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Reisezeit: 03. Juli bis 19. Juli 2020
Reiseziel: Island, südliches Hochland und ein paar Tage im Gebiet von Hveragerði

Sonntag, 05. Juli: Fehlstart?
So war das alles nicht geplant! Also … mal abgesehen davon, dass eigentlich für dieses Jahr überhaupt keine Island-Tour geplant war, aber das geht ja allen so. Nein, als vor wenigen Wochen der Flug gebucht war und alles so aussah, als könnte das sogar klappen, da hatte ich schnell einen konkreten Plan für die Tour. Endlich auch mal nach Landmannalaugar, wenn da nicht gar so viel Betrieb ist, und gleich richtig loslegen. Mal eben zackig am ersten Tag nach Hattver, ist ja nicht weit, dann bei Kaiserwetter am oder über den Torfakökull zur Strútslaug, Álftavötn, Hólaskjól, Eldgjá, Skælingar, Sveinstindur, ein bisschen am Langsjór entlang und in drei Tagen zurück nach Landmannalaugar. Nichts Exotisches, fast alles bekannte Routen. Hat man schon einiges drüber gelesen, will man mal selber sehen. Abgesehen von der Strecke am Torfajökull sollte alles gut machbar und planbar sein. Denkt man.

Skalli
Und dann das! Sechs große Schritte habe ich auf das Schneefeld am steilen Hang vom Skalli gemacht, da zittern mir die Knie. Donnerwetter ist das steil, da möchte ich nicht abrutschen. Wie habe ich es überhaupt vom losen Schotter über den vereisten Rand auf den doch recht griffigen Schnee geschafft? Das geht doch nahtlos ohne eine Trittstufe in den Hang über. Und warum kann ich meinen schweren Rucksack nicht vernünftig ausbalancieren? Ach ja, weil mir die Knie zittern. Warum sind meine Chainsen nicht an den Schuhen? Dabei hatten mich die vier Franzosen doch vor nicht mal einer Viertelstunde gewarnt, es würde nicht einfach sein. Und sie hatten nur leichte Tagesrucksäcke, und sie waren zu viert! Ich müsste nur weitergehen, dann hätte ich die Stelle bald geschafft. Aber dazu fehlt mir der Mut, oder, momentan, das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten. Wenn ich hier schon zweifele, wie soll dann der restliche Weg sein? Die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen doch erst. Was, wenn Hattver eine Sackgasse ist und ich hier wieder zurück muss? Das möchte ich nicht.
Mut ist vielleicht auch manchmal nur ein Mangel an Fantasie. Oder Angst umgekehrt ein Übermaß an Fantasie.
Das geht mir alles zu schnell, ich muss zurück auf sicheren Boden und mich sammeln. Was mit zitternden Knien leichter gesagt ist, als getan. Umdrehen kann ich mich hier nicht, ich habe Angst, dass mich dabei der unstet schwankende Rucksack in die Tiefe reißt. Also rückwärts, schön langsam, einen Schritt, zwei, drei nach unten, fest in den Schnee treten. Beim nächsten rutscht der Schnee von der harten unteren Schicht weg und Wasser strömt heraus, ich finde keinen Halt mehr. Es ist zu warm, der Schnee löst sich auf. Runter ginge jetzt nur noch mit einem großen, mutigen Schritt, ich muss versuchen, seitlich zu queren und eine Stufe in den losen Schotter zu treten. Uff, das wäre geschafft! Und noch eine Stufe in den Rand, der durch den abgerutschten Schnee plötzlich ganz harmlos aussieht.


Sieht doch eigentlich ganz einladend aus: Panikschneefeld
Was war das? Eine Panikattacke gleich am Anfang der Tour? Von hier sieht die Stelle ja nicht unmöglich aus, wenn man die ersten paar Schritte mal geschafft hat. Soll ich es gleich noch mal probieren, wenn meine Knie sich beruhigt haben und mein Herz nicht mehr bis zum Hals schlägt? Die Chainsen liegen ganz oben im Rucksack, damit ist es bestimmt zu schaffen. Ich gehe zurück zur moosigen Ebene, setze mich hin, krame einen Müsliriegel heraus und schnaufe tief durch. Schaue mich zum ersten Mal richtig um, lasse die Landschaft auf mich wirken. Das ist alles sehr schön, die weiß gefleckten Bergen, die Grate und tiefen Täler, aber sie wirkt auf mich auch fremd und irgendwie surreal, wie eine Landschaft, in die man sich im Traum hineinversetzt sieht, ohne wirklich ein Verhältnis zu ihr zu haben. Eine Landschaft, die man noch nicht versteht.

