichsein, und so ziehe ich von dannen, die Gruppe mit Führer hinter mir lassend. Je weiter der Weg ansteigt, desto diesiger und nebliger wird es. Oberhalb der Baumgrenze tropft es dann ganz unverkennbar so stark, dass es sich lohnt, anzuhalten und sich wetterfest zu machen. In meinem Fall schnell getan, ich habe lediglich eine dünne Regenjacke und eine Hülle für den Rucksack eingepackt, optimistisch wie ich mir diesen Sommer in Frankreich vorgestellt hatte. Meine Schuhe, wie gesagt, täuschen Wasserdichte nicht einmal vor, und schon nach ca 20 Minuten schwabbert das Wasser nur so zwischen meinen Zehen. (Naja, der Fairness halber muss ich gestehen: Bei den Mengen an Wasser hätten es Schuhe mit Goretex-Beschichtung auch nicht viel länger gemacht).
Mittlerweile ist alles in dichten Nebel gehüllt bzw. in einer tiefen Wolke verschwunden, was im Grunde auf das Selbe hinausläuft: Irgendwann sehe ich keinerlei Wegmarkierung mehr und muss mir eingestehen, dass ich mich wohl verlaufen habe. Bibbernd und zitternd vor Kälte, klatschnass, folge ich dennoch weiter einem der schmalen Trampelpfade, die von den Herden hinterlassen wurden. Ein Gefühl großer Einsamkeit macht sich in mir breit. Und jede Menge Unbehagen.
Eine gefühlte Ewigkeit später (in Echtzeit wahrscheinlich nur eine Viertelstunde) stoße ich auf die Markierung eines Mountainbike-Pfades, dem ich nun folge, und der tatsächlich in „meinen“ Wanderpfad mündet oder zumindest mich dorthin führt. Hurra!

Der Plomb du Cantal im Nebel
Als dann, noch später, die Trocken-WC-Hütten des Plomb du Cantal im immer noch dichten Nebel auftauchen, und dann die Seilbahn und die Gaststätte, frohlocke ich. Und genehmige mir gleich hintereinander zwei heiße Schokoladen, um mich ein wenig aufzuwärmen. Meine Versuche, die mir am Körper klebende nasse Hose an dem defekten Gebläse zu trocknen, welches gerade zum Testen läuft, misslingen. Lediglich meine Lungen füllen sich mit den schwarzen stinkenden Rußwolken.
Die Dame vom Ausschank betrachtet mich etwas skeptisch und meint, es würde sich heute wohl auch nicht mehr heben; und in der Tat ist der Weg vom Plomb du Cantal bis nach Prat-de-Bouc nicht viel besser. Null Sicht. Ein Schild zeigt laut meinem Plan in die falsche Richtung, und so entscheide ich mich, es zu ignorieren. (Eine weise Entscheidung, übrigens)
Am Col de la Tombe du Père (ein selten vielversprechender Name !) reißt das Nebelfeld für einen winzigen Moment auf und gibt die Sicht auf eine riesige Kuhweide frei.

'Benebelter Blick' vom Col de la Tombe du Père
Immerhin lichtet sich nun zumindest nach und nach der Nebel, und ich sehe trotz der Entfernung, dass der GR4 geradewegs auf die Kuhherde und den Stier zusteuert. Die Tiere sind alle sehr aufgeregt; sie brüllen, muhen, blöken wild durcheinander. Was sie wohl in diesen Zustand versetzt hat ? Um der Herde auszuweichen, verlasse ich den markierten Pfad; in der Ferne kann ich mein Ziel schon ausmachen. Die Viecher kommen ebenfalls in Bewegung, eines folgt dem anderen bergab, und der Weg vor mir ist frei; auf der anderen Seite des Baches rennen plötzlich alle wie wild panisch in eine Richtung. Beeindruckend!
Ich gehe weiter in Richtung der kleinen Häuseransammlung (ein Gîte, eine Gaststätte und ein weiteres Gebäude), und kurz bevor ich sie erreiche, sehe ich an einem kleinen Unterstand einen Rucksack stehen, dahinter zwei Beine; der vermummte Mensch über den Beinen ist der einsame Wanderer aus der Seilbahn gestern Nachmittag! In der Nacht oben wurde er vom Gewitter überrascht, erzählt er. Keine sehr gemütliche Vorstellung. Nun wird er abgeholt und wartet auf seinen Chauffeur.
In dem als Café-Restaurant umfunktionierten Buron (= „Sennhütte“) werde ich groß angeschaut... Naja, kein Wunder, mal ganz neutral betrachtet bin ich wirklich nicht sehr präsentabel, sondern in einem recht desolaten Zustand. Daran ist nun aber gerade nichts zu Verschönern, ich versuche lediglich, die vollgesogenen Einlegesohlen meiner Schuhe mit dem Händetrockner zu trocknen... (ein reiner Akt der Verzweiflung, gebe ich zu...)
Dann geht es weiter Richtung Albepierre-Bredons. Irgendwer ballert in der Landschaft rum. Und noch lange Zeit, nach dem ich das schöne Dorf verlassen habe, verfolgt mich diese entsetzlich nervige Knallerei. Zu allem Übel stehe ich dann auch mal wieder vor einem „Durchgang verboten“-Schild, über welches ich diesmal ohne zu Zögern hinwegsehe. Jedoch erweist sich diese Baustelle als mühselig, weil an einem wirklich steilen Steilhang gelegen; zum Glück nicht sehr weitläufig. Weiter geht's den Hang hoch, durch Wald, an Felsen vorbei. Eine immer größer werdende Fliegenarmada fliegt ihren ganz gezielten Angriff auf mich. Schweinebande. Wildgeworden bleibe ich stehen, um mich zu verteidigen. Und es geht ganz einfach: Ich muss nur die Arme in die Luft strecken und in die Hände klatschen. Jeder Klatscher = ein paar Fliegen weniger auf dieser Welt.
Auf dem Weg nach Le Ché kommen plötzlich ein paar Sonnenstrahlen zaghaft hervor. Plötzlich denke ich, ich bin der glücklichste Mensch auf Erden; frei und unterwegs. Die Welt ist so unglaublich schön, und nun auch noch Sonne! (Vorgestern noch hatte ich übrigens „Wander-Blues“: Warum nicht endlich einmal ganz normalen Urlaub wie ganz normale Menschen machen?)
Le Ché ist ein gottverlassener Ort; nicht einmal ein Hund, der anschlägt, oder eine herumstreunende Katze; nichts!
Als nächstes geht es über Landstraße weiter nach Lescure, einem kleinen Pilgerort. Und so ist auch das erste, was man sieht, der Kirchturm. Das Dorf scheint nur aus Kirche zu bestehen; diese ist übrigens offen, und zum ersten Mal erspähe ich bewusst die Steckdosen, die ja so mancher Wanderer gerne benutzt (hey, GT, ja, genau an Dich denke ich!).
Im nächsten Dorf zieht ein Kuhtrieb vorbei – die Damen haben natürlich Vortritt.

