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Russland - Land der Extreme und Widersprüche
Gleich vorneweg: Schon die Einleitung und Anreise umfasst mehr als ein paar Wörter, allerdings schildere ich meine Eindrücke auch sehr genau, sodass ich hoffe, dass der ein oder andere in unsere Reise und 4-wöchige Wirklichkeit in einer fremden Welt hineinzuziehen ist. Ich habe den Bericht nicht nur speziell für das Forum verfasst, sondern eigentlich hauptsächlich für mich, weil ich einfach Spaß daran habe. Deswegen ist er auch sehr lange geraten. Für alle, die keine 40 Computer-Textseiten lesen wollen, werde ich am Ende eine Zusammenfassung schreiben, mit allen wichtigen Informationen und einem Fazit zur Reise, nach dem 14., 18. und 25. August ein Zwischenfazit.
Schon seit vielen Jahren machen wir 2-3 wöchige Trekkingreisen und sind dabei durch Schottland, Irland, Schweden (südlicher Kungsleden) und Norwegen (Lofoten und Gebiet um Bodo) gewandert. Wir, das ist eine Gruppe zwischen 3 und 10 jungen Männern aus dem bündischen Umfeld - etwas in der Art von Pfadfindern ;) -, haben dabei beständig unsere Ausrüstung verbessert und Erfahrungen gesammelt, sodass auch unsere Ansprüche gestiegen sind.
Auf diesen Reisen wurde immer wieder der Baikalsee als Fernziel genannt, auch weil der Bund etwas Russland-affin ist und dieser See zudem mystifiziert wird; auch wir stellten uns relativ unberührte Wildnis vor und träumten von der Ferne.
Gerade mir war die Vorstellung doch auch irgendwie suspekt, weil ich dachte, dass es schon sehr weit von meiner geliebten Heimat entfernt ist, es in einem Landstrich liegt, von dem ich annahm, dass die Kriminalitätsrate viel höher liegt als in Europa und auch Bären nicht gerade zu meinen bevorzugten Reisepartnern gehören sollen; auch das Vorurteil, dass "der Ivan" an sich einfach nicht zu den nettesten Menschen gehört, konnte ich nicht ganz verleugnen, obwohl ich keineswegs unaufgeschlossen bin. Deswegen überwand ich mich letztendlich auch dazu, all meine Vorbehalte zu vergessen, um die Vorurteile, die ich eigentlich nicht in meinem Kopf haben will, zu widerlegen. Ohne zu viel zu verraten: Dieses Ziel wurde erreicht und alle Hoffnungen übertroffen
Sobald diese Schwierigkeiten überwunden waren, begannen die Recherchen. Relativ schnell war klar, dass wir den Frolikha Adventure Coastline Track laufen, da wir auch nicht völlig auf einen Weg verzichten wollten, da es uns auch zu hart vorkam, uns weglos ohne einen ortskundigen Guide durch die Taiga zu schlagen. Dieser Weg wurde von Baikalplan e.V., ansässig in Dresden, angelegt und wird bis heute von diesen mit Hilfe Freiwilliger einigermaßen gepflegt. Es gibt da irgendwie ein Projekt, um in ferner Zukunft ein größeres Wanderwegenetz um den Baikalsee herum anzulegen, genauere Infos könnt ihr aber deren Homepage entnehmen . Der Track hat insgesamt so um die 100 km Länge, wobei der Hauptteil von einer Rangerstation bis Khakussy so ungefähr 70km lang ist. Um zum Startpunkt zu gelangen, haben wir uns in Sewerobaikalsk ein Boot mit Fahrer gemietet, welches uns dahin brachte; von Khakussy aus fährt ein Linienboot zurück nach Nischneangarsk, von wo aus wiederum ein Bus zurück nach Sewerobaikalsk fährt. Südlich von Khakussy kann man noch ein-zwei Tagestouren machen, aber es empfiehlt sich preistechnisch meiner Meinung nach, wieder von Khakussy aus zurückzufahren. Auch unterwegs gibt es schon die ein oder andere Alternativroute, welche einen Schlenker in die Berge macht, die dort bis zu 2000 m hoch sind und recht wild schienen. Dort ist meiner Meinung nach eher mit Wild- und Trampelpfaden zu rechnen, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, da wir auf dem Hauptweg geblieben sind, auch da dort die Mückendichte nicht ganz so hoch war wie im tiefsten Wald, doch dazu später mehr.
Also bestellten wir uns das Material, welches von diesem Verein zusammengestellt wurde (die Trailbeschreibung und eine grobe Karte) und suchten weitere Karten aus diversen Quellen zusammen, welche allerdings alle nicht allzu detailliert waren. 70 Kilometer + Tagestouren und Ausflüge erschien uns zwar nicht viel, auch wenn wir dieses täglich nicht allzu viel laufen wollten - die vorherigen Jahre haben auch immer unsere 20 km am Tag runtergespult -, sondern die Landschaft genießen wollten, vielleicht auch mal einen Ruhetag zum Angeln und Relaxen einzulegen gedachten usw., trotzdem planten wir 9 Tage zwischen Ankunft und Abfahrt ein. Nach dieser Tour wollten wir noch eine kleinere Wanderung an anderer Stelle machen, entweder auf der Insel Olchon oder südlich von Sewerobaikalsk, wo es auch einen Trail gibt, das wurde allerdings letztendlich erst kurz vor der Abreise beziehungsweise während der ersten Wanderung entschieden.
Der grobe Plan sah also vor, etwas länger als zwei Wochen am Baikalsee unterwegs zu sein, dann mit der Transsibirischen Eisenbahn von Irkutsk nach Moskau zu fahren (ungefähr 4 Tage Fahrtzeit) und noch einige Tage in der größten Stadt Europas zu verbringen - die volle Dosis also. Also buchten wir die Flüge von Dresden nach Irkutsk und von Moskau nach Dresden bei einem kleinen russischen Reisebüro, das sich auch um die benötigten Visa kümmerte, und begannen mit den Nachforschungen, wie wir die restliche Strecke zu den Trails und von dort zur festen Station Irkutsk, von wo aus unser Zug abfuhr, zurücklegen konnten.
Gerade die Buchung über ein solches Reisebüro kann ich Russlandreisen-Interessierten wärmstens empfehlen. Die Flüge waren unvergleichbar günstig und die Rennerei zur Visabeschaffung wurde uns ebenfalls für einen Spottpreis abgenommen, nur muss akzeptiert werden, dass sich das Personal am Telefon erstmal auf Russisch meldet und auch danach auf Deutsch sehr russisch telefoniert, was bedeutet, dass sie nicht besonders freundlich sind und Verabschiedungsformeln usw. nicht bekannt sind. Das ist allerdings normal, wenn man meiner russischen Dozentin glaubt und man wird dafür umso überraschter sein, wenn man den Russen bei persönlicher Begegnung vis-a-vis aufgeschlossen entgegentritt und dann sofort als Freund behandelt wird, weshalb man gleich auf 1-10 Wodka eingeladen wird.
Die restliche Planung funktionierte mit Hilfe des Internets überraschend gut. Langsam - fast so langsam wie sich dieser Bericht entwickelt :P - nahm der Plan endgültige Konturen an. So buchten wir, um von Irkutsk nach Sewerobaikalsk zu gelangen, zwei Fahrten auf der Raketa, einem Tragflächenboot, das mit guten 50 km/h den Baikalsee befährt, wodurch man ihn in 11 Stunden beinahe in der gesamten Länge durchqueren kann, nach Sewerobaikalsk und von dort 12 Tage später auf die Insel Olchon; falls wir dann doch den anderen Trail hätten gehen wollen, wären wir mit dem Minibus von dort nach Irkutsk gerattert, was dann später doch auch geschah, nachdem wir auf Olchon wandern waren. Selbst für diese Verbindung war online ein Fahrplan aufzutreiben, der tatsächlich auch eingehalten wurde.
Generell zweifelte an dem reibungslosen Ablauf des gesamten Transportes die Mutter eines Mitreisenden, die in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen war und dort auch zeitweise bei der Transsib gearbeitet hat; doch ihre Bedenken wurden nicht bestätigt, sondern es klappte alles beängstigend gut: So wurden unsere Onlinetickets auf der Raketa und in der transsibirischen Eisenbahn akzeptiert und alle angekündigten Busse und Schiffe fuhren pünktlich ab. Dass Vieles so reibungslos ablief und wir so intensiv die Kultur aufnehmen konnten, haben wir allerdings auch ihr und den Russisch-Kenntnissen ihres Sohnes zu verdanken. So wurde so manche Information nochmal am Telefon bestätigt und eingeholt oder unser Kommen im Voraus angekündigt.
Falls jemand noch Fragen zu organisatorischen Gesichtspunkten hat, kann er sich gerne per PM melden. Im Voraus entschuldige ich mich für meinen manchmal zu hypotaktischen Stil; ich versuche, das weitgehend zu unterlassen und bemühe mich, den Text ab und zu etwas aufzulockern, aber ich muss zugeben, dass ich kein sonderlich kreativer Schreiberling bin, sondern eher ein hart arbeitender Wörterschmied, um die Worte von besseren Autoren aufzugreifen. So, nach langer Vorrede und vielen Andeutungen geht's jetzt dann endlich los.
Rechtschreibfehler dürfen vom Finder einbehalten werden, wenn ich manchmal aus dem Tempus-System gefallen sein sollte, ist das dramatisches Präsens oder künstlerische Freiheit Da ich während der Reise kein Tagebuch verfasst habe, sondern alles im Rückblick aufgezeichnet habe, ist der Bericht auch dementsprechend verfasst worden. Auch die Bilder sind nicht bearbeitet, sondern ich stelle sie so hier ein, wie sie aufgenommen wurden; Quantität statt Qualität :P Der Bericht liegt fertig auf dem PC, sodass ihr euch nicht allzu lange gedulden müsste, jedoch habe ich nicht allzu viel Zeit, aber ich versuche, jeden Tag 2 Reisetage hochzustellen. Die Bilderdichte nimmt natürlich zu, sobald der Bericht in die heiße Phase kommt und wir auch in der Natur sein werden.
1.11.-3.11: Anreise. Der lange Weg ans Ende der Welt
Früh am Morgen begann unsere Reise ab Stuttgart, die uns in den nächsten 48 Stunden 5000 km in den Osten führen sollte. Wir wurden zum Streitbahnhof kutschiert und fuhren oberirdisch mit unserem rail-and-fly-Ticket zu dritt los, um unterwegs in Frankfurt noch die letzten beiden Mitreisenden einzusammeln. Ich und eine weitere Person, nennen wir sie einfach Hermann, waren die einzigen, die alle Mitreisenden kennen und beschlossen haben, dass man sich schon verträgt. Wir scherzten noch auf der weiteren Fahrt nach Dresden, suchten raus, welche Fische man im Baikal fangen kann und welche davon essbar sind. Eine Angel hatten wir dabei und hofften, dass der Besitzer erfolgreicher Fische fängt als er das in Norwegen getan hatte (Spoiler: unsere Hoffnung sollte enttäuscht werden :P). Nachdem wir in Dresden angekommen waren, wogen wir unsere Rucksäcke, in denen noch kein Essen und Gruppenmaterial verstaut war, und jeder, der mehr als 8 Kilo Basisgewicht hatte, wurde ausgelacht und darauf hingewiesen, dass er trotzdem denselben Anteil an Gemeinschaftsmaterial zu tragen hat.
Wir hatten schon zuvor fast das ganze Essen für die erste Tour, also um die 10 Tage eingekauft, sodass es nun 24 kg auf 5 Rucksäcke zu verteilen gab, dazu unser Palast von einem Zelt, ein Lavvo für 6-8 Personen von Bergans of Norway, das sich schon auf zahlreichen Touren bewährt hat, und Materialen wie (Benzin-)Kocher, Pötte, Beil und Spaten. Nach dieser doch als episch zu bezeichnenden Packaktion mitten im Dresdner Flughafen, die uns einige komische Blicke einbrachte, hatte jeder so um die 20 kg Rucksackgewicht und noch Kleinigkeiten im Handgepäck. Wir checkten ein und gingen durch die Passkontrolle. Der freundliche Beamte war not amused, dass das Reisebüro einen Teil des Visums direkt in unsere Reisepässe getackert hatte und murmelte irgendwas von Beschädigung von Staatseigentum. Das war einer der letzten deutschen Sätze, die wir von fremden Lippen vernahmen.
