Tolle Bilder, auch von der Hütte. (Sprich: kann jetzt endlich alle Bilder sehen, Firefox). Muss ein wahnsinniges Gefühl sein in so einer Hütte zu übernachten, im Wissen dass schon lange keiner mehr da war. Alleine wäre mir da aber schon eher unwohl, was wenn plötzlich der Eigentümer mit Gewehr über der Schulter und ein paar leeren Wodkaflaschen auftaucht und so gar keine Lust auf Gesellschaft hat? (Klar, einerseits lache ich inzwischen herzlich über Freunde und Bekannte die mich ähnliches fragen wenn ich in einer schottischen Bothy übernachte, andererseits ist das dort, so weit weg von allem, ja vielleicht doch nochmal etwas anderes). Was für Regeln gelten denn da so in solchen Gegenden eigentlich in Bezug auf Hütten, ist das entscheidende ob eine Hütte offen oder zu ist?
[RU] Rückkehr aufs Putorana-Plateau. Ein Wildnisabenteuer.
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Zitat von Ljungdalen Beitrag anzeigenAus einem Bergsteiger-Film-Soundtrack übrigens: Вертикаль (wörtlich "Die Vertikale" ... Spielt auf der georgischen Seite des Kaukasus (bei 47:45 sieht man die berühmte Uschba).
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Zitat von Freedom33333 Beitrag anzeigenMuss ein wahnsinniges Gefühl sein in so einer Hütte zu übernachten, im Wissen dass schon lange keiner mehr da war. Alleine wäre mir da aber schon eher unwohl, was wenn plötzlich der Eigentümer mit Gewehr über der Schulter und ein paar leeren Wodkaflaschen auftaucht und so gar keine Lust auf Gesellschaft hat? ... Was für Regeln gelten denn da so in solchen Gegenden eigentlich in Bezug auf Hütten, ist das entscheidende ob eine Hütte offen oder zu ist?
Die Etikette in der Taiga verlangt, dass du- Die Hütte nicht schmutziger verlässt, als du sie angetroffen hast
- Verbrauchtes Feuerholz ersetzt (Axt ist immer vor Ort)
- Keine Lebensmittel aus der Hütte nimmst, oder vergleichbar wertvolle Lebensmittel von dir zurücklässt (z.B. Tee für Zucker). Ich habe ersatzweise auch schon mal Geld dagelassen, wenn ich am hungern war und einfach keine Lebensmittel entbehren konnte.
- Bei Abreise die Tür ordentlich verrammelst oder offen lässt, genau so wie du sie vorgefunden hast.
- Ich schreibe normalerweise auch einen Zettel mit kurzem Dank und Angabe meiner Route. Der Jäger interessiert sich natürlich dafür, wer in seiner abegelegenen Hütte so vorbeikommt, besonders wenn's exotische Ausländer sind.
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Grandios, alle Fotos sind da! Ich habe das Kapitel gleich nochmal gelesen. Danke für die grosse Mühe, auch den Forumswerkern und den Unterstützern.
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Puh, bin ich froh, dass alles gut ausgegangen ist.
Für mein Empfinden hätten die beiden sich etwas mehr Mühe geben können, dich gleich wiederzufinden. Aber wenn ihr Plan war, dass sie auf dich an der Hütte, dem nächsten verabredeten Ziel, warten, ist das vielleicht zu verstehen.
Wenn dir jedoch tatsächlich etwas passiert wäre, käme dann wirklich jede Hilfe zu spät.
Habt ihr für den Rest der Tour für solche Situationen dann eine Verabredung getroffen?
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Zitat von Meer Berge Beitrag anzeigenHabt ihr für den Rest der Tour für solche Situationen dann eine Verabredung getroffen?
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Es geht weiter! Gott sei dank )))
Endlich was wirklich interessantes zu lesen!
Von Russen bin ich also der erste,der den Bericht liest ))) Über bisher unbekannte 5KS-Flüsse und Wasserfälle,die es auf der Landkarte nicht existiert...hm...
Sehr schön.
