[FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

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  • Torres
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    • 16.08.2008
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    #21
    AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

    Dienstag, 10.01.2012

    Das Frühstück ist luxuriös. Vor allem der Lachs ist ein Gedicht. Meine Laune hebt sich. Gestärkt gehe ich in den Kampf um eine neue Isomatte.

    Ich frag an der Rezeption nach einem Outdoorshop in der Nähe. Die ODS Hotline war fleißig und hat bei Exped in der Schweiz herausgefunden, dass ich die Matte in jedem Outdoorshop vor Ort umtauschen kann, der eine Downmat hat. Die Nummer der finnischen Vertretung habe ich auch. In Leppävaara gibt es einen Outdoorladen. Also packe ich die Downmat in den Rucksack und mache mich auf den Weg.

    Der Bus fährt an der Einfahrt des Hotels los. Da ich noch etwas Zeit habe, mache ich Fotos.









    Ganz ungefährlich sind die Straßen zwar nicht:



    Aber Fahrradfahren ist durchaus möglich, wie ich von Bus aus beobachten kann. Und ohne Gepäck sieht es sogar elegant aus.




    Der Bus kostet 2,50 Euro und der Busfahrer fragt, ob ich nach Helsinki will. Nein, will ich nicht. Wie kommt er darauf?
    Der Busfahrer fährt rasant, aber es macht Spaß, einfach nur raus zu schauen. Obwohl man eigentlich nichts anderes sieht als Bäume, Schnee und ab und zu mal ein Haus. Wir fahren an dem Wald in Lippajärvi vorbei, in dem ich übernachtet habe und ich muss lächeln. Nach ca. 45 Minuten sind wir in Leppävaara.



    Ich schaue auf die Schriftzüge am Einkaufszentrum und mir kommen Zweifel. Neben der Bushaltestelle steht eine Art S-Bahn. Ziel: Helsinki. Ach. Daher die Frage. In Helsinki gibt es definitiv Outdoorläden mit Downmat.
    Ich ziehe am Automaten eine Karte, Großbereich. Sie kostet 4,50. In kürzerster Zeit ist Helsinki erreicht.



    Ich steige am Hauptbahnhof aus. Ich gehe zur Touristik Information und frage nach einem Outdoorshop, der auf Ausrüstung spezialisiert ist. Ich bekomme eine Adresse und laufe los. Den Weg kenne ich schon. Immer geradeaus und dann links.



    Auf der Straße ist rutschiger Sulz und es ist mit Temperaturen um den Gefrierpunkt feucht kalt. Ich mache schnell ein paar Bilder von den Hauptstraßen, weil jemand wissen wollte, wie Helsinki aussieht.








    Dann bin ich auch schon bei dem Outdoorladen.



    Der Laden ist gut sortiert, das sehe ich auf Anhieb. Hier gibt es alles, was dem Forum gut und teuer ist. Auch die Downmat ist da. Die Verkäuferin weiß nicht so ganz, was sie machen soll. Ich gebe ihr die Nummer von Exped Finnland, aber niemand geht ans Telefon. Sie macht und tut und bemüht sich. Und dann klappt es. Ich bekomme eine neue Downmat. Hallelujah. Eine Sorge weniger.
    An einem Ständer entspähe ich Canada Goose und darf ein Foto machen. Kleine nette Kinderanzüge für um die 500 Euro gibt es auch. Wow. Wie lange brauchen Kinder, um aus den Anzügen heraus zu wachsen? Outdoor in the City.



    JW ist hier nur preiswerte Nebenmarke. Fast ein Billiglabel. Ich schaue mich um. Die Creme de la Creme ist vertreten. Alle Hosen von Fjellräven sind da, die Zelte auch. Marmot, Haglöfs und vor allem Helly Hansen. Ein Saivo liegt im Regel, ebenso das Nallo. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Hätte ich nicht schon alles, würde ich in Kaufrausch geraten.
    Ich kaufe aus Dankbarkeit für den Umtausch eine Reservebenzinpumpe für meinen Benzinkocher, sie ist leicht und nicht teurer als in Deutschland. Die Verkäuferin strahlt und freut sich. Ich finde, das gehört sich so.

    Auf Stadtesichtigung habe ich keine Lust. Also esse ich noch schnell etwas und dann gehe ich zurück zum Bahnhof.



    Die Bahn nach Leppävaara fährt ständig.