Im Flugzeug der Aeroflot wurde dann fast ausschließlich Russisch gesprochen, sowohl von den Passagieren als auch vom Personal. Trotzdem war ich von der Airline eigentlich positiv überrascht. Die Maschine war eine recht neue Boeing, das Personal freundlich und es gab sogar eine Kleinigkeit zu essen, wenn es auch nur das typische Flugzeugessen war, alles einzeln in Plastik verpackt, worauf ich sofort an die Umweltverschmutzung und Fightclub denken musste Nach einem ungefähr zweistündigen Flug landeten wir in Moskau, wo wir einige Stunden Aufenthalt hatten.
Mitten in der Nacht ging es weiter, nachdem wir unser Gepäck aufgenommen und sofort wieder abgegeben hatten; zwar waren in Moskau die Schilder noch zweisprachig, das Flughafenpersonal sprach aber selten Englisch. Während des 5-stündigen Fluges konnte man kaum schlafen, da erst immer wieder Airline-Personal kam und einem etwas zu essen brachte - kurz nach dem Start gab es Fisch oder Fleisch. Ich entschied mich für Fleisch, weil der Fisch doch sehr fischig roch, das Fleisch schmeckte aber auch leicht nach Hammel, wie ich später feststellen musste; na ja, ich hab schon schlechter gegessen, wenn ich einmal an meine Schulzeit und die schuleigene Mensa zurückdenke
Später ließ der Blick aus dem Fenster dann nicht mehr an Schlaf denken. Unter dem Flugzeug war endlose 'Tundra'-Steppen, Taiga und Gebirgslandschaft zu sehen, worauf die Sehnsucht wuchs, endlich zu landen und durch dieses Abenteuerland zu streifen. Wir landeten irgendwann am Vormittag und waren froh, relativ schnell unsere Rucksäcke vom Gepäckband aufzusammeln zu können. Mittlerweile sprach kein Mensch mehr Englisch und auch die Schilder zeigten nur noch kyrillische Buchstaben, die wir immerhin alle entziffern konnten, da drei von uns ein Semester Sprachkurs an der Uni besucht hatten, einer sogar drei Semester und der fünfte im Bunde die Sprache auf Grund seines familiären Hintergrundes fließend sprach. Wir setzten uns erstmal vor das Terminal und chillten einige Minuten, was auf dieser Reise noch zu einer unserer Hauptbeschäftigungen werden sollte
Während Shop, der Übersetzer, noch nach einem Bus in die Innenstadt von Irkutsk suchte, saßen wir also vor dem Flughafen, gingen nochmal ab und zu durch die Sicherheitsschleuse ins Innere. Schon zu Beginn sprach uns sofort ein Taxifahrer an, dessen Angebot wir allerdings noch ablehnten, um es später dann anzunehmen, nachdem er den Preis noch deutlich gesenkt hatte (Wahrscheinlich haben wir immer noch zu viel bezahlt :P).
So quetschten wir also ein paar der Rucksäcke in den Kofferraum und den Rest nahmen wir auf den Schoß, denn dort war auf den vier Beinpaaren, welche sich auf der Rückbank eingefunden hatten, noch reichlich Platz. Anschnallen konnte man sich eigentlich nicht, was ich zuerst nicht allzu tragisch sah, jedoch überdenken musste, als ich die Fahrweise des Taxifahrers bemerkte, welcher übrigens etwas Deutsch beherrschte, weil er das vor ewigen Zeiten einmal studiert hatte, und dazu den für europäische Verhältnisse komplett chaotischen Verkehr. So fuhren wir auf dem Weg zur Raketa-Station an einem Unfall vorbei, der mehrere Autos mit Totalschaden hervorgebracht hatte, aber wir hatten es ja nicht mehr weit. Von der Stadt sah man nicht viel. Die Häuser sahen auf den ersten Blick nach typischen Plattenbauten aus, die eben noch etwas heruntergekommener aussahen als die deutschen Pendants.
Wir stiegen nun also am Ufer des Baikalsees aus dem Auto aus und sahen das erste Mal richtig das Gewässer, das uns die nächsten Wochen Getränkelieferant, Badewanne, Waschmaschine und Musiker, der unsere 'Musik' zum Einschlafen liefert, sein sollte. Bisher war das allerdings noch keine allzu aufregende Vorstellung, da man sich noch in der Zivilisation befand und vielleicht von der schon langen Anreise etwas müde war, die aber noch einige Stunden dauern sollte. Das Tragflächenboot legt nur früh am Morgen ab, weshalb wir fast einen ganzen Tag und die Nacht warten mussten bis es weiterging. Diesen wollten wir nutzen, um noch ein paar Dinge wie Mehl, Tee usw. einzukaufen, welche wir nicht eingeführt hatten, weil es sie überall gibt.
Also ließen wir unsere Rucksäcke in der Raketa-Station; auch dort hatten wir zuvor angerufen und gefragt, ob wir dort irgendwie übernachten können. Wir durften unser Zelt auf der angrenzenden, verschmutzten 'Wiese' aufstellen, worüber der Nachtwächter noch kurz informiert wurde, was natürlich äußerst praktisch war, da wir morgens nur einzupacken brauchten und uns auf's Schiff begeben konnten. In dem Gebäude saßen den ganzen Tag mehrere Männer von der Polizei oder Miliz, spielten Karten oder starrten in den aufgehängten Flachbildfernseher. Ich mochte ihre Uniformen :P.
Wir begaben uns zur Bushaltestelle und ich war sehr verwundert, als dann schließlich ein Minibus kam, ein asiatisches Fabrikat, einem alten Sprinter nicht ganz unähnlich, der ungefähr 10 Sitzplätze bot, die auf der Fahrt dann aber nach und nach mit ungefähr 17 Leuten besetzt wurden, denn auf einem normalen Sitz haben in Russland auch 2 Leute Platz :P Es wäre in Deutschland wohl niemals denkbar, dass sie zwei fremde Leute auf einen Sitz quetschen wie Schulmädchen, die nicht wollen, dass ihre beste Freundin die Fahrt zur Schule stehend verbringen muss. Auch die Bezahlung war hier etwas anders geregelt. So steigt man einfach ein und wenn man wieder aussteigt, gibt man dem Fahrer einen festen Betrag, egal wie weit man mitgefahren ist, der übrigens sehr niedrig ist. Auch dieser Fahrer passte sich den örtlichen Gepflogenheiten im Verkehrsgeschehen an, sodass ich manches Mal befürchtete, wir würden gleich ein Auto einfach wegschieben oder es von hinten rammen, wodurch wir alle durch den Bus geschleudert werden. An diese Fahrweise und den Verkehr gewöhnte ich mich allerdings recht schnell, sodass ich auf der Rückfahrt bereits deutlich entspannter war.
Aus dem Bus ausgestiegen bot sich uns im Zentrum ein ganz anderes Bild von der Stadt. Hier war alles deutlich asiatisch geprägt. Gleichzeitig fuhren sehr alte Trams durch die Straßen. Wir fühlten uns alle etwas verloren inmitten der Menschenmassen und der fremden Umgebung. Das kann man wohl irgendwie als Kulturschock bezeichnen, der noch verstärkt wurde, als wir dann schließlich zu unserem Ziel gelangten, dem Markt. Dieser befand sich zum Teil auf einem Platz vor einem großen Gebäude, der Markthalle, in welcher sich der Hauptteil befand.
Die Markthalle gab mir nun völlig den Rest. Es befanden sich dort zahlreiche Buden, wovon allerdings viele das gleiche Sortiment hatte. So gab es jeweils mehrere Süßigkeiten-Stände, 'Bäckereien', die Süßes und Herzhaftes anboten, Tee-Stände, Gemischtwaren-Stände, wo es Mehl, Zucker usw. erworben werden konnte und Getränkestände. Obst und Gemüse befanden auf dem vorgelagerten Platz. Im hinteren Teil der Halle wurde Fleisch und Fisch verkauft. Spätestens da zweifelte ich, ob ich hier denn richtig sei, da es dort sehr stark nach Fisch und Schwein roch, zusammenfassend nicht allzu appetitlich. Ich kann nicht leugnen, dass ich in dieser Zeit doch etwas schlecht gelaunt war.
Wir machten unsere Besorgungen also auf diesem Markt, auch wenn ich mir in diesem Moment einfach nur einen Supermarkt gewünscht hätte, der doch irgendwie überall auf der Welt gleich ein gewohntes und sicheres Konsum- Gefühl vermittelt. Neben den Besorgungen für unsere Reise nahmen wir noch 3 geräucherte Omule, ein endemischer, sehr fettiger Salmonid, der nur in der Baikalregion vorkommt, Brot, ein paar Nusshörnchen und eine Melone zum Abendessen mit und gönnten uns sofort einen Kwas, von einer alten Frau aus einem ganzen Tank davon in eine Plastikflasche abgefüllt (vergleiche Wikipedia 'Kwas', zweites Bild :P).
Nachdem wir uns ebenfalls eine russische Prepaid-Karte besorgt hatten, mit der man übrigens wirklich sehr günstig ins deutsche Netz telefonieren kann, obwohl man diese eigentlich nur mit Registrierung bekommt, die wir uns erst später in Sewerobaikalsk abholten, fuhren wir auf dieselbe Weise zurück zu unserem Zeltplatz, in einem Minibus. Wir entspannten noch in der Nachmittagssonne, aßen unsere eingekauften Vorräte und bauten das Zelt auf.
Soweit ich mich erinnere, verkrochen wir uns auch recht früh in unsere Schlafsäcke, da wir alle doch von der Reise geschafft waren und am nächsten Morgen das Schiff auch früh ablegen sollte. Es regnete gleich in der ersten Nacht leicht, was aber irgendwann wenigstens die Jugendlichen vertrieb, die keine 20 Meter von unserem Zelt wohl angeheitert lautstark sich auf einem alten Spielplatz aufhielten, wenn man das so nennen darf.
Der nächste Tag verlief dann wirklich unspektakulär. Wir standen auf, packten zusammen und warteten auf die Ankunft des Bootes. Während des Wartens kamen immer mehr Passagiere, teilweise ebenfalls mit Rucksäcken, oftmals jedoch mit 'normalem' Gepäck. Es gab etwas Verwirrrung, ob das irgendwann ankommende Boot nun das unsrige sei, weil es kein Tragflächenboot war, was allerdings durch unseren 'Russen' schnell gelöst werden konnte. Wir mussten mit diesem Boot nach Port Baikal und dort umsteigen. Während des Wartens fielen mir auch einige Menschen mit getatzten Jacken und Deuter-Rucksäcken auf; die Ahnung bestätigte sich beim Vorbeilaufen, allerdings gab ich mich ihnen nicht zu erkennen. Ich war im Urlaub und damit weg von Deutschland.
Die erste Bootsfahrt war dann wahrlich nicht sehr aufregend, nur das im Nebel verschwindende Irkutsk bot einen schönen Anblick und auch Port Baikal sah im Nebel auftauchend faszinierend aus, fast wie ein Schifffriedhof, da dort einige sehr alte und wahrscheinlich nicht mehr im Dienst befindliche Boote lagen. Auf dem See ging erst ein starker Wind, der sich im Laufe des Tages allerdings legte, sodass wir auf spiegelglatter See fahren konnten.
Der Umstieg in die Raketa ist allerdings auch noch eine Erwähnung wert. Wir saßen im hinteren Bootsteil und mussten so am Funkraum vorbei, der in etwa aussah wie das Wohnzimmer meiner 80-jährigen Oma. Als ich dadurch also abschätzen konnte, wie alt dieses Schiff war, dachte ich mir, dass es einmal der Stolz der Sowjets gewesen sein musste, was mich jedoch eher beruhigte als stutzig machte, denn im Schwarzwald fahren noch heute alte Schneeraupen aus der UdSSR durch die Gegend, wenn nichts anderes mehr dem Schnee trotzen kann und auch der Chef meines Kumpels aus der ehemaligen DDR, welcher heute bei einem namenhaften Institut arbeitet, meinte, dass die Sowjettechnik unzerstörbar gewesen sei, sobald man sie einmal zum Laufen gebracht habe. Also setze ich mich auf einen der Sitze, die denen in alten Bahnen gleichen und wartete auf den 'Start'.
Zwar bemerkte man nach diesem während der Fahrt überhaupt keinen Wellengang, allerdings sorgten die Motoren und der Luftwiderstand für einen Geräuschpegel, der jeden normalen Menschen wohl am Schlafen gehindert hätte, mich allerdings nicht :P So verschlief ich wohl gut 2/3 der Fahrt, aber während des restlichen vier Stunden blieb auch noch genügend Zeit, um zu essen, zu lesen und vor allem immer wieder hinauszugehen, um die vorbeifliegende Landschaft zu bewundern oder froh darüber zu sein, dass ich so viel geschlafen hab, damit ich nicht die blonde Beth Ditto in viel zu engem Kleid sehen musste, welche am 'Kiosk' stand, Wurstbrote schmierte und einfach nicht schön aussah.