Blick zum Hábarmur (links) und Torfajökull (rechts)
Da wird mir klar, ich habe das zu hastig angepackt. Statt auf mein Gefühl zu achten, bin ich einfach losgerannt. Aus dem heißen, voll besetzten Bus, ich hatte mich blöderweise auf die Sonnenseite gesetzt, als ich am BSÍ noch die Wahl hatte, war ich kaum ausgestiegen, da wollte ich auch gleich aufbrechen. Den ganzen Trubel möglichst schnell hinter mir lassen, quer über die Ebene zu der Stelle, wo ich den Beginn des Aufstiegs vermutete, laufen und rasch Höhe gewinnen. Das hat Spaß gemacht, keine Frage, ich war ganz begeistert vom Grat am Anfang und der Strecke über den Bergkamm danach.

Landmannalaugar



Vielleicht hätte ich es ruhiger angehen sollen, aber ich glaube, es war einfach nicht der richtige Einstieg in die Tour. Vor zwei Jahren brauchte ich in Island auch ein paar Tage um reinzukommen, fühlte mich fremd und sogar ein bisschen einsam, bis ich ein Gefühl für die Landschaft bekam und auf dieses Gefühl vertrauen konnte.
So will ich das jetzt auch machen. Der Plan, der am Schreibtisch so gut aussah, passt einfach nicht, Wie zu kleine Schuhe, oder ein Rucksack, der sich dem Rücken nicht anschmiegt. Wäre ja nicht das erste Mal, dass sich die Tour ganz anders entwickelt als gedacht, und das war nicht immer schlecht. Nach kurzem Zögern (soll ich nicht doch lieber nach Landmannalaugar zurück gehen?) baue ich hier verbotenerweise das Zelt auf, komme erst mal an. Das sagt mein Gefühl, und auf das will ich fortan hören. Während das Kaffeewasser langsam heiß wird, spüre ich mich selber wieder bis in die Zehenspitzen, beim Ausatmen. Erst jetzt, als sie von mir abfällt, merke ich so richtig die Anspannung der vergangenen Tage.
Keiner wusste ja so richtig, wie eine Islandreise 2020 aussehen würde. Es war angekündigt, dass Lufthansa ab dem 02. Juli wieder Keflavík ansteuert, also habe ich einen Platz für den Flug am 03.07. gebucht und gehofft, dass der auch stattfinden würde. Mein Geburtstag, da musste ich doch Glück haben! Die isländische Einreiseregelung, nach der jeder ankommende Passagier, der nicht in Quarantäne gehen will, einen PCR-Test absolvieren muss, schien mir aus der Ferne sehr vertrauenerweckend. Gute und detaillierte Informationen auf der covid.is Seite, täglich aktualisierte Zahlen seit dem 15. Juni, klare Ansagen, kein Wischiwaschi wie in anderen Ländern. Zwei Tage vorher habe ich mich registriert und den Test bezahlt, dann war eigentlich nur noch wichtig, dass ich keine Antikörper habe und der Typ neben mir im Flugzeug keine aktive Infektion. Eigentlich hätte ich ganz entspannt sein können, aber in Wirklichkeit war ich tierisch aufgeregt.
Der Flieger landete dann einigermaßen pünktlich zwanzig Minuten vor Mitternacht. Mein zweiter Mundschutz war von den vielen Stunden Atemluft auch schon so feucht, dass ich das Gefühl hatte, kaum noch Luft zu bekommen. Wirklich, es ist kein Luxus, nach vier Stunden zu wechseln. Aber es sollte hoffentlich nicht mehr lange dauern. In Keflavík war alles erstaunlich gut organisiert. Wer den Test schon bezahlt hatte, konnte einfach durchgehen in die Halle, wo getestet wurde. Dann musste man nicht allzu lange warten, bis man in eine der 10 Testkabinen gewiesen wurde, scannte seinen Beleg und bekam einen Nasen- und einen Rachenabstrich gemacht. Fertig! Dann bekam man noch eine Broschüre, wie man sich bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses zu verhalten hätte (direkt zur Unterkunft und warten, möglichst keine Kontakte) und durfte zur Gepäckausgabe. Ich war sogar so schnell durch, dass mein Rucksack noch nicht mal in der Katzenklappe lag, der kam erst nach ein paar Minuten.