So viele Ladies first...
Und weiter geht es, der Himmel sieht recht stabil aus, und unterwegs in Richtung Valuéjols kucke ich mich schonmal nach einem Plätzchen um. Vielleicht wäre heute ja DER Tag, an dem ich es endlich einmal wage, alleine draußen zu übernachten?! Just da hält ein Auto neben mir: Die Dame am Steuer meint, ich käme wohl für das „centre d'accueil“ (die Stadt stellt den Wanderern einen kleinen Allzwecksaal zum Übernachten zur Verfügung). Ich fasse es nicht: Sie ist Gemeindearbeiterin und für genau den Saal zuständig; sie habe mich an ihrem Haus vorbeigehen sehen... So ein Zufall, und natürlich sage ich da nicht nein. Immerhin ist Sonntag, und dennoch 'arbeitet' sie.
Falls übrigens wer auf den Gedanken kommen könnte, in Valuéjols in dem angekündigten Hotel zu übernachten, sollte seine Pläne schnell ändern. Besagtes gebe es seit bestimmt 10 Jahren nicht mehr, erzählt die Französin mir, und die Wanderführer sollen doch endlich einmal aktualisiert werden.
Sie öffnet mir die Türe des Paradieses, das 7€ kostet. Und weil es auch im Paradies nur so von Fliegen wimmelt, schlage ich mein Innenzelt auf, um eine ruhige Nacht zu verbringen.

Kurz vor Valuéjols
8. Etappe: Valuéjols – Saint Flour
Als ich am frühen Morgen durchs Dorf in Richtung Café gehe, fängt mich die eifrige Gemeindeangestellte schon ab, damit ich ihr den Schlüssel aushändige. Es ist Montag, Kaffee gibt es, aber der Bäcker backt nicht und auch der byzantinische Jesus darf noch keinen Besuch bekommen, die Kirchentüren sind fest verschlossen. Auf geht’s.
Über recht angenehme Wege (des „voies carrossables“) geht es nach Liozargues, einem hübschen Dorf, in dem ich eine ungewöhnliche 'Maschine' erspähe. Der Monsieur von gegenüber, der mir versichert, er lebe seit 33 Jahren schon hier, erklärt, es habe der Pflege von Kühen gedient. „Le travail“, so nennt es sich, sieht eher aus wie die Mischung aus Foltergerät (Guillotine?) und gynäkologischem Stuhl für Tiere.

'Le travail'
Hinter dem nächsten Dorf, Mons, laufe ich einige Zeit gemächlich einem Kuhtrieb hinterher. Ein braver Hund bringt ganz alleine die Kühe ins Feld, auf dem der Bauer schon auf sie wartet.

The wild west français...
In Saillant überrascht mich eine gigantische Burg, die auch heute noch bewohnt ist und majestätisch über dem Dorf thront.

Saillant
Am Horizont erhasche ich einen ersten Blick auf Saint Flour, der GR führt jedoch noch über ein paar Schlenker, bevor ich definitiv am Fuße der Stadt stehen werde. Auf einem staubigen Feldweg knattert ein Motocrossfahrer in einem Höllentempo an mir vorbei (vorbei, weil ich mich eiligst aus dem Weg geräumt habe, als ich das lauter werdende Geknatter in der Ferne vernahm). Ich fluche ihm hinterher.
Dann stehe ich in Saint Flour. Passend zum Abschluss verliere ich irgendwann die Markierung, die ich ja nun auch gar nicht mehr brauche, und verbringe noch ein paar ruhige Stunden in dem mittelalterlichen Städtchen.

Saint Flour, das Endziel meiner Reise

Saint Flour
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Land: Frankreich
Reisezeit: Juni 2014
Region/Kontinent: Vulkanpark Auvergne
Startpunkt: Volvic
Endpunkt: Saint Flour
GR 441 und GR 4
Wandertage: 8 (vom 23. bis zum 30. Juni)
Kilometer: ca 226
Am 22. Juni geht es los: Ich starte zu meiner diesjährigen viereinhalbwöchigen Trekkingtour, deren erster Teil mich in die Auvergne führt. Mit dem Zug reise ich über Lyon bis Clermont-Ferrand und bevor wir meinen Ausgangspunkt Volvic erreichen, kommen wir noch durch Vichy. In der Gegend scheint es ja von Mineralwasser-Grand-Crus nur so zu wimmeln.
Der Bahnhof von Volvic befindet sich übrigens gar nicht in Volvic, sondern ein paar Kilometer außerhalb. Was ja nun für eine Trekkerin kein wirkliches Problem darstellen sollte... Dennoch: Als zwei pensionierte Franzosen, die ihren Kumpel vom Zug abholen, mir spontan anbieten, mich im Städtchen abzusetzen, nehme ich das Angebot dankend an. Das fängt ja gut an!

