AW: [TR] Langzeitwanderung
Indien Teil 5

Bis zum Südkap
Bis zum nächsten Goastrand ist es nicht weit. Und da Goa's Straßen relativ wenige Schlaglöcher zu bieten haben, hält sich mein Schulterschmerz in erträglichen Grenzen. Unser zweiter Auszeit- strand gehört zum kleinen, von Palmen gesäumten Ort, Palolem.
Wir mieten uns ein Zimmer mit Veranda nur wenige Meter vom Strand entfernt. Im Garten werfen die Palmen lange Schatten und Enten tummeln sich im kleinen Deich. Aus der Ferne hören wir ganz leise das Rauschen der Meereswellen. Abend- Einschlaf- Musik könnte man es auch nennen.

Strand der 1000 Palmen
Die eigentliche Krönung ist jedoch der halbmondförmige Strand. Es ist für uns ein Ort zum Durchatmen. Hier fallen an den Wochenenden noch keine Horden von Männertags- Ausflugs- Indern ein. Spätestens um 22 Uhr, werden die nicht vorhandenen Bürgersteige, sinngemäß hochgeklappt. Was macht man dann aber an solch einem Strand, in solch einem theoretisch langweiligen Ort?

Grün auf seiner Haube
Nur in der Sonne braten, mögen wir nicht. Täglich wandern wir zum nördlichen Ende vom Halbmondstrand, denn dort ist es für uns am schönsten. Um die Schönheit erleben zu können, durchwaten wir einen Fluss, laufen am Haifelsen vorbei, und suchen uns einen schattigen Platz an einem der bizarr wirkenden Felsen mit viel Haubengrün.

Haifelsen :-)
Hier verbringen wir viele Stunden. Ich schreibe an meinen Texten. Wir beobachten tausende von Krebsen. Wir beobachten die Fischer. In unserer Superunterkunft gibt es Bücher und Zeitungen. Zwei Spiegel verschlinge ich regelrecht. Mit den Spiegeln sind natürlich die Zeitschriften gemeint, und keine Spiegel zum reinschauen. Ein Buch macht mir besondere Freude. Ich bin dann mal weg – von Hape Kerkeling, verschlinge ich regelrecht. Denn so mancher Satz, so manche Episode, so manche Kerkerling- Fuß- Blase und so manche unbeantwortete Frage, erinnert mich stark an unsere eigene längere Wanderung. Ein wunderbares Büchlein.
Zwischen den vielen Buchstaben, besuche ich Gi im Wasser. Bei annähernd 30 Grad Wassertemperatur kann sie sich nämlich kaum vom nassen Element lösen. Die Wellen sind kindgerecht klein. Ein weiterer Schnellwaschgang ist somit zum Glück für mich ausgeschlossen.
An einem Tag, es ist gerade Ebbe, laufen wir durchs kniehohe Wasser zur vorgelagerten Insel. Wir erkunden die Palmeninsel, fühlen uns dabei wie Robinson und schauen andächtig von oben zum langen Zauberstrand.
Bekommen wir Hunger, so durchforsten wir eine der Speisekarten in den zahlreichen Strandrestaurants. Meine Augen bleiben da immer bei den Steaks kleben. Im Land der vielen Vegetarier gibt es also auch Steaks. Sogar ''Heilige Steaks'' sind in Goa kein Tabu. Ich liebe Indien!
An den Abenden gibt es immer einen Pflichttermin. Gegen 18.30 versinkt die Sonne im Meer oder hinter unserer Robinson- Insel. Ich mag Sonnenuntergänge. Und ganz besonders mag ich nun die von Palolem.
Drei meditierende Männer erblicke ich im Sucher. Ihre Körper werfen Schatten im feuchtem Sand. Ich habe sie nicht bestellt. Sie sind nicht meine Models. Zum Glück waren sie einfach nur da.

3 meditierende Männer
Jeder Pflichttermin überrascht mich anders. Das Sonnenuntergangs- Orchester von Palolem spielt in feinsten Farbtönen. Täglich eine halbe Stunde dauert die grandiose Aufführung. Das perfekte dabei? Jede Aufführung ist ein Genuss für die Sinne.

Grandiose Aufführung
Unsere Insel scheint an manchen Abenden zu brennen.

Brennt sie gleich?
Die Tage in Palolem haben meiner Schulter gut getan. Auch wenn es schwer fällt, wir verlassen die Zauberbucht. Indien ist groß. Und wir + Kampfmaschine brauchen unseren Auslauf.
Wir brauchen einige Tage um den nächsten Bundesstaat zu durchtuckern. Karnataka hat nicht die schönsten Strände. Da die Küsteninder aber pfiffige Leute sind, setzten sie einfach einige monströs wirkende Tempelkomplexe in den Küstensand. Das Ziel ist erreicht, denn wer tuckert da schon vorbei.
Der eindrucksvollste Tempelkomplex für uns verstrahlt seine religiöse Energie auf einer Halbinsel in Murudeshwar.
Ein monumentaler Eingangsturm (Gopura) zum eigentlichen Tempel, grüßt schon aus weiter Ferne. Kein Wunder bei 20 Stockwerken und über 237 Meter Höhe.