Das war gestern in der ersten Stunde des jungen Tages. Danach war mir erst mal alles weitgehend egal. Das Testergebnis würde ich frühestens am Vormittag über die Rakning C-19 App bekommen, der Flybus wartete noch eine Viertelstunde, die Nacht war mild, also genoss ich es einfach nur, den Mundschutz abzunehmen und bis zur Abfahrt die gute isländische Luft zu atmen. So still hatte ich diesen Flughafen noch nie erlebt.
Gegen viertel vor zwei waren wir in Reykjavík. Bei so wenigen Fahrgästen wurden wir am BSÍ auch nicht in Kleinbusse verteilt, sondern einfach da abgesetzt, wo wir hin wollten. Ich stieg am 22 Hill aus und lief die paar Schritte zum REK Inn. Körperlich war ich wohl müde, schließlich war es schon 4:00 Uhr deutscher Zeit, aber seelisch noch so aufgetrudelt, dass ich erst mal einen Kaffee aufbrühte, damit durch die Straße schlenderte und eine rauchte. Wie gesagt, die Nacht war mild, und der Morgen kündigte sich langsam an. Erst um 3:00 Uhr Ortszeit ging ich rein, hoffte auf ein paar Stunden Schlaf.
Dann hieß es warten. Ich beneide ja die Menschen, die immer und überall schlafen können. Mir fehlt diese Gabe. Die Stunden vergingen im Schneckentempo, und als der Morgen in den Vormittag überging, wuchs die Anspannung. Dauernd schaute ich aus Telefon. Noch keine Nachricht. Wenn der Test positiv ist, rufen sie an. Hoffentlich kein Anruf. Dass das Ding bloß nicht klingelt! Um 11:00 Uhr wurde es mir zu blöd, da ging ich rüber zum Bónus und kaufte mein restliches Essen für die Tour ein. Hoffentlich kein Anruf im Bónus, es wäre ja schwer zu verheimlichen, dass ich im Einkaufsladen war, statt brav im Zimmer zu warten.
In Island gibt es keine Empfehlung der Gesundheitsbehörde für das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung, man soll bitte etwas Abstand halten. Da die empfohlenen 2 Meter in den meisten Situationen eher unrealistisch sind und die Isländer sich gegenseitig sowieso nicht so dicht auf die Pelle rücken, war das Einkaufserlebnis für einen verschüchterten Mitteleuropäer fast schon erschreckend normal. Ich fühlte mich anfangs tatsächlich etwas befangen, gewöhnte mich aber schnell daran und fand es herrlich. Eine Insel der Normalität mitten im Nordatlantik – ganz großartig! Hoffentlich darf ich hier bleiben.
Genau um 12:00 Uhr dann die erlösende Nachricht: „You have not been diagnosed with Covid-19“. Trotzdem vorsichtig sein, es gibt manchmal auch falsch negative Ergebnisse usw., aber ich las nur: „Viel Spaß in Island!“ Danke, werde ich haben. Ich schrieb ein paar Nachrichten an alle, die in der Ferne auf das Ergebnis gespannt warteten und ging dann bei strahlendem Sonnenschein in die Stadt. Jetzt konnte ich mich also tatsächlich frei bewegen, ich war sehr erleichtert. Zurück in der etwas schäbigen, aber erstaunlich billigen Unterkunft, unterhielt ich mich eine ganze Weile mit meinem schwedischen Zimmernachbarn. Er hatte sich hier für fünf Tage einquartiert, wollte einfach mal raus. Da heute sein letzter Tag war und ich seine Einladung zum Sekt dankend ablehnte (das hätte mich auf der Stelle umgehauen), vernichtete er in kürzester Zeit seine restlichen Alkoholvorräte, eine Flasche Sekt und drei halbe Liter Bier, und ging am Abend in die Stadt um sich zu amüsieren. Robuste Natur, anscheinend. Zwei seiner engsten Arbeitskollegen in Gällivare sind schwer an Covid 19 erkrankt, aber er selber nur an einem milden Dachschaden, den er vermutlich schon vorher hatte. Na ja, den habe ich in den Augen einiger Menschen sicher auch. Zum Amüsieren egal welcher Art hatte ich nun überhaupt keine Meinung, wollte einfach nur mal gut schlafen. Das war also gestern, am Samstag.