Der Bahnhof von Volvic
1. Etappe: Volvic – Puy de Dôme
Montagmorgen in Frankreich – die meisten Läden sind geschlossen, was meine Laune nach einer ersten unruhigen Nacht im Zelt nicht unbedingt hebt. Es regnet. Der Aufbruch vom Campingplatz zieht sich dahin. Dennoch starte ich letzten Endes mit etwas Proviant (Brot, Käse, Obst) und einem Kaffee und Croissant im Magen in Richtung der Mineralwasserquelle von Volvic, an der der GR441 vorbeiführt. Dort fülle ich meine Trinkflasche auf, und gerade als ich mich wundern will, dass so viele Menschen mit Kanistern dort stehen – das frische Quellwasser schmeckt ja gut, aber dennoch... - , komme ich an der Wohnmobilsiedlung dahinter vorbei; Urlauber, die ebenfalls durch die Auvergne reisen.

An der Quelle des Mineralwassers 'Volvic'
Dann geht es endlich los. Mit Wald, Wald, Wald - im feuchten Nebel.
Die Auvergne ist grün. Sie ist grün, weil sie nass und neblig ist. Zumindest jetzt. Positiv denken: Immerhin bleibt man im Wald bei Regen länger trocken. Aber man ist länger nass, da es nach dem Regen noch lange nachtropft...
Und gerade als ich mir zu der sanften Hügellandschaft als Einstiegstag gratulieren will, steigt der Weg steil an...
Dann geht es über eine ausgedehnte Waldwiese. Das nasse Gras reicht mir bis zur Hüfte, bis zur Brust. Was an mir noch nicht durchnässt war, ist es spätestens nun. Und in meinen nicht wasserdichten Schuhen plantschen meine Füße wie in einer Pfütze umher...
Mittlerweile hat der Wald einer Ginster- und Heidelandschaft Platz gemacht und ich bin wohl schon mittendrin in den erloschenen Vulkanen. Jedoch nimmt mir der Nebel beharrlich jede Chance auf eine Aussicht.

Auf dem GR441
Irgendwann im Nachmittag lichtet er sich etwas und gibt den Blick in die Ferne frei und auf das, was der Puy de Dôme sein müsste: Die Kuppen bleiben jedoch beharrlich unter den Wolken verborgen…

Meine Sicht auf den Puy de Dôme…
An dem heutigen Tag begegne ich sehr wenigen Menschen: einem Paar, das im Wald sein grünes Zelt aufgeschlagen hatten und noch später als ich aufbricht; einem Paar mit einem Jugendlichen, der noch willig hinter ihnen hertrottet; ein paar kreischenden Teenagern hinter mir als Geräuschkulisse; und später noch einem pensionierten Paar mit Auto, das an der Straße den GR4-Verlauf sucht für einen späteren Einstieg und mir (sicher wegen des unfreundlichen Wetters) anbietet, mich irgendwo abzusetzen, was ich diesmal jedoch heroisch ablehne.
Sie treffe ich kurz darauf ein zweites Mal (immer noch auf der Suche nach dem idealen Startpunkt) bei „Vulcania“, einem wohl pädagogisch-spektakulären Vulkanmuseum, dessen Errichtung dem ehemalige Staatschef Giscard d'Estaing am Herzen lag. Von außen sieht es eher nichtssagend aus.
Weiter geht es durch den Wald, der bei dem düsteren Himmel noch dunkler erscheint, so als dämmere es bereits und das, obwohl es höchstens 16 Uhr sein können.
Urplötzlich – ich schätze ich befinde mich mittlerweile am Fusse des Puy de Dôme – ist der GR4 gesperrt. Keine Umleitung zu sehen... Also 5 km zurückgehen zu der Stelle, wo die Variante des GR4 abgeht, die den Puy de Dôme umrundet? Oder über die dürftige Absperrung klettern?
Ich mag es gar nicht, zurückgehen zu müssen; was in dem Fall und nach anfänglichem Zögern die Entscheidung beschleunigt. Anscheinend werden die Wege gerade restauriert, wohl wegen der vielen Touristen und Wanderer, die alles plattlaufen und die Erosion vorantreiben. Etwas später stehe ich vor funkelnagelneuen Holzstufen, die dem Gipfel entgegenstreben. Der Puy de Dôme liegt verlassen im Nebel, die letzten Angestellten verlassen die gespenstisch wirkenden Gebäude an der Aussichtsplattform... Es ist 18 Uhr und für einen ersten Tag habe ich genug erlebt…

… und meine Sicht ab dem Puy de Dôme
2. Etappe: Puy de Dôme – Pessade
Auch heute morgen starte ich nicht sonderlich früh. Dann jedoch, einmal startklar, verschwinde ich schnell in dem immer noch dichten Nebel und steige zügig hinab; man sieht kaum die Hand vorm Gesicht, geschweige denn die Landschaft ringsherum.

Trübe Aussichten…
Hier begegnen mir mehr Menschen, der Puy de Dôme ist ein beliebtes Ausflugsziel. Die beiden Gaststätten am Col de Ceyssat sind noch geschlossen, so geht es bedauerlicherweise ohne Kaffee weiter abwärts durch Pappel- und Nadelwald bis nach Laschamp, wo ich endlich zu meinem Kaffee komme. Ein Hund, der vor dem fahrenden Käsestand sitzt, wartet vergeblich auf ein Scheibe Wurst.