    Daher entscheide ich mich, am Bahnhof nach Zügen nach Rovaniemi zu fragen. Nummern ziehen ist angesagt. Die Dame spricht zwar kaum Englisch, aber ich erhalte einen Fahrplan aller finnischen Züge und erfahre, dass ich mit dem Fahrrad derzeit auch mit kurzfristiger Reservierung im IC mitgenommen werde, wenn ich nicht gerade einen Freitag wähle. Ich sehe, dass der Zug nach Rovaniemi über Tampere und Hämenlinna fährt. Vielleicht schaffe ich es ja bis dahin mit dem Fahrrad und kann dann weiter fahren.

    Ich steige wieder in meinen Vorortzug und erfreue mich an einem schwedischen-finnischen Bahnhof.



    Dann bin ich wieder in Leppävaara und warte auf den Bus. Die Busfahrt ist nun im 4.50 Euro Fahrschein enthalten und das ist nicht teuer, wenn ich mir die Preise bei uns so anschaue.




    Der Bus fährt große Teile der Strecke, die ich am gestrigen Tage gefahren bin. Ich kenne jede Steigung und jede Kurve. Und merke, wie eng die Straße wirklich ist. Immer mehr junge Leute mit riesigen Snowboards steigen ein, die Stimmung ist gut. Sie wollen zur Skianlage Serena. Mein Plan, heimlich ein Foto zu machen, scheitert am Blitz.



    Blitzschnell steht der Junge auf dem Foto neben mir und will sehen, was ich da fotografiert habe. Scheinbar ist es okay, aber von jetzt an schaut er woanders hin.



    Als ich das Hotel erreiche, ist es dunkel. Der Abend ist wunderbar kalt. Ich beschließe, einen Spaziergang zu machen und mir die Skianlage an zu schauen. Das Licht ist zauberhaft. Das erste Mal denke ich darüber nach, ob Licht in Finnland vielleicht anders reflektiert wird, als bei uns. Auch wenn es im Original etwas dezenter und nicht ganz so kitschig wirkt, wie das Licht auf den Fotos, so ist das Spektrum doch erstaunlich.









    Der Schnee knirscht unter meinen Füßen, es sind wieder – 8 Grad und die Luft ist wunderbar. Ich komme an der Seite der Skianlage raus und genieße die unwirkliche Atmosphäre. Die Quelle des Dampfes ist schnell ausgemacht.



    Es sind viele Menschen auf der Piste und lassen sich mit dem Lift nach oben ziehen.



    Todesmutig stürzen sich die Snowboarder den Abhang herunter und ich mir wird klar, dass mein Leben anders verlaufen wäre, wenn ich in einem Skigebiet aufgewachsen wäre. Das sieht alles schon sehr interessant aus.



    Ich laufe noch ein wenig auf dem Wanderweg herum und kehre dann langsam zum Hotel zurück.



    Spontan entscheide ich mich, noch einen Tag zu verlängern. In der Nähe gibt an einen auf meiner Karte eingezeichneten Wanderweg, an dem ein Shelter liegt. Ich möchte den Weg erkunden und heraus finden, ob es überhaupt sinnvoll ist, derartige Shelter mit dem Fahrrad an zu fahren.

    Am Abend schaue ich fern und sehe Trabrennen im Schnee. Dann folgt eine skurrile britische Serie. Zwei ältere Männer beschließen, mit dem Rucksack in die Natur zu ziehen und lassen sich in der „Wildnis“ aussetzen. Es ist klar, dass es sofort an fängt zu regnen. Der eine will sofort zurück laufen, aber der andere setzt sich durch. Ich lache mich schlapp, als sie ihre Behausung aufbauen. Sie haben ein Plane-Dackelgarage-Tarpverlängerung Konstruktion dabei und es ist klar, dass es nicht nur regnet, sondern auch stürmt, als sie ihren Unterstand aufbauen. Dem einen fliegt erst einmal das Tarp weg und als die Konstruktion dann steht, ist sie so skurril, ungemütlich, flatterig, feucht und britisch, dass ich vor Lachen fast zusammen breche. Outdoor live. UL in der Praxis. Ich mache ein Foto von der Szene, weiß aber nicht, ob man sie hochladen darf, ohne Urheberrechte zu verletzen.

    Dann schlafe ich erneut bestens.
    Zuletzt geändert von Torres; 27.01.2012, 22:38.
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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    • Vegareve
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      • 19.08.2009
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      #22
      AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

      Bin echt gespannt ob es noch zum Outdoor kommt *mitdenaugenflatter*
      "Niemand hört den Ruf des Meeres oder der Berge, nur derjenige, der dem Meer oder den Bergen wesensverwandt ist" (O. Chambers)

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      • Torres
        Freak

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        • 16.08.2008
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        #23
        AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

        Mittwoch, 11.01.2011

        Als ich in den Früstücksraum komme, trifft mich der Schlag. Es taut. Die Bäume sind grün und auf dem Parkplatz bilden sich Wasserpfützen. Ich denke an die klare Kälte des gestrigen Tages und bin tief irritiert. Das Zimmer kostet diese Nacht nur noch 65,00 Euro. Die Nachsaison hat begonnen. Die meisten Russen sind nun abgereist.

        Ich breche dennoch zu meinem Spaziergang auf.

        Die Skianlage sieht aus wie ein Trauerspiel. Vorbei ist der Zauber der vergangenen Nacht. Was für ein grausamer Anblick.






        Ich finde den Wanderweg sofort und frage mich, wie lange die Eiszapfen sich noch halten werden.



        Der Wanderweg ist ausgeschildert und gut begehbar. Zumindestens zu Fuß. Denn mit dem Fahrrad ist er grenzwertig. Der Schnee ist zu weich und zu tief.



        Ein kleiner Bach sorgt für Abwechslung.



        Und langsam fängt es wieder an zu schneien.



        Nach ca. einem Kilometer sehe ich ein merkwürdiges Teil.



        Vielleicht ein Hinweis auf den Shelter? So ist es. Der Schnee ist unberührt und ziemlich tief. Mit dem Fahrrad ein Kraftakt.

        Ein paar Meter weiter steht eine Holzhütte, hier ist das Holz gelagert.





        Aber die eigentliche Anlage kommt noch.



        Ein Baum versperrt den Weg und es kostet ein wenig Akrobatik, ihn zu überwinden. Dann eröffnet sich der Blick auf die Hütte.



        Das Hauptgebäude und die Nebengebäude sind verschlossen, aber es ist eine sehr große Anlage.
        Ich schaue durch die Ritzen des Holzes und sehe ein Wohnzimmer mit Sofas und Aufenthaltsräume mit Bestuhlung und bin beeindruckt. Im Sommer werden hier viele Menschen Platz haben.



        Immerhin ist die Toilette geöffnet und ordnungsgemäß ausgestattet. Auch im Winter bietet er also für Wanderer Raum für eine Pause.



        Wenn man ihn findet und erreicht, natürlich.

        Ich laufe weiter und erfreue mich an den Spuren der Skier. Und denke natürlich an den Leitfaden für Anfänger.



        Der Weg ist wunderschön, aber viel mehr als Bäume sieht man nicht.









        Die Schranke ist da schon fast ein Lichtblick an Abwechslung. Sie würde gut zu meinem Zelt passen.



        Als ich die Straße höre, wandere ich den gleichen Weg wieder zurück, da es kein Rundweg ist. Erstaunlich, wie schnell man ist, wenn man kein Fahrrad dabei hat. Und es ist viel weniger anstrengend. Aber auch nicht so lustig. Und viel einsamer.





        Es schneit jetzt wieder in dicken Flocken und es scheint etwas kälter geworden zu sein, denn der Tauvorgang hat aufgehört.

        Ich schaue mir noch ein wenig die Hotelanlage an. Im Sommer wird es hier idyllisch sein – zumindestwenn keine Stechmücken unterwegs sind. Ich befürchte aber, sie werden den Teich lieben. Winter ist schon eine schöne Jahreszeit.



        Ich gehe in mein Hotelzimmer zurück und fange an zu packen. Morgen will ich möglichst früh starten. Bei Karkkila ist der nächste Shelter. Vielleicht schaffe ich es bis dorthin. Der Gedanke gefällt mir.
        Zuletzt geändert von Torres; 28.01.2012, 09:14.
        Oha.
        (Norddeutsche Panikattacke)

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        • Lotta
          Dauerbesucher
          • 17.12.2007
          • 929

          • Meine Reisen

          #24
          AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

          Verrückt

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          • Chiloe
            Fuchs
            • 19.07.2009
            • 1411
            • Privat

            • Meine Reisen

            #25
            AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

            Meins wär's nicht...nichtsdestotrotz macht das Lesen und Bilder betrachten natürlich trotzdem Spaß!
            ausrüstungsverliebter Schönwetter- & Gelegenheitstrekker

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            • MonaXY

              Fuchs
              • 30.08.2009
              • 1094
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              • Meine Reisen

              #26
              AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

              Bist ja absolut hart im Nehmen... Super spannender Bericht - freu mich auf die Fortsetzung!

              Frage: Warum meinst du, dass der nächste Shelter bei erst oben bei Karkkila ist? Zumindest halboffene mit Feuerstelle gibt es im Gebiet in und um den Nuuksio NP doch eigentlich einige.
              Oder wolltest du einfach geradeaus hoch Richtung Norden?
              "Gehe nicht, wohin der Weg führen mag, sondern dorthin, wo kein Weg ist, und hinterlasse eine Spur."
              Jean Paul

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              • Stephan Kiste

                Vorstand
                Lebt im Forum
                • 17.01.2006
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                #27
                AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                Hammer,
                man da haste aber Programm gehabt :-)

                Bei Helsingfors musste ich sofort an Kishons
                "Kein Weg nach Oslogrolls" denken, aber ich hoffe doch sehr das Deine Geschichte gut ausgeht :-)

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                • Nita
                  Fuchs
                  • 11.07.2008
                  • 1751
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                  • Meine Reisen

                  #28
                  AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                  Zitat von hotdog Beitrag anzeigen
                  Du bist ja wahnsinnig
                  Zitat von Voland Beitrag anzeigen
                  Ganz schön schräg.
                  Zitat von chrischian Beitrag anzeigen
                  Was für eine abartige Idee! Sehr schön.
                  Zitat von derSammy Beitrag anzeigen
                  Torres!!
                  Du hast echt ein Rad ab !!
                  Lese mit und hoffe, Du hast doch noch ein paar schönere Tage gehabt!
                  Reiseberichte

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                  • Scrat79
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                    • 11.07.2008
                    • 12533
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                    • Meine Reisen

                    #29
                    AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                    Auch wenn ich nie richtig dicke mit dir geworden bin, muss ich doch eingestehen, dass dein Reisebericht klasse ist.
                    Erinnert mich irgendwie an ein Zitat der Sportfreunde Stiller: "Jetzt kommt ein schönes Lied. Ein Lied, mit vielen klaren Tönen."
                    Kurze Sätze, einfach, aber ein besonderer Stil, der sich -in deinem Fall- klasse liest, und viele zum schmunzeln anregende Pointen hat.
                    Gewürzt mit genügend Verrücktheit und der Prise Abenteuer, die den meisten Menschen fehlt.


                    Bin gespannt, wie's weiter geht.
                    Der Mensch wurde nicht zum Denken geschaffen.
                    Wenn viele Menschen wenige Menschen kontrollieren können, stirbt die Freiheit.

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                    • Peter83
                      Fuchs
                      • 22.08.2010
                      • 1115
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                      #30
                      AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                      Spannender Bericht - Danke! ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

                      Grüsse,
                      Peter
                      "A man who is a man goes on till he can do no more and then goes twice as far."

                      Norwegian saying

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                      • Torres
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                        • 16.08.2008
                        • 32305
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                        #31
                        AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                        Donnerstag, 12.01.2012

                        Karkkila

                        Am Morgen stehe ich früh auf, frühstücke und packe mein Fahrrad. Es ist wieder etwas kälter geworden. Na, mal schauen, was das wird. Der Mann an der Rezeption lächelt, als ich das Fahrrad belade. Zum Abschied sagt er: „Es wird Schnee kommen, mehr als uns lieb ist“. Ich lasse mich nicht verunsichern und verabschiede mich.

                        Draußen ist es sehr glatt und ich ziehe meine Gehfest Fußspikes an. Sie sind auch nötig und ich schiebe mein Fahrrad die Straße den Hügels hinunter. Dort ist ein Fußweg, die Verlängerung des Fußweges von gestern, aber er ist nicht geräumt und ich entscheide mich, Straße zu fahren. Es geht gut, der Sulz ist weg und ich habe Grip.
                        Ich biege in die 120 ein und bin erfreut, dass wenig Verkehr ist. Ich radele los. Die Straße ist recht hügelig, da die Seen grundsätzlich im Tal liegen, und an der einen oder anderen Stelle muss ich die letzten Meter über eine Kuppe schieben – mein Gepäck ist einfach zu schwer, denn normalerweise sind das meine Lieblingsstrecken - aber an vielen Stellen komme ich auch wunderbar hoch. Ich genieße es. Fahrradfahren kann schön sein. Ich sehe den geschlossenen Campingplatz und da hätte sich sicherlich eine Möglichkeit gefunden. Allerdings sehen die Waldwege nicht sehr vertrauenserweckend aus. Der Schnee ist recht hoch und keine Spuren von Menschen zu sehen. Ich verstehe, dass es einen Unterschied zwischen Stadt und Land gibt. In den Städten gehen die Menschen bei Wind und Wetter spazieren. Auf dem Land nicht. Outdoor in the City.

                        So muss ich mit Bedauern die eingezeichneten Nationalparks links liegen lassen. Wäre es kalt und der Schnee fest, würde ich mir dort eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Aber bei den Schneeverhältnissen heute habe ich keine Chance. Außerdem habe ich die Warnung von Timo im Ohr: Viel Schnee, mehr als uns lieb sein kann. Wenn ich Pech habe, komme ich dort nicht mehr heraus. Und wenn ich viel Pech habe, gibt der Schnee den angeknacksten, sturmgeschädigten Bäumen den Rest. Ich gehe lieber auf Nummer sicher.

                        Es fängt wieder leicht an zu schneien, aber es ist kein schöner Schnee, sondern ein nasser Schneeregen. Gegen 12.00 Uhr erreiche ich mein Minimalziel bei Salmi. Hier kann ich den Radweg 25 nehmen, der zu dem Shelter führt. An der Abzweigung ist ein Supermarkt und ich beschließe, ein wenig zu essen und zu trinken zu kaufen. Es ist ungemütlich und die Radwegstraße macht einen schlechten Eindruck. Sie ist völlig vereist, was nicht schlimm wäre, aber durch das Tauwetter und die Autos sind unangenehme Spurrillen in der Straße. Sie ist nicht geräumt worden. Und sie ist verflucht eng, da passen derzeit noch nicht einmal zwei Autos nebeneinander. Ich beschließe, jemanden zu fragen.



                        Im Supermarkt gibt es einen Tisch mit Sahnekuchen, Kaffee und Tee. Man darf sich bedienen und das tue ich gerne. Ich frage ein Ehepaar nach dem Straßenzustand und sie verneinen. Zu eng, zu vereist, zugefährlich. Mist. Ich zahle und verstaue meine Sachen. Mir ist kalt. Die Temperaturen sind um den Gefrierpunkt und alles ist feucht und ungemütlich. Es schneit wieder stärker.

                        Ich entscheide mich die Hauptstraße weiter zu fahren. Bis Vihti sind noch 14 km, das wird mein nächstes Minimalziel. Dass ich straßentechnisch gesehen gerade mal 36 km von Helsinki entfernt bin, ignoriere ich. Ich hatte gehofft, ich wäre schon weiter gekommen.

                        Die Straße ist weiterhin hügelig und jetzt setzt auch ein wenig Wind ein. Eigentlich ist die Straße sehr schön und abwechslungsreich, aber nicht heute. Ich quere bei Otilampi Bahngleise, ich bin mir aber nicht sicher, ob es dort einen Bahnhof gibt. Es können auch Gütergleise sein. In meinem Bahnbuch steht der Ort nicht.

                        Weiter geht es, immer hoch und runter und jeder Blick in Wanderwege an der Straße zeigt mir, dass der Schnee zu hoch ist, um in den Wald zu schieben. Keine Ahnung, wie es weiter gehen soll. Bei Siipoo kommt ein relativ flaches Straßenstück und ich fliege dahin. Dann wird es wieder hügeliger und ich muss ab und zu wieder schieben. Ich könnte mich zwar in einem Kraftakt den Berg hoch quälen, aber ich bin zu Fuß einfach schneller. Ich bringe es auf eine Formel: „20 kg zu viel, 20 Grad zu wenig und der Rollwiderstand von Spikes.“

                        Ich sehe mein erstes Elchschild



                        und nutze die Gelegenheit, die Straße zu fotografieren.



                        Wie man sieht, ist sie frei und sogar der Randstreifen ist zu sehen, so dass ich den Autos und den LKW gut ausweichen kann. Das Problem ist die Berg- und Talfahrt. Bergrunter bremst der Wind und bergauf auch. Da ist es schwierig, mit dem vielen Gepäck ausreichend Schwung zu bekommen. Denn eigentlich ist die Straße ideal.



                        Ich entscheide mich, Vihti links liegen zu lassen und den guten Straßenzustand aus zu nutzen.
                        Zwischen drin ist die Umgebung auch wirklich schön, und an einigen Stellen gibt es sogar Felsen an den Rändern der Straße. Leider kann ich sie nicht fotografieren, da die Kurven nicht gut ein zu sehen sind. Im Sommer ist es hier bestimmt sehr schön.




                        Dann geht die 120 in die Bundesstraße 2 über und ich kriege die Krise. Es muss eine der zentralen Hauptstraßen sein. Sie ist teilweise vierspurig ausgebaut und es ist sehr viel Verkehr. Und der Berufsverkehr fängt auch langsam an, denn die Dämmerung setzt ein.

                        Es hilft nichts, hier kann ich nicht stehen bleiben und so gebe ich Gas. Der Schneefall ist wieder zu Regen geworden und die Straße ist gestreut. Jeder überholende LKW übergießt mich mit Schneematsch. Außerdem ist die Straße nicht gerade flach, immerhin aber an den Steigungen jeweils zweispurig, so dass die Autos überholen können. Ich bin nicht mehr ganz so frisch wie am Anfang und muss ab und zu Pausen machen. Aber an Übernachtung ist hier nicht zu denken. Seitenstraßen sind Siedlungsstraßen und Wandergebiete gibt es hier nicht.
                        Ein LKW schüttet mir eine Ladung Schneematsch ins Gesicht und ich habe im wahrsten Sinne die Schnauze voll. Ich spüre den Geschmack von Salz. Aber es ist nicht mehr weit, das mobilisiert die Reserven.

                        Als es fast dunkel ist, erreiche ich die Tankstelle von Karkkila. Ich überlege, ob ich dort nach dem Shelter frage, aber dann wird es ganz dunkel sein. Ich schiebe also mein Fahrrad in die Seitenstraße hinein, denn laut meiner Karte soll dort eine kleine Straße zum Shelter führen. In der Seitenstraße muss ich wieder schieben. Scharfkantiges Eis befindet sich auf der Straße und die Rillen sind zu gefährlich. Der Bürgersteig ist aber auch nicht viel besser. Er ist nicht geräumt und es ist rutschiger nasser Schnee. Der Rollwiderstand ist hoch und ich brauche Kraft, um das Fahrrad zu bewegen. Aber gleich bin ich ja da.

                        Ich sehe schnell, dass ich in einem Industriegebiet bin. Überall sind Einfahrten, aber wo ist die Seitenstraße. Ich müsste schon zu weit sein. Ich sehe ein Geschäft mit Licht und beschließe zu fragen. Es ist eine Zoohandlung.
                        Die Verkäuferin sieht mich an, als wäre ich ein Alien und weiß nicht, was ich will. Sie spricht kaum Englisch und von einem Shelter hat sie noch nie etwas gehört. Immerhin holt sie ein Telefonbuch und wie bei uns ist auch dort ein Stadtplan drin. Mich trifft der Schlag. Ich sehe den Radweg, ich ahne den Shelter und ich sehe die Seitenstraße, die ich suche. Nur: Dazwischen ist ein kleiner Fluß und es gibt keine Brücke. Der Shelter ist für Radfahrer und Kanuten. Ich muss erst nach Karkkila reinfahren, dann durch den Ort und auf der anderen Seite zurück. Geschätzt: 6 Kilometer. Und nun?

                        Ich beschließe, die Seitenstraße dennoch zu suchen. Als ich mein Fahrrad wieder zurück schiebe, setzt dicker, nasser Schneefall ein. In kürzester Zeit ist der Bürgersteig von einer dicken Schneedecke bedeckt und Schieben wird immer schwieriger. Mir ist kalt und ich muss etwas tun. Ich sehe die Seitenstraße, aber sie ist eng und es geht steil bergab. Zu riskant. Also zurück zur Tankstelle, vielleicht haben die eine Idee. In Karkkila soll es ein Hotel geben.

                        Kurz vor der Tankstelle sehe ich noch eine Seitenstraße und dahinter ist Wald. Kurzentschlossen biege ich ein und sehe einen Wendehammer. Es ist der Hof eines Industrieunternehmens und dahinter geht der Wald steil hoch. Auch keine Option. Immerhin ist die Straße festgefahren und ich schiebe ein kleines Stück weiter. Auch hier ist ein Weg und die Bäume sehen gut aus.

                        Der Weg entpuppt sich als Zugang zu Häusern. Romantisch leuchtet ein Licht aus einem der Häuser.



                        Ich schiebe mein Rad in die Einfahrt und erinnere mich: Mit Zustimmung des Grundeigentümers ist Zelten auch auf Privatgrund möglich.
                        Ich gehe zur Haustür. Der Schlüssel steckt. Ich klopfe, aber niemand hört. Ich öffne die erste Glastür und klopfe an der zweiten Tür. Niemand hört. Ich öffne auch die zweite Glastür und klopfe an der dritten Tür. Auf dem Flur sieht man Kinderschuhe und das Haus macht einen netten Eindruck.
                        Ein Hund bellt und ich klopfe wieder. Tatsächlich öffnet sich die Tür und ein nett aussehender älterer Mann kommt hervor. Ich vermute, es ist der Opa.
                        Er spricht kein Englisch und kein Deutsch. Also male ich mit dem Finger ein Lavuu-Symbol an den Türbalken und einen Baum daneben. Tent, Baum und dann zeige ich mit dem Finger hinter den Holzschuppen. Er versteht nicht. Ich male wieder. Ich, Zelt, Baum, dahinten. Er schaut mich an. Also noch mal. Er schaut mich wieder an. Dann bricht es aus ihm heraus. „Täntsen“! „Täntsen“! Er hat ein undefinierbares Lächeln auf den Lippen. Ich nicke. Male wieder das Zeltsymbol und zeige auf den Wald. „Täntsen!“ „Täntsen!“ und dann nochmal: „Täntsen“. Er dreht sich um, macht die Tür zu und entschwindet im Wohnzimmer. Ich werte das als „ja“.

                        Ich verkrümele mich in das Waldstück hinter dem Holzschuppen. Ich finde eine Stelle, die nicht nur gerade ist, sondern auch wenig Schnee aufweist. Wer weiß, welche Mengen da heute noch herunterkommen, denn es schneeregnet immer noch. Ich lege das footprint unter das Zelt, sofort ist es klitschnass. Das Gestänge ebenfalls, wenn es morgen friert, kann das ja heiter werden.

                        Als ich mein Zelt aufgebaut habe, schmeiße ich Zelttasche und Rucksack in die Apsis und bin froh, so eine große Apsis zu haben, damit ich die nassen Sachen nicht ins Innenzelt legen muss. Trotz Regenschutz: Alles, auch meine Oberkleidung, ist klitschnass. Ich befreie mein Fahrrad mit der Bürste von dem nassen Schnee, aber die Vorderbremsen werden morgen garantiert eingefroren sein. Die Hinterradbremsen sind geschützter, da sind die Packtaschen davor. Wie gut, dass ich die Packtaschen nicht aufmachen muss, denn auch die Verschlüsse werden morgen vereist sein.



                        Ich friere entsetzlich. Der Regen hat ganz Arbeit geleistet. Da ich die Regenjacke ab und zu aufgemacht habe, sind alle Schichten durchnässt und der Regen ist in die Arme gelaufen. Nur die Hosen und die Schuhe sind trocken – meine Event Bergsteigerhose ist unbezahlbar. Die Downmat nimmt mühsam die Luft auf – wie immer beim ersten Aufpumpen, aber sie ist dicht. Immerhin.

                        Dann raus aus den Klamotten. Ich ziehe ein frisches T-Shirt, dicke Strümpfe und die Daunenjacke an und trinke warmes Wasser. Schnell noch ein Brot, zum Kochen ist es mir zu nass, ich will in den Schlafsack. Im Schlafsack mümmele ich mein Brot, es krümelt, aber das ist mir egal. Ich zittere vor Kälte. So geht das nicht. Morgen muss ich mir etwas einfallen lassen.

                        Das Raubtier leistet ganze Arbeit und bald ist mir warm. Ich verdränge den Gedanken an morgen und schlafe schnell ein. Immerhin bin ich 42 km weit gekommen.
                        Zuletzt geändert von Torres; 29.01.2012, 22:32.
                        Oha.
                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                          AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                          Freitag, 13.01.2012

                          Helsinki

                          Es ist Freitag der Dreizehnte. Ein Glückstag. Oder so.

                          In der Nacht hat es geschneit, aber mein Zelt hat wenig abbekommen. So war der Plan. Es ist kälter geworden und alles was nass war, ist jetzt gefroren. Ich beglückwünsche mich, dass ich so klug war, die Spanngurte mit ins Zelt zu nehmen und mache ein paar Fotos.











                          Ich beschließe, an der Tankstelle zu frühstücken, sie ist ja nicht weit. Also packe ich und ziehe die eiskalten, steifgefrorenen Klamotten an. Wenn ich mich bewege, wird mir warm werden. Ich befreie das Zelt von den Schneeresten und stelle fest, dass ich vor allem Eis auf dem Zelt habe. Am Übergang zu den Snowflaps haben sich richtig feste Brocken gebildet. Ich drehe die Bürste um und klopfe die Eisklumpen ab. Dann will ich das Zelt abbauen und stelle fest, dass das Gestänge festgefroren ist. War ja klar. Aber ich habe Glück. Mit Krafteinsatz und etwas Drehen bekomme ich es aus den Gestängehaltern heraus. Bei einem Gestänge bleibt zwar nächst das Gestängeende stecken, aber mit etwas Gerüttel kommt es dann doch heraus und ich pfriemele den Knoten und den Nupsi wieder ins Gestänge hinein.

                          Ich verabschiede mich lautlos von meinen Gastgebern. Schön ist es hier.



                          Dann schiebe ich zur Kreuzung und mich trifft der Schlag. Da ist richtig Schnee herunter gekommen. Der Schneematsch von gestern ist vereist und jede Menge weichgefahrener Neuschnee ist darüber. Die Räumdienste scheinen nicht hinterher zu kommen.

                          Mit großen Kraftanstrengungen schiebe ich das Fahrrad über die Hauptstraße zur Tankstelle. Die Autofahrer haben die gleichen Mühen und ich glaube nicht, dass es Einbildung ist, wenn ich schreibe, dass einige ziemlich panisch gucken.
                          Vor der Tankstelle steht ein riesiger Pferdeanhänger, es sind vermutlich Rennpferde. Dieses Geschoss auf diesen Straßen. Respekt, meine Damen.

                          Ich parke mein Fahrrad vor der Tankstelle auf der Sommerterrasse. Als ich die Tankstelle betrete, gehen alle Köpfe in meine Richtung. Das ist mir noch nie in Finnland passiert. Ich im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ich grüße und finde es schade, dass ich kein Finnisch kann. Ich schlängele mich an einem großen Korb mit Winterhandschuhen vorbei – sie kosten 5,99 Euro. Das ist günstig. Die Bedienung lacht, als sie mich sieht und ich bestelle Buffett. Sie zeigt mir, dass ich mir auch Milch und Saft nehmen kann. Ich bedanke mich. Ich frage sie, ob es hier ein Hotel gibt und sie bejaht. Es ist im Zentrum von Karkkila. Eine gute Nachricht. Shelter oder Hotel. Mal schauen.

                          Ich bediene mich an dem reichhaltigen Buffett. Welch ein Luxus. Aber warm wird mit dennoch nicht, die Klamotten sind einfach zu nass.
                          Nach dem Essen überquere ich wieder die Straße, auch dies ein Kraftakt. Langsam wandere ich den Radweg Richtung Stadt entlang. Der Schnee ist zwar nicht tief und ich könnte theoretisch fahren, aber ich weiß nicht, was unter dem Schnee ist. So steif gefroren, wie ich bin, möchte ich einen Sturz nicht riskieren.

                          Nach gefühlt einer Stunde erreiche ich Karkkila und wir ist etwas wärmer. Trotzdem. So geht das nicht. Ich denke wieder an den Rezeptionsmitarbeiter Timo: Noch mehr Schnee. Und dann bei diesen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Das ist Selbstmord. Ich schiebe tapfer weiter, aber ich weiß, ich habe ein Tief. Unter der Brücke am Ortseingang mache ich halt und studiere die Karte. Hinter Karkkila hören die Radwege an den Straßen auf. Zwar könnte ich hier den Fernradweg 2 ansteuern, der in Porras in den Fernradweg 10 übergeht und nach Hämeenlinna führt. Dort könnte ich dann einen Zug nach Rovaniemi nehmen. Aber das Ganze