Doch noch 1-2 Worte zur Landschaft, welche ihr auch auf den Bildern betrachten könnt. Man sah hauptsächlich kleinere Berge, die vollständig bewaldet waren und dazwischen immer wieder winzige Ortschaften oder Fischersiedlungen am Ufer. Auf jeden Fall wuchs der Wunsch bei diesem Anblick, endlich auch diese Gebiete zu durchstreichen, an eben diesem Ufer zu sitzen und den Blick in die andere Richtung zu genießen, auf den See, welcher von dort aus wie ein Meer zu sein scheint.
Nach 11 Stunden Fahrt kamen wir dann gegen 20 Uhr in Sewerobaikalsk an, wo und Evgenij schon erwartete. Er betreibt ein Hostel, das mit Hilfe des Baikalplan e.V. aufgebaut wurde und seitdem ist er eigentliche eine feste Durchgangsstation auf dem Weg zum F.A.C.T. (Auf der HP: baikaltrail.ru gibt es weitere Infos zu dem netten Herren). Er hatte zwei Taxen mit zum Hafen gebracht, die uns schnurstracks zum Hostel beförderten, beschallt wurden wir von regionaler Folklore-Musik, was mir sehr gefiel. Unser Taxi, in dem Evgenij nicht saß, war als erstes da. Wir wurden vor mehreren Plattenbauten abgesetzt und haben uns erstmal gefragt, wo denn nun das Hostel sei. Nach einigen Minuten kam das andere Taxi mit unserem Host. Er spazierte zu einem der Plattenbauten und führte uns in den ersten Stock, wo er die Wohnung angemietet hat. In ihr befinden sich zwei Schlafräume, eine Küche, ein Bad mit Dusche und ein Toilettenraum.
Alles sah ganz sauber aus und sogar W-LAN war vorhanden, sodass ich mich erstmal daheim melden konnte. Normalerweise versuche ich, das auf das Nötigste zu beschränken, dieses Mal war es mir allerdings wichtig, mich so oft wie möglich daheim zu melden, da ich einen guten Monat vor unserer Abreise eine ganz besondere Frau kennenlernte, welche ich nicht für 4 Wochen vergessen konnte. Sie schwirrte die ganze Zeit in meinem Kopf herum und ich konnte oft die Reise erst richtig genießen, wenn ich ihr eine SMS senden konnte oder gar eine von ihr empfangen konnte. Bei mir ging es nicht so weit, wie das bei dem User Fliehender der Fall war, dass mein Heimweh und meine Sehnsucht nach ihr mir die Laune ganz vermiesen konnten, jedoch war diese unbestreitbar besser, wenn wir nicht für mehrere Tage gar keinen Kontakt hatten.
Evgenij meinte, dass wir ja Hunger haben müssten, was wir eigentlich nicht bestätigten, aber er kochte uns trotzdem etwas zu essen. Er öffnete eine Dose Fleisch, erinnerte mich zuerst etwas an Hundefutter, war dann allerdings doch recht gut, briet dies mit Zwiebeln an und kochte dazu Buchweizen ab, dazu gab es die obligatorische rohe Gurke und Tomate.
Gurken und Tomaten bekamen wir gerade in Sibirien sehr oft und sahen diese auch die Russen bei jeder Mahlzeit verspeisen. Manchmal waren sie roh und manchmal gab es eingelegte Gurken, ähnlich unseren Essiggurken, die jedoch nur in Salzlake mit Dillblüten und einigen anderen Gewürzen eingelegt waren. Die gibt's auch in Moskau auf den Märkten zu kaufen und sie sind unglaublich lecker, aber mir ist der Name gerade leider entfallen, aber wenn sich jemand dafür interessiert, frage ich unseren Experten.
Eigentlich dachten wir erst, dass Evgenij uns zu dem Essen einlädt, jedoch stellte er es uns am Ende in Rechnung, was wir ihm natürlich nicht übelnahmen, da er viel für uns getan hat. So gab er während des Kochens die letzten Tipps und verließ uns dann gegen späten Abend, ohne mit uns noch einen- zehn Wodka zu trinken, da er Antialkoholiker ist; wir sollten mit Russen noch genügend Wodka trinken ;)
Wir genossen das letzte Mal für die nächsten Tage die Annehmlichkeiten der Zivilisation, duschten und saßen noch lange am Küchentisch, um die schwäbische Kultur, in Form von Benoggl, einem Kartenspiel, auch 5000 km fern der Heimat hochzuhalten. Zuletzt erlaubten wir uns noch einen Spaß mit der stylischen Leopardendecke, machten damit ein paar Fotos, die auch in einem osteuropäischen Soft-Pornofilm hätten gezeigt werden können, und lasen das Gästebuch, in welchem Einträge von Personen aus der ganzen Welt zu finden waren, die in letzter Zeit allerdings mehrfach von zahlreichen regnerischen Tagen auf verschiedenen Trails berichteten. Wir hatten auf all unseren Fahrten immer unerhörtes Glück mit dem Wetter und darauf verließen wir uns auch dieses Mal, weswegen wir beruhigt einschliefen und am nächsten Morgen nicht allzu spät aufstanden.
4. August: Endlich in der Natur
Der Plan war, morgens noch ein paar Dinge mit den Behörden zu klären, Benzin für unseren Kocher zu besorgen und dann gegen frühen Mittag mit dem von Evgenij gemieteten Boot samt Fahrer zum Trail zu fahren. Erst lief alles nach diesem Plan. Evgenij übernahm für uns die Registrierung bei der örtlichen Behörde, welche wir allerdings erst bei unserer Rückkehr ausgehändigt bekommen sollten, wir registrierten uns als Wanderer, die den Nationalpark durchqueren dürfen, was uns einen lächerlichen Betrag abverlangte und Evgenij schläuchelte uns Benzin aus einem Auto, was ihm ein Freund vorbeibrachte, auch wenn die Tankstelle eigentlich nur 500m vom Hostel entfernt gewesen wäre :P
Dann kam leider ein Anruf, dass die Überfahrt bei dem Wetter nicht zu machen sei. Wir fragten uns: Welches Wetter? Denn es gab blauen Himmel und kaum Wind, aber man vertraut einem ortsansässigen Seemann dann doch mehr als seinem eigenen Landrattenverstand. Also mussten wir warten.
Evgenij sagte, dass er uns anriefe, sobald es Neues gebe, weswegen wir kurzerhand zum See liefen, ungefähr 2 km weit und dort am Kiesstrand mal wieder chillten, was bedeutete, dass wir Steine ins Wasser warfen, schnitzten oder uns einfach nur ausruhten. Auf dem Weg dorthin war uns im Wald die erste inoffizielle Entsorgungsstätte für Plastik aufgefallen. Man hatte einfach ein großes Loch gegraben und darin lagen nun hunderte von Plastikflaschen - Müllentsorgung auf Russisch. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass wir verwundert bis schockiert waren.
In der Zeit des Wartens wurde das Wetter immer schlechter, sodass wir schon befürchteten, heute nicht mehr von hier wegzukommen. Doch plötzlich kam der Anruf, dass wir nun übersetzen können. Auf dem Rückweg Evgenij spekulierten wird, ob der Kapitän vielleicht auf einen von uns angebotenen Gefahrenzuschlag gehofft hatte und nun einfach nachgab, aber bei der Spekulation blieb es und mittlerweile war es uns auch recht egal, da es endlich loszugehen schien
Auf dem Rückweg überquerten wir zum wiederholten Male die Eisenbahnschienen der B.A.M. Auf dem Bahnhof war viel Betrieb, hauptsächlich Güterverkehr wurde gesteuert. Evgenij berichtete uns, dass man in dieser Stadt entweder vom Tourismus oder von der Eisenbahn lebe, was uns sofort einleuchtend erschien.
Auch sahen wir an diesem Tag, da es im Gegensatz zu unserer Ankunft hell war, vollständig, wo wir überhaupt gelandet waren. Die Plattenbausiedlung sah so aus, wie man sie sich in Russland vorstellte: alt, irgendwie etwas heruntergekommen und vor den Häusern verweste ein toter Hund.
Nachdem wir angekommen waren, bezahlten wir Evgenij, reservierten uns noch fünf Betten, wenn wir dann in 10 Tagen zurückkommen sollten, um nach einer Nacht mit der Raketa wieder abzufahren und verabschiedeten uns in angemessener Form. Er hatte uns noch den Weg zurück zum 'Hafen' erklärt, den wir an diesem Tag zu Fuß zurücklegen wollten, da es nur ungefähr 3 km waren. Unterwegs begann es dann zu regnen, weswegen wir gleich zu Beginn unsere Regenklamotten überziehen durften. Kurz vor unserem Ziel lag auch eine Basis der Marine, aus deren Mitte wir später noch ehemalige Kampftaucher kennenlernen sollten.
Einen Tag zuvor kamen wir an deren Rand an und mussten auch durch einen Schlagbaum der Basis, um nach draußen zu gelangen, was ich aber erst an diesem Tag kapierte. Im danebenliegenden Hafen lagen kleine Boote und sehr kleine Boote; wir fragten uns, auf welcher dieser Jollen wir über eine Stunde quer über mittlerweile doch recht unruhigen Baikal fahren durften. Unseren Kapitän fanden wir rasch. Sein Boot war kein sehr kleines Boot sondern nur ein kleines, das er mit einer Plane überspannt hatte, um uns etwas vor dem strömenden Regen zu schützen. Der Zugang zum "Lade- und Passagierraum" war ungefähr einen Fuß breit und befand sich seitlich des Bootes. Ich selbst habe mit über 20 kg Rucksackgewicht nicht das allerbeste Gleichgewicht, wie ich leider zugeben muss, weswegen ich mich schon im kalten See schwimmen sah. Den Rucksack nahm man mir ab, wie noch das ein oder andere Mal auf der Tour, wenn es über eine sehr schmale Brücke ging - hiermit nochmal ein Dank an meine Mitreisenden - und das Einsteigen ging dann ganz gut. Alle waren im Boot, bekamen Schwimmwesten und dann ging es ging los.
Wir sahen Sewerobaikalsk immer kleiner werden und gewöhnten uns an den Wellengang, so sehr, dass jemand sogar schlafen konnte. Zwischenzeitlich sah man kein Ufer mehr, bis am Horizont langsam Berge auftauchten. Auch diese waren bewaldet, nur dieses Mal so hoch, dass die Baumgrenze auch überschritten wurde. Alles lag im Nebel und sah einfach magisch aus, was leider auf den Fotos nicht rauskommt, obwohl wir sehr gute Kameras dabei hatten, da es einfach zu 'diesig' war.
Als diese Landschaft schon greifbar nah schien, setzten wir schließlich auf Grund. Der Kapitän, von dem wir eigentlich annahmen, dass er diese Tour schon einmal gemacht hätte, schien ziemlich ratlos, versuche erst den Motor weniger steil ins Wasser zu setzen und dann mit dem Ruder aus dieser Situation zu kommen, auch sein GPS lieferte ihm keine Lösung. So schickte er einen von uns zum Sichten der Wassertiefe auf den Bug, aber auf dieser Seite der Landzunge, auf welcher die Rangerstation schon zu sehen war, konnte man nicht bis zum Ufer fahren. Da wir meinten, irgendwo gelesen zu haben, dass auf der Rückseite ein Anlegesteg sein sollte, wiesen wir ihn dorthin. Tatsächlich war ein Anlegesteg zu sehen, auch wenn der Tiefgang für den Motor wieder zu hoch war, sodass die letzten Meter wieder mit dem Ruder zurückgelegt werden mussten.
Doch endlich waren wir da. Vor uns lag ein Sumpf, dahinter thronten majestätisch Berge, die Vögel zwitscherten und es regnete immer noch. Der Ranger war nicht da, nur sein Hund bewachte die Station. Später erfuhren wird, dass er im Krankenhaus sei, weswegen man nicht dort übernachten könnte, was grundsätzlich möglich sein müsste. Wir stellten uns unter einen Unterstand und holten unser Mittagessen nach.
Dieses Bestand wie in den kommenden Tagen aus einem Snickers, 2-3 Fetzen Beefjerkey und 2 Händen Studentenfutter. An den restlichen Tagen der Tour kamen noch 2 Fladenbrote dazu. Diese brieten wir abends meist über den Feuer raus. Der Teig ist dem von Naan-Brot sehr ähnlich; er besteht aus Trockenhefe, Zucker, Salz, Milchpulver, Mehl und Wasser. Unsere Abende liefen so ab, dass zwei Leute das Zelt aufbauten, einer den Teig machte, einer Feuer machte und der 5. je nach Zustand entweder ausruhen durfte, jemandem zur Hand gehen musste oder andere Aufgaben übernahm wie weiteres Holz zu suchen und die Angel ins Wasser zu halten.