Fahrender Laden
Das Wetter bleibt diesig, jedoch beständig; Wald und waldige Wiesen wechseln sich ab; der Nebel scheint weniger dicht, immerhin nehme ich von der Natur etwas mehr wahr. Eine Wandergruppe mit ihrem Wanderführer empfängt mich winkend und lärmend. Ich werde ihnen noch mehrfach heute begegnen, und diese Begegnungen bestätigen mir, dass ich für Gruppenerlebnisse dieser Art nicht geschaffen bin... Wie friedlich hingegen wirkt da die Schafherde, an der ich vorbeikomme.
Am Ortseingang von La Garandie bewacht ein wütend kläffender Hund den GR4, der an 'seinem' Haus vorbeiläuft; er ist alles andere als vertrauenserweckend. Der Campingplatz sieht geschlossen aus, und ich eile weiter, die Wandergruppe hinter mir wissend...
Endlich reißt der Himmel auf, ein Fetzen blauer Himmel lugt zaghaft hervor. In Saulzet-le-Froid wird mir vom Wanderführer ein „ravitaillement complet“ versprochen. Es bleibt bei dem Versprechen... Hier treffe ich auf eine zweite Wandergruppe, Senioren, die allerdings nicht wie ich in Pessade übernachten werden. Auf dem weiteren Weg wird nun auch die Sicht auf das Vulkanmassif frei und ich sehe all die Herrlichkeiten, die mir bisher verwehrt blieben. Unglaublich. Denn auch wenn der Nebel den Landschaften etwas gespenstisch-mystisches verleiht, so ist die volle Pracht, die ich von weitem nun sehe, einfach umwerfend schön.

Sicht auf das Massiv um den Puy de Dôme (endlich!)
In dem kleinen Dörfchen Pessade vor dem Gîte sitzt eine dritte Gruppe Wanderer (sie sind in der Gegenrichtung unterwegs). Ganz schön was los! Ganz zu schweigen von den 400 Militärs, die auf Manöver sind und heute Abend ebenfalls in dem kleinen Dorf lagern.
Die einzige Bar des Ortes ist heillos überfordert. Und überfüllt. Es wimmelt nur so von Wanderern mit Stöcken und Soldaten mit Maschinengewehren; und alle wollen sie ein kühles Getränk nach einem langen Tag...
Immerhin schläft die erste Gruppe in einer anderen Unterkunft, die zweite in einem anderen Dorf, die dritte, die kleinste, im Gîte d'étappe, die Militärs in ihren Zelten. Und so bekomme ich ohne Probleme und ohne Reservierung ein Bett. Und sogar ein Abendbrot in der Bar (Truffade, das Nationalgericht hier: eine Art Kartoffeln-Käse-Auflauf, dazu dicke Scheiben geräucherten Schinken und Kopfsalat)
Na also. Die Welt ist gut, das Leben unkompliziert.
3. Etappe: Pessade – Super-Besse
Zeitig werde ich wach. Draußen strahlender Sonnenschein! Das 6er Grüppchen ist schon frühmorgens recht geräuschvoll abgerauscht, die beiden Damen zu Pferd - sie kamen gestern etwas später an - bieten mir einen Kaffee an. Glück muss man haben.
Gutgelaunt und auf Sonne eingestellt geht es los.
Rauf auf die Sommerweiden, den 'estives', wo die Kühe mit ihren Kälbern friedlich grasen; zwischen den unzähligen Kuhfladen hindurch, von denen Tausende von Schmeißfliegen zugleich in einer riesigen schwarzen brummenden Wolke aufsteigen. Dann irgendwann eine unglaubliche Stille. Kein Geräusch. Nichts. Faszinierend!

Sind sie nicht wunderschön, die Aubrac-Kühe?
Die anfangs noch liebliche Hügellandschaft wird immer schroffer.
Dort, wo GR4 und GR4E (nach Mont Dore) sich trennen, muss erst eine weitere Kuhherde durchquert werden – tja, da hilft nix, die Viecher stehen einfach rechts und links vom Wanderweg, irgendwie muss es ja weitergehen. Der Weg steigt ordentlich an, er wird meist zwischen zwei Einzäunungen entlanggeführt: Auch hier lässt die Erosion grüßen, und die lokalen Behörden versuchen nun, mit recht erstaunlichen Methoden dem entgegenzutreten: „Jutematten“ mit Holzpflöcken und Seilen an den Boden genagelt dienen dazu, neuer Vegetation Halt zu geben. Und in der Tat: Etliche Grasbüschel schauen schon zwischen der Jute hervor.
In den nächsten Stunden bin ich vor allem auf „Gratwanderung“. Die Sonne scheint, die Sicht ist wunderbar! Ich genieße die Ausblicke, die sich mir rechts und links bieten.

Gratwanderung mit Sicht

Verschnaufpause
Ich komme an einer riesigen Schafherde vorbei, auf dem Po haben sie alle verschiedenartige Farbstempel: grün Kreuz, rot Karo. Ein Schafkartenspiel. Ihr Hirtenhund hat gerade einen anderen Hund sehr entschieden vertrieben, das Gebell hörte man meilenweit entfernt. Auch das Geschrei des Schäfers, der seinen Hund zur Ordnung rufen will. Von oben sahen alle zusammen aus wie kleine weiße Tupfer in der Natur. Ganz anders als der riesige weiße Fleck, der sich beim näherkommen als Schnee herausstellt.

Gemeinschaftsherde
Auch begegne ich vielen Wanderern. Einzelne, Gruppen, Junge, Alte, Familien, Paare. Das kurioseste Grüppchen sind ein paar sehr junge Mönche, die mir fröhlich mit ihren im Wind flatternden Kutten entgegenkommen.
Die Aussichten sind atemberaubend, der Puy Sancy türmt sich rechts auf, links liegt das Tal Chaudefour, über mir zieht sich der Himmel wieder zu…

Blick auf den Puy Sancy
Allmählich könnte ich auch einfach irgendwo ankommen. Aber noch bin ich da nicht. Für den Aufstieg zum Gipfel des Puy Sancy bin ich leider irgendwie nicht mehr zu haben, gewittrige Stimmung treibt mich eher ins Tal zurück. Zunächst jedoch traue ich meinen Augen kaum: ein Schneefeld auf dem GR4. Klein, aber Schneefeld! Das hatte ich nun wahrlich nicht erwartet.