Eingangsturm
Natürlich ist es ein viel besuchter Pilgerort für die Hindus. Und da die Hauptreligion im Land der Hinduismus ist, sind, wie meist bei besonderen Tempeln, Menschenmassen unterwegs. 80 Prozent der 1,3 Milliarden Inder sollen Hindus sein.
Der Blick vom Turm ist grandios. Neben dem Haupttempel sind weitere Tempel am Strand platziert.

Grün und Gold
Von unserem Zimmerchen aus, bestaunen wir am Abend die Shiva- Statue in ausgeleuchteter Pracht. 123 Meter reicht sie gen Himmel.

123 Meter hoch!
Der Hinduismus, die Nummer 3 in der Religions- Weltrangliste, ist eine recht komplizierte Religion, zumindest was eine fundierte inhaltliche Kurzbeschreibung meinerseits betreffen würde. Es fällt mir nämlich nicht leicht, die Bedeutung von den vielen Göttern, manchem Hauptgott, den weiteren Nebengöttern und den zwangsweise damit einhergehenden unterschiedlichen Ausrichtungen in Kürze auf den Punkt zu bringen. Was allerdings leicht verständlich erscheint, alle Hindus glauben an die Wiedergeburt und Erlösung. Sie gehen davon aus, dass man als Mensch, als Tier oder auch als Steinchen wiedergeboren werden kann.
Egal, letztendlich wird natürlich auch in dieser Religion behauptet, dass diese die Beste für all ihre Anhänger ist. Und genau da bricht in mir die Wut aus, denn wie bei allen anderen Religionen auch, werden tief sitzenden Wunden keinerlei Heilung angetan. Das Kastensystem, welches in Indien noch immer für viele Menschen das Leben vorbestimmt, ist dafür ein unrühmliches Beispiel. Wobei ich auch gleich ehrenvoll hinzufügen möchte, dass es einige wenige Ausrichtungen im Hinduismus gibt, welche das Kastensystem ablehnen.
Nach vielen weiteren Tempeln, tuckern wir im Wunderland Kerala (weiterer Bundesstaat) ein. Genau wie Wunderland Goa, zählt auch Kerala zu den Vorzeige- bundesstaaten von Indien. Warum? Es sind die wohlhabendsten Gebiete von Indien. Die Bildung ist jeweils wirklich sehr hoch und durch den Tourismus wird relativ viel Geld in die Bundeskassen gespült. Kerala hat die höchste Alphabetisierungsrate mit weit über 90 Prozent. Die Kindersterblichkeitsrate beträgt nur 1 Fünftel vom Landesdurchschnitt. Und wer in Kerala geboren wird, wird im Vergleich zu Restindien um die 10 Jahre später sterben. Und wem haben die Menschen in Kerala dies hauptsächlich zu verdanken?
Man staune, Kerala war 1957 der erste Bundesstaat in der Welt, in dem bei demokratischen (!) Wahlen die Kommunisten an die Macht kamen. Seit dieser Zeit wechselt die Macht zwischen der Kommunistischen Partei und der Kongresspartei. Und genau diese Wechselwahlwirkung scheint Kerala gut zu tun.

Hammer und Sichel
Man sieht hier wirklich kaum Armut im Sinne der sonst üblichen indischen Armut. Den Menschen geht es weit besser. Was für mich dabei spannend ist, die 3 Hauptreligionen in Kerala sind der Hinduismus, der Islam und das Christentum. Wieso übernehmen dann aber die Kommunisten schon über Jahrzehnte eine führende Rolle? Es können nur besonders pragmatische Kommunisten sein, denn Religion und Kommunismus sind ja eigentlich wie Feuer und Wasser.
Neben einigen ordentlichen Stränden, gibt es zwei weitere Touristenmagnete in Kerala. Es ist Kochi und die Backwaters .
In Kochi, die Stadt hat ca. 1,5 Millionen Einwohner, dampft nicht nur Kampfmaschine. Bis wir vom Stadtrand zum eigentlichen Touristenmagnet Fort Cochin vordringen, vergehen Stunden voller Qualen. Der Verkehr, der Staub, der Lärm, die aufgerissenen Straßen, die Huperei, die Schlaglöcher, Gis Trillerpfeife und meine Ungeduld, lassen auch mich wie einen Schnellkochtopf dampfen.
Erst in Fort Cochin löst sich das Dampf- Ablassventil.
Wir beziehen eine schöne Unterkunft neben der Santa Cruz Basilika. Fort Cochin ist irgendwie ein mittelalterlicher Mix aus Holland, England und Portugal. Dieser Mix aus Friedhof, Kirchen, alten Vierteln und Museen ist natürlich interessant, doch weit mehr bewegen mich immer die Geschichten am Rande.
Neben der Basilika ist eine Schule. Da beobachten wir täglich die Schülerinnen. Es ist eine Mädchenschule (es gibt auch gemischte Schulen). Fast alle Mädchen kommen am Morgen mit Fahrrädern zur Schule. Da jedes Fahrrad fast gleich aussieht, war es vielleicht eine Idee der Kommunisten diese Fahrräder den Mädchen zur Verfügung zu stellen. Egal wer die Idee hatte, wir finden es einfach gut, denn neben der Abgasreduzierung im geplagten Abgas- Indien, ist es normalerweise auch nicht üblich, dass das weibliche Geschlecht als Pedalritterin unterwegs ist. Was uns noch auffällt?