Heute klingelte um 5:00 Uhr der Wecker. Genügend Zeit, um ein letztes Mal gründlich zu duschen, Sache zu packen, einen starken Kaffee einzunehmen und die zwanzig Minuten zum BSÍ zu laufen. Da waren schon einige Menschen aus verschiedenen Ländern mit großen Rucksäcken versammelt, und es wurden immer mehr. Der Bus nach Landmannalaugar war dann tatsächlich bis auf den letzten Platz voll. Wer hätte das bei den wenigen Touristen, die zur Zeit ins Land kommen, gedacht? Nun wollte ich mich in Landmannalaugar sowieso nicht aufhalten, sondern umgehend starten, also konnte mir das egal sein.
Ja, und dann bin ich doch nicht sehr weit gekommen. Mir ist natürlich bewusst, dass man im Friðland að Fjallabaki nicht zelten darf, aber für mich ist das jetzt die einzig richtige Maßnahme. Den Gang rausnehmen, den schönen Abend genießen und offen zu werden für alle Möglichkeiten, die diese einmalige Landschaft und ein Rucksack voll Essen für 10 Tage wohl bieten könnten.

Camp 1 am Skalli
Reiseziel: Island, südliches Hochland und ein paar Tage im Gebiet von Hveragerði

Sonntag, 05. Juli: Fehlstart?
So war das alles nicht geplant! Also … mal abgesehen davon, dass eigentlich für dieses Jahr überhaupt keine Island-Tour geplant war, aber das geht ja allen so. Nein, als vor wenigen Wochen der Flug gebucht war und alles so aussah, als könnte das sogar klappen, da hatte ich schnell einen konkreten Plan für die Tour. Endlich auch mal nach Landmannalaugar, wenn da nicht gar so viel Betrieb ist, und gleich richtig loslegen. Mal eben zackig am ersten Tag nach Hattver, ist ja nicht weit, dann bei Kaiserwetter am oder über den Torfakökull zur Strútslaug, Álftavötn, Hólaskjól, Eldgjá, Skælingar, Sveinstindur, ein bisschen am Langsjór entlang und in drei Tagen zurück nach Landmannalaugar. Nichts Exotisches, fast alles bekannte Routen. Hat man schon einiges drüber gelesen, will man mal selber sehen. Abgesehen von der Strecke am Torfajökull sollte alles gut machbar und planbar sein. Denkt man.