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Zitat von sibirier Beitrag anzeigenVon Russen bin ich also der erste,der den Bericht liest ))) Über bisher unbekannte 5KS-Flüsse
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Zurück auf dem Plateau – Im Smogwald – Die Erstbefahrung des Erupchu
Nach dem erzwungenen Zelttag setzen wir unseren Weg durch den Wald in Richtung Höhe 1187m fort. Dort befindet sich der Pass, der uns zum Oberlauf des Flusses Erupchu führen soll. Wir hoffen, dass wir den Erupchu mit unseren Booten bis zu seiner Mündung in die Kureika befahren können - das würde uns mindestens 15 km Trekking ersparen. Es gibt aber keine Informationen über den Fluss, wie überhaupt der gesamte Abschnitt zwischen den Beldunchana-Seen und der Kureika ein unbeschriebenes Blatt auf unserer Tour ist.
Der Weg führt durch weiches, versumpftes Moos. Einer der schlimmsten Untergründe für Trekker, absolut kräfteraubend. Wo sind die Rentierpfade geblieben, die uns den Aufstieg bis hierher so erleichtert haben? Die klugen Tiere finden immer den besten Weg und vermeiden solche sumpfigen Abschnitte.
Auf dem Rückweg zum zweiten Rucksack gehe ich eine weit ausholende Zickzack-Route, um die verlorenen Rentierpfade aufzuspüren. Schließlich wird mir klar, wie die Tiere das Moos umgangen haben: sie sind runter zum Fluss. wo der Untergrund steiniger ist. Da die Ufer wechselweise unbegehbar sind, haben sie den Fluss immer wieder gefurtet.
Das mache ich nun auch. In den hohen Gummistiefeln ist das Furten nicht besonders problematisch.
Am Nachmittag erreichen wir die Baumgrenze.
Vor dem Anstieg zum Pass gibt es gegen 17 Uhr noch ein ordentliches Mittagessen. Doppelte Ration, Spaghetti mit...
…Pilzsuppe
Der Weg zum Pass ist lang, aber technisch einfach.
Dieses junge Rentier zeigt sich ungewöhnlich neugierig. Es umkreist uns dreimal hintereinander im Abstand von etwa 50 m.
Mit zunehmender Höhe weitet sich der Blick auf die Tafelberge des Plateaus.
Die Passhöhe ist erreicht. Sergei und Lena sind weit zurückgeblieben. Ich entschließe mich, meinen zweiten Ruckack erst morgen zu holen und das verbleibende Tageslicht lieber für eine Tour auf den Tafelberg zu nutzen, der über dem Pass thront. Von dort sollte man einen guten Überblick auf den weiteren Weg bis zum Erupchu haben.
Am Pass finde ich erstmals seit der Hütte wieder Spuren von Menschen. Eine alte Holzkonstruktion ohne Nägel, vielleicht Reste eines Schlittens.
Vom Tafelberg geht der Blick nach Süden zurück zur Passhöhe. In der Ferne erahnt man ein winziges Stück des großen Beldunchana-Sees, der über 60 km lang ist.
Der Berg fällt senkrecht zu einigen Seen ab, die einen natürlichen Pass zwischen den Beldunchana-Tal und dem Erupchu bilden. Eigentlich wollten wir dort unten entlanggehen und evtl. schon bei den Seen die Boote aufblasen. Die Verzweigungen des Nerakar-Canyons haben uns diesen Weg aber versperrt.
Hier sieht man das Tal des Erupchu, wo wir morgen hinwollen.
Der kleine Tafelberg ganz hinten rechts der Mitte scheint die Höhe 1268m zu sein, an der wir auf unserer Tour vorbeigekommen sind.
Von meinem Aussichtspunkt sieht man in alle Richtungen bis zum Horizont weitere Tafelberge. Der Wind bläst hier oben in Sturmstärke, und bei Sonnenuntergang wird es sofort ungemütlich kalt.
Ich steige ab. Inzwischen sind auch Lena und Sergei eingetroffen. Wir zelten direkt auf der Passhöhe.
Der nächste Morgen ist sonnig, aber schon etwas diesig. Hier kündigt sich wohl wieder Smog von weit entfernten Waldbränden an.
Vor dem Frühstück steige ich vom Pass hinunter und hole meinen zweiten Rucksack.