Just bemerkten wir das, was wir auch befürchtet hatten: Mücken. Was diese Plagegeister angeht, waren wir zugegeben schlecht vorbereitet, auch wenn wir schon über sie nachgedacht hatten. Nur Shop hatte Mückenschutzmittel dabei, das wir bald auf unsere Gesichter und Hände auftrugen, der restliche Körper war sowieso von Regenjacke und langer Hose bedeckt (wir hatten keine Regenhose dabei, da wir alle kein Geld dafür ausgeben wollten, weil die Hosen von Fjällraven sowieso so schnell trocknen, dass es sich kaum lohnt. Wenn es also regnet, tragen wir tagsüber die nassen Hosen, lassen sie abends auch im Zelt noch eine geraume Weile an, um sie am Körper zu trocknen und ziehen sie am nächsten Morgen wieder an, auch wenn sie noch etwas klamm sind. So halten wir es seit Jahren, aber bisher hatten wir auch das Glück, dass es selten mehrere Tage am Stück regnete, sodass wir sie spätestens am nächsten Wandertag vollends am Körper trocknen konnten). Leider half auch das Mittel nur bedingt; die Biester flogen in die Ohren, in die Nase und in die Augen. Das hatte ich mir so nicht vorgestellt; wir waren zwar schon in Schweden und Norwegen, wobei es da wohl in beiden Regionen und zu der Jahreszeit einfach zu kalt war. Ich wähnte mich zuerst in der Hölle, gewöhnte mich aber mit der Zeit doch etwas daran, meiner Seneca und Marc-Aurel-Lektüre sei Dank
Na ja, es hieß trotzdem: Und los! Reiten wir in den Sonnenuntergang. Hühühühüüü! Ruhig Brauner! Tatsächlich war es nämlich schon später Nachmittag und wir wollten doch noch ein bisschen Strecke reißen. Die ersten paar Kilometer führten uns durch eine Dünenlandschaft, am Horizont sah man wieder das Gebirge.
Das Laufen durch den tiefen Sand mit den schweren Rucksäcken schlauchte sofort, die Mücken waren unerbittlich und die Dichte an ihnen nahm noch merkbar zu. Himmel und Hölle können eben sehr nahe beisammen liegen.
Leider sah auch der See bei diesem Wetter nicht sehr gut aus. Ich konnte die Scheuklappen leider auch nicht ausblenden, weswegen mein Blick getrübt war. Am Strand lag nämlich sehr viel angeschwemmter Müll, der das Bild nicht unbedingt so romantisch zeichnete wie ich es erhofft hatte. Strapazen bin ich gewöhnt und damit kann ich umgehen, aber verschmutzte Umwelt zieht mich runter, vor allem bei diesem anhaltenden Regenwetter.
Auch die Wasserqualität konnte nicht als gut eingestuft werden. Es hieß, dass man direkt aus dem See trinken könne, jedoch war das zu diesem Zeitpunkt schwer denkbar. Am Strand fanden wir auch bald unsere ersten Bärenspuren. Zusammenfassend: Vor wenigen Stunden befanden wir uns noch in der warmen Zivilisation, nun wurden wir ins eiskalte Wasser geworfen. Da wir aber keine kompletten Anfänger sind, wussten wir, dass auch wieder bessere Zeiten kommen würden, sobald wir in unseren Schlafsäcken liegen und es wenigstens da trocken ist, weswegen wir uns nicht entmutigen ließen und weiterliefen.
Es ging weiterhin an der Küste entlang - klar wenn der Track auch Coastline Track heißt :P - und ab und zu ins Hinterland, wo es sehr sumpfig wurde. Zwar hatten wir Gamaschen an, allerdings hatte es in den letzten Tagen so viel geregnet und es gab so wenig Weg, dass wir beim Waten durch den Sumpf doch leicht nasse Strümpfe bekamen, einfach weil wir manchmal fast knietief in den Sumpf einsanken. Wir hatten aber auch nicht die Nerven, die Sümpfe weit zu umgehen, weswegen wir sie hüpfend durchquerten, sodass zumindest meine Füße befriedigend trocken blieben. Die Hose war sowieso schon nass, da es wirklich beständig regnete. Schön war, dass wir wussten, dass wir auch immer an der Küste entlanglaufen mussten, um das Ziel zu erreichen, denn wir haben auch vor Ort keine besseren Karten bekommen.
Wir wanderten bis in den späten Abend hinein, ohne einen geeigneten Zeltplatz zu finden. Unsere Hoffnung lag auf einer eingezeichneten Hütte. Zwar wollten wir nicht darin nächtigen, jedoch gingen wir davon aus, dass sich in deren Nähe bestimmt ein Plätzchen finden ließe. Das war auch der Fall, allerdings war die Hütte von der Witterung und wahrscheinlich auch Vandalen so zerstört worden, dass wir nicht in ihrer Nähe bleiben wollten. Das war unser erster wirklicher Fehler. Wir hätten nicht annehmen dürfen, dass die Zeltplätze für unser Zelt mit 12,5 m2 Grundfläche in der russischen Taiga so zahlreich, zumal wir es auf den letzten 5 km ja gesehen hatten, sondern die Störung unseres ästhetischen Empfindens in Kauf nehmen. Taten wir nicht, weswegen wir weiterliefen und nicht so schnell einen neuen Platz fanden.
Die Sonne begann schon unterzugehen, die Laune schlechter zu werden und wir stapften immer noch über Kiesstrände und durch den Wald, der zu dicht war, um unser Zelt sinnvoll aufzubauen. Schließlich beschlossen wir, auf Teufel komm raus einen Platz zu suchen. Wir fanden eine Stelle, die offen genug war, allerdings etwas vom Ufer entfernt und einen federnden Untergrund aufwies. Am Horizont sahen wir auch Feuerschein, Rauch und Boote. Scheinbar lagerten dort schon Menschen. Wir beratschlagten, ob wir uns einfach zu diesen gesellen sollten, da es dort ja wahrscheinlich einen besseren Platz gäbe. Allerdings sah es schon nach einem guten Stück aus und wir waren alle geschafft. Gerade ich war dafür, es trotz der widrigen Bedingungen an Ort und Stelle zu versuchen. Wenn wir mit aller Kraft die Heringe in den Boden hämmern würden, würden wir schon durch die 30 cm dicke Schicht an Moosen und Flechten stoßen und einige Bäumchen waren auch vorhanden, an denen wir die Schlaufen befestigen konnten.
Die anderen gaben sich ebenfalls der Illusion hin und so versuchten wir es. Eigentlich hatten wir nur einen Versuch, da es mittlerweile sehr stark regnete. Es ist zwar theoretisch möglich, das Zelt erst ohne Bodenplane aufzubauen, dass diese nicht nass wird, bei dieser Bodenbeschaffenheit allerdings war es so schwer, dass wir entschieden, den Boden schnell auszuspannen und gleich das Zelt drüberzulegen. Wir haben das Zelt und seinen kleinen Bruder schon öfters bei Regen aufgestellt und es war immer erträglich. Selbst wenn es im Zelt etwas feucht ist, bringt es einen nicht um.
Also begannen wir, stellten jedoch schnell fest, dass wir auf diesem Boden das Zelt zwar zum Stehen bekommen, allerdings kein Sturm kommen durfte, in dem es normalerweise seine Stärken erst entfaltet. Wir vertrauten auf unser Glück, es stand mehr schlecht als recht, aber war immerhin innen nur annehmbar feucht. Während des Aufbaus wurden wir beständig von Mücken geplagt, weswegen wir uns schnell in unser Zelt verkrochen, das eigentlich recht mückendicht ist, wenn man es sauber ausspannt. Wir beschlossen, auch nicht mehr zu kochen, sondern uns mit Studentenfutter, Schokolade und einem Müsliriegel zu begnügen.
Am Rande eine lustige Anekdote, welche bisher schon für viele Lacher gesorgt hat, sogar an diesem Abend, obwohl die Stimmung eher gedrückt war:
Wir lagen schon in den Schlafsäcken, doch ich musste noch eine Kleinigkeit davor erledigen. Ich hatte mich schon der nassen Sachen weitgehend entledigt und trat so vor das Zelt, um es hinter mich zu bringen. Als ich dann also so da in der Taiga stand, wurde mir plötzlich schmerzhaft bewusst, dass ich die Mücken total vergessen hatte, die mich nun an jeglicher zu erdenkender Stelle meines Körpers liebkosten. Die machen wirklich vor gar nichts halt. Laut fluchend rannte ich zurück ins Zelt, wo mich das schadenfrohe Lachen der anderen herzlich willkommen hieß. Diese Begebenheit werde ich nie vergessen
Wir lagen also im Zelt und die Stimmung war wieder einigermaßen gut, da wir ja wussten, dass nun alles gut zu werden versprach und am nächsten Tag alles anders aussehen werde. Wir packten noch unsere Vorräte in einen Sack, der so schwer war, dass er kaum zu tragen war und deponierten diesen gute 100m vom Zelt entfernt (angezogen :P), um nicht noch nächtlichen Besuch vom Verursacher der vor kurzer Zeit gefundenen Spuren zu erhalten.
Andere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wir kaum. Tagsüber hatten wir Bärenglocken an den Rucksäcken und als 5er-Gruppe sollten wir auch so genügend Lärm erzeugen; mehr aus Spaß ließen wir auch immer wieder laute "URSUS"-Rufe durch die Wälder hallen, ergänzt durch "ARCTOS"-Entgegnungen. "Ursus arctos" ist der lateinische Namen des Braunbären, was einen Kenner beider alten Sprachen allerdings erheitern kann, da "arktos" auf Alt-Griechisch "Bär" bedeutet und es so der "Bärbär" ist, nicht zu verwechseln mit dem Barbar oder dem Barbier . Ein Bärenspray hatten wir auch nicht dabei, aber wir sahen auch keinen, nicht einmal aus der Ferne, nur ab und zu Spuren und manchmal beängstigend frische Losung, soweit wir das als Laien beurteilen konnten.
Also beschlossen wir zu schlafen. Dies klappte zuerst nicht allzu gut, da uns immer wieder Mücken peinigten. Ich ging davon aus, dass es wenige im Zelt seien, da eigentlich alles hätte dicht sein müssen und diese sich auf mich konzentrierten, jedoch dachte das wohl jeder. Irgendwann begannen die Gespräche doch wieder und es wurde gefragt, wie viel Zeit denn schon vergangen sei. Die Antwort: 20 Minuten! entmutigte uns als alle, das Jammern begann. Wir dachten schon daran, dass wir unter diesen Umständen die Tour wohl in 3 Tagen durchrennen würden und dann umplanen müssten, jedoch wurden solche Reden sofort als unrealistisch und Gespenster der Nacht abgetan.
Doch jeder klagte über sein Leid, dass gerade ihn die wenigen Mücken belästigen, was uns dann doch so langsam Spanisch vorkam. Wir schalteten die Kopflampen an und entdeckten über uns ganze Wolken von Mücken. So etwas hatte ich noch niemals gesehen und nun war es in unserem Zelt. Das Problem war, dass man sich auch nicht im Schlafsack verkriechen konnte, da es in diesem viel zu heiß war. Wir hatten unsere Schlafsäcke für Temperaturen um den Gefrierpunkt dabei, doch in der Anfangszeit gab es eher Nachttemperaturen im zweistelligen Bereich, sodass man darin vollends eingemummelt an Überhitzung gestorben wäre. Also musste ein Plan her, um den Biestern Herr zu werden. Die ersten Versuche können getrost als verzweifelt bezeichnet werden: So war die erste Idee, einige mit Deo tot zu sprühen, der zweite Plan war, Klebeband aufzuhängen, in dem sie sich verfangen sollten. Beide waren natürlich zum Scheitern verurteilt. Schließlich erinnerte man sich, dass so Getier doch auf Licht stehe. Also stellten wir eine Stirnlampe auf die niedrigste Stufe und banden diese so hoch wie möglich in Dachnähe an die in der Mitte befindliche Zeltstange. Das funktionierte überraschend gut, weswegen wir relativ unbehelligt schlafen konnten, auch wenn sich am nächsten Morgen doch einige Stiche auf unseren Körpern wiederfanden.
Der Schlaf erlöste uns irgendwann wirklich, jedoch war er sehr unruhig, da es nachts doch sehr windig wurde und jeder Angst hatte, dass unser Zelt einfalle, weil es so schlecht aufgestellt war. Auch war es die erste Nacht auf Bärengebiet und gerade ich hatte davor schon Respekt. Doch jede Nacht geht irgendwann vorbei; so auch diese, die ich trotzdem als die schlimmste meines ganzen Lebens bezeichne, in der ich andauernd hoffte, dass es doch endlich Morgen werde.
