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Eigentlich gehört diese Tour mit in Roberts Berichtesammlung Rafting in Nord-Ost Sibirien, aber ich finde, sie ist ein eigenes Thema wert.
Kurz zusammengefasst
Letzten Sommer war Robert mit mir (Richard) unterwegs. Unser Ziel war die Querung des Suntar-Chajata Gebirges im Osten Jakutiens. Wir wollten dort den Suntar flussaufwärts treideln, je nach Möglichkeit zwei der höchsten Berge besteigen (Palatka, Mus-Chaja) und nach der Passquerung zum Chabarovsker Gebiet auf den Flüssen Nitkan, Judoma, Ketanda und Urak zum Ochotskischen Meer hinabfahren. Zwischen der Judoma und der Ketanda galt es dabei noch die kontinentale Wasserscheide zu überwinden, welche an der schmalsten Stelle zwar nur 20 km breit ist, aber durch schwer begehbares Gelände führt. Die komplette Route ist rund 700 km lang und führt durchweg durch unbesiedeltes Gebiet. Uns standen dafür 5-6 Wochen zur Verfügung, die durchaus hätten reichen können, allerdings lag das Zeitfenster mit Ende Mai bis Anfang Juli nicht gerade in der besten Saison, so dass wir uns vor allem auf dem ersten Streckenabschnitt entlang des Suntar auf Hochwasser, Eisgang und noch viel Schnee im höheren Bergland einstellen mussten.
Im Detail sah unser Plan so aus:
www.lonelytraveller.de/ochotsk/yakutia2015-planA.jpeg
Für den Fall, dass dieser Plan von vornherein nicht aufgehen sollte, hatten wir noch ein paar Alternativpläne ausgearbeitet:
www.lonelytraveller.de/ochotsk/yakutia2015.jpeg
Letztendlich haben wir für den Treidelabschnitt viel länger gebraucht, als geplant und sind ab dem Pass zum Chabarovsker Gebiet getrennte Wege gegangen. Es war abzusehen, dass wir das Ochotskische Meer nicht mehr zum angepeilten Datum erreichen würden und da mir ein paar wichtige Termine im Nacken saßen, bin ich vorausgeeilt. Robert hingegen hatte keinen Zeitdruck und nahm noch den Mus-Chaja in Angriff, ehe er auf gleicher Route folgen würde. Als limitierender Faktor galt jedoch die Proviantlage, die für uns beide eine Zeit des Halbhungers und daraus folgender körperlicher Entkräftung mit sich brachte. Da bei mir das Schwächegefühl erst während der Portage eintrat, schlug ich mich noch bis Ochotsk durch. Bei Robert, der seinen Proviant strenger rationierte, setzte es jedoch schon am Mus-Chaja ein, so dass er sich am Ende gegen die kräftezehrende Portage entschied und auf der Judoma blieb. Er erreichte Jugorjonok 10 Tage später als ich Ochotsk und war damit insgesamt 50 Tage in unbesiedelter Wildnis unterwegs.
