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Warum einen Reisebericht schreiben?
Seit Jahren bin ich nun schon Mitglied in diesem Forum und ernähre mich von den Berichten und Informationen anderer, teilweise über persönliche Nachrichten, teilweise aus den öffentlichen Fäden. Dass sich die digitale Foren-Kultur im Niedergang befindet- und zwar themenübergreifend- ist wohl mittlerweile unbestreitbar. Und u.a. ein Grund dafür sind sicherlich auch User wie ich, die lediglich passiv Foren nutzen. Ich hoffe so in gewisser Weise, dem Forum etwas zurückgeben zu können, auch wenn der Nutzen meines Berichts für andere User eher gering sein wird.
Ein anderer Aspekt ist, dass durch das Schreiben ja ein Prozess der Reflexion in Gang gesetzt wird und ich durch den Bericht das Erlebte noch einmal verarbeiten kann. Ich denke, dass dieses Motiv bei mir und vielen anderen Benutzern eher im Vordergrund steht.
Ziel und Tour
Vorgeschichten sind ja immer so eine Sache. Es interessiert nicht wirklich und ist dazu meist höchst persönlich. Daher versuche ich es hier in gebotener Kürze und doch zugleich nachvollziehbar zu gestalten. Wenn ich „wir“ schreibe, dann sind stets mein Kompagnon S. und ich gemeint. 2019 wagten wir unsere erste gemeinsame Tour nach Südgrönland. Es gibt dazu keinen Bericht hier, aber ich könnte ihn noch verfassen. Für ein großes deutsches Raubfischforum habe ich einen Artikel verfasst, der allerdings eher die Gelüste der dortigen Klientel bedient und wenig Wandertechnisches beinhaltet. Nach dieser gelungenen Generalprobe wollten wir es 2020 dann richtig wissen und planten eine weitaus härtere Tour in Kamtschatka, welche uns aber von einer Pandemie zunichte gemacht wurde. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hatten wir dann für 2021 Guinea-Bissau, Bolivien, Suriname und Ostgrönland als potentielle Ziele im Blick, allein die Seuche hatte noch kein Einsehen und so blieb es auch in jenem Jahr bei Traumreisen. 2022 wurden wir dann beide Väter und trotz der wunderbaren neuen Lebensaufgaben blieb der Wunsch nach einem weiteren gemeinsamen Abenteuer bestehen. Vielleicht alles eine Nummer kleiner und näher an den Geliebten? Zugleich aber wild und abgeschieden. Im Gegensatz zu S. war ich schon zweimal mehrere Wochen im skandinavischen Norden und irgendwie lag es ja auch auf der Hand. Warum aber nun Øvre Pasvik, dieser norwegische Wurmfortsatz, eingeklemmt zwischen Finnland und Russland im äußersten Nordosten? Um ehrlich zu sein, weiß ich das gar nicht mehr so genau, aber faszinierend fand ich die Vorstellung, Bären zu Gesicht bekommen zu können und der Nationalpark könnte sich als perfekte Spielwiese für unser Vorhaben eignen, womit wir bei der Art der Tour wären.
Im Gegensatz zu vielen Outdoor-Menschen zieht uns gar nicht so sehr das Verlangen nach langen Wanderungen und großen Touren nach draußen. Unser Fokus lag schon in Grönland eher auf dem „draußen sein“ (im doppelten Wortsinne); Feuer machen, angeln, Essen besorgen und gerne mal drei Nächte am selben Spot- das sind eher unsere Zutaten für eine gelungene Tour. Ich bin passionierter Angler und schon in Grönland haben wir weniger Nahrung mitgenommen und auf regelmäßiges Petri-Heil gepokert. Diesmal wollten wir uns steigern: Vollständiges Essen sollte nur für die Hälfte der Zeit- in unserem Fall 8 von 16 reinen Wandertagen- dabei sein; der Rest muss geangelt werden. Nach meinen ersten Recherchen sollte das allerdings kein großes Problem in der Region darstellen.
Ein weiteres Novum sollten unsere neu erworbenen Packrafts darstellen: der Piilola Trail sollte uns nur als grobe Route dienen, die Idee war es aber, die riesigen Seen zu bepaddeln und die Inselchen zu erkunden. Als ich das erste Mal im Frühjahr in Nordportugal mein Anfibio Nano SL auspacke, frage ich mich, wie man damit bei schlechten Bedingungen ein großes Gewässer mit Gepäck paddeln soll. Eine Frage, die uns im Bericht noch umtreiben wird.
Der Zeitraum steht schon lange fest: S. und ich haben eine Überschneidung von freier Zeit ab Mitte Juli, Alternativen sind keine in Sicht. Es soll also ab Mitte Juli für 16 Tage grob entlang des Piilola Trails gehen, mit möglichst vielfältigen Abstechern in die unterschiedlichen Gewässer.