Gleich vorneweg: Schon die Einleitung und Anreise umfasst mehr als ein paar Wörter, allerdings schildere ich meine Eindrücke auch sehr genau, sodass ich hoffe, dass der ein oder andere in unsere Reise und 4-wöchige Wirklichkeit in einer fremden Welt hineinzuziehen ist. Ich habe den Bericht nicht nur speziell für das Forum verfasst, sondern eigentlich hauptsächlich für mich, weil ich einfach Spaß daran habe. Deswegen ist er auch sehr lange geraten. Für alle, die keine 40 Computer-Textseiten lesen wollen, werde ich am Ende eine Zusammenfassung schreiben, mit allen wichtigen Informationen und einem Fazit zur Reise, nach dem 14., 18. und 25. August ein Zwischenfazit.
Schon seit vielen Jahren machen wir 2-3 wöchige Trekkingreisen und sind dabei durch Schottland, Irland, Schweden (südlicher Kungsleden) und Norwegen (Lofoten und Gebiet um Bodo) gewandert. Wir, das ist eine Gruppe zwischen 3 und 10 jungen Männern aus dem bündischen Umfeld - etwas in der Art von Pfadfindern ;) -, haben dabei beständig unsere Ausrüstung verbessert und Erfahrungen gesammelt, sodass auch unsere Ansprüche gestiegen sind.
Auf diesen Reisen wurde immer wieder der Baikalsee als Fernziel genannt, auch weil der Bund etwas Russland-affin ist und dieser See zudem mystifiziert wird; auch wir stellten uns relativ unberührte Wildnis vor und träumten von der Ferne.
Gerade mir war die Vorstellung doch auch irgendwie suspekt, weil ich dachte, dass es schon sehr weit von meiner geliebten Heimat entfernt ist, es in einem Landstrich liegt, von dem ich annahm, dass die Kriminalitätsrate viel höher liegt als in Europa und auch Bären nicht gerade zu meinen bevorzugten Reisepartnern gehören sollen; auch das Vorurteil, dass "der Ivan" an sich einfach nicht zu den nettesten Menschen gehört, konnte ich nicht ganz verleugnen, obwohl ich keineswegs unaufgeschlossen bin. Deswegen überwand ich mich letztendlich auch dazu, all meine Vorbehalte zu vergessen, um die Vorurteile, die ich eigentlich nicht in meinem Kopf haben will, zu widerlegen. Ohne zu viel zu verraten: Dieses Ziel wurde erreicht und alle Hoffnungen übertroffen
Sobald diese Schwierigkeiten überwunden waren, begannen die Recherchen. Relativ schnell war klar, dass wir den Frolikha Adventure Coastline Track laufen, da wir auch nicht völlig auf einen Weg verzichten wollten, da es uns auch zu hart vorkam, uns weglos ohne einen ortskundigen Guide durch die Taiga zu schlagen. Dieser Weg wurde von Baikalplan e.V., ansässig in Dresden, angelegt und wird bis heute von diesen mit Hilfe Freiwilliger einigermaßen gepflegt. Es gibt da irgendwie ein Projekt, um in ferner Zukunft ein größeres Wanderwegenetz um den Baikalsee herum anzulegen, genauere Infos könnt ihr aber deren Homepage entnehmen . Der Track hat insgesamt so um die 100 km Länge, wobei der Hauptteil von einer Rangerstation bis Khakussy so ungefähr 70km lang ist. Um zum Startpunkt zu gelangen, haben wir uns in Sewerobaikalsk ein Boot mit Fahrer gemietet, welches uns dahin brachte; von Khakussy aus fährt ein Linienboot zurück nach Nischneangarsk, von wo aus wiederum ein Bus zurück nach Sewerobaikalsk fährt. Südlich von Khakussy kann man noch ein-zwei Tagestouren machen, aber es empfiehlt sich preistechnisch meiner Meinung nach, wieder von Khakussy aus zurückzufahren. Auch unterwegs gibt es schon die ein oder andere Alternativroute, welche einen Schlenker in die Berge macht, die dort bis zu 2000 m hoch sind und recht wild schienen. Dort ist meiner Meinung nach eher mit Wild- und Trampelpfaden zu rechnen, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, da wir auf dem Hauptweg geblieben sind, auch da dort die Mückendichte nicht ganz so hoch war wie im tiefsten Wald, doch dazu später mehr.
Also bestellten wir uns das Material, welches von diesem Verein zusammengestellt wurde (die Trailbeschreibung und eine grobe Karte) und suchten weitere Karten aus diversen Quellen zusammen, welche allerdings alle nicht allzu detailliert waren. 70 Kilometer + Tagestouren und Ausflüge erschien uns zwar nicht viel, auch wenn wir dieses täglich nicht allzu viel laufen wollten - die vorherigen Jahre haben auch immer unsere 20 km am Tag runtergespult -, sondern die Landschaft genießen wollten, vielleicht auch mal einen Ruhetag zum Angeln und Relaxen einzulegen gedachten usw., trotzdem planten wir 9 Tage zwischen Ankunft und Abfahrt ein. Nach dieser Tour wollten wir noch eine kleinere Wanderung an anderer Stelle machen, entweder auf der Insel Olchon oder südlich von Sewerobaikalsk, wo es auch einen Trail gibt, das wurde allerdings letztendlich erst kurz vor der Abreise beziehungsweise während der ersten Wanderung entschieden.
Der grobe Plan sah also vor, etwas länger als zwei Wochen am Baikalsee unterwegs zu sein, dann mit der Transsibirischen Eisenbahn von Irkutsk nach Moskau zu fahren (ungefähr 4 Tage Fahrtzeit) und noch einige Tage in der größten Stadt Europas zu verbringen - die volle Dosis also. Also buchten wir die Flüge von Dresden nach Irkutsk und von Moskau nach Dresden bei einem kleinen russischen Reisebüro, das sich auch um die benötigten Visa kümmerte, und begannen mit den Nachforschungen, wie wir die restliche Strecke zu den Trails und von dort zur festen Station Irkutsk, von wo aus unser Zug abfuhr, zurücklegen konnten.
Gerade die Buchung über ein solches Reisebüro kann ich Russlandreisen-Interessierten wärmstens empfehlen. Die Flüge waren unvergleichbar günstig und die Rennerei zur Visabeschaffung wurde uns ebenfalls für einen Spottpreis abgenommen, nur muss akzeptiert werden, dass sich das Personal am Telefon erstmal auf Russisch meldet und auch danach auf Deutsch sehr russisch telefoniert, was bedeutet, dass sie nicht besonders freundlich sind und Verabschiedungsformeln usw. nicht bekannt sind. Das ist allerdings normal, wenn man meiner russischen Dozentin glaubt und man wird dafür umso überraschter sein, wenn man den Russen bei persönlicher Begegnung vis-a-vis aufgeschlossen entgegentritt und dann sofort als Freund behandelt wird, weshalb man gleich auf 1-10 Wodka eingeladen wird.
Die restliche Planung funktionierte mit Hilfe des Internets überraschend gut. Langsam - fast so langsam wie sich dieser Bericht entwickelt :P - nahm der Plan endgültige Konturen an. So buchten wir, um von Irkutsk nach Sewerobaikalsk zu gelangen, zwei Fahrten auf der Raketa, einem Tragflächenboot, das mit guten 50 km/h den Baikalsee befährt, wodurch man ihn in 11 Stunden beinahe in der gesamten Länge durchqueren kann, nach Sewerobaikalsk und von dort 12 Tage später auf die Insel Olchon; falls wir dann doch den anderen Trail hätten gehen wollen, wären wir mit dem Minibus von dort nach Irkutsk gerattert, was dann später doch auch geschah, nachdem wir auf Olchon wandern waren. Selbst für diese Verbindung war online ein Fahrplan aufzutreiben, der tatsächlich auch eingehalten wurde.
Generell zweifelte an dem reibungslosen Ablauf des gesamten Transportes die Mutter eines Mitreisenden, die in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen war und dort auch zeitweise bei der Transsib gearbeitet hat; doch ihre Bedenken wurden nicht bestätigt, sondern es klappte alles beängstigend gut: So wurden unsere Onlinetickets auf der Raketa und in der transsibirischen Eisenbahn akzeptiert und alle angekündigten Busse und Schiffe fuhren pünktlich ab. Dass Vieles so reibungslos ablief und wir so intensiv die Kultur aufnehmen konnten, haben wir allerdings auch ihr und den Russisch-Kenntnissen ihres Sohnes zu verdanken. So wurde so manche Information nochmal am Telefon bestätigt und eingeholt oder unser Kommen im Voraus angekündigt.
Falls jemand noch Fragen zu organisatorischen Gesichtspunkten hat, kann er sich gerne per PM melden. Im Voraus entschuldige ich mich für meinen manchmal zu hypotaktischen Stil; ich versuche, das weitgehend zu unterlassen und bemühe mich, den Text ab und zu etwas aufzulockern, aber ich muss zugeben, dass ich kein sonderlich kreativer Schreiberling bin, sondern eher ein hart arbeitender Wörterschmied, um die Worte von besseren Autoren aufzugreifen. So, nach langer Vorrede und vielen Andeutungen geht's jetzt dann endlich los.
Rechtschreibfehler dürfen vom Finder einbehalten werden, wenn ich manchmal aus dem Tempus-System gefallen sein sollte, ist das dramatisches Präsens oder künstlerische Freiheit Da ich während der Reise kein Tagebuch verfasst habe, sondern alles im Rückblick aufgezeichnet habe, ist der Bericht auch dementsprechend verfasst worden. Auch die Bilder sind nicht bearbeitet, sondern ich stelle sie so hier ein, wie sie aufgenommen wurden; Quantität statt Qualität :P Der Bericht liegt fertig auf dem PC, sodass ihr euch nicht allzu lange gedulden müsste, jedoch habe ich nicht allzu viel Zeit, aber ich versuche, jeden Tag 2 Reisetage hochzustellen. Die Bilderdichte nimmt natürlich zu, sobald der Bericht in die heiße Phase kommt und wir auch in der Natur sein werden.
1.11.-3.11: Anreise. Der lange Weg ans Ende der Welt
Früh am Morgen begann unsere Reise ab Stuttgart, die uns in den nächsten 48 Stunden 5000 km in den Osten führen sollte. Wir wurden zum Streitbahnhof kutschiert und fuhren oberirdisch mit unserem rail-and-fly-Ticket zu dritt los, um unterwegs in Frankfurt noch die letzten beiden Mitreisenden einzusammeln. Ich und eine weitere Person, nennen wir sie einfach Hermann, waren die einzigen, die alle Mitreisenden kennen und beschlossen haben, dass man sich schon verträgt. Wir scherzten noch auf der weiteren Fahrt nach Dresden, suchten raus, welche Fische man im Baikal fangen kann und welche davon essbar sind. Eine Angel hatten wir dabei und hofften, dass der Besitzer erfolgreicher Fische fängt als er das in Norwegen getan hatte (Spoiler: unsere Hoffnung sollte enttäuscht werden :P). Nachdem wir in Dresden angekommen waren, wogen wir unsere Rucksäcke, in denen noch kein Essen und Gruppenmaterial verstaut war, und jeder, der mehr als 8 Kilo Basisgewicht hatte, wurde ausgelacht und darauf hingewiesen, dass er trotzdem denselben Anteil an Gemeinschaftsmaterial zu tragen hat.
Wir hatten schon zuvor fast das ganze Essen für die erste Tour, also um die 10 Tage eingekauft, sodass es nun 24 kg auf 5 Rucksäcke zu verteilen gab, dazu unser Palast von einem Zelt, ein Lavvo für 6-8 Personen von Bergans of Norway, das sich schon auf zahlreichen Touren bewährt hat, und Materialen wie (Benzin-)Kocher, Pötte, Beil und Spaten. Nach dieser doch als episch zu bezeichnenden Packaktion mitten im Dresdner Flughafen, die uns einige komische Blicke einbrachte, hatte jeder so um die 20 kg Rucksackgewicht und noch Kleinigkeiten im Handgepäck. Wir checkten ein und gingen durch die Passkontrolle. Der freundliche Beamte war not amused, dass das Reisebüro einen Teil des Visums direkt in unsere Reisepässe getackert hatte und murmelte irgendwas von Beschädigung von Staatseigentum. Das war einer der letzten deutschen Sätze, die wir von fremden Lippen vernahmen.
Im Flugzeug der Aeroflot wurde dann fast ausschließlich Russisch gesprochen, sowohl von den Passagieren als auch vom Personal. Trotzdem war ich von der Airline eigentlich positiv überrascht. Die Maschine war eine recht neue Boeing, das Personal freundlich und es gab sogar eine Kleinigkeit zu essen, wenn es auch nur das typische Flugzeugessen war, alles einzeln in Plastik verpackt, worauf ich sofort an die Umweltverschmutzung und Fightclub denken musste Nach einem ungefähr zweistündigen Flug landeten wir in Moskau, wo wir einige Stunden Aufenthalt hatten.