Treidel-Abschnitt (auf dem Suntar flussaufwärts)

Rafting-Abschnitt (Nitkan, Judoma, Ketanda, Urak flussabwärts)

Inspiration
Sowohl Inspirations- als auch Informationsquelle war insbesondere für mich die Tour von Clemens Ratschan und Jakob Schabasser aus Österreich. Sie gingen die Route im Herbst 2013, den ersten Abschnitt entlang des Suntar bewältigten sie mit einem Pferdetrek:
www.fliegenfischer-forum.de/jakutsk.html
Im Sommer 2014 gingen auch zwei Litauer diese Route, sie treidelten den Suntar flussaufwärts. Beinahe wäre auch Robert schon mit ihnen mitgegangen, zum Glück hat er aber noch ein Jahr gewartet und Infos aus erster Hand bekommen
www.madaboutsiberia.com
Nicht zuletzt waren es auch die Touren vom russischen Geologen Sergej Ermakov (Spitzname Strannic), die einen guten Einblick gaben, was uns auf so einer Tour erwarten würde. Er war schon mindestens dreimal im Suntar-Chajata, teilweise sogar über mehrere Monate:
https://fotki.yandex.ru/users/strannic1959/album/180838/ (Fotoalbum zur Tour 2002)
https://fotki.yandex.ru/users/strannic1959/album/196202/ (Fotoalbum zur Tour 2012)
https://fotki.yandex.ru/users/strannic1959/album/222333/ (Fotoalbum zur Tour 2014)
Auf Strannic aufmerksam geworden bin ich allerdings erst durch das von "Sibirier" übersetzte Video zum Treideln auf dem Suntar:
www.youtube.com/watch?v=WOyF2K7Lbk0 (Teil 3 zur Tour 2012)
Genau von diesem Abschnitt druckten wir uns auch die im Fotoalbum hinterlegten Karten aus, da sie viele hilfreiche Informationen enthielten.
Bootswahl
Da diese Tour zwar den Wasserwegen folgt, aber auch längere Marschetappen beinhaltet, mussten die Schlauchboote unbedingt tragbar sein. Ich war bereits im Besitz eines Packrafts (Alpacka Explorer 42, 3kg, tauglich bis WW III), welches für so eine Tour bestens geeignet schien. Robert legte sich noch kurz vor Abreise ein litauisches Quasi-Packraft zu (Drakar Meridian, 7 kg, tauglich für WW >III), welches zwar etwas schwerer ist, dafür aber zwei Luftkammern und damit auch eine höhere Steifigkeit besitzt. Wie sich beide Boote beim Treideln geschlagen haben, später mehr... Auf jeden Fall konnten beide Boote problemlos mit ins Fluggepäck.
Anreise
Schon der Hinflug war sehr interessant. Von Moskau nach Jakutsk flogen wir direkt über das nördliche Sibirien, welches Ende Mai noch immer vom Winter beherrscht wurde. Zuerst zeigte sich der Polar Ural mit seinen verschneiten Gipfeln, dann die kahle Jamal-Tundra mit tausenden, teils noch vereisten Seen und irgendwann der breite Jenissei, auf dem riesige Eisschollen trieben.. wenig später folgten dann die qualmenden Schlote der nördlichsten Großstadt der Welt: Norilsk. Das Putorana-Plateau lag leider unter Wolken, erst dahinter zeigte sich wieder eine seichte Berglandschaft mit auffälligen Riffelungen, als hätte jemand die Höhenlinien nachgezeichnet; dazwischen ein größerer Flusslauf, grob geschätzt die Mündung des Alakit in den Olenok, welchen wir als Plan B im Hinterkopf hatten – hier schon fast eisfrei. Kurz darauf folgte noch eine riesige Diamantengrube – alles kar: Udatschnyj, dann musste das vorhin tatsächlich der Alakit gewesen sein...


In Jakutsk versuchten wir uns zunächst vom Jetlag zu erholen, der Zeitunterschied zu Deutschland beträgt immerhin 8 Stunden. Ansonsten war unsere erste Amtshandlung, den schon teilweise mitgebrachten Proviant aufzustocken, dass er mindestens für 5 Wochen reichen möge – rund 46 kg hatten wir am Ende zusammen. Hinzu kamen noch zwei große Kochtöpfe mit Henkel, da wir über Feuer kochen wollten, aber auch zwei Gaskartuschen, um bei der Passquerung und den Bergbesteigungen ebenfalls kochen zu können. In den zahlreichen Jagd- und Angelläden fanden wir mit Unterstützung von Michail Mestnikov der Tourfirma „Nordstream“ auch Rauchfackeln („Falschfeuer“) und für mich noch ein Paar Watstiefel zum Treideln. Von Mestnikov, der viel Erfahrung mit Raftingtouren in Jakutien hat, bekamen wir auch noch ein paar Tipps und Kontakte für unsere Alternativtouren.