Schnee auf dem GR, und das am 25. Juni!
Der Weg zieht sich noch einige Zeit bergab, über verlassene Skipisten und unter der Seilbahn durch. Dann endlich Super-Besse; außer dem Namen ist jedoch nichts super; nichts ist deprimierender als eine verlassene Skistation im Sommer...
4. Etappe: Super-Besse – Condat
Zunächst geht es von Super-Besse aus ein paar Kilometer der Landstraße entlang (eine Wegumleitung des GR4), über eine Kuhweide (mit ihrem Stier, jawohl) bis zur kleinen Pilgerkapelle von Vassivière mit ihrer kleinen schwarzen Madonna. Ein paar Herrschaften werkeln an und um die angrenzende Kirche herum, ohne mich zu beachten. Weiter über Landstraße und Forstweg durch einen Wald bis zu einer Sumpflandschaft, die mich sehr an das Hohe Venn in meiner Heimat Belgien erinnert. Auch hier führen kleine Holzstege über die sumpfigsten Stellen.

Sumpfgebiet mit ehemaligem Torfabbau
Der GR4 führt an dem Maar Chauvet entlang (tatsächlich wird das Wort „un maar“ auch im Französischen gebraucht) und verläuft dann wieder über weite Wiesen. Aus der Ferne kommt mir ein Mann entgegengewandert. Wir begrüßen uns, und bevor ich es recht realisiere, begrüßt mich der Fremde mit zwei Küsschen, jeweils eines auf die linke und eines auf die rechte Wange. Das ist ja seltsam! Wildfremde Menschen mit Kuss begrüßen, tzzzz... Nachdem wir ein paar Sätze ausgetauscht haben, schüttele ich den neugierigen Menschen ab und mache, dass ich weiter komme.

Ich grübele der befremdlichen Begegnung noch einige Zeit nach, und komme schließlich immer noch etwas perplex im frühen Nachmittag in Eglises d'Entraigues an, wo ich ursprünglich für heute stoppen wollte. Da es allerdings noch sehr früh ist, der Ort wenig inspirierend und ich im Café „Chez Force“ eine halbe Stunde lang vergeblich auf einen Kaffee warte, ziehe ich dann resigniert weiter Richtung „Condat“. Die Stadt scheint etwas größer und vielversprechend. Ich setze alle Hoffnung auf Condat. Ein Eldorado. Mein Eldorado!
Recht bald trifft mein Weg auf eine Kuhherde, die jedoch freundlicherweise Richtung Stall unterwegs ist, und mir Platz macht.

Da geht's lang, geradeaus durch die Salers-Kuhherde mit den beeindruckenden Hörnern
Dann weist ein Schild nach links. Der Weg führt zwar eindeutig auf die große Weide, jedoch wo genau er weiter verläuft, ist nicht so ganz klar.

Äh… und nun?
Nach einigem Suchen und sich auf seine Sinne verlassen, komme ich am anderen Ende des weitläufigen Feldes aus, und siehe da: eine Wegmarkierung. Auf den nun folgenden „alten Wegen“, wie mein Wanderführer diese Pfade bezeichnet, reicht mir das Gras zunächst bis an die Hüften, dann bis an die Brust (ich bin zugegebenermaßen recht klein!) - dieser Teil des GR4 wird wohl nicht ständig begangen…

Soviel zur Frequentierung des GR4...

Unterwegs nach 'Chez de Carry'
Bei dem Ort „Chez de Carry“ treffe ich auf zwei französische Damen mit Hund, die sich nach einem netten kurzen Plausch erkundigen, ob ich denn nichts bräuchte.
Sehr freundlich, leider brauche ich wirklich nichts; und so ziehe ich weiter Richtung Condat. Der Himmel mit seinen gewaltigen düsteren Wolkenformationen auf der einen und Sonnenstrahlen auf der anderen Seite fasziniert mich nicht zum ersten (und nicht zum letzten) Mal.

Regnet's oder regnet's nicht, das ist hier die Frage...
Am späten Nachmittag erreiche ich es endlich, das Städtchen Condat, um festzustellen, dass es „à vendre“ ist: An jedem zweiten Haus hängt das Schild „Zu verkaufen“... Das Eldorado hatte ich mir anders vorgestellt.
Immerhin werde ich auf dem Campingplatz fröhlich begrüßt. Und weil es just in dem Moment anfängt zu regnen, als mein Zelt steht, verkrieche ich mich sofort darin und verbringe die wohl bisher längste Nacht.
5. Etappe: Condat – Buron d'Eylat
Die Sonne scheint. Ich hatte am Vorabend an der Rezeption Frühstück bestellt, das ich nun um 9 Uhr morgens gutgelaunt auf der Terrasse zu mir nehme. Saft, leckeres Brot, eine riesige Kanne Kaffee, Joghurt... und ein nettes „Schwätzchen“ mit dem Herrn des Hauses. Den heutigen Tag möchte ich mal gemächlicher angehen...
Als die Frau des Hauses mir jedoch mitteilt, dass für den nächsten Tag mit einem Wetterumschwung zu rechnen sei, schalte ich eine höhere Gangart ein.
Allerdings ist es schon fast zehn, als ich voranschreite. Und gleich geht es steil einen Forstweg hinauf. Schwer atmend (keuchend ?) steige ich hinan und bin schnell klatschnass geschwitzt. In dem Zustand könnte ich nicht einmal mehr einem Eichhörnchenangriff standhalten – geschweige denn dem der Fliegen, die mich boshaft umschwirren. Lauthals protestiert eine Falkenfamilie, als ich durch ihr Wohnzimmer stapfe, und schimpft mir noch lange Zeit hinterher. Endlich bin ich oben angekommen und werde prompt von Stechmücken und Bremsen angefallen.