Skalli
Und dann das! Sechs große Schritte habe ich auf das Schneefeld am steilen Hang vom Skalli gemacht, da zittern mir die Knie. Donnerwetter ist das steil, da möchte ich nicht abrutschen. Wie habe ich es überhaupt vom losen Schotter über den vereisten Rand auf den doch recht griffigen Schnee geschafft? Das geht doch nahtlos ohne eine Trittstufe in den Hang über. Und warum kann ich meinen schweren Rucksack nicht vernünftig ausbalancieren? Ach ja, weil mir die Knie zittern. Warum sind meine Chainsen nicht an den Schuhen? Dabei hatten mich die vier Franzosen doch vor nicht mal einer Viertelstunde gewarnt, es würde nicht einfach sein. Und sie hatten nur leichte Tagesrucksäcke, und sie waren zu viert! Ich müsste nur weitergehen, dann hätte ich die Stelle bald geschafft. Aber dazu fehlt mir der Mut, oder, momentan, das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten. Wenn ich hier schon zweifele, wie soll dann der restliche Weg sein? Die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen doch erst. Was, wenn Hattver eine Sackgasse ist und ich hier wieder zurück muss? Das möchte ich nicht.
Mut ist vielleicht auch manchmal nur ein Mangel an Fantasie. Oder Angst umgekehrt ein Übermaß an Fantasie.
Das geht mir alles zu schnell, ich muss zurück auf sicheren Boden und mich sammeln. Was mit zitternden Knien leichter gesagt ist, als getan. Umdrehen kann ich mich hier nicht, ich habe Angst, dass mich dabei der unstet schwankende Rucksack in die Tiefe reißt. Also rückwärts, schön langsam, einen Schritt, zwei, drei nach unten, fest in den Schnee treten. Beim nächsten rutscht der Schnee von der harten unteren Schicht weg und Wasser strömt heraus, ich finde keinen Halt mehr. Es ist zu warm, der Schnee löst sich auf. Runter ginge jetzt nur noch mit einem großen, mutigen Schritt, ich muss versuchen, seitlich zu queren und eine Stufe in den losen Schotter zu treten. Uff, das wäre geschafft! Und noch eine Stufe in den Rand, der durch den abgerutschten Schnee plötzlich ganz harmlos aussieht.


Sieht doch eigentlich ganz einladend aus: Panikschneefeld
Was war das? Eine Panikattacke gleich am Anfang der Tour? Von hier sieht die Stelle ja nicht unmöglich aus, wenn man die ersten paar Schritte mal geschafft hat. Soll ich es gleich noch mal probieren, wenn meine Knie sich beruhigt haben und mein Herz nicht mehr bis zum Hals schlägt? Die Chainsen liegen ganz oben im Rucksack, damit ist es bestimmt zu schaffen. Ich gehe zurück zur moosigen Ebene, setze mich hin, krame einen Müsliriegel heraus und schnaufe tief durch. Schaue mich zum ersten Mal richtig um, lasse die Landschaft auf mich wirken. Das ist alles sehr schön, die weiß gefleckten Bergen, die Grate und tiefen Täler, aber sie wirkt auf mich auch fremd und irgendwie surreal, wie eine Landschaft, in die man sich im Traum hineinversetzt sieht, ohne wirklich ein Verhältnis zu ihr zu haben. Eine Landschaft, die man noch nicht versteht.

Blick zum Hábarmur (links) und Torfajökull (rechts)
Da wird mir klar, ich habe das zu hastig angepackt. Statt auf mein Gefühl zu achten, bin ich einfach losgerannt. Aus dem heißen, voll besetzten Bus, ich hatte mich blöderweise auf die Sonnenseite gesetzt, als ich am BSÍ noch die Wahl hatte, war ich kaum ausgestiegen, da wollte ich auch gleich aufbrechen. Den ganzen Trubel möglichst schnell hinter mir lassen, quer über die Ebene zu der Stelle, wo ich den Beginn des Aufstiegs vermutete, laufen und rasch Höhe gewinnen. Das hat Spaß gemacht, keine Frage, ich war ganz begeistert vom Grat am Anfang und der Strecke über den Bergkamm danach.