Nebenher versuchten wir schon eine Mitfahrgelegenheit ausfindig zu machen, obwohl wir uns noch immer nicht im Klaren waren, ob wir Plan A oder B angehen sollten – Suntar-Chajata oder Alakit-Olenok... Über Mestnikov und ein paar Bekannten vor Ort erhielten wir nämlich die Info, dass das Eis der Indigirka gerade erst aufgebrochen sei und eine zweite Welle vom Oberlauf folgen würde, der Suntar musste also noch zugefroren sein. Falls wir uns zum Suntar bringen lassen und dann feststellen, dass kein Treideln möglich ist, bliebe nur noch die Alternative Indigirka, die aber schon bei normalem Wasserstand ein paar gefährliche Abschnitte mit hohen Wellen und felsigen Ufern hat – Helme und Roberts größeres Boot (das 25 kg schwere Raftmaster, das bei der Tourfirma „Nordstream“ in Jakutsk lagerte) wären nötig, welche wir entweder aus Jakutsk nachholen oder uns bringen lassen müssten. Immerhin war Robert nahe dran, einen Pferdeführer für unseren Plan A zu gewinnen, damit wir die Strecke entlang des Suntar notfalls ohne Treideln zurücklegen könnten, doch bisher kam kein direkter Kontakt zustande. Die potentiellen Kandidaten dafür – die mit den Rentieren halbnomadisch lebenden Ewenen - waren zu dieser Zeit sehr beschäftigt, u.a. weil die Rentiere gerade ihre Jungen gebären...
Also was? Vielleicht doch gleich Plan B? Der Alakit war aber auch nicht einfach zu erreichen, ein Kettengerät oder mindestens ein Geländefahrzeug wäre erforderlich, um von der Trasse nach Udachnyj direkt zum Fluss zu gelangen. Wir hatten aber nur ein zweifelhaftes Angebot, das wir nach einem horrenden Preisvorschlag (50.000 Rubel bzw. mehr als 900 Euro) inklusive Spionagevorwurf dankend abgelehnt haben. Mit Plan B standen wir also auch nicht auf der sicheren Seite, daher entschieden wir uns endgültig für Plan A und buchten einen UAZ nach Jutschjugej (6000 Rubel bzw. rund 110 Euro pro Person). Nach vier Tagen in Jakutsk ging es dann am Abend des 30. Mai endlich los - nach Osten, dem Suntar-Chajata entgegen.

Wie hierzulande üblich, bretterte unser Fahrer die rund 800 km nach Jutschjugej innerhalb 24 Stunden. Lediglich zwei Stunden Schlaf gönnte er sich, als wir auf die Fähre über den Aldan warteten. Vor acht Jahren bin ich die Strecke schon einmal mit dem Fahrrad gefahren und schaute interessiert aus dem Fenster. Was mir sofort auffiel: die Trasse wurde ausgebaut, selbst die Brücke über den Kjubeme, die nach einem Hochwasser in den 70ern jahrzehntelang zerstört dalag, wurde nun tatsächlich mal erneuert. Der abenteuerliche Charakter dieser Strecke ist dadurch ein wenig verloren gegangen, aber diesmal sollte ja das Abenteuer erst abseits der Trasse beginnen.
Am Anfang fuhren wir durch die schon angegrünte Lärchentaiga der Jakutischen Ebene, in den Bergen wechselten wir dann aber rasch vom Frühling zurück in den Spätwinter. Taiga und Tundra zeigten sich fortan in einem graubraunen Gewand und auf den Seen und Flüssen gab es noch einiges an Eis, was uns nicht sehr zuversichtlich stimmte. Umso überraschter waren wir, als wir an der Brücke über den Suntar einen nahezu eisfreien Fluss mit moderatem Wasserstand vorfanden. Sollte Treideln etwa doch möglich sein?



Wir fuhren erst einmal weiter bis Jutschjugej und wollten den bisher unerreichten Pferdeführer finden – sicher ist sicher. Unterwegs trafen wir dann zufällig ein paar Ewenen, die gerade auf der Suche nach ihren Pferden waren, um später mit diesen den Agajakan hochzugehen, zwei andere eventuell auch den Suntar, aber wann das sein würde und ob sie uns mitnehmen könnten, blieb unklar. Leider bekamen wir auch in Jutschjugej keine klare Info, so dass wir uns letztlich wieder zurück zum Suntar bringen ließen. Wir dachten uns: besser gleich mit der Tour beginnen, als vielleicht noch tagelang warten und am Ende doch ohne Pferdeführer dazustehen...
Der Fahrer unseres UAZ war übrigens zufällig einer von denen, die im Herbst 2013 den Pferdetrek von Clemens und Jakob anführten. Er kannte die Strecke daher gut und gab uns gleich ein paar Tipps, zum Beispiel dass der Pfad entlang des Suntar immer am rechten Ufer entlang führt und dass es hinter dem Zufluss des Koltako ein ganzjährig bewohntes Lager der ewenischen Rentierzüchter gibt, wo man eventuell noch ein paar Pferde oder Rentiere für das letzte Stück zum Pass auftreiben könnte. Bis dahin sollten wir es also auch unter widrigen Bedingungen versuchen.
Gegen Mitternacht ließen wir uns schließlich von einem zurückfahrenden Lastwagen auf einer Anhöhe unweit des Suntar absetzen und trugen unsere schweren Rucksäcke in die düstere Lärchentaiga. Am dämmernden Nachthimmel stand der Vollmond und beleuchtete eine stille kalte Landschaft, das Thermometer zeigte vier Grad unter null... In den kommenden 6 Wochen sollten wir nur noch einmal Menschen treffen – in dem besagten Ewenen-Lager.


Fortsetzung folgt...
Kurz zusammengefasst
Letzten Sommer war Robert mit mir (Richard) unterwegs. Unser Ziel war die Querung des Suntar-Chajata Gebirges im Osten Jakutiens. Wir wollten dort den Suntar flussaufwärts treideln, je nach Möglichkeit zwei der höchsten Berge besteigen (Palatka, Mus-Chaja) und nach der Passquerung zum Chabarovsker Gebiet auf den Flüssen Nitkan, Judoma, Ketanda und Urak zum Ochotskischen Meer hinabfahren. Zwischen der Judoma und der Ketanda galt es dabei noch die kontinentale Wasserscheide zu überwinden, welche an der schmalsten Stelle zwar nur 20 km breit ist, aber durch schwer begehbares Gelände führt. Die komplette Route ist rund 700 km lang und führt durchweg durch unbesiedeltes Gebiet. Uns standen dafür 5-6 Wochen zur Verfügung, die durchaus hätten reichen können, allerdings lag das Zeitfenster mit Ende Mai bis Anfang Juli nicht gerade in der besten Saison, so dass wir uns vor allem auf dem ersten Streckenabschnitt entlang des Suntar auf Hochwasser, Eisgang und noch viel Schnee im höheren Bergland einstellen mussten.
Im Detail sah unser Plan so aus:
www.lonelytraveller.de/ochotsk/yakutia2015-planA.jpeg
Für den Fall, dass dieser Plan von vornherein nicht aufgehen sollte, hatten wir noch ein paar Alternativpläne ausgearbeitet:
www.lonelytraveller.de/ochotsk/yakutia2015.jpeg
Letztendlich haben wir für den Treidelabschnitt viel länger gebraucht, als geplant und sind ab dem Pass zum Chabarovsker Gebiet getrennte Wege gegangen. Es war abzusehen, dass wir das Ochotskische Meer nicht mehr zum angepeilten Datum erreichen würden und da mir ein paar wichtige Termine im Nacken saßen, bin ich vorausgeeilt. Robert hingegen hatte keinen Zeitdruck und nahm noch den Mus-Chaja in Angriff, ehe er auf gleicher Route folgen würde. Als limitierender Faktor galt jedoch die Proviantlage, die für uns beide eine Zeit des Halbhungers und daraus folgender körperlicher Entkräftung mit sich brachte. Da bei mir das Schwächegefühl erst während der Portage eintrat, schlug ich mich noch bis Ochotsk durch. Bei Robert, der seinen Proviant strenger rationierte, setzte es jedoch schon am Mus-Chaja ein, so dass er sich am Ende gegen die kräftezehrende Portage entschied und auf der Judoma blieb. Er erreichte Jugorjonok 10 Tage später als ich Ochotsk und war damit insgesamt 50 Tage in unbesiedelter Wildnis unterwegs.
Treidel-Abschnitt (auf dem Suntar flussaufwärts)

Rafting-Abschnitt (Nitkan, Judoma, Ketanda, Urak flussabwärts)

Inspiration
Sowohl Inspirations- als auch Informationsquelle war insbesondere für mich die Tour von Clemens Ratschan und Jakob Schabasser aus Österreich. Sie gingen die Route im Herbst 2013, den ersten Abschnitt entlang des Suntar bewältigten sie mit einem Pferdetrek:
www.fliegenfischer-forum.de/jakutsk.html
Im Sommer 2014 gingen auch zwei Litauer diese Route, sie treidelten den Suntar flussaufwärts. Beinahe wäre auch Robert schon mit ihnen mitgegangen, zum Glück hat er aber noch ein Jahr gewartet und Infos aus erster Hand bekommen

www.madaboutsiberia.com
Nicht zuletzt waren es auch die Touren vom russischen Geologen Sergej Ermakov (Spitzname Strannic), die einen guten Einblick gaben, was uns auf so einer Tour erwarten würde. Er war schon mindestens dreimal im Suntar-Chajata, teilweise sogar über mehrere Monate:
https://fotki.yandex.ru/users/strannic1959/album/180838/ (Fotoalbum zur Tour 2002)
https://fotki.yandex.ru/users/strannic1959/album/196202/ (Fotoalbum zur Tour 2012)
https://fotki.yandex.ru/users/strannic1959/album/222333/ (Fotoalbum zur Tour 2014)
Auf Strannic aufmerksam geworden bin ich allerdings erst durch das von "Sibirier" übersetzte Video zum Treideln auf dem Suntar:
www.youtube.com/watch?v=WOyF2K7Lbk0 (Teil 3 zur Tour 2012)
Genau von diesem Abschnitt druckten wir uns auch die im Fotoalbum hinterlegten Karten aus, da sie viele hilfreiche Informationen enthielten.
Bootswahl
Da diese Tour zwar den Wasserwegen folgt, aber auch längere Marschetappen beinhaltet, mussten die Schlauchboote unbedingt tragbar sein. Ich war bereits im Besitz eines Packrafts (Alpacka Explorer 42, 3kg, tauglich bis WW III), welches für so eine Tour bestens geeignet schien. Robert legte sich noch kurz vor Abreise ein litauisches Quasi-Packraft zu (Drakar Meridian, 7 kg, tauglich für WW >III), welches zwar etwas schwerer ist, dafür aber zwei Luftkammern und damit auch eine höhere Steifigkeit besitzt. Wie sich beide Boote beim Treideln geschlagen haben, später mehr... Auf jeden Fall konnten beide Boote problemlos mit ins Fluggepäck.
Anreise
Schon der Hinflug war sehr interessant. Von Moskau nach Jakutsk flogen wir direkt über das nördliche Sibirien, welches Ende Mai noch immer vom Winter beherrscht wurde. Zuerst zeigte sich der Polar Ural mit seinen verschneiten Gipfeln, dann die kahle Jamal-Tundra mit tausenden, teils noch vereisten Seen und irgendwann der breite Jenissei, auf dem riesige Eisschollen trieben.. wenig später folgten dann die qualmenden Schlote der nördlichsten Großstadt der Welt: Norilsk. Das Putorana-Plateau lag leider unter Wolken, erst dahinter zeigte sich wieder eine seichte Berglandschaft mit auffälligen Riffelungen, als hätte jemand die Höhenlinien nachgezeichnet; dazwischen ein größerer Flusslauf, grob geschätzt die Mündung des Alakit in den Olenok, welchen wir als Plan B im Hinterkopf hatten – hier schon fast eisfrei. Kurz darauf folgte noch eine riesige Diamantengrube – alles kar: Udatschnyj, dann musste das vorhin tatsächlich der Alakit gewesen sein...
In Jakutsk versuchten wir uns zunächst vom Jetlag zu erholen, der Zeitunterschied zu Deutschland beträgt immerhin 8 Stunden. Ansonsten war unsere erste Amtshandlung, den schon teilweise mitgebrachten Proviant aufzustocken, dass er mindestens für 5 Wochen reichen möge – rund 46 kg hatten wir am Ende zusammen. Hinzu kamen noch zwei große Kochtöpfe mit Henkel, da wir über Feuer kochen wollten, aber auch zwei Gaskartuschen, um bei der Passquerung und den Bergbesteigungen ebenfalls kochen zu können. In den zahlreichen Jagd- und Angelläden fanden wir mit Unterstützung von Michail Mestnikov der Tourfirma „Nordstream“ auch Rauchfackeln („Falschfeuer“) und für mich noch ein Paar Watstiefel zum Treideln. Von Mestnikov, der viel Erfahrung mit Raftingtouren in Jakutien hat, bekamen wir auch noch ein paar Tipps und Kontakte für unsere Alternativtouren.
Nebenher versuchten wir schon eine Mitfahrgelegenheit ausfindig zu machen, obwohl wir uns noch immer nicht im Klaren waren, ob wir Plan A oder B angehen sollten – Suntar-Chajata oder Alakit-Olenok... Über Mestnikov und ein paar Bekannten vor Ort erhielten wir nämlich die Info, dass das Eis der Indigirka gerade erst aufgebrochen sei und eine zweite Welle vom Oberlauf folgen würde, der Suntar musste also noch zugefroren sein. Falls wir uns zum Suntar bringen lassen und dann feststellen, dass kein Treideln möglich ist, bliebe nur noch die Alternative Indigirka, die aber schon bei normalem Wasserstand ein paar gefährliche Abschnitte mit hohen Wellen und felsigen Ufern hat – Helme und Roberts größeres Boot (das 25 kg schwere Raftmaster, das bei der Tourfirma „Nordstream“ in Jakutsk lagerte) wären nötig, welche wir entweder aus Jakutsk nachholen oder uns bringen lassen müssten. Immerhin war Robert nahe dran, einen Pferdeführer für unseren Plan A zu gewinnen, damit wir die Strecke entlang des Suntar notfalls ohne Treideln zurücklegen könnten, doch bisher kam kein direkter Kontakt zustande. Die potentiellen Kandidaten dafür – die mit den Rentieren halbnomadisch lebenden Ewenen - waren zu dieser Zeit sehr beschäftigt, u.a. weil die Rentiere gerade ihre Jungen gebären...
Also was? Vielleicht doch gleich Plan B? Der Alakit war aber auch nicht einfach zu erreichen, ein Kettengerät oder mindestens ein Geländefahrzeug wäre erforderlich, um von der Trasse nach Udachnyj direkt zum Fluss zu gelangen. Wir hatten aber nur ein zweifelhaftes Angebot, das wir nach einem horrenden Preisvorschlag (50.000 Rubel bzw. mehr als 900 Euro) inklusive Spionagevorwurf dankend abgelehnt haben. Mit Plan B standen wir also auch nicht auf der sicheren Seite, daher entschieden wir uns endgültig für Plan A und buchten einen UAZ nach Jutschjugej (6000 Rubel bzw. rund 110 Euro pro Person). Nach vier Tagen in Jakutsk ging es dann am Abend des 30. Mai endlich los - nach Osten, dem Suntar-Chajata entgegen.
Wie hierzulande üblich, bretterte unser Fahrer die rund 800 km nach Jutschjugej innerhalb 24 Stunden. Lediglich zwei Stunden Schlaf gönnte er sich, als wir auf die Fähre über den Aldan warteten. Vor acht Jahren bin ich die Strecke schon einmal mit dem Fahrrad gefahren und schaute interessiert aus dem Fenster. Was mir sofort auffiel: die Trasse wurde ausgebaut, selbst die Brücke über den Kjubeme, die nach einem Hochwasser in den 70ern jahrzehntelang zerstört dalag, wurde nun tatsächlich mal erneuert. Der abenteuerliche Charakter dieser Strecke ist dadurch ein wenig verloren gegangen, aber diesmal sollte ja das Abenteuer erst abseits der Trasse beginnen.
Am Anfang fuhren wir durch die schon angegrünte Lärchentaiga der Jakutischen Ebene, in den Bergen wechselten wir dann aber rasch vom Frühling zurück in den Spätwinter. Taiga und Tundra zeigten sich fortan in einem graubraunen Gewand und auf den Seen und Flüssen gab es noch einiges an Eis, was uns nicht sehr zuversichtlich stimmte. Umso überraschter waren wir, als wir an der Brücke über den Suntar einen nahezu eisfreien Fluss mit moderatem Wasserstand vorfanden. Sollte Treideln etwa doch möglich sein?
Wir fuhren erst einmal weiter bis Jutschjugej und wollten den bisher unerreichten Pferdeführer finden – sicher ist sicher. Unterwegs trafen wir dann zufällig ein paar Ewenen, die gerade auf der Suche nach ihren Pferden waren, um später mit diesen den Agajakan hochzugehen, zwei andere eventuell auch den Suntar, aber wann das sein würde und ob sie uns mitnehmen könnten, blieb unklar. Leider bekamen wir auch in Jutschjugej keine klare Info, so dass wir uns letztlich wieder zurück zum Suntar bringen ließen. Wir dachten uns: besser gleich mit der Tour beginnen, als vielleicht noch tagelang warten und am Ende doch ohne Pferdeführer dazustehen...
Der Fahrer unseres UAZ war übrigens zufällig einer von denen, die im Herbst 2013 den Pferdetrek von Clemens und Jakob anführten. Er kannte die Strecke daher gut und gab uns gleich ein paar Tipps, zum Beispiel dass der Pfad entlang des Suntar immer am rechten Ufer entlang führt und dass es hinter dem Zufluss des Koltako ein ganzjährig bewohntes Lager der ewenischen Rentierzüchter gibt, wo man eventuell noch ein paar Pferde oder Rentiere für das letzte Stück zum Pass auftreiben könnte. Bis dahin sollten wir es also auch unter widrigen Bedingungen versuchen.
Gegen Mitternacht ließen wir uns schließlich von einem zurückfahrenden Lastwagen auf einer Anhöhe unweit des Suntar absetzen und trugen unsere schweren Rucksäcke in die düstere Lärchentaiga. Am dämmernden Nachthimmel stand der Vollmond und beleuchtete eine stille kalte Landschaft, das Thermometer zeigte vier Grad unter null... In den kommenden 6 Wochen sollten wir nur noch einmal Menschen treffen – in dem besagten Ewenen-Lager.
Fortsetzung folgt...
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