Es geht auf Landstraßen weiter nach Lugarde und nach Saint Saturnin. Dort ist zwar die „Epicerie“ geschlossen, aber immerhin ist die Bar geöffnet. Die nette Besitzerin bereitet mir Kaffee und „Perrier menthe“ zu und sucht sogar nach der Telefonnummer des „Buron d'Eylac“, wo ich eventuell übernachten möchte. Es ist schon nach 15 Uhr, als ich zu den nächsten 18+ Kilometern aufbreche. Kurz hinter dem Ort verpasse ich eine recht versteckte Abzweigung, und mache noch ein paar extra Kilometer. Überhaupt ist der Pfad verwachsen; Brennnesseln und Disteln, ein umgefallener Baum, Gestrüpp. An dessen Ende drei kläffende Hunde, die mich sehr ungern nur vorbeilassen. Dann wieder Landstraße in Richtung „Plateau de Limon“. Die Sonne scheint immer noch, die Landschaft ist sattes Grün mit Kuhtupfern drauf. Irgendwann verlässt der Gr4 die Landstraße, bzw. hört die Straße an einem Hof einfach auf. Jetzt nur noch Weiden; mal mit mal ohne Kuh in der Nähe, mal neugierig, mal stoisch; der Weg mal mit mal ohne Wegmarkierung : das „Plateau de Limon“. Kurz: Eine längere Suche nach dem richtigen Weg beginnt, auf einer ausgedehnten Hocheben nicht unbedingt die einfachste Übung...

Das Plateau de Limon
Als dieser dann einer Art Steinmarkierung folgt, und später dem Stacheldrahtzaun, bin ich fast erleichtert. Und auch, dass die riesige zügig mir entgegenkommende Kuhherde und ich durch Stacheldraht voneinander getrennt sind. Immerhin warnt heute zum allerersten Mal der Wanderführer vor der Überquerung dieser Sommerweiden. Kein Wunder, null Ausweichmöglichkeiten.
Die Zeit vergeht, die Schatten werden länger und länger. Und immer noch geht es stetig bergauf, und kein Ende, und kein bergab in Sicht.

Die Schatten werden länger
Endlich – endlich! - geht es hinunter über Stein und Geröll, das versprochene Café ist jedoch eine Baustelle. Mittlerweile ist mir fast alles egal, auch wo ich übernachte. (Habe ich das Wandernirwana erreicht?) Ich sehe einen möglichen Schlafplatz, kurzes Zögern, soll ich, soll ich nicht? Plötzlich stehen vor mir ein paar Pferde, die mir recht unmissverständlich klar machen, dass ich hier nichts zu suchen habe und dass dies ihre Weide ist …

Abenddämmerung
Ich gehe, hetze, also weiter; denn es ist kurz vor zehn, das letzte Tageslicht erlischt. Ganz plötzlich stehe ich vor einem kleinen Steingebäude: dem Buron d'Eylac! Fast hätte ich es verpasst, hatte ich doch ein Dorf erwartet. Die vier anwesenden Wanderer ums Lagerfeuer begrüßen mich nett – Platz sei auch vorhanden. So verbringe ich die Nacht in dem urigen Gîte, nachdem ich am Lagerfeuer ein kleines Abendbrotpicknick zu mir genommen habe. Ich schlafe in der Nacht übrigens sehr sehr gut...

Morgendlicher Blick auf den 'Buron d'Eylat - im Hintergrund der Puy Mary
6. Etappe: Buron d'Eylat - Super-Lioran
Heute geht es zeitig los, gleich zu Beginn durch eine Kuhherde durch, die noch verschlafen daliegt. Die anfängliche Sonne versteckt sich allmählich hinter den immer tiefer liegenden Wolken, der versprochene Wetterwechsel lässt nicht auf sich warten. Die Landschaft hüllt sich mir nichts dir nichts in dichte Schleier.

Der Cirque de l'Impradine von unten betrachtet

Ein sonniger Start in den Tag. Das soll sich schnell legen...
Am Col de Peyrol angekommen, bläst ein mehr als frisches Lüftchen. Die Gaststätte, deren Licht gestern munter ins Tal hinunter geschienen hat, ist geschlossen. Vor mir liegen die kahlen Betonstufen, die auf den Gipfel des Puy Mary hinaufführen. Mittlerweile rüttelt und zerrt der Wind an mir; die Vorstellung, diese nackten Stufen, die schutzlos den Elementen ausgeliefert sind, emporzusteigen, behagt mir nicht. Und das mal wieder ohne Frühstück (Frühstück = Kaffee). Unentschlossen drücke ich mich an der Wand entlang, als ein Auto angebraust kommt: das Personal der Gaststätte, das mir auch prompt einen Kaffee macht.
Einer meldet, dass im ganzen Departement „alerte orange“ angekündigt sei mit allem Drum und Dran: Regen, Sturm, Hagel, Gewitter. Ich entscheide mich gegen den Weg über den Gipfel, für eine Alternative und ein paar Kilometer Umweg. Später treffen die Varianten aufeinander und führen entlang des Grats bis zur Breche de Rolland, einer doch recht halsbrecherischen wirkenden Angelegenheit, auf deren Schwierigkeit die Wanderer auch im Vorfeld mit Warnschildern hingewiesen werden.

Unterwegs zur Brèche de Rolland
Naja, da hilft nix, noch mehr Kilometer Umweg will ich einfach nicht machen. Vorsichtig klettere ich die höchstens 4 Meter über Felsen runter und an der anderen Seite wieder hoch; nur keinen falschen Schritt, ansonsten war's das mit der Sommertour.