Die Vorbereitung
Wie bereits schon weiter oben erwähnt, sind wir beide gerade Vater geworden und natürlich stehen unsere kleinen Töchter im Vordergrund des neuen Lebens. Um ehrlich zu sein, gestaltet sich unsere Vorbereitung weniger intensiv als angedacht. S. wohnt in Hamburg, ich in Porto. Zwei große Hafenstädte, allerdings über 2000 Kilometer voneinander entfernt; schwierig mit dem „eben mal treffen“. Zum Ritual wird die allmorgendliche Sprachnachricht, in denen wir im Verlaufe des Frühjahrs allerhand geistreiches wie geistloses austauschen werden. Schlüsselwörter dürften „Moskitos“, „Bären“ und „Orientierung“ gewesen sein, alles Motive auf die wir hier noch zu sprechen kommen werden. Ich plansche ab und an im Douro mit meinem Nano SL und wage mich mal an den Rand des Atlantiks; wir besorgen uns die norwegischen Karten und zeichnen mithilfe der finnischen Online-Karte und Google Earth den Trail möglichst genau ein. Nebenbei lade ich mir bei Maps die Offline-Karten herunter, ein kleiner Klick, der noch fundamentale Folgen haben wird.
Meine Ausrüstung erhält ein deutliches Update, welches unter dem Motto „Weniger Volumen und mehr Platz“ zusammengefasst werden kann. Ich tausche meinen 15 Jahre alten Deuter Kunstfaser-Schlafsack gegen einen Pajak-Daunenschlafsack und bin entzückt über das neue Packvolumen und geringe Gewicht der polnischen Spinne. Allein der knallige Himbeerton macht mir etwas zu schaffen. Wenn schon-denn schon: Ich gönne mir eine neue Therm-A-Rest und wähle ebenfalls Knallrot; mein bisheriges Mimikry-Konzept wird somit ad absurdum geführt, aber was solls. Im besten Falle sind die Sachen ja im Zelt. Wie bereits in Grönland 2019 erfüllt mich der Gedanke mit unzureichendem Tackle underdressed im Angelhimmel aufzulaufen mit Schrecken, weswegen ich neben zwei Ruten und zwei Rollen auch wieder jede Menge tolle Kunstköder mitschleppe. Von wegen ein Spinner und ein Blinker sind genug für die nichtkontaktierten Flossenträger im hohen Norden! Weitere Details zu Neuanschaffungen spare ich an der Stelle aus und stelle am Ende fest, dass ich mit ca. 24 Kilo (davon 2,4 Kilo Angeltackle) für 16 autarke Tage zwar gut dabei bin, das Volumen (bedingt durch Packraft mit Zubehör) den Abisko aber wieder mal an seine Grenzen bringt.
Sehr intensiv dagegen trainiere ich das Feuermachen mit Feuerstahl. Es macht mir großen Spaß, alles mögliche auszuprobieren und im heimischen Garten kann ich viel experimentieren. Wir planen, keinen Kocher mitzunehmen und nur ein Backup-Feuerzeug für den größten Notfall dabei zu haben. Warum wir das machen? Es macht uns Spaß. Ich spreche im Vorfeld mit der Parkverwaltung bezüglich der Einschränkungen von Feuer im NP bei Trockenheit. Brände spielten in der Region zuletzt eine große Rolle und wir wollen natürlich nicht einen der letzten Kiefern-Urwälder Europas abfackeln. Beeindruckend finde ich, wie flexibel und entspannt skandinavische Behörden sind/sein können: Feuer auf den Inseln und direkt am Wasser sind nie ein Problem, wenn sie immer beaufsichtigt werden. Bei entsprechenden Warnstufen darf allerdings im Wald kein Feuer gemacht werden. Wir werden später Glück/Pech haben, denn wir erleben wahrlich keine Trockenphase und der Kocher kann zuhause bleiben…
Die Region
Durch Borgman (danke für deine Antworten auf meine Fragen!) ist Øvre Pasvik zuletzt hier schon vorgestellt worden: Eine flache, boreale Kiefernlandschaft mit unzähligen kleinen und großen, zumeist flachen, Gewässern. Felsige Landschaften wechseln sich mit Mooren und Sümpfen ab. Der Piilola Trail verbindet dabei den oben genannten NP mit dem finnischen Vätsäri und lässt sich in beide Richtungen laufen. Große Seen, wie der Ellenvatnet oder Nammijärvi werden dabei passiert und laden zum ausgiebigen Packraften ein. Wir werden im Vorfeld darauf hingewiesen, dass der Weg teilweise schwer zu finden sei und man entsprechende Fähigkeiten im Umgang mit Karte und Kompass haben sollte. Na dann, mal sehen.
Die Anreise
Wie Borgman entschieden wir uns also von der norwegischen Seite über Vaggatem einzusteigen. Bereits ab April checke ich mehrfach die vermeintliche Busverbindung von Kirkenes nach Vaggatem, welche Borgman genommen hat bis mir die erste kleine Katastrophe gewahr wird: Das ist ja ein Schulbus und in unserem Reisezeitraum sind bereits Ferien. Ich erhalte keine verlässliche Info vom dortigen Busunternehmen, ob der Bus möglicherweise doch geht und so müssen wir das erste Mal improvisieren und kontaktieren ein lokales Taxiunternehmen. „Wir haben einhundert Leute auf der Straße gefragt: Was fällt Ihnen zu Norwegen ein?“ Neben Haaland und Skispringen würde wohl auch „teuer“ dabei sein. Ja, dieser Transport sollte uns etwas kosten, aber Geld ist ja bekanntlich nur eine Fantasie.