Schulfahrräder
Die Mädchen tragen Schuluniformen. In ganz Indien besteht für die Schüler und Schülerinnen Schuluniformpflicht. Neben einigen Nachteilen, hat dieser Zwang sicher auch viele Vorteile, finde ich zumindest. Der soziale Status tritt zum Beispiel in den Hintergrund. Zumindest sind für einige Stunden dann alle gleich. Zumindest die, welche in die Schule gehen oder mit dem Fahrrad dorthin fahren dürfen. Übrigens bekommt auch jedes Kind, welches die Schule besucht, ein kostenfreies Essen vom Staat spendiert. Ich gratuliere Indien ausdrücklich dazu! In vielen, oftmals weit reicheren Ländern, ist man diesbezüglich ja nicht so spendierfreudig. Warum nur?

Schuluniformen sind Pflicht
An einem Abend sitzen wir in einem Dachrestaurant in der Nähe vom Fähranleger zur Insel Vypeen. Anders als in unserem auserwählten Restaurant, herrscht am Fähranleger viel Betriebsamkeit. Wir sind die einzigen Gäste. Nach dem Essen wissen wir auch warum!
Auch wenn wir das Essen unter Mangelhaft einstufen, so ist das Dachresto selbst ein überaus interessanter Ausguck, denn in wenigen Minuten wird die Sonne im Meer versinken, und somit ist es auch ein idealer Platz um die berühmten chinesischen Fischernetze, von Fort Cochin, bei Sonnenuntergang abzulichten.
Nebenbei können wir den Fährbetrieb beobachten. Mit einer dieser Fähren waren wir gemeinsam mit Kampfmaschine, noch vor wenigen Stunden unterwegs. Nur wenige Meter von den altersschwachen Fähren entfernt, bringen recht große Fischerkähne ihren Fang an Land. Ein Kahn steuert plötzlich auf unser Dachresto mit überhöhter Geschwindigkeit zu. Andere Fischer bemerken dies und beginnen eine wahre Konzerthuperei. Es hilft nicht! Der Kahn knallt mit voller Wucht gegen die Grundmauern unseres Null- Sterne- Resto. Wir merken die gewaltige Erschütterung.
Der Koch, die Kellner, der Besitzer vom Restaurant, und gefühlt weitere hundert Inder, belagern nur wenige Sekunden später unseren Superausblick. Inder sind von Natur aus sehr neugierig.
Alle schreien den Kapitän vom Kahn an. Der antwortet nicht. Er knallt den Rückwärtsgang in die Schiffschraube und versucht seinen Rosthaufen um andere Kähne zu steuern. Gelingt auch nicht so recht ordentlich, denn 2 Kähne rammt er dabei richtig mächtig. Der Höhepunkt der Aufführung ist die Flucht vom Rammbock. Drei Fischerkähne nehmen die Verfolgung auf.
Als sich die Inder irgendwann beruhigen, frage ich den Restaurantbesitzer aus purer Neugier, gab es je so viele Besucher in deinem Restaurant? Und gibt es diese Aufführung vielleicht jeden Abend?
Ich komme mir dabei sehr witzig vor.
Ja, vor gut einer Woche war mein Restaurant noch mehr voll. Da ist einer von den Fischerkähnen mit voller Wucht in eine der Fähren geknallt. Die ist sofort untergegangen. 7 Menschen sind dabei ertrunken.
Natürlich wird mir bei dieser Antwort die sofortige Peinlichkeit meiner Fragen bewusst. Doch gefragt, ist gefragt! Ich könnte mich in den Arsch beißen. Der Besitzer scheint mir dies anzumerken, denn sogleich sagt er, ist ja nicht deine Schuld. Der Kapitän war besoffen, genau wie der von vorhin.
Am nächsten Abend sitzen wir erneut im Dachrestaurant. Wir sind die einzigen Besucher. Vorher habe ich die Fischernetze im Glutrot der Abendsonne abgelichtet. Schönheit und Leid liegen oft dicht beieinander. Nur wissen tut man es meist nicht.