Mitten in der Nacht ging es weiter, nachdem wir unser Gepäck aufgenommen und sofort wieder abgegeben hatten; zwar waren in Moskau die Schilder noch zweisprachig, das Flughafenpersonal sprach aber selten Englisch. Während des 5-stündigen Fluges konnte man kaum schlafen, da erst immer wieder Airline-Personal kam und einem etwas zu essen brachte - kurz nach dem Start gab es Fisch oder Fleisch. Ich entschied mich für Fleisch, weil der Fisch doch sehr fischig roch, das Fleisch schmeckte aber auch leicht nach Hammel, wie ich später feststellen musste; na ja, ich hab schon schlechter gegessen, wenn ich einmal an meine Schulzeit und die schuleigene Mensa zurückdenke
Später ließ der Blick aus dem Fenster dann nicht mehr an Schlaf denken. Unter dem Flugzeug war endlose 'Tundra'-Steppen, Taiga und Gebirgslandschaft zu sehen, worauf die Sehnsucht wuchs, endlich zu landen und durch dieses Abenteuerland zu streifen. Wir landeten irgendwann am Vormittag und waren froh, relativ schnell unsere Rucksäcke vom Gepäckband aufzusammeln zu können. Mittlerweile sprach kein Mensch mehr Englisch und auch die Schilder zeigten nur noch kyrillische Buchstaben, die wir immerhin alle entziffern konnten, da drei von uns ein Semester Sprachkurs an der Uni besucht hatten, einer sogar drei Semester und der fünfte im Bunde die Sprache auf Grund seines familiären Hintergrundes fließend sprach. Wir setzten uns erstmal vor das Terminal und chillten einige Minuten, was auf dieser Reise noch zu einer unserer Hauptbeschäftigungen werden sollte
Während Shop, der Übersetzer, noch nach einem Bus in die Innenstadt von Irkutsk suchte, saßen wir also vor dem Flughafen, gingen nochmal ab und zu durch die Sicherheitsschleuse ins Innere. Schon zu Beginn sprach uns sofort ein Taxifahrer an, dessen Angebot wir allerdings noch ablehnten, um es später dann anzunehmen, nachdem er den Preis noch deutlich gesenkt hatte (Wahrscheinlich haben wir immer noch zu viel bezahlt :P).
So quetschten wir also ein paar der Rucksäcke in den Kofferraum und den Rest nahmen wir auf den Schoß, denn dort war auf den vier Beinpaaren, welche sich auf der Rückbank eingefunden hatten, noch reichlich Platz. Anschnallen konnte man sich eigentlich nicht, was ich zuerst nicht allzu tragisch sah, jedoch überdenken musste, als ich die Fahrweise des Taxifahrers bemerkte, welcher übrigens etwas Deutsch beherrschte, weil er das vor ewigen Zeiten einmal studiert hatte, und dazu den für europäische Verhältnisse komplett chaotischen Verkehr. So fuhren wir auf dem Weg zur Raketa-Station an einem Unfall vorbei, der mehrere Autos mit Totalschaden hervorgebracht hatte, aber wir hatten es ja nicht mehr weit. Von der Stadt sah man nicht viel. Die Häuser sahen auf den ersten Blick nach typischen Plattenbauten aus, die eben noch etwas heruntergekommener aussahen als die deutschen Pendants.
Wir stiegen nun also am Ufer des Baikalsees aus dem Auto aus und sahen das erste Mal richtig das Gewässer, das uns die nächsten Wochen Getränkelieferant, Badewanne, Waschmaschine und Musiker, der unsere 'Musik' zum Einschlafen liefert, sein sollte. Bisher war das allerdings noch keine allzu aufregende Vorstellung, da man sich noch in der Zivilisation befand und vielleicht von der schon langen Anreise etwas müde war, die aber noch einige Stunden dauern sollte. Das Tragflächenboot legt nur früh am Morgen ab, weshalb wir fast einen ganzen Tag und die Nacht warten mussten bis es weiterging. Diesen wollten wir nutzen, um noch ein paar Dinge wie Mehl, Tee usw. einzukaufen, welche wir nicht eingeführt hatten, weil es sie überall gibt.
Also ließen wir unsere Rucksäcke in der Raketa-Station; auch dort hatten wir zuvor angerufen und gefragt, ob wir dort irgendwie übernachten können. Wir durften unser Zelt auf der angrenzenden, verschmutzten 'Wiese' aufstellen, worüber der Nachtwächter noch kurz informiert wurde, was natürlich äußerst praktisch war, da wir morgens nur einzupacken brauchten und uns auf's Schiff begeben konnten. In dem Gebäude saßen den ganzen Tag mehrere Männer von der Polizei oder Miliz, spielten Karten oder starrten in den aufgehängten Flachbildfernseher. Ich mochte ihre Uniformen :P.
Wir begaben uns zur Bushaltestelle und ich war sehr verwundert, als dann schließlich ein Minibus kam, ein asiatisches Fabrikat, einem alten Sprinter nicht ganz unähnlich, der ungefähr 10 Sitzplätze bot, die auf der Fahrt dann aber nach und nach mit ungefähr 17 Leuten besetzt wurden, denn auf einem normalen Sitz haben in Russland auch 2 Leute Platz :P Es wäre in Deutschland wohl niemals denkbar, dass sie zwei fremde Leute auf einen Sitz quetschen wie Schulmädchen, die nicht wollen, dass ihre beste Freundin die Fahrt zur Schule stehend verbringen muss. Auch die Bezahlung war hier etwas anders geregelt. So steigt man einfach ein und wenn man wieder aussteigt, gibt man dem Fahrer einen festen Betrag, egal wie weit man mitgefahren ist, der übrigens sehr niedrig ist. Auch dieser Fahrer passte sich den örtlichen Gepflogenheiten im Verkehrsgeschehen an, sodass ich manches Mal befürchtete, wir würden gleich ein Auto einfach wegschieben oder es von hinten rammen, wodurch wir alle durch den Bus geschleudert werden. An diese Fahrweise und den Verkehr gewöhnte ich mich allerdings recht schnell, sodass ich auf der Rückfahrt bereits deutlich entspannter war.
Aus dem Bus ausgestiegen bot sich uns im Zentrum ein ganz anderes Bild von der Stadt. Hier war alles deutlich asiatisch geprägt. Gleichzeitig fuhren sehr alte Trams durch die Straßen. Wir fühlten uns alle etwas verloren inmitten der Menschenmassen und der fremden Umgebung. Das kann man wohl irgendwie als Kulturschock bezeichnen, der noch verstärkt wurde, als wir dann schließlich zu unserem Ziel gelangten, dem Markt. Dieser befand sich zum Teil auf einem Platz vor einem großen Gebäude, der Markthalle, in welcher sich der Hauptteil befand.
Die Markthalle gab mir nun völlig den Rest. Es befanden sich dort zahlreiche Buden, wovon allerdings viele das gleiche Sortiment hatte. So gab es jeweils mehrere Süßigkeiten-Stände, 'Bäckereien', die Süßes und Herzhaftes anboten, Tee-Stände, Gemischtwaren-Stände, wo es Mehl, Zucker usw. erworben werden konnte und Getränkestände. Obst und Gemüse befanden auf dem vorgelagerten Platz. Im hinteren Teil der Halle wurde Fleisch und Fisch verkauft. Spätestens da zweifelte ich, ob ich hier denn richtig sei, da es dort sehr stark nach Fisch und Schwein roch, zusammenfassend nicht allzu appetitlich. Ich kann nicht leugnen, dass ich in dieser Zeit doch etwas schlecht gelaunt war.
Wir machten unsere Besorgungen also auf diesem Markt, auch wenn ich mir in diesem Moment einfach nur einen Supermarkt gewünscht hätte, der doch irgendwie überall auf der Welt gleich ein gewohntes und sicheres Konsum- Gefühl vermittelt. Neben den Besorgungen für unsere Reise nahmen wir noch 3 geräucherte Omule, ein endemischer, sehr fettiger Salmonid, der nur in der Baikalregion vorkommt, Brot, ein paar Nusshörnchen und eine Melone zum Abendessen mit und gönnten uns sofort einen Kwas, von einer alten Frau aus einem ganzen Tank davon in eine Plastikflasche abgefüllt (vergleiche Wikipedia 'Kwas', zweites Bild :P).
Nachdem wir uns ebenfalls eine russische Prepaid-Karte besorgt hatten, mit der man übrigens wirklich sehr günstig ins deutsche Netz telefonieren kann, obwohl man diese eigentlich nur mit Registrierung bekommt, die wir uns erst später in Sewerobaikalsk abholten, fuhren wir auf dieselbe Weise zurück zu unserem Zeltplatz, in einem Minibus. Wir entspannten noch in der Nachmittagssonne, aßen unsere eingekauften Vorräte und bauten das Zelt auf.
Soweit ich mich erinnere, verkrochen wir uns auch recht früh in unsere Schlafsäcke, da wir alle doch von der Reise geschafft waren und am nächsten Morgen das Schiff auch früh ablegen sollte. Es regnete gleich in der ersten Nacht leicht, was aber irgendwann wenigstens die Jugendlichen vertrieb, die keine 20 Meter von unserem Zelt wohl angeheitert lautstark sich auf einem alten Spielplatz aufhielten, wenn man das so nennen darf.
Der nächste Tag verlief dann wirklich unspektakulär. Wir standen auf, packten zusammen und warteten auf die Ankunft des Bootes. Während des Wartens kamen immer mehr Passagiere, teilweise ebenfalls mit Rucksäcken, oftmals jedoch mit 'normalem' Gepäck. Es gab etwas Verwirrrung, ob das irgendwann ankommende Boot nun das unsrige sei, weil es kein Tragflächenboot war, was allerdings durch unseren 'Russen' schnell gelöst werden konnte. Wir mussten mit diesem Boot nach Port Baikal und dort umsteigen. Während des Wartens fielen mir auch einige Menschen mit getatzten Jacken und Deuter-Rucksäcken auf; die Ahnung bestätigte sich beim Vorbeilaufen, allerdings gab ich mich ihnen nicht zu erkennen. Ich war im Urlaub und damit weg von Deutschland.
Die erste Bootsfahrt war dann wahrlich nicht sehr aufregend, nur das im Nebel verschwindende Irkutsk bot einen schönen Anblick und auch Port Baikal sah im Nebel auftauchend faszinierend aus, fast wie ein Schifffriedhof, da dort einige sehr alte und wahrscheinlich nicht mehr im Dienst befindliche Boote lagen. Auf dem See ging erst ein starker Wind, der sich im Laufe des Tages allerdings legte, sodass wir auf spiegelglatter See fahren konnten.
Der Umstieg in die Raketa ist allerdings auch noch eine Erwähnung wert. Wir saßen im hinteren Bootsteil und mussten so am Funkraum vorbei, der in etwa aussah wie das Wohnzimmer meiner 80-jährigen Oma. Als ich dadurch also abschätzen konnte, wie alt dieses Schiff war, dachte ich mir, dass es einmal der Stolz der Sowjets gewesen sein musste, was mich jedoch eher beruhigte als stutzig machte, denn im Schwarzwald fahren noch heute alte Schneeraupen aus der UdSSR durch die Gegend, wenn nichts anderes mehr dem Schnee trotzen kann und auch der Chef meines Kumpels aus der ehemaligen DDR, welcher heute bei einem namenhaften Institut arbeitet, meinte, dass die Sowjettechnik unzerstörbar gewesen sei, sobald man sie einmal zum Laufen gebracht habe. Also setze ich mich auf einen der Sitze, die denen in alten Bahnen gleichen und wartete auf den 'Start'.
Zwar bemerkte man nach diesem während der Fahrt überhaupt keinen Wellengang, allerdings sorgten die Motoren und der Luftwiderstand für einen Geräuschpegel, der jeden normalen Menschen wohl am Schlafen gehindert hätte, mich allerdings nicht :P So verschlief ich wohl gut 2/3 der Fahrt, aber während des restlichen vier Stunden blieb auch noch genügend Zeit, um zu essen, zu lesen und vor allem immer wieder hinauszugehen, um die vorbeifliegende Landschaft zu bewundern oder froh darüber zu sein, dass ich so viel geschlafen hab, damit ich nicht die blonde Beth Ditto in viel zu engem Kleid sehen musste, welche am 'Kiosk' stand, Wurstbrote schmierte und einfach nicht schön aussah.