Landmannalaugar



Vielleicht hätte ich es ruhiger angehen sollen, aber ich glaube, es war einfach nicht der richtige Einstieg in die Tour. Vor zwei Jahren brauchte ich in Island auch ein paar Tage um reinzukommen, fühlte mich fremd und sogar ein bisschen einsam, bis ich ein Gefühl für die Landschaft bekam und auf dieses Gefühl vertrauen konnte.
So will ich das jetzt auch machen. Der Plan, der am Schreibtisch so gut aussah, passt einfach nicht, Wie zu kleine Schuhe, oder ein Rucksack, der sich dem Rücken nicht anschmiegt. Wäre ja nicht das erste Mal, dass sich die Tour ganz anders entwickelt als gedacht, und das war nicht immer schlecht. Nach kurzem Zögern (soll ich nicht doch lieber nach Landmannalaugar zurück gehen?) baue ich hier verbotenerweise das Zelt auf, komme erst mal an. Das sagt mein Gefühl, und auf das will ich fortan hören. Während das Kaffeewasser langsam heiß wird, spüre ich mich selber wieder bis in die Zehenspitzen, beim Ausatmen. Erst jetzt, als sie von mir abfällt, merke ich so richtig die Anspannung der vergangenen Tage.
Keiner wusste ja so richtig, wie eine Islandreise 2020 aussehen würde. Es war angekündigt, dass Lufthansa ab dem 02. Juli wieder Keflavík ansteuert, also habe ich einen Platz für den Flug am 03.07. gebucht und gehofft, dass der auch stattfinden würde. Mein Geburtstag, da musste ich doch Glück haben! Die isländische Einreiseregelung, nach der jeder ankommende Passagier, der nicht in Quarantäne gehen will, einen PCR-Test absolvieren muss, schien mir aus der Ferne sehr vertrauenerweckend. Gute und detaillierte Informationen auf der covid.is Seite, täglich aktualisierte Zahlen seit dem 15. Juni, klare Ansagen, kein Wischiwaschi wie in anderen Ländern. Zwei Tage vorher habe ich mich registriert und den Test bezahlt, dann war eigentlich nur noch wichtig, dass ich keine Antikörper habe und der Typ neben mir im Flugzeug keine aktive Infektion. Eigentlich hätte ich ganz entspannt sein können, aber in Wirklichkeit war ich tierisch aufgeregt.
Der Flieger landete dann einigermaßen pünktlich zwanzig Minuten vor Mitternacht. Mein zweiter Mundschutz war von den vielen Stunden Atemluft auch schon so feucht, dass ich das Gefühl hatte, kaum noch Luft zu bekommen. Wirklich, es ist kein Luxus, nach vier Stunden zu wechseln. Aber es sollte hoffentlich nicht mehr lange dauern. In Keflavík war alles erstaunlich gut organisiert. Wer den Test schon bezahlt hatte, konnte einfach durchgehen in die Halle, wo getestet wurde. Dann musste man nicht allzu lange warten, bis man in eine der 10 Testkabinen gewiesen wurde, scannte seinen Beleg und bekam einen Nasen- und einen Rachenabstrich gemacht. Fertig! Dann bekam man noch eine Broschüre, wie man sich bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses zu verhalten hätte (direkt zur Unterkunft und warten, möglichst keine Kontakte) und durfte zur Gepäckausgabe. Ich war sogar so schnell durch, dass mein Rucksack noch nicht mal in der Katzenklappe lag, der kam erst nach ein paar Minuten.
Das war gestern in der ersten Stunde des jungen Tages. Danach war mir erst mal alles weitgehend egal. Das Testergebnis würde ich frühestens am Vormittag über die Rakning C-19 App bekommen, der Flybus wartete noch eine Viertelstunde, die Nacht war mild, also genoss ich es einfach nur, den Mundschutz abzunehmen und bis zur Abfahrt die gute isländische Luft zu atmen. So still hatte ich diesen Flughafen noch nie erlebt.
Gegen viertel vor zwei waren wir in Reykjavík. Bei so wenigen Fahrgästen wurden wir am BSÍ auch nicht in Kleinbusse verteilt, sondern einfach da abgesetzt, wo wir hin wollten. Ich stieg am 22 Hill aus und lief die paar Schritte zum REK Inn. Körperlich war ich wohl müde, schließlich war es schon 4:00 Uhr deutscher Zeit, aber seelisch noch so aufgetrudelt, dass ich erst mal einen Kaffee aufbrühte, damit durch die Straße schlenderte und eine rauchte. Wie gesagt, die Nacht war mild, und der Morgen kündigte sich langsam an. Erst um 3:00 Uhr Ortszeit ging ich rein, hoffte auf ein paar Stunden Schlaf.