Schönheit und Leid liegen oft dicht beieinander
Die Backwaters sind ein System aus wunderschönen Seen, Inseln und Kanälen auf einer Fläche von ca. 800 Quadratkilometern. Zur Backwater- Hochburg zählt die Stadt Alappuzha. Hier bleiben wir aus unterschiedlichen Gründen eine Zeit. Dafür fahren wir in einen Ortsteil von Alappuzha am Meer. Gute Wahl, denn wir erhandeln ein schönes, sauberes Zimmer mit Ozean- Wellen- Nachtmusik.
Am ersten Tag suchen wir den erhofften Enfieldshop in Alappuzha. Es gibt wirklich eine große Werkstatt und Verkaufshalle. Wir staunen! Somit ist eine Frischzellenkur für Kampfmaschine angesagt. Die Enfield- Jungs sind begeistert von unserer bisherigen Tour. Wir sind angeblich die ersten ausländischen Touristen, welche in ihrem Laden, mit einer Bullet aus dem fernen Delhi aufkreuzen.
In Auftrag gebe ich einen Ölwechsel, Ölfilterwechsel, die Reinigung des Luftfilters und eine Generalreinigung von Kampfmaschine selbst. Die defekte Hupe erwähne ich nicht. An Gis Trillerpfeife habe ich mich nämlich gewöhnt.
Am zweiten Tag können wir Kampfmaschine abholen. Sie glänzt wie neu geboren.
Am dritten Tag beschauen wir Kanäle und Hausboote. Der absolute Renner für Touristen ist hier, sich ein Hausboot mit Mannschaft (Steuermann + Koch) zu mieten.

Hausboot
Wir schauen uns einige Hausboote an. Da sind wirkliche Schmuckstücke dabei. Der Mietpreis würde umgerechnet zwischen 60 und 80 Euro pro 24 Stunden inklusive Fahrt durch die wunderschönen Kanäle und Seen kosten. Unser Zimmer mit Meerblick kostet 10 Euro pro Nacht. Auch wenn es uns juckt, wir mieten kein Hausboot, denn nach einiger Überlegung wird uns bewusst, unser Meerblickzimmer ist super. Auch sind wir ja irgendwie Individualisten. Selbst das Boot steuern wäre für uns perfekt, doch dies mögen die Vermieter nicht.
Egal, man muss nicht alles haben. Und um die Backwaters zu bestaunen, gibt es zudem eine wunderbare Ersatzlösung.
Genau diese praktizieren wir an Tag 4. Im Herzen von Alappuzha legen die Fähren nach Kottayam ab. Diese überqueren den Vembanad- See und machen halt an unterschiedlichsten Kanälen. Hin und zurück (ca. 6 Stunden) schippern wir fast einen ganzen Tag, denn in Kottayam genehmigen wir uns ein längere Pause.
Die Fahrt selbst ist herrlich. Von Palmen gesäumte Kanäle durchqueren wir. Von isolierten Dörfern steigen Bewohner aus oder zu. Zu sehen, zu bestaunen, und zu enträtseln gibt es ständig etwas.
An Tag 5 in Alappuzha - wie schnell doch so die Zeit vergeht - führen wir geputzte Kampfmaschine aus. Während wir im Meer tollen oder einfach nur unterschiedliche Strände ablaufen, darf Kampfmaschine sich im Schatten der Palmen ausruhen.

Ruhezeit
An Tag 6 packen wir erneut zusammen. Wir tuckern weiter Richtung Süden. 4 Tage später rollen wir im nächsten Bundessaat (Tamil) ein. Unser Ziel ist Kanyakumari. Diese schmucke Kleinstadt beherbergt den südlichsten Festlandpunkt von Indien. Es ist das Kap Komorin. Drei Meere vereinigen sich hier am Ende von Indien. Als ich am Kap Kampfmaschine in Ruhestellung versetze, zeigt mir der Tacho 3.410 getuckerte Kilometer seit unserem Start von Delhi.
Die Stadt gefällt uns auf Anhieb. Auch lernen wir am Kap einen wirklich ganz außergewöhnlichen Inder kennen. Was an ihm so außergewöhnlich ist, und warum uns die Stadt so gefällt, erzähle ich aber erst im nächsten Indienbericht.
Bis dahin,
liebe Grüße,
Wi + Gi + Kampfmaschine
Kilometerstand: 3.410 km Stand: Mitte Oktober 2015