Der Cirque de l'Impradine und seine Brèche de Roland, diesmal von 'oben'
Der Pfad folgt zunächst weiterhin dem Grat, dann der rechten Flanke des Berges. Just als ich mich schon alleine auf weiter Flur wäge, tauchen aus dem Nichts vorne vier Wanderer auf. Kurz darauf eine zweite etwas größere Gruppe, die mir Spalier stehen und mir auf dem schmalen Pfad den Vortritt lassen. Und dann ein Jakobspfeil, und noch einer... Ja, ja, der Jakob ist überall...
Über Skipisten gehe ich hinab nach Super-Lioran, einer weiteren Skistation. Diesmal entscheide ich mich jedoch, mich dort im Gîte einzuquartieren, Wäsche zu machen, Emails zu lesen – kurz ein halber Rasttag ist angesagt. Im Nachmittag fahre ich mit der Seilbahn hinauf auf den Plomb du Cantal, der morgen früh eigentlich sowieso auf meinem Plan steht, aber irgendwie muss ich die viele Zeit ja rumkriegen in einem Ort, in dem es nichts zu sehen und zu tun gibt. Es wackelt schon sehr; die Seilbahn hält sogar unterwegs eine Zeitlang an, damit sich die Kabine wieder „beruhigt“. Mir wir schwummerig, wie viel lieber spüre ich festen Boden unter meinen Füßen... Neben mir steht ganz unverkennbar ein Wanderer; er wirkt recht „entrückt“ und schweigsam; immerhin verrät er mir, dass er öfters in der Gegend unterwegs ist und „oben“ irgendwo schlafen wird. Ich beneide ihn etwas dafür, habe ich immer noch nicht „draußen“ alleine mein Zelt aufgeschlagen...
Bevor ich zum Abendbrot ins Gîte zurückkehre, probiere ich noch was Lokales: Apéro à la Gentiane (ein Likör aus gelbem Enzian).
Der angekündigte Regen-und-Gewitter-Riesen-Sturm bleibt übrigens aus...
7. Etappe: Super-Lioran - Valuéjols
Gleich morgens sieht es dort oben, wo ich heute hin muss, nicht sonderlich gemütlich aus. Der Gîtebetreiber meint beim Frühstück noch fröhlich, immerhin regne es nicht. Auch sei es kühl, gut zum Wandern und so brauche man auch kein Gewitter zu befürchten. Seine Frau empfiehlt mir, den Weg über den Grat zu nehmen, das sei der schönere von beiden.
Viel Grund zum Glücklichsein, und so ziehe ich von dannen, die Gruppe mit Führer hinter mir lassend. Je weiter der Weg ansteigt, desto diesiger und nebliger wird es. Oberhalb der Baumgrenze tropft es dann ganz unverkennbar so stark, dass es sich lohnt, anzuhalten und sich wetterfest zu machen. In meinem Fall schnell getan, ich habe lediglich eine dünne Regenjacke und eine Hülle für den Rucksack eingepackt, optimistisch wie ich mir diesen Sommer in Frankreich vorgestellt hatte. Meine Schuhe, wie gesagt, täuschen Wasserdichte nicht einmal vor, und schon nach ca 20 Minuten schwabbert das Wasser nur so zwischen meinen Zehen. (Naja, der Fairness halber muss ich gestehen: Bei den Mengen an Wasser hätten es Schuhe mit Goretex-Beschichtung auch nicht viel länger gemacht).
Mittlerweile ist alles in dichten Nebel gehüllt bzw. in einer tiefen Wolke verschwunden, was im Grunde auf das Selbe hinausläuft: Irgendwann sehe ich keinerlei Wegmarkierung mehr und muss mir eingestehen, dass ich mich wohl verlaufen habe. Bibbernd und zitternd vor Kälte, klatschnass, folge ich dennoch weiter einem der schmalen Trampelpfade, die von den Herden hinterlassen wurden. Ein Gefühl großer Einsamkeit macht sich in mir breit. Und jede Menge Unbehagen.
Eine gefühlte Ewigkeit später (in Echtzeit wahrscheinlich nur eine Viertelstunde) stoße ich auf die Markierung eines Mountainbike-Pfades, dem ich nun folge, und der tatsächlich in „meinen“ Wanderpfad mündet oder zumindest mich dorthin führt. Hurra!

Der Plomb du Cantal im Nebel
Als dann, noch später, die Trocken-WC-Hütten des Plomb du Cantal im immer noch dichten Nebel auftauchen, und dann die Seilbahn und die Gaststätte, frohlocke ich. Und genehmige mir gleich hintereinander zwei heiße Schokoladen, um mich ein wenig aufzuwärmen. Meine Versuche, die mir am Körper klebende nasse Hose an dem defekten Gebläse zu trocknen, welches gerade zum Testen läuft, misslingen. Lediglich meine Lungen füllen sich mit den schwarzen stinkenden Rußwolken.
Die Dame vom Ausschank betrachtet mich etwas skeptisch und meint, es würde sich heute wohl auch nicht mehr heben; und in der Tat ist der Weg vom Plomb du Cantal bis nach Prat-de-Bouc nicht viel besser. Null Sicht. Ein Schild zeigt laut meinem Plan in die falsche Richtung, und so entscheide ich mich, es zu ignorieren. (Eine weise Entscheidung, übrigens)
Am Col de la Tombe du Père (ein selten vielversprechender Name !) reißt das Nebelfeld für einen winzigen Moment auf und gibt die Sicht auf eine riesige Kuhweide frei.