Mein zweiter Geistesblitz ist es, dass ich glaube, auf der Hinreise Zeit sparen zu müssen und daher die Verbindung Porto-Lissabon-Oslo-Kirkenes am Stück buche. Umsteigezeit in Lissabon sind 50 Minuten…und das mit TAP. Je näher das Datum rückt, desto unwohler wird mir. Hat alles geklappt? Ja. Würde ich es wieder machen? Nein! Ich stehe um 2 Uhr morgens in Porto auf und ubere zum Flughafen. Der Abisko scheint platzen zu wollen und lässt sich kaum im Kofferraum des Toyotas verstauen. Auch auf dem ersten Gepäckband von TAP macht er keine gute Figur und verabschiedet sich nach wenigen Metern von eben selbigen. Die Dame vom Service schaut genervt drein, bemüht sich aber auf mein Drängen hin zu meinem im Dreck liegenden Fjellfuchs; ich möchte sie noch vorm Versuch des Hochwuchtens warnen, andererseits kann ich einen Hexenschuss bei ihr eigentlich ausschließen; mit überraschend geschmeidigen Bandscheiben hievt sie den Rucksack zurück auf das Band. Nach dem ersten psychischen Schock folgen mehrere physische in Form von Koffein und ich könnte das jetzt hier beenden, wenn nicht in Lissabon das Bodenpersonal gestreikt hätte und der Umstieg zum nervlichen Drahtseilakt geworden wäre. Letztlich lande ich- wenn auch reichlich angeschlagen- dann doch in Oslo und zu meiner Überraschung wurde sogar mein Rucksack durchgecheckt. Wie sich das zeitlich alles ausging, lässt sich kaum nachvollziehen. Ich habe nun reichlich Zeit am Flughafen, da der Weiterflug mit SAS erst am frühen Abend nach Kirkenes geht und so gönne ich mir erstmal ein IPA zum Runterkommen: 13 Euro für 0,4 Liter erscheinen zwar nach mitteleuropäischem Standard nicht gerade günstig, aber Geld ist ja bekanntlich nur eine Fantasie und man ist ja im Urlaub.
Gegen Nachmittag kommt dann S. aus der Osloer Altstadt an den Flughafen und zur euphorischen Begrüßung gibt es natürlich erstmal eine weitere Runde IPA. Unser SAS-Flug verspätet sich um ca. eine Stunde aufgrund starker Gewitter im Großraum Oslo; irgendwann sind wir dann aber doch in der Luft und der reisende Geist kommt mal wieder dem Körper nicht hinterher: Unglaubliche letzte Wochen und Monate liegen hinter mir, ungewisse Tage vor mir und ich finde auch auf diesem Flug keine Ruhe, sodass ich bald 24 Stunden wach bin und langsam anfange, auf dem Zahnfleisch zu gehen. Noch hält mich die Euphorie allerdings am Laufen und die Blicke aus dem Fenster steigern meine Vorfreude auf das, was da kommen mag: Nichtendend Tage, ewiges Licht, dazu die raue Landschaft und unendlich erscheinende Wildnis.
Am Flughafen Kirkenes wartet dann bereits der erste Bär des Trips auf uns, auch wenn er ausgestopft und kleinwüchsig (?) nicht gerade angsteinflößend wirkt.
Unser Fahrer wartet dann tatsächlich wie abgesprochen am Flughafen: Wir ziehen uns um, dürfen bei ihm unsere „zivile“ Kleidung für 16 Tage bunkern und halten nochmal im Kiwi-Supermarkt Hesseng, wo uns beim Versuch zwei Bier zu bezahlen der norwegische Staat ein letztes Mal dazwischen grätscht und den Einkauf verhindert. So bleibt es bei etwas Gemüse und Tortellini für den ersten Abend bzw. die erste Nacht. Knapp zwei Stunden fahren wir im geräumigen Volvo der eigentümlichen Landschaft von Kirkenes nach Süden folgend, schlängeln uns am Pasvik entlang, auf dessen anderer Seite Russland liegt. Seltsame Gedankengänge werden heraufbeschworen, durch wunderschöne Rotfüchse, welche die Straße immer wieder passieren, jedoch unterbrochen. Die letzten Kilometer verdienen die Bezeichnung Straße kaum und auf einmal geht alles ganz schnell: Der Volvo rumpelt die letzten Meter zur Sortbrysttjernkoia, wo es einen kleinen Parkplatz gibt, ich überschreite endgültig eine mentale Grenze und bin nun über 24 Stunden am Stück wach, fertig und aufgeregt zugleich. Wir öffnen die Türen des Autos und erleben den ersten großen Schock…
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