Backwaters
PS: Wünschen herrlich 2. Advent
Indien Teil 5

Bis zum Südkap
Bis zum nächsten Goastrand ist es nicht weit. Und da Goa's Straßen relativ wenige Schlaglöcher zu bieten haben, hält sich mein Schulterschmerz in erträglichen Grenzen. Unser zweiter Auszeit- strand gehört zum kleinen, von Palmen gesäumten Ort, Palolem.
Wir mieten uns ein Zimmer mit Veranda nur wenige Meter vom Strand entfernt. Im Garten werfen die Palmen lange Schatten und Enten tummeln sich im kleinen Deich. Aus der Ferne hören wir ganz leise das Rauschen der Meereswellen. Abend- Einschlaf- Musik könnte man es auch nennen.

Strand der 1000 Palmen
Die eigentliche Krönung ist jedoch der halbmondförmige Strand. Es ist für uns ein Ort zum Durchatmen. Hier fallen an den Wochenenden noch keine Horden von Männertags- Ausflugs- Indern ein. Spätestens um 22 Uhr, werden die nicht vorhandenen Bürgersteige, sinngemäß hochgeklappt. Was macht man dann aber an solch einem Strand, in solch einem theoretisch langweiligen Ort?

Grün auf seiner Haube
Nur in der Sonne braten, mögen wir nicht. Täglich wandern wir zum nördlichen Ende vom Halbmondstrand, denn dort ist es für uns am schönsten. Um die Schönheit erleben zu können, durchwaten wir einen Fluss, laufen am Haifelsen vorbei, und suchen uns einen schattigen Platz an einem der bizarr wirkenden Felsen mit viel Haubengrün.

Haifelsen :-)
Hier verbringen wir viele Stunden. Ich schreibe an meinen Texten. Wir beobachten tausende von Krebsen. Wir beobachten die Fischer. In unserer Superunterkunft gibt es Bücher und Zeitungen. Zwei Spiegel verschlinge ich regelrecht. Mit den Spiegeln sind natürlich die Zeitschriften gemeint, und keine Spiegel zum reinschauen. Ein Buch macht mir besondere Freude. Ich bin dann mal weg – von Hape Kerkeling, verschlinge ich regelrecht. Denn so mancher Satz, so manche Episode, so manche Kerkerling- Fuß- Blase und so manche unbeantwortete Frage, erinnert mich stark an unsere eigene längere Wanderung. Ein wunderbares Büchlein.
Zwischen den vielen Buchstaben, besuche ich Gi im Wasser. Bei annähernd 30 Grad Wassertemperatur kann sie sich nämlich kaum vom nassen Element lösen. Die Wellen sind kindgerecht klein. Ein weiterer Schnellwaschgang ist somit zum Glück für mich ausgeschlossen.
An einem Tag, es ist gerade Ebbe, laufen wir durchs kniehohe Wasser zur vorgelagerten Insel. Wir erkunden die Palmeninsel, fühlen uns dabei wie Robinson und schauen andächtig von oben zum langen Zauberstrand.
Bekommen wir Hunger, so durchforsten wir eine der Speisekarten in den zahlreichen Strandrestaurants. Meine Augen bleiben da immer bei den Steaks kleben. Im Land der vielen Vegetarier gibt es also auch Steaks. Sogar ''Heilige Steaks'' sind in Goa kein Tabu. Ich liebe Indien!
An den Abenden gibt es immer einen Pflichttermin. Gegen 18.30 versinkt die Sonne im Meer oder hinter unserer Robinson- Insel. Ich mag Sonnenuntergänge. Und ganz besonders mag ich nun die von Palolem.
Drei meditierende Männer erblicke ich im Sucher. Ihre Körper werfen Schatten im feuchtem Sand. Ich habe sie nicht bestellt. Sie sind nicht meine Models. Zum Glück waren sie einfach nur da.

3 meditierende Männer
Jeder Pflichttermin überrascht mich anders. Das Sonnenuntergangs- Orchester von Palolem spielt in feinsten Farbtönen. Täglich eine halbe Stunde dauert die grandiose Aufführung. Das perfekte dabei? Jede Aufführung ist ein Genuss für die Sinne.

Grandiose Aufführung
Unsere Insel scheint an manchen Abenden zu brennen.

Brennt sie gleich?
Die Tage in Palolem haben meiner Schulter gut getan. Auch wenn es schwer fällt, wir verlassen die Zauberbucht. Indien ist groß. Und wir + Kampfmaschine brauchen unseren Auslauf.
Wir brauchen einige Tage um den nächsten Bundesstaat zu durchtuckern. Karnataka hat nicht die schönsten Strände. Da die Küsteninder aber pfiffige Leute sind, setzten sie einfach einige monströs wirkende Tempelkomplexe in den Küstensand. Das Ziel ist erreicht, denn wer tuckert da schon vorbei.
Der eindrucksvollste Tempelkomplex für uns verstrahlt seine religiöse Energie auf einer Halbinsel in Murudeshwar.
Ein monumentaler Eingangsturm (Gopura) zum eigentlichen Tempel, grüßt schon aus weiter Ferne. Kein Wunder bei 20 Stockwerken und über 237 Meter Höhe.