'Benebelter Blick' vom Col de la Tombe du Père
Immerhin lichtet sich nun zumindest nach und nach der Nebel, und ich sehe trotz der Entfernung, dass der GR4 geradewegs auf die Kuhherde und den Stier zusteuert. Die Tiere sind alle sehr aufgeregt; sie brüllen, muhen, blöken wild durcheinander. Was sie wohl in diesen Zustand versetzt hat ? Um der Herde auszuweichen, verlasse ich den markierten Pfad; in der Ferne kann ich mein Ziel schon ausmachen. Die Viecher kommen ebenfalls in Bewegung, eines folgt dem anderen bergab, und der Weg vor mir ist frei; auf der anderen Seite des Baches rennen plötzlich alle wie wild panisch in eine Richtung. Beeindruckend!
Ich gehe weiter in Richtung der kleinen Häuseransammlung (ein Gîte, eine Gaststätte und ein weiteres Gebäude), und kurz bevor ich sie erreiche, sehe ich an einem kleinen Unterstand einen Rucksack stehen, dahinter zwei Beine; der vermummte Mensch über den Beinen ist der einsame Wanderer aus der Seilbahn gestern Nachmittag! In der Nacht oben wurde er vom Gewitter überrascht, erzählt er. Keine sehr gemütliche Vorstellung. Nun wird er abgeholt und wartet auf seinen Chauffeur.
In dem als Café-Restaurant umfunktionierten Buron (= „Sennhütte“) werde ich groß angeschaut... Naja, kein Wunder, mal ganz neutral betrachtet bin ich wirklich nicht sehr präsentabel, sondern in einem recht desolaten Zustand. Daran ist nun aber gerade nichts zu Verschönern, ich versuche lediglich, die vollgesogenen Einlegesohlen meiner Schuhe mit dem Händetrockner zu trocknen... (ein reiner Akt der Verzweiflung, gebe ich zu...)
Dann geht es weiter Richtung Albepierre-Bredons. Irgendwer ballert in der Landschaft rum. Und noch lange Zeit, nach dem ich das schöne Dorf verlassen habe, verfolgt mich diese entsetzlich nervige Knallerei. Zu allem Übel stehe ich dann auch mal wieder vor einem „Durchgang verboten“-Schild, über welches ich diesmal ohne zu Zögern hinwegsehe. Jedoch erweist sich diese Baustelle als mühselig, weil an einem wirklich steilen Steilhang gelegen; zum Glück nicht sehr weitläufig. Weiter geht's den Hang hoch, durch Wald, an Felsen vorbei. Eine immer größer werdende Fliegenarmada fliegt ihren ganz gezielten Angriff auf mich. Schweinebande. Wildgeworden bleibe ich stehen, um mich zu verteidigen. Und es geht ganz einfach: Ich muss nur die Arme in die Luft strecken und in die Hände klatschen. Jeder Klatscher = ein paar Fliegen weniger auf dieser Welt.
Auf dem Weg nach Le Ché kommen plötzlich ein paar Sonnenstrahlen zaghaft hervor. Plötzlich denke ich, ich bin der glücklichste Mensch auf Erden; frei und unterwegs. Die Welt ist so unglaublich schön, und nun auch noch Sonne! (Vorgestern noch hatte ich übrigens „Wander-Blues“: Warum nicht endlich einmal ganz normalen Urlaub wie ganz normale Menschen machen?)
Le Ché ist ein gottverlassener Ort; nicht einmal ein Hund, der anschlägt, oder eine herumstreunende Katze; nichts!
Als nächstes geht es über Landstraße weiter nach Lescure, einem kleinen Pilgerort. Und so ist auch das erste, was man sieht, der Kirchturm. Das Dorf scheint nur aus Kirche zu bestehen; diese ist übrigens offen, und zum ersten Mal erspähe ich bewusst die Steckdosen, die ja so mancher Wanderer gerne benutzt (hey, GT, ja, genau an Dich denke ich!).
Im nächsten Dorf zieht ein Kuhtrieb vorbei – die Damen haben natürlich Vortritt.

So viele Ladies first...
Und weiter geht es, der Himmel sieht recht stabil aus, und unterwegs in Richtung Valuéjols kucke ich mich schonmal nach einem Plätzchen um. Vielleicht wäre heute ja DER Tag, an dem ich es endlich einmal wage, alleine draußen zu übernachten?! Just da hält ein Auto neben mir: Die Dame am Steuer meint, ich käme wohl für das „centre d'accueil“ (die Stadt stellt den Wanderern einen kleinen Allzwecksaal zum Übernachten zur Verfügung). Ich fasse es nicht: Sie ist Gemeindearbeiterin und für genau den Saal zuständig; sie habe mich an ihrem Haus vorbeigehen sehen... So ein Zufall, und natürlich sage ich da nicht nein. Immerhin ist Sonntag, und dennoch 'arbeitet' sie.
Falls übrigens wer auf den Gedanken kommen könnte, in Valuéjols in dem angekündigten Hotel zu übernachten, sollte seine Pläne schnell ändern. Besagtes gebe es seit bestimmt 10 Jahren nicht mehr, erzählt die Französin mir, und die Wanderführer sollen doch endlich einmal aktualisiert werden.
Sie öffnet mir die Türe des Paradieses, das 7€ kostet. Und weil es auch im Paradies nur so von Fliegen wimmelt, schlage ich mein Innenzelt auf, um eine ruhige Nacht zu verbringen.

Kurz vor Valuéjols
8. Etappe: Valuéjols – Saint Flour
Als ich am frühen Morgen durchs Dorf in Richtung Café gehe, fängt mich die eifrige Gemeindeangestellte schon ab, damit ich ihr den Schlüssel aushändige. Es ist Montag, Kaffee gibt es, aber der Bäcker backt nicht und auch der byzantinische Jesus darf noch keinen Besuch bekommen, die Kirchentüren sind fest verschlossen. Auf geht’s.
Über recht angenehme Wege (des „voies carrossables“) geht es nach Liozargues, einem hübschen Dorf, in dem ich eine ungewöhnliche 'Maschine' erspähe. Der Monsieur von gegenüber, der mir versichert, er lebe seit 33 Jahren schon hier, erklärt, es habe der Pflege von Kühen gedient. „Le travail“, so nennt es sich, sieht eher aus wie die Mischung aus Foltergerät (Guillotine?) und gynäkologischem Stuhl für Tiere.

'Le travail'
Hinter dem nächsten Dorf, Mons, laufe ich einige Zeit gemächlich einem Kuhtrieb hinterher. Ein braver Hund bringt ganz alleine die Kühe ins Feld, auf dem der Bauer schon auf sie wartet.

The wild west français...
In Saillant überrascht mich eine gigantische Burg, die auch heute noch bewohnt ist und majestätisch über dem Dorf thront.

Saillant
Am Horizont erhasche ich einen ersten Blick auf Saint Flour, der GR führt jedoch noch über ein paar Schlenker, bevor ich definitiv am Fuße der Stadt stehen werde. Auf einem staubigen Feldweg knattert ein Motocrossfahrer in einem Höllentempo an mir vorbei (vorbei, weil ich mich eiligst aus dem Weg geräumt habe, als ich das lauter werdende Geknatter in der Ferne vernahm). Ich fluche ihm hinterher.
Dann stehe ich in Saint Flour. Passend zum Abschluss verliere ich irgendwann die Markierung, die ich ja nun auch gar nicht mehr brauche, und verbringe noch ein paar ruhige Stunden in dem mittelalterlichen Städtchen.

Saint Flour, das Endziel meiner Reise

Saint Flour
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