Doch noch 1-2 Worte zur Landschaft, welche ihr auch auf den Bildern betrachten könnt. Man sah hauptsächlich kleinere Berge, die vollständig bewaldet waren und dazwischen immer wieder winzige Ortschaften oder Fischersiedlungen am Ufer. Auf jeden Fall wuchs der Wunsch bei diesem Anblick, endlich auch diese Gebiete zu durchstreichen, an eben diesem Ufer zu sitzen und den Blick in die andere Richtung zu genießen, auf den See, welcher von dort aus wie ein Meer zu sein scheint.
Nach 11 Stunden Fahrt kamen wir dann gegen 20 Uhr in Sewerobaikalsk an, wo und Evgenij schon erwartete. Er betreibt ein Hostel, das mit Hilfe des Baikalplan e.V. aufgebaut wurde und seitdem ist er eigentliche eine feste Durchgangsstation auf dem Weg zum F.A.C.T. (Auf der HP: baikaltrail.ru gibt es weitere Infos zu dem netten Herren). Er hatte zwei Taxen mit zum Hafen gebracht, die uns schnurstracks zum Hostel beförderten, beschallt wurden wir von regionaler Folklore-Musik, was mir sehr gefiel. Unser Taxi, in dem Evgenij nicht saß, war als erstes da. Wir wurden vor mehreren Plattenbauten abgesetzt und haben uns erstmal gefragt, wo denn nun das Hostel sei. Nach einigen Minuten kam das andere Taxi mit unserem Host. Er spazierte zu einem der Plattenbauten und führte uns in den ersten Stock, wo er die Wohnung angemietet hat. In ihr befinden sich zwei Schlafräume, eine Küche, ein Bad mit Dusche und ein Toilettenraum.
Alles sah ganz sauber aus und sogar W-LAN war vorhanden, sodass ich mich erstmal daheim melden konnte. Normalerweise versuche ich, das auf das Nötigste zu beschränken, dieses Mal war es mir allerdings wichtig, mich so oft wie möglich daheim zu melden, da ich einen guten Monat vor unserer Abreise eine ganz besondere Frau kennenlernte, welche ich nicht für 4 Wochen vergessen konnte. Sie schwirrte die ganze Zeit in meinem Kopf herum und ich konnte oft die Reise erst richtig genießen, wenn ich ihr eine SMS senden konnte oder gar eine von ihr empfangen konnte. Bei mir ging es nicht so weit, wie das bei dem User Fliehender der Fall war, dass mein Heimweh und meine Sehnsucht nach ihr mir die Laune ganz vermiesen konnten, jedoch war diese unbestreitbar besser, wenn wir nicht für mehrere Tage gar keinen Kontakt hatten.
Evgenij meinte, dass wir ja Hunger haben müssten, was wir eigentlich nicht bestätigten, aber er kochte uns trotzdem etwas zu essen. Er öffnete eine Dose Fleisch, erinnerte mich zuerst etwas an Hundefutter, war dann allerdings doch recht gut, briet dies mit Zwiebeln an und kochte dazu Buchweizen ab, dazu gab es die obligatorische rohe Gurke und Tomate.
Gurken und Tomaten bekamen wir gerade in Sibirien sehr oft und sahen diese auch die Russen bei jeder Mahlzeit verspeisen. Manchmal waren sie roh und manchmal gab es eingelegte Gurken, ähnlich unseren Essiggurken, die jedoch nur in Salzlake mit Dillblüten und einigen anderen Gewürzen eingelegt waren. Die gibt's auch in Moskau auf den Märkten zu kaufen und sie sind unglaublich lecker, aber mir ist der Name gerade leider entfallen, aber wenn sich jemand dafür interessiert, frage ich unseren Experten.
Eigentlich dachten wir erst, dass Evgenij uns zu dem Essen einlädt, jedoch stellte er es uns am Ende in Rechnung, was wir ihm natürlich nicht übelnahmen, da er viel für uns getan hat. So gab er während des Kochens die letzten Tipps und verließ uns dann gegen späten Abend, ohne mit uns noch einen- zehn Wodka zu trinken, da er Antialkoholiker ist; wir sollten mit Russen noch genügend Wodka trinken ;)
Wir genossen das letzte Mal für die nächsten Tage die Annehmlichkeiten der Zivilisation, duschten und saßen noch lange am Küchentisch, um die schwäbische Kultur, in Form von Benoggl, einem Kartenspiel, auch 5000 km fern der Heimat hochzuhalten. Zuletzt erlaubten wir uns noch einen Spaß mit der stylischen Leopardendecke, machten damit ein paar Fotos, die auch in einem osteuropäischen Soft-Pornofilm hätten gezeigt werden können, und lasen das Gästebuch, in welchem Einträge von Personen aus der ganzen Welt zu finden waren, die in letzter Zeit allerdings mehrfach von zahlreichen regnerischen Tagen auf verschiedenen Trails berichteten. Wir hatten auf all unseren Fahrten immer unerhörtes Glück mit dem Wetter und darauf verließen wir uns auch dieses Mal, weswegen wir beruhigt einschliefen und am nächsten Morgen nicht allzu spät aufstanden.
4. August: Endlich in der Natur
Der Plan war, morgens noch ein paar Dinge mit den Behörden zu klären, Benzin für unseren Kocher zu besorgen und dann gegen frühen Mittag mit dem von Evgenij gemieteten Boot samt Fahrer zum Trail zu fahren. Erst lief alles nach diesem Plan. Evgenij übernahm für uns die Registrierung bei der örtlichen Behörde, welche wir allerdings erst bei unserer Rückkehr ausgehändigt bekommen sollten, wir registrierten uns als Wanderer, die den Nationalpark durchqueren dürfen, was uns einen lächerlichen Betrag abverlangte und Evgenij schläuchelte uns Benzin aus einem Auto, was ihm ein Freund vorbeibrachte, auch wenn die Tankstelle eigentlich nur 500m vom Hostel entfernt gewesen wäre :P
Dann kam leider ein Anruf, dass die Überfahrt bei dem Wetter nicht zu machen sei. Wir fragten uns: Welches Wetter? Denn es gab blauen Himmel und kaum Wind, aber man vertraut einem ortsansässigen Seemann dann doch mehr als seinem eigenen Landrattenverstand. Also mussten wir warten.
Evgenij sagte, dass er uns anriefe, sobald es Neues gebe, weswegen wir kurzerhand zum See liefen, ungefähr 2 km weit und dort am Kiesstrand mal wieder chillten, was bedeutete, dass wir Steine ins Wasser warfen, schnitzten oder uns einfach nur ausruhten. Auf dem Weg dorthin war uns im Wald die erste inoffizielle Entsorgungsstätte für Plastik aufgefallen. Man hatte einfach ein großes Loch gegraben und darin lagen nun hunderte von Plastikflaschen - Müllentsorgung auf Russisch. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass wir verwundert bis schockiert waren.
In der Zeit des Wartens wurde das Wetter immer schlechter, sodass wir schon befürchteten, heute nicht mehr von hier wegzukommen. Doch plötzlich kam der Anruf, dass wir nun übersetzen können. Auf dem Rückweg Evgenij spekulierten wird, ob der Kapitän vielleicht auf einen von uns angebotenen Gefahrenzuschlag gehofft hatte und nun einfach nachgab, aber bei der Spekulation blieb es und mittlerweile war es uns auch recht egal, da es endlich loszugehen schien
Auf dem Rückweg überquerten wir zum wiederholten Male die Eisenbahnschienen der B.A.M. Auf dem Bahnhof war viel Betrieb, hauptsächlich Güterverkehr wurde gesteuert. Evgenij berichtete uns, dass man in dieser Stadt entweder vom Tourismus oder von der Eisenbahn lebe, was uns sofort einleuchtend erschien.
Auch sahen wir an diesem Tag, da es im Gegensatz zu unserer Ankunft hell war, vollständig, wo wir überhaupt gelandet waren. Die Plattenbausiedlung sah so aus, wie man sie sich in Russland vorstellte: alt, irgendwie etwas heruntergekommen und vor den Häusern verweste ein toter Hund.
Nachdem wir angekommen waren, bezahlten wir Evgenij, reservierten uns noch fünf Betten, wenn wir dann in 10 Tagen zurückkommen sollten, um nach einer Nacht mit der Raketa wieder abzufahren und verabschiedeten uns in angemessener Form. Er hatte uns noch den Weg zurück zum 'Hafen' erklärt, den wir an diesem Tag zu Fuß zurücklegen wollten, da es nur ungefähr 3 km waren. Unterwegs begann es dann zu regnen, weswegen wir gleich zu Beginn unsere Regenklamotten überziehen durften. Kurz vor unserem Ziel lag auch eine Basis der Marine, aus deren Mitte wir später noch ehemalige Kampftaucher kennenlernen sollten.
Einen Tag zuvor kamen wir an deren Rand an und mussten auch durch einen Schlagbaum der Basis, um nach draußen zu gelangen, was ich aber erst an diesem Tag kapierte. Im danebenliegenden Hafen lagen kleine Boote und sehr kleine Boote; wir fragten uns, auf welcher dieser Jollen wir über eine Stunde quer über mittlerweile doch recht unruhigen Baikal fahren durften. Unseren Kapitän fanden wir rasch. Sein Boot war kein sehr kleines Boot sondern nur ein kleines, das er mit einer Plane überspannt hatte, um uns etwas vor dem strömenden Regen zu schützen. Der Zugang zum "Lade- und Passagierraum" war ungefähr einen Fuß breit und befand sich seitlich des Bootes. Ich selbst habe mit über 20 kg Rucksackgewicht nicht das allerbeste Gleichgewicht, wie ich leider zugeben muss, weswegen ich mich schon im kalten See schwimmen sah. Den Rucksack nahm man mir ab, wie noch das ein oder andere Mal auf der Tour, wenn es über eine sehr schmale Brücke ging - hiermit nochmal ein Dank an meine Mitreisenden - und das Einsteigen ging dann ganz gut. Alle waren im Boot, bekamen Schwimmwesten und dann ging es ging los.
Wir sahen Sewerobaikalsk immer kleiner werden und gewöhnten uns an den Wellengang, so sehr, dass jemand sogar schlafen konnte. Zwischenzeitlich sah man kein Ufer mehr, bis am Horizont langsam Berge auftauchten. Auch diese waren bewaldet, nur dieses Mal so hoch, dass die Baumgrenze auch überschritten wurde. Alles lag im Nebel und sah einfach magisch aus, was leider auf den Fotos nicht rauskommt, obwohl wir sehr gute Kameras dabei hatten, da es einfach zu 'diesig' war.
Als diese Landschaft schon greifbar nah schien, setzten wir schließlich auf Grund. Der Kapitän, von dem wir eigentlich annahmen, dass er diese Tour schon einmal gemacht hätte, schien ziemlich ratlos, versuche erst den Motor weniger steil ins Wasser zu setzen und dann mit dem Ruder aus dieser Situation zu kommen, auch sein GPS lieferte ihm keine Lösung. So schickte er einen von uns zum Sichten der Wassertiefe auf den Bug, aber auf dieser Seite der Landzunge, auf welcher die Rangerstation schon zu sehen war, konnte man nicht bis zum Ufer fahren. Da wir meinten, irgendwo gelesen zu haben, dass auf der Rückseite ein Anlegesteg sein sollte, wiesen wir ihn dorthin. Tatsächlich war ein Anlegesteg zu sehen, auch wenn der Tiefgang für den Motor wieder zu hoch war, sodass die letzten Meter wieder mit dem Ruder zurückgelegt werden mussten.
Doch endlich waren wir da. Vor uns lag ein Sumpf, dahinter thronten majestätisch Berge, die Vögel zwitscherten und es regnete immer noch. Der Ranger war nicht da, nur sein Hund bewachte die Station. Später erfuhren wird, dass er im Krankenhaus sei, weswegen man nicht dort übernachten könnte, was grundsätzlich möglich sein müsste. Wir stellten uns unter einen Unterstand und holten unser Mittagessen nach.
Dieses Bestand wie in den kommenden Tagen aus einem Snickers, 2-3 Fetzen Beefjerkey und 2 Händen Studentenfutter. An den restlichen Tagen der Tour kamen noch 2 Fladenbrote dazu. Diese brieten wir abends meist über den Feuer raus. Der Teig ist dem von Naan-Brot sehr ähnlich; er besteht aus Trockenhefe, Zucker, Salz, Milchpulver, Mehl und Wasser. Unsere Abende liefen so ab, dass zwei Leute das Zelt aufbauten, einer den Teig machte, einer Feuer machte und der 5. je nach Zustand entweder ausruhen durfte, jemandem zur Hand gehen musste oder andere Aufgaben übernahm wie weiteres Holz zu suchen und die Angel ins Wasser zu halten.