Eingangsturm
Natürlich ist es ein viel besuchter Pilgerort für die Hindus. Und da die Hauptreligion im Land der Hinduismus ist, sind, wie meist bei besonderen Tempeln, Menschenmassen unterwegs. 80 Prozent der 1,3 Milliarden Inder sollen Hindus sein.
Der Blick vom Turm ist grandios. Neben dem Haupttempel sind weitere Tempel am Strand platziert.

Grün und Gold
Von unserem Zimmerchen aus, bestaunen wir am Abend die Shiva- Statue in ausgeleuchteter Pracht. 123 Meter reicht sie gen Himmel.

123 Meter hoch!
Der Hinduismus, die Nummer 3 in der Religions- Weltrangliste, ist eine recht komplizierte Religion, zumindest was eine fundierte inhaltliche Kurzbeschreibung meinerseits betreffen würde. Es fällt mir nämlich nicht leicht, die Bedeutung von den vielen Göttern, manchem Hauptgott, den weiteren Nebengöttern und den zwangsweise damit einhergehenden unterschiedlichen Ausrichtungen in Kürze auf den Punkt zu bringen. Was allerdings leicht verständlich erscheint, alle Hindus glauben an die Wiedergeburt und Erlösung. Sie gehen davon aus, dass man als Mensch, als Tier oder auch als Steinchen wiedergeboren werden kann.
Egal, letztendlich wird natürlich auch in dieser Religion behauptet, dass diese die Beste für all ihre Anhänger ist. Und genau da bricht in mir die Wut aus, denn wie bei allen anderen Religionen auch, werden tief sitzenden Wunden keinerlei Heilung angetan. Das Kastensystem, welches in Indien noch immer für viele Menschen das Leben vorbestimmt, ist dafür ein unrühmliches Beispiel. Wobei ich auch gleich ehrenvoll hinzufügen möchte, dass es einige wenige Ausrichtungen im Hinduismus gibt, welche das Kastensystem ablehnen.
Nach vielen weiteren Tempeln, tuckern wir im Wunderland Kerala (weiterer Bundesstaat) ein. Genau wie Wunderland Goa, zählt auch Kerala zu den Vorzeige- bundesstaaten von Indien. Warum? Es sind die wohlhabendsten Gebiete von Indien. Die Bildung ist jeweils wirklich sehr hoch und durch den Tourismus wird relativ viel Geld in die Bundeskassen gespült. Kerala hat die höchste Alphabetisierungsrate mit weit über 90 Prozent. Die Kindersterblichkeitsrate beträgt nur 1 Fünftel vom Landesdurchschnitt. Und wer in Kerala geboren wird, wird im Vergleich zu Restindien um die 10 Jahre später sterben. Und wem haben die Menschen in Kerala dies hauptsächlich zu verdanken?
Man staune, Kerala war 1957 der erste Bundesstaat in der Welt, in dem bei demokratischen (!) Wahlen die Kommunisten an die Macht kamen. Seit dieser Zeit wechselt die Macht zwischen der Kommunistischen Partei und der Kongresspartei. Und genau diese Wechselwahlwirkung scheint Kerala gut zu tun.

Hammer und Sichel
Man sieht hier wirklich kaum Armut im Sinne der sonst üblichen indischen Armut. Den Menschen geht es weit besser. Was für mich dabei spannend ist, die 3 Hauptreligionen in Kerala sind der Hinduismus, der Islam und das Christentum. Wieso übernehmen dann aber die Kommunisten schon über Jahrzehnte eine führende Rolle? Es können nur besonders pragmatische Kommunisten sein, denn Religion und Kommunismus sind ja eigentlich wie Feuer und Wasser.
Neben einigen ordentlichen Stränden, gibt es zwei weitere Touristenmagnete in Kerala. Es ist Kochi und die Backwaters .
In Kochi, die Stadt hat ca. 1,5 Millionen Einwohner, dampft nicht nur Kampfmaschine. Bis wir vom Stadtrand zum eigentlichen Touristenmagnet Fort Cochin vordringen, vergehen Stunden voller Qualen. Der Verkehr, der Staub, der Lärm, die aufgerissenen Straßen, die Huperei, die Schlaglöcher, Gis Trillerpfeife und meine Ungeduld, lassen auch mich wie einen Schnellkochtopf dampfen.
Erst in Fort Cochin löst sich das Dampf- Ablassventil.
Wir beziehen eine schöne Unterkunft neben der Santa Cruz Basilika. Fort Cochin ist irgendwie ein mittelalterlicher Mix aus Holland, England und Portugal. Dieser Mix aus Friedhof, Kirchen, alten Vierteln und Museen ist natürlich interessant, doch weit mehr bewegen mich immer die Geschichten am Rande.
Neben der Basilika ist eine Schule. Da beobachten wir täglich die Schülerinnen. Es ist eine Mädchenschule (es gibt auch gemischte Schulen). Fast alle Mädchen kommen am Morgen mit Fahrrädern zur Schule. Da jedes Fahrrad fast gleich aussieht, war es vielleicht eine Idee der Kommunisten diese Fahrräder den Mädchen zur Verfügung zu stellen. Egal wer die Idee hatte, wir finden es einfach gut, denn neben der Abgasreduzierung im geplagten Abgas- Indien, ist es normalerweise auch nicht üblich, dass das weibliche Geschlecht als Pedalritterin unterwegs ist. Was uns noch auffällt?