Im Verlauf des Tages wird der Smog schlimmer. Blick zurück auf den Aussichtsberg von gestern Abend.
Nach Erreichen der Baumgrenze halten wir nach einem Lagerplatz Ausschau. Nicht so einfach auf diesem geröllübersäten Hang, aber schießlich finden wir etwas.
Am nächsten Tag. Der Wald wirkt in der versmogten Atmosphäre verwunschen, wie in leichte Nebelschleier gehüllt.
Der Weg gestern war nicht einfach, immer wieder mussten große Blockfelder durchklettert werden. Diese Hindernisse setzen sich heute fort, aber insgesamt ist das Terrain hier im Wald doch sehr viel besser zu begehen.
Wir haben aus unseren Fehlern gelernt und hinterlassen jetzt an geeigneten Stellen Zeichen, um uns nicht zu verlieren. Hier steht “Lena“, sowie Richtung und Entfernung (300 m) zu ihrem Standort. Dort machen sie wohl gerade Mittagspause.
Pilze wachsen hier in Hülle und Fülle. Man braucht nur einen Umkreis von 10 m abzusuchen, das reicht als Mittagessen für drei Personen.
Wir haben einen namenlosen Zufluss des Erupchu erreicht. Er führt hier relativ viel Wasser, und Sergei möchte sofort die Boote aufbauen. Ich bitte noch um etwas Geduld, zuerst will ich den weiteren Verlauf bis zum Erupchu erkunden. Wir vereinbaren, dass ich in spätestens drei Stunden um 21 Uhr am Lager zurück bin, sonst soll Sergei mich suchen gehen.
Wiederum menschliche Spuren - eine sehr alte Fuchsfalle.
Hier könnte man tatsächlich gut mit dem Boot fahren.
Aber hier schon nicht mehr. Und es wird schlimmer.
Keine gute Idee, hier Boot zu fahren. Das Ergebnis meiner Erkundung: Rafting auf dem Zufluss ist nur was für Masochisten. Die angrenzende Taiga ist hingegen relativ leicht begehbar, so dass man zu Fuß, sogar beim Pendeln mit zwei Rucksäcken, schneller vorankommen dürfte als mit dem Boot.
Ich komme noch rechtzeitig ins Lager zurück, um eine Suchaktion zu vermeiden. Sergei wollte sich gerade auf den Weg machen. Wir werden morgen also noch bis zum Erupchu weitertrekken und dort, hoffentlich, bessere Verhältnisse fürs Rafting vorfinden.
Am nächsten Tag. Wir queren den Zufluss zum Erupchu, der sich als nicht befahrbar herausgestellt hat.
Leicht begehbarer, lichter Wald mit festem Untergrund und klar erkennbaren Wildpfaden. So lieben wir die Taiga; so ist sie leider fast nirgendwo.
Johannisbeeren, Hagebutten, Blaubeeren: der Herbst hat begonnen. Das sind leckere Vitamine, man muss sich nur danach bücken. Die Verlockungen am Waldboden führen dazu, dass unser Marschtempo deutlich sinkt.
Bei meiner Erkundung war ich gestern bis zu diesem seltsam offenen Gelände vorgedrungen, dessen Entstehung sich keiner von uns so recht erklären kann. Wir nennen solche extrem leicht begehbaren Stellen “Autobahn“ (das deutsche Wort wird auch in Russland verstanden). Ein Quadratkilometer idealer, fester Untergrund mit nur vereinzelten jungen Lärchen. Warum wächst hier auf einer so großen Fläche kein Wald? Ein Wildfeuer kann die Ursache nicht sein, denn man sieht keine Wurzelstöcke von umgefallenen Bäumen.
Wieder eine alte Fuchsfalle.
Und noch eine. Das deutet darauf hin, dass dieses Gelände schon seit sehr langer Zeit so offen ist. Denn Fuchsfallen stehen vorzugsweise an offenen Stellen, häufig auf kahlen Hügelchen oder Anhöhen. Warum das so ist, weiss ich nicht. Es ist mir aber auf dieser Tour immer wieder aufgefallen.