Just bemerkten wir das, was wir auch befürchtet hatten: Mücken. Was diese Plagegeister angeht, waren wir zugegeben schlecht vorbereitet, auch wenn wir schon über sie nachgedacht hatten. Nur Shop hatte Mückenschutzmittel dabei, das wir bald auf unsere Gesichter und Hände auftrugen, der restliche Körper war sowieso von Regenjacke und langer Hose bedeckt (wir hatten keine Regenhose dabei, da wir alle kein Geld dafür ausgeben wollten, weil die Hosen von Fjällraven sowieso so schnell trocknen, dass es sich kaum lohnt. Wenn es also regnet, tragen wir tagsüber die nassen Hosen, lassen sie abends auch im Zelt noch eine geraume Weile an, um sie am Körper zu trocknen und ziehen sie am nächsten Morgen wieder an, auch wenn sie noch etwas klamm sind. So halten wir es seit Jahren, aber bisher hatten wir auch das Glück, dass es selten mehrere Tage am Stück regnete, sodass wir sie spätestens am nächsten Wandertag vollends am Körper trocknen konnten). Leider half auch das Mittel nur bedingt; die Biester flogen in die Ohren, in die Nase und in die Augen. Das hatte ich mir so nicht vorgestellt; wir waren zwar schon in Schweden und Norwegen, wobei es da wohl in beiden Regionen und zu der Jahreszeit einfach zu kalt war. Ich wähnte mich zuerst in der Hölle, gewöhnte mich aber mit der Zeit doch etwas daran, meiner Seneca und Marc-Aurel-Lektüre sei Dank
Na ja, es hieß trotzdem: Und los! Reiten wir in den Sonnenuntergang. Hühühühüüü! Ruhig Brauner! Tatsächlich war es nämlich schon später Nachmittag und wir wollten doch noch ein bisschen Strecke reißen. Die ersten paar Kilometer führten uns durch eine Dünenlandschaft, am Horizont sah man wieder das Gebirge.
Das Laufen durch den tiefen Sand mit den schweren Rucksäcken schlauchte sofort, die Mücken waren unerbittlich und die Dichte an ihnen nahm noch merkbar zu. Himmel und Hölle können eben sehr nahe beisammen liegen.
Leider sah auch der See bei diesem Wetter nicht sehr gut aus. Ich konnte die Scheuklappen leider auch nicht ausblenden, weswegen mein Blick getrübt war. Am Strand lag nämlich sehr viel angeschwemmter Müll, der das Bild nicht unbedingt so romantisch zeichnete wie ich es erhofft hatte. Strapazen bin ich gewöhnt und damit kann ich umgehen, aber verschmutzte Umwelt zieht mich runter, vor allem bei diesem anhaltenden Regenwetter.
Auch die Wasserqualität konnte nicht als gut eingestuft werden. Es hieß, dass man direkt aus dem See trinken könne, jedoch war das zu diesem Zeitpunkt schwer denkbar. Am Strand fanden wir auch bald unsere ersten Bärenspuren. Zusammenfassend: Vor wenigen Stunden befanden wir uns noch in der warmen Zivilisation, nun wurden wir ins eiskalte Wasser geworfen. Da wir aber keine kompletten Anfänger sind, wussten wir, dass auch wieder bessere Zeiten kommen würden, sobald wir in unseren Schlafsäcken liegen und es wenigstens da trocken ist, weswegen wir uns nicht entmutigen ließen und weiterliefen.
Es ging weiterhin an der Küste entlang - klar wenn der Track auch Coastline Track heißt :P - und ab und zu ins Hinterland, wo es sehr sumpfig wurde. Zwar hatten wir Gamaschen an, allerdings hatte es in den letzten Tagen so viel geregnet und es gab so wenig Weg, dass wir beim Waten durch den Sumpf doch leicht nasse Strümpfe bekamen, einfach weil wir manchmal fast knietief in den Sumpf einsanken. Wir hatten aber auch nicht die Nerven, die Sümpfe weit zu umgehen, weswegen wir sie hüpfend durchquerten, sodass zumindest meine Füße befriedigend trocken blieben. Die Hose war sowieso schon nass, da es wirklich beständig regnete. Schön war, dass wir wussten, dass wir auch immer an der Küste entlanglaufen mussten, um das Ziel zu erreichen, denn wir haben auch vor Ort keine besseren Karten bekommen.
Wir wanderten bis in den späten Abend hinein, ohne einen geeigneten Zeltplatz zu finden. Unsere Hoffnung lag auf einer eingezeichneten Hütte. Zwar wollten wir nicht darin nächtigen, jedoch gingen wir davon aus, dass sich in deren Nähe bestimmt ein Plätzchen finden ließe. Das war auch der Fall, allerdings war die Hütte von der Witterung und wahrscheinlich auch Vandalen so zerstört worden, dass wir nicht in ihrer Nähe bleiben wollten. Das war unser erster wirklicher Fehler. Wir hätten nicht annehmen dürfen, dass die Zeltplätze für unser Zelt mit 12,5 m2 Grundfläche in der russischen Taiga so zahlreich, zumal wir es auf den letzten 5 km ja gesehen hatten, sondern die Störung unseres ästhetischen Empfindens in Kauf nehmen. Taten wir nicht, weswegen wir weiterliefen und nicht so schnell einen neuen Platz fanden.
Die Sonne begann schon unterzugehen, die Laune schlechter zu werden und wir stapften immer noch über Kiesstrände und durch den Wald, der zu dicht war, um unser Zelt sinnvoll aufzubauen. Schließlich beschlossen wir, auf Teufel komm raus einen Platz zu suchen. Wir fanden eine Stelle, die offen genug war, allerdings etwas vom Ufer entfernt und einen federnden Untergrund aufwies. Am Horizont sahen wir auch Feuerschein, Rauch und Boote. Scheinbar lagerten dort schon Menschen. Wir beratschlagten, ob wir uns einfach zu diesen gesellen sollten, da es dort ja wahrscheinlich einen besseren Platz gäbe. Allerdings sah es schon nach einem guten Stück aus und wir waren alle geschafft. Gerade ich war dafür, es trotz der widrigen Bedingungen an Ort und Stelle zu versuchen. Wenn wir mit aller Kraft die Heringe in den Boden hämmern würden, würden wir schon durch die 30 cm dicke Schicht an Moosen und Flechten stoßen und einige Bäumchen waren auch vorhanden, an denen wir die Schlaufen befestigen konnten.
Die anderen gaben sich ebenfalls der Illusion hin und so versuchten wir es. Eigentlich hatten wir nur einen Versuch, da es mittlerweile sehr stark regnete. Es ist zwar theoretisch möglich, das Zelt erst ohne Bodenplane aufzubauen, dass diese nicht nass wird, bei dieser Bodenbeschaffenheit allerdings war es so schwer, dass wir entschieden, den Boden schnell auszuspannen und gleich das Zelt drüberzulegen. Wir haben das Zelt und seinen kleinen Bruder schon öfters bei Regen aufgestellt und es war immer erträglich. Selbst wenn es im Zelt etwas feucht ist, bringt es einen nicht um.
Also begannen wir, stellten jedoch schnell fest, dass wir auf diesem Boden das Zelt zwar zum Stehen bekommen, allerdings kein Sturm kommen durfte, in dem es normalerweise seine Stärken erst entfaltet. Wir vertrauten auf unser Glück, es stand mehr schlecht als recht, aber war immerhin innen nur annehmbar feucht. Während des Aufbaus wurden wir beständig von Mücken geplagt, weswegen wir uns schnell in unser Zelt verkrochen, das eigentlich recht mückendicht ist, wenn man es sauber ausspannt. Wir beschlossen, auch nicht mehr zu kochen, sondern uns mit Studentenfutter, Schokolade und einem Müsliriegel zu begnügen.
Am Rande eine lustige Anekdote, welche bisher schon für viele Lacher gesorgt hat, sogar an diesem Abend, obwohl die Stimmung eher gedrückt war:
Wir lagen schon in den Schlafsäcken, doch ich musste noch eine Kleinigkeit davor erledigen. Ich hatte mich schon der nassen Sachen weitgehend entledigt und trat so vor das Zelt, um es hinter mich zu bringen. Als ich dann also so da in der Taiga stand, wurde mir plötzlich schmerzhaft bewusst, dass ich die Mücken total vergessen hatte, die mich nun an jeglicher zu erdenkender Stelle meines Körpers liebkosten. Die machen wirklich vor gar nichts halt. Laut fluchend rannte ich zurück ins Zelt, wo mich das schadenfrohe Lachen der anderen herzlich willkommen hieß. Diese Begebenheit werde ich nie vergessen
Wir lagen also im Zelt und die Stimmung war wieder einigermaßen gut, da wir ja wussten, dass nun alles gut zu werden versprach und am nächsten Tag alles anders aussehen werde. Wir packten noch unsere Vorräte in einen Sack, der so schwer war, dass er kaum zu tragen war und deponierten diesen gute 100m vom Zelt entfernt (angezogen :P), um nicht noch nächtlichen Besuch vom Verursacher der vor kurzer Zeit gefundenen Spuren zu erhalten.
Andere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wir kaum. Tagsüber hatten wir Bärenglocken an den Rucksäcken und als 5er-Gruppe sollten wir auch so genügend Lärm erzeugen; mehr aus Spaß ließen wir auch immer wieder laute "URSUS"-Rufe durch die Wälder hallen, ergänzt durch "ARCTOS"-Entgegnungen. "Ursus arctos" ist der lateinische Namen des Braunbären, was einen Kenner beider alten Sprachen allerdings erheitern kann, da "arktos" auf Alt-Griechisch "Bär" bedeutet und es so der "Bärbär" ist, nicht zu verwechseln mit dem Barbar oder dem Barbier . Ein Bärenspray hatten wir auch nicht dabei, aber wir sahen auch keinen, nicht einmal aus der Ferne, nur ab und zu Spuren und manchmal beängstigend frische Losung, soweit wir das als Laien beurteilen konnten.
Also beschlossen wir zu schlafen. Dies klappte zuerst nicht allzu gut, da uns immer wieder Mücken peinigten. Ich ging davon aus, dass es wenige im Zelt seien, da eigentlich alles hätte dicht sein müssen und diese sich auf mich konzentrierten, jedoch dachte das wohl jeder. Irgendwann begannen die Gespräche doch wieder und es wurde gefragt, wie viel Zeit denn schon vergangen sei. Die Antwort: 20 Minuten! entmutigte uns als alle, das Jammern begann. Wir dachten schon daran, dass wir unter diesen Umständen die Tour wohl in 3 Tagen durchrennen würden und dann umplanen müssten, jedoch wurden solche Reden sofort als unrealistisch und Gespenster der Nacht abgetan.
Doch jeder klagte über sein Leid, dass gerade ihn die wenigen Mücken belästigen, was uns dann doch so langsam Spanisch vorkam. Wir schalteten die Kopflampen an und entdeckten über uns ganze Wolken von Mücken. So etwas hatte ich noch niemals gesehen und nun war es in unserem Zelt. Das Problem war, dass man sich auch nicht im Schlafsack verkriechen konnte, da es in diesem viel zu heiß war. Wir hatten unsere Schlafsäcke für Temperaturen um den Gefrierpunkt dabei, doch in der Anfangszeit gab es eher Nachttemperaturen im zweistelligen Bereich, sodass man darin vollends eingemummelt an Überhitzung gestorben wäre. Also musste ein Plan her, um den Biestern Herr zu werden. Die ersten Versuche können getrost als verzweifelt bezeichnet werden: So war die erste Idee, einige mit Deo tot zu sprühen, der zweite Plan war, Klebeband aufzuhängen, in dem sie sich verfangen sollten. Beide waren natürlich zum Scheitern verurteilt. Schließlich erinnerte man sich, dass so Getier doch auf Licht stehe. Also stellten wir eine Stirnlampe auf die niedrigste Stufe und banden diese so hoch wie möglich in Dachnähe an die in der Mitte befindliche Zeltstange. Das funktionierte überraschend gut, weswegen wir relativ unbehelligt schlafen konnten, auch wenn sich am nächsten Morgen doch einige Stiche auf unseren Körpern wiederfanden.
Der Schlaf erlöste uns irgendwann wirklich, jedoch war er sehr unruhig, da es nachts doch sehr windig wurde und jeder Angst hatte, dass unser Zelt einfalle, weil es so schlecht aufgestellt war. Auch war es die erste Nacht auf Bärengebiet und gerade ich hatte davor schon Respekt. Doch jede Nacht geht irgendwann vorbei; so auch diese, die ich trotzdem als die schlimmste meines ganzen Lebens bezeichne, in der ich andauernd hoffte, dass es doch endlich Morgen werde.
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