Schulfahrräder
Die Mädchen tragen Schuluniformen. In ganz Indien besteht für die Schüler und Schülerinnen Schuluniformpflicht. Neben einigen Nachteilen, hat dieser Zwang sicher auch viele Vorteile, finde ich zumindest. Der soziale Status tritt zum Beispiel in den Hintergrund. Zumindest sind für einige Stunden dann alle gleich. Zumindest die, welche in die Schule gehen oder mit dem Fahrrad dorthin fahren dürfen. Übrigens bekommt auch jedes Kind, welches die Schule besucht, ein kostenfreies Essen vom Staat spendiert. Ich gratuliere Indien ausdrücklich dazu! In vielen, oftmals weit reicheren Ländern, ist man diesbezüglich ja nicht so spendierfreudig. Warum nur?

Schuluniformen sind Pflicht
An einem Abend sitzen wir in einem Dachrestaurant in der Nähe vom Fähranleger zur Insel Vypeen. Anders als in unserem auserwählten Restaurant, herrscht am Fähranleger viel Betriebsamkeit. Wir sind die einzigen Gäste. Nach dem Essen wissen wir auch warum!
Auch wenn wir das Essen unter Mangelhaft einstufen, so ist das Dachresto selbst ein überaus interessanter Ausguck, denn in wenigen Minuten wird die Sonne im Meer versinken, und somit ist es auch ein idealer Platz um die berühmten chinesischen Fischernetze, von Fort Cochin, bei Sonnenuntergang abzulichten.
Nebenbei können wir den Fährbetrieb beobachten. Mit einer dieser Fähren waren wir gemeinsam mit Kampfmaschine, noch vor wenigen Stunden unterwegs. Nur wenige Meter von den altersschwachen Fähren entfernt, bringen recht große Fischerkähne ihren Fang an Land. Ein Kahn steuert plötzlich auf unser Dachresto mit überhöhter Geschwindigkeit zu. Andere Fischer bemerken dies und beginnen eine wahre Konzerthuperei. Es hilft nicht! Der Kahn knallt mit voller Wucht gegen die Grundmauern unseres Null- Sterne- Resto. Wir merken die gewaltige Erschütterung.
Der Koch, die Kellner, der Besitzer vom Restaurant, und gefühlt weitere hundert Inder, belagern nur wenige Sekunden später unseren Superausblick. Inder sind von Natur aus sehr neugierig.
Alle schreien den Kapitän vom Kahn an. Der antwortet nicht. Er knallt den Rückwärtsgang in die Schiffschraube und versucht seinen Rosthaufen um andere Kähne zu steuern. Gelingt auch nicht so recht ordentlich, denn 2 Kähne rammt er dabei richtig mächtig. Der Höhepunkt der Aufführung ist die Flucht vom Rammbock. Drei Fischerkähne nehmen die Verfolgung auf.
Als sich die Inder irgendwann beruhigen, frage ich den Restaurantbesitzer aus purer Neugier, gab es je so viele Besucher in deinem Restaurant? Und gibt es diese Aufführung vielleicht jeden Abend?
Ich komme mir dabei sehr witzig vor.
Ja, vor gut einer Woche war mein Restaurant noch mehr voll. Da ist einer von den Fischerkähnen mit voller Wucht in eine der Fähren geknallt. Die ist sofort untergegangen. 7 Menschen sind dabei ertrunken.
Natürlich wird mir bei dieser Antwort die sofortige Peinlichkeit meiner Fragen bewusst. Doch gefragt, ist gefragt! Ich könnte mich in den Arsch beißen. Der Besitzer scheint mir dies anzumerken, denn sogleich sagt er, ist ja nicht deine Schuld. Der Kapitän war besoffen, genau wie der von vorhin.
Am nächsten Abend sitzen wir erneut im Dachrestaurant. Wir sind die einzigen Besucher. Vorher habe ich die Fischernetze im Glutrot der Abendsonne abgelichtet. Schönheit und Leid liegen oft dicht beieinander. Nur wissen tut man es meist nicht.