Dann hieß es warten. Ich beneide ja die Menschen, die immer und überall schlafen können. Mir fehlt diese Gabe. Die Stunden vergingen im Schneckentempo, und als der Morgen in den Vormittag überging, wuchs die Anspannung. Dauernd schaute ich aus Telefon. Noch keine Nachricht. Wenn der Test positiv ist, rufen sie an. Hoffentlich kein Anruf. Dass das Ding bloß nicht klingelt! Um 11:00 Uhr wurde es mir zu blöd, da ging ich rüber zum Bónus und kaufte mein restliches Essen für die Tour ein. Hoffentlich kein Anruf im Bónus, es wäre ja schwer zu verheimlichen, dass ich im Einkaufsladen war, statt brav im Zimmer zu warten.
In Island gibt es keine Empfehlung der Gesundheitsbehörde für das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung, man soll bitte etwas Abstand halten. Da die empfohlenen 2 Meter in den meisten Situationen eher unrealistisch sind und die Isländer sich gegenseitig sowieso nicht so dicht auf die Pelle rücken, war das Einkaufserlebnis für einen verschüchterten Mitteleuropäer fast schon erschreckend normal. Ich fühlte mich anfangs tatsächlich etwas befangen, gewöhnte mich aber schnell daran und fand es herrlich. Eine Insel der Normalität mitten im Nordatlantik – ganz großartig! Hoffentlich darf ich hier bleiben.
Genau um 12:00 Uhr dann die erlösende Nachricht: „You have not been diagnosed with Covid-19“. Trotzdem vorsichtig sein, es gibt manchmal auch falsch negative Ergebnisse usw., aber ich las nur: „Viel Spaß in Island!“ Danke, werde ich haben. Ich schrieb ein paar Nachrichten an alle, die in der Ferne auf das Ergebnis gespannt warteten und ging dann bei strahlendem Sonnenschein in die Stadt. Jetzt konnte ich mich also tatsächlich frei bewegen, ich war sehr erleichtert. Zurück in der etwas schäbigen, aber erstaunlich billigen Unterkunft, unterhielt ich mich eine ganze Weile mit meinem schwedischen Zimmernachbarn. Er hatte sich hier für fünf Tage einquartiert, wollte einfach mal raus. Da heute sein letzter Tag war und ich seine Einladung zum Sekt dankend ablehnte (das hätte mich auf der Stelle umgehauen), vernichtete er in kürzester Zeit seine restlichen Alkoholvorräte, eine Flasche Sekt und drei halbe Liter Bier, und ging am Abend in die Stadt um sich zu amüsieren. Robuste Natur, anscheinend. Zwei seiner engsten Arbeitskollegen in Gällivare sind schwer an Covid 19 erkrankt, aber er selber nur an einem milden Dachschaden, den er vermutlich schon vorher hatte. Na ja, den habe ich in den Augen einiger Menschen sicher auch. Zum Amüsieren egal welcher Art hatte ich nun überhaupt keine Meinung, wollte einfach nur mal gut schlafen. Das war also gestern, am Samstag.

Heute klingelte um 5:00 Uhr der Wecker. Genügend Zeit, um ein letztes Mal gründlich zu duschen, Sache zu packen, einen starken Kaffee einzunehmen und die zwanzig Minuten zum BSÍ zu laufen. Da waren schon einige Menschen aus verschiedenen Ländern mit großen Rucksäcken versammelt, und es wurden immer mehr. Der Bus nach Landmannalaugar war dann tatsächlich bis auf den letzten Platz voll. Wer hätte das bei den wenigen Touristen, die zur Zeit ins Land kommen, gedacht? Nun wollte ich mich in Landmannalaugar sowieso nicht aufhalten, sondern umgehend starten, also konnte mir das egal sein.
Ja, und dann bin ich doch nicht sehr weit gekommen. Mir ist natürlich bewusst, dass man im Friðland að Fjallabaki nicht zelten darf, aber für mich ist das jetzt die einzig richtige Maßnahme. Den Gang rausnehmen, den schönen Abend genießen und offen zu werden für alle Möglichkeiten, die diese einmalige Landschaft und ein Rucksack voll Essen für 10 Tage wohl bieten könnten.

Camp 1 am Skalli
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