Kurz darauf finde ich weitere Spuren von Menschen. Waren das Fallensteller, Rentierjäger, Rentierzüchter? Wahrscheinlich Ureinwohner, keine Russen. Aber wer weiß. Wir werden bei unserer Tour später noch auf höchst interessante Überreste stoßen, die beweisen, dass vor langer Zeit auf jeden Fall mehr Menschen in dieser Wildnis unterwegs waren als heutzutage.
Alles ist ohne Metall konstruiert.
Wir haben den Erupchu erreicht und wollen heute noch ein Stück auf dem Fluss vorankommen. Schnell werden die Boote aufgebaut und die Sachen wasserdicht verpackt.
Mittagessen gibt’s wie üblich zwischen 16 und 17 Uhr. Das Menü unterscheidet sich von Tag zu Tag kaum: Pilzsuppe, Tee, Reste von Zwieback.
Meine Gummistiefel sind wieder mal undicht und müssen geklebt werden. Dieses Paar war schon vor einem Jahr am Moiero im Dauereinsatz. Es war klar, dass 2019 die letzte Saison sein wird. An den Knickstellen kommt irgendwann Wasser durch, und die Sohlen sind nach so einer Tour sowieso völlig abgelaufen.
Stapellauf!
Einige Stromschnellen später haben wir das Gefühl, dass es für heute reicht, zumal sich an dieser Stelle ein hervorragender Lagerplatz direkt am Fluss anbietet.
Nach dem Sichern der Boote wird normalerweise zuerst die Feuerstelle errichtet, inklusive Wäsche-Trockenständer. Während das Essen auf kleiner Flamme köchelt und Schuhe, Socken und sonstige Ausrüstung trocknen, werden die Zelte aufgebaut.
Erschöpft neben einem warmen Feuer liegen in Erwartung des Abendessens, so wie Sergei im Bild oben – gibt es etwas Schöneres?
Zuletzt geändert von Robtrek; 07.01.2021, 15:05.
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Am nächsten Tag setzen wir unsere Fahrt auf dem unbekannten Fluss Erupchu fort.
Hier die Google-Karte unserer Tour, momentan befinden wir uns bei der hellblauen Marke vom 10.08.
Zum Vergleich die Militärkarte: der Erupchu (Эрупчу) verläuft von West nach Ost bis zu seiner Mündung in die Kureika (Курейка), die hier in Nord-Süd-Richtung fließt (1:200.000, 1 Quadrat = 4x4 km).
Der Fluss teilt sich sich immer wieder in einzelne Kanäle mit starkem Gefälle. Dort ist ein Befahren nicht mehr möglich, das Boot wird an der Leine geführt.
Doch am Ende solcher Verzweigungen wartet der Mühe Lohn: hier, an der Grenze von schnellem zu ruhigem Wasser, beißen die Fische besonders gut.
Sieben auf einen Streich! Diese Fische heißen “Harius“. Auf Deutsch, glaube ich, Äsche. Charakteristisch ist die schöne Rückenflosse.
Die ausgenommenen Fische werden sofort gesalzen. Die abgeschnittenen Köpfe werden nicht weggeworfen, sie ergeben eine kräftige Fischsuppe.
Den ganzen Tag geht es so weiter. Der Fluss erlaubt wegen der dauernden Gefällstrecken kein schnelles Vorankommen, aber er weist bisher auch keine größeren Schwierigkeiten auf. Das Angeln haben wir eingestellt, da unser Fischbedarf für heute und morgen gedeckt ist. Sergei ist ein sehr erfahrener und trickreicher Angler, aber er gehört nicht zu der Sorte, die aus Spaß an der Freud' immer weitermachen und den Fang dann wieder ins Wasser zurückwerfen. Und ich angle sowieso nur zur Proviantergänzung, nicht als Hobby.
Gegen Abend suchen wir einen Lagerplatz. Das gestaltet sich schwieriger als erwartet. Die Ufer sind mit niedrigen Büschen bewachsen oder versumpft. Weiter weg vom Wasser lassen Felsbrocken nicht genügend Platz, um zwischen ihnen ein Zelt aufzustellen. Die Zeit drängt, denn Regen kündigt sich an.
Abendessen gegen 22 Uhr. Von den gesalzenen Fischen ziehe ich die Haut in einem Stück ab. Die Filets werden dann als Delikatesse roh gegessen. Die Haut, an der beim Abziehen immer einige Fleischreste hängen bleiben, wird wie üblich gegrillt und schmeckt knusprig besonders lecker. Im Topf köchelt die Fischsuppe aus den abgeschnittenen Köpfen. Wer wirklich alles verwerten will, kann bei mittelgroßen Fischen auch noch die Wirbelsäule mit den Gräten essen, nachdem diese über dem Feuer gut gegrillt wurden. Das ergibt eine Art Cracker.
Mehr Fisch zum Frühstück, diesmal gegrillt.
Dazu Griesbrei mit Zimt, Rosinen und frisch gesammelten Blaubeeren. Ein Wort zum mitgeführten Proviant: das ist ganz normale Massenware aus dem Supermarkt. Spezielle Trekkingnahrung, gefriergetrocknete Fertiggerichte usw. würden sehr viel Platz wegnehmen und natürlich astronomische Summern verschlingen. Meine Ausgaben für 60 Tage Proviant liegen bei ca. 90 €.
Gestern ist mir die Angel zerbrochen, das muss vor der Weiterfahrt gerichtet werden. Der Reparaturset für so eine Expedition besteht übrigens aus PUR-Kleber für Boot, Zelt und Gummistiefel; Duck Tape (ein starkes Klebeband); dem Fischmesser; einem dünnen Schweizermesser; einer kleinen Zange zur Reparatur von Zelt-Reißverschlüssen. Und natürlich Nadel und Garn zum Flicken der Kleidung, die in der Taiga unweigerlich leidet. Die sehr stabilen Fjällräven Barents-Hosen, die ich gerne benutze, halten z.B. maximal drei solcher Touren aus. Danach ist der Stoff abgewetzt und reißt dauernd ein.
Der Smog der letzten Tage ist seit heute wie weggeblasen. Die Weiterfahrt verspricht schön zu werden.
Allerdings wird sie immer wieder durch Hindernisse unterbrochen.
Tolle Landschaft, ideales Wetter, ein interessanter Fluss – heute ist vielleicht der bisher schönste Tag dieser Tour.
Die Steinlabyrinthe werden länger, das Wasser tiefer. Immer seltener kann das Boot an der Leine durch solche Hindernisse geführt werden. Stattdessen muss man bei starker Strömung zwischen den Steinen navigieren und blitzschnell Entscheidungen treffen, wo die beste Fahrrinne liegt. Das ist technisch anspruchsvoll und macht großen Spaß.
Wenn es nicht gelingt und man auf einen Unterwasserstein aufläuft, sitzt man plötzlich mitten im Fluss fest. Dann wird es unangenehm: das schwer beladene Boot ist in der starken Strömung jetzt nicht mehr so einfach zurück ins Fahrwasser zu drehen. Da hilft dann nur noch aussteigen; auf dem überspülten, glitschigen Stein balancieren, ohne ins tiefe Wasser zu fallen; und dabei das Boot Stück für Stück zurück in die Fahrrinne wuchten. Wenn die Strömung das Boot dann plötzlich ergreift und vom Stein herunterreißt, oft genug mit dem Heck voran, muss man schnell aufspringen und sofort mit dem Paddel gegensteuern - sonst landet man gleich auf dem nächsten Stein. Für saubere technische Ausführung bleibt dabei keine Zeit. Man sitzt im Boot irgendwie auf den Packsäcken, wo man beim Aufspringen halt gelandet ist, und fährt rückwärts zwischen den Steinen durch, beim Blick über die Schulter so gut es geht den Kurs korrigierend. Das geht solange, bis sich an einer etwas ruhigeren Stelle die Möglichkeit bietet, das Boot wieder richtig herum in die Strömung zu drehen.
Blick zurück auf eine gerade überwundene derartige Slalomstrecke.
Sergei und Lena habe ich schon seit heute Mittag nicht mehr gesehen. Sie sind vorausgefahren, während ich ab und zu mal anhalte, um bei dem schönen Wetter ein paar Fotos zu machen. Wir haben verabredet, dass wir uns an der Mündung des Erupchu in die Kureika treffen, bzw. schon vorher, falls auf der Strecke irgendein ernsthaftes Hindernis auftaucht.
Die Kureika ist erreicht. Sergei und Lena sind schon vor zwei Stunden angekommen. Hier zelten wir heute.
Wenn man in der Taiga Spuren von Menschen findet, dann oft an solchen Zusammenflüssen wie von Erupchu und Kureika. Hier ist es ein alter Gefrierkeller. Durch den sibirischen Permafrost hat man ja praktisch überall einen natürlichen Kühlschrank unter den Füßen.
Man wundert sich vielleicht, wie es kommt, dass wir uns plötzlich wieder an der Kureika befinden. Das ist ja der Fluss, den wir mit dem Motorboot hochgefahren waren bis zu Vladimirs Hütte, dem Startpunkt unserer Trekkingtour. Das erklärt sich so: die Kureika entspringt im Herzen des Putorana und legt einen ausgesprochenen Zickzackkurs hin, bis sie nach fast 900 km in den Jenissei mündet. Vladimirs Hütte liegt auf halbem Weg zwischen Quelle und Mündung. Wir haben auf unserem Trek einen der gewaltigen Zacken abgeschnitten und sind jetzt wieder auf die Kureika gestoßen. Das Foto oben zeigt den Blick stromaufwärts ins Quellgebiet dieses riesigen Flusses, das nur noch 50 km entfernt liegt.
Hier am Oberlauf der Kureika lässt sich nur alle Jubeljahre mal eine Touristengruppe blicken. Und wenn, dann kommt sie meist auf dem bequemen Weg, also per Helikopter aus Norilsk. Ein überaus teures Vergnügen – wir sind hier 360 km Luftlinie entfernt, das ist schon an der Grenze der Reichweite. Hin- und zurück schafft das ein Mi-8 Hubschrauber nur mit Zusatztank.
Am nächsten Morgen machen wir uns für die Fahrt auf der Kureika bereit.
Wer in der Kindheit die Abenteuer von Winnetou oder Kara Ben Nemsi gelesen hat, wird sich vielleicht erinnern, mit welchen Tricks Karl May die Spannung in seinen Büchern aufrechterhält. Zum Beispiel immer wieder mit dem Vorgriff auf kommende Ereignisse. Nicht sehr einfallsreich, aber wirksam:
"Damals ahnte ich noch nicht, von welch großem Nutzen mir die beiden Gewehre in meinem späteren Wanderleben sein sollten."
"Ich ahnte nicht, daß dieser Mann später als Mahdi eine so hervorragende Rolle spielen werde."
"Als ich mich von Winnetou trennte, konnte ich nicht ahnen, dass es Monate dauern würde, bis ich meinen roten Freund und Blutsbruder wiedersah."
***
"Als mein Boot gemächlich die Kureika hinabtrieb, konnte ich nicht ahnen, dass mich jede Flussbiegung einem der furchtbarsten Erlebnisse dieser Reise näher brachte!"
(Fortsetzung folgt demnächst)
Zuletzt geändert von Robtrek; 09.01.2021, 15:50.
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Aaaargh! Nicht schon wieder so ein Cliffhanger!!! Der letzte ist ja zum Glück gut ausgegangen. Trotzdem sind meine Fingernägel bei diesem Bericht sehr gefährdet!Und dabei hätte Dein Bericht das gar nicht nötig, der ist doch sowieso superspannend.
Zuletzt geändert von Blahake; 06.01.2021, 21:59.
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Eine Freude, dass du uns teilhaben lässt an diesem Abenteuer. Da nehm ich den Cliffhanger klaglos hin.
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Ich oute mich als begeisterter aber bisher stiller Mitleser. Der Bericht ist in puncto Reiseziel und Schreibstil eines der größten Highlights hier auf ODS.
Der Bericht hat mein weiteres Interesse an dieser Gegend geweckt. Anderen Interessierten kann ich nur wärmstens die Berichte von Alexander Theodor von Middendorf empfehlen, siehe die Ausgabe seiner Reiseberichte in der Edition Erdmann. Wenn man den Bericht hier gelesen hat und weiß wie schwer das Vorankommen im Putorana ist, dann ist man umso faszinierter, wenn man die Reiseberichte von Middendorf liest.
Eine andere Sache noch: Bei meiner weiteren Recherche habe ich gelesen, dass in Turuchansk das weltweit größte Wasserkraftwerk mit einer Staumauerhöhe von 200m geplant ist; der aufgestaute See soll nach den Plänen der größte künstliche See der Erde werden. Das hätte sicherlich Auswirkungen auf ganz (Nord)sibirien und das Putorana.
Die Informationen die ich dazu auf den deutsch- und englischsprachigen Seiten finden kann sind allerdings leider alle schon gut gealtert. Die deutsche Wikipedia spricht beispielsweise von einer Fertigstellung in 2020.
Haben die russischsprachigen oder -stämmigen User im Forum (I'm looking at you, sibirier 😉 ) genauere Infos dazu, ob das Kraftwerk wirklich realisiert werden soll oder bereits wurde?
Sorry für's Kapern des Threads. Bin sehr gespannt, wie es weitergeht!
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Und so spannend wie bei Karl May ist es sowieso!
(Ich habe sie alle gelesen. Sie hatten den Vorteil, dass sie alle schon fertig geschrieben waren und ich immer weiter lesen konnte ...)
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Zitat von urmeli Beitrag anzeigenDer Bericht hat mein weiteres Interesse an dieser Gegend geweckt. Anderen Interessierten kann ich nur wärmstens die Berichte von Alexander Theodor von Middendorf empfehlen ... Wenn man den Bericht hier gelesen hat und weiß wie schwer das Vorankommen im Putorana ist, dann ist man umso faszinierter, wenn man die Reiseberichte von Middendorf liest.
Der von dir erwähnte Middendorf A Th - Миддендорф А. Ф. 1848
Lopatin I A, Schmidt Friedrich Karl - Лопатин И. А., Шмидт Ф. Б. 1866
Chekanovsky A L - Чекановский А. Л. 1873-74
Tolmachev I P - Толмачев И. П. 1905-06. Er schrieb: "Das riesige Gebiet von mehreren hunderttausend Quadratkilometern, das von Middendorf und Chekanovsky eingekreist wurde, ist eines der am wenigsten erforschten Gebiete nicht nur Sibiriens, sondern der ganzen Erde." Tolmachev war der erste, der ins Innere des Putorana vorstoßen konnte. Seine Route (Turukhansk - Kureika bei Vladimirs Hütte - Kotui Oberlauf - Essei-See - Moiero - Kotui Unterlauf - Khatanga) deckt sich teilweise mit unseren Touren von 2016 und 2018. Tolmachev bemerkte damals, dass das Putorana von den Tungusen praktisch unbesiedelt war.
Baklund O O - Баклунд О. О. - Weggefährte Tolmachevs, der nach der Expedition einen anderen Weg zurück nahm. Auch nach Tolmachev und Baklund wies die russische Karte des Putorana von 1910 noch gewaltige Fehler und Lücken auf. Bergketten und Flussverläufe hatten z.T. nichts mit der Realität zu tun, sie beruhten im wesentlichen auf Erzählungen der Tungusen. Im Großen und Ganzen korrekt dargestellt waren immerhin die Flüsse Kureika, Beldunchana, Gongda, und Kochechumo, die alle auf unserer Tour von 2019 eine Rolle spielen.
Urvantsev N N - Урванцев Н. Н. 1920-29. Er konnte auf seinen Expeditionen viele weiße Flecken schließen und Fehler korrigieren.
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Zitat von urmeli Beitrag anzeigenBei meiner weiteren Recherche habe ich gelesen, dass in Turuchansk das weltweit größte Wasserkraftwerk mit einer Staumauerhöhe von 200m geplant ist; der aufgestaute See soll nach den Plänen der größte künstliche See der Erde werden. Das hätte sicherlich Auswirkungen auf ganz (Nord)sibirien und das Putorana.
Haben die russischsprachigen oder -stämmigen User im Forum (I'm looking at you, sibirier 😉 ) genauere Infos dazu, ob das Kraftwerk wirklich realisiert werden soll oder bereits wurde?
"realisiert werden soll" - Andere User können vielleicht mehr dazu sagen, aber ich fürchte, das ist langfristig nicht ausgeschlossen. Beispiele gibt es: 2003 plante man, im Stanovoi-Gebirge nahe des Toko-Sees, genannt die "Perle Yakutiens" oder "Baikal Yakutiens", Russlands größte Kohlemine zu erschließen. Wir haben damals eine Rafting-Tour ab dem See durchgeführt, um diese Natur noch zu sehen, bevor sie vernichtet wird. Danach wurde das ganze Kohle-Projekt auf Eis gelegt. Glück gehabt! Ja denkste. 10 Jahre später hatte man eine 200 km lange Eisenbahnlinie dahin gebaut und die Mine aus dem Boden gestampft. Wir sind 2014 mit einem dieser Kohlenzüge zu einem anderen Fluss gefahren, hab in meinem Sammelthread mal was darüber geschrieben. Solche Beispiele gibt's in Sibirien leider einige. Bei uns regt man sich über den Import von schmutzigem Frackinggas auf, als ob Erdgas aus frisch vernichteter unberührter Wildnis ökologisch irgendwie besser wäre. Trauriges Thema.
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Zitat von Robtrek Beitrag anzeigen
Vielen Dank für deinen Kommentar, stellvertretend auch für die netten Worte der anderen User hier. Soweit mir bekannt, ist Middendorf nördlich am Putorana vorbeigezogen und hat bei klarem Wetter ein großes Bergmassiv am Horizont gesehen. Er hat als erster Wissenschaftler davon berichtet. So richtig ins Herz des Putorana, also auch in unsere Tourengebiete von 2016-2019, ist keiner der großen Entdecker Nordsibiriens vorgestoßen. Das war bis ins 20. Jh. ein weißes Blatt auf der Karte. Wenn dich die Geschichte des Putorana interessiert, findest du evtl. bei der Suche nach folgenden Namen noch mehr. Wenn man Glück hat, wird wird bei Eingabe der russischen Namen auch ein englischsprachiger Artikel angezeigt, oder man behilft sich mit Auto-Translate.
Der von dir erwähnte Middendorf A Th - Миддендорф А. Ф. 1848
Lopatin I A, Schmidt Friedrich Karl - Лопатин И. А., Шмидт Ф. Б. 1866
Chekanovsky A L - Чекановский А. Л. 1873-74
Tolmachev I P - Толмачев И. П. 1905-06. Er schrieb: "Das riesige Gebiet von mehreren hunderttausend Quadratkilometern, das von Middendorf und Chekanovsky eingekreist wurde, ist eines der am wenigsten erforschten Gebiete nicht nur Sibiriens, sondern der ganzen Erde." Tolmachev war der erste, der ins Innere des Putorana vorstoßen konnte. Seine Route (Turukhansk - Kureika bei Vladimirs Hütte - Kotui Oberlauf - Essei-See - Moiero - Kotui Unterlauf - Khatanga) deckt sich teilweise mit unseren Touren von 2016 und 2018. Tolmachev bemerkte damals, dass das Putorana von den Tungusen praktisch unbesiedelt war.
Baklund O O - Баклунд О. О. - Weggefährte Tolmachevs, der nach der Expedition einen anderen Weg zurück nahm. Auch nach Tolmachev und Baklund wies die russische Karte des Putorana von 1910 noch gewaltige Fehler und Lücken auf. Bergketten und Flussverläufe hatten z.T. nichts mit der Realität zu tun, sie beruhten im wesentlichen auf Erzählungen der Tungusen. Im Großen und Ganzen korrekt dargestellt waren immerhin die Flüsse Kureika, Beldunchana, Gongda, und Kochechumo, die alle auf unserer Tour von 2019 eine Rolle spielen.
Urvantsev N N - Урванцев Н. Н. 1920-29. Er konnte auf seinen Expeditionen viele weiße Flecken schließen und Fehler korrigieren.
Erinnert mich (auch wenn das natürlich eine andere Liga ist, da eigenständige Insel und so weiter) an Sewernaja Semlja, das 1913 als "the last major discovery" galt. Auch hier war ich zugegebenermaßen überrascht, dass so spät noch blinde Flecken auf unserem Planeten aufgedeckt wurden.
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