Schönheit und Leid liegen oft dicht beieinander
Die Backwaters sind ein System aus wunderschönen Seen, Inseln und Kanälen auf einer Fläche von ca. 800 Quadratkilometern. Zur Backwater- Hochburg zählt die Stadt Alappuzha. Hier bleiben wir aus unterschiedlichen Gründen eine Zeit. Dafür fahren wir in einen Ortsteil von Alappuzha am Meer. Gute Wahl, denn wir erhandeln ein schönes, sauberes Zimmer mit Ozean- Wellen- Nachtmusik.
Am ersten Tag suchen wir den erhofften Enfieldshop in Alappuzha. Es gibt wirklich eine große Werkstatt und Verkaufshalle. Wir staunen! Somit ist eine Frischzellenkur für Kampfmaschine angesagt. Die Enfield- Jungs sind begeistert von unserer bisherigen Tour. Wir sind angeblich die ersten ausländischen Touristen, welche in ihrem Laden, mit einer Bullet aus dem fernen Delhi aufkreuzen.
In Auftrag gebe ich einen Ölwechsel, Ölfilterwechsel, die Reinigung des Luftfilters und eine Generalreinigung von Kampfmaschine selbst. Die defekte Hupe erwähne ich nicht. An Gis Trillerpfeife habe ich mich nämlich gewöhnt.
Am zweiten Tag können wir Kampfmaschine abholen. Sie glänzt wie neu geboren.
Am dritten Tag beschauen wir Kanäle und Hausboote. Der absolute Renner für Touristen ist hier, sich ein Hausboot mit Mannschaft (Steuermann + Koch) zu mieten.

Hausboot
Wir schauen uns einige Hausboote an. Da sind wirkliche Schmuckstücke dabei. Der Mietpreis würde umgerechnet zwischen 60 und 80 Euro pro 24 Stunden inklusive Fahrt durch die wunderschönen Kanäle und Seen kosten. Unser Zimmer mit Meerblick kostet 10 Euro pro Nacht. Auch wenn es uns juckt, wir mieten kein Hausboot, denn nach einiger Überlegung wird uns bewusst, unser Meerblickzimmer ist super. Auch sind wir ja irgendwie Individualisten. Selbst das Boot steuern wäre für uns perfekt, doch dies mögen die Vermieter nicht.
Egal, man muss nicht alles haben. Und um die Backwaters zu bestaunen, gibt es zudem eine wunderbare Ersatzlösung.
Genau diese praktizieren wir an Tag 4. Im Herzen von Alappuzha legen die Fähren nach Kottayam ab. Diese überqueren den Vembanad- See und machen halt an unterschiedlichsten Kanälen. Hin und zurück (ca. 6 Stunden) schippern wir fast einen ganzen Tag, denn in Kottayam genehmigen wir uns ein längere Pause.
Die Fahrt selbst ist herrlich. Von Palmen gesäumte Kanäle durchqueren wir. Von isolierten Dörfern steigen Bewohner aus oder zu. Zu sehen, zu bestaunen, und zu enträtseln gibt es ständig etwas.
An Tag 5 in Alappuzha - wie schnell doch so die Zeit vergeht - führen wir geputzte Kampfmaschine aus. Während wir im Meer tollen oder einfach nur unterschiedliche Strände ablaufen, darf Kampfmaschine sich im Schatten der Palmen ausruhen.

Ruhezeit
An Tag 6 packen wir erneut zusammen. Wir tuckern weiter Richtung Süden. 4 Tage später rollen wir im nächsten Bundessaat (Tamil) ein. Unser Ziel ist Kanyakumari. Diese schmucke Kleinstadt beherbergt den südlichsten Festlandpunkt von Indien. Es ist das Kap Komorin. Drei Meere vereinigen sich hier am Ende von Indien. Als ich am Kap Kampfmaschine in Ruhestellung versetze, zeigt mir der Tacho 3.410 getuckerte Kilometer seit unserem Start von Delhi.
Die Stadt gefällt uns auf Anhieb. Auch lernen wir am Kap einen wirklich ganz außergewöhnlichen Inder kennen. Was an ihm so außergewöhnlich ist, und warum uns die Stadt so gefällt, erzähle ich aber erst im nächsten Indienbericht.
Bis dahin,
liebe Grüße,
Wi + Gi + Kampfmaschine
Kilometerstand: 3.410 km Stand: Mitte Oktober 2015

Backwaters
PS: Wünschen herrlich 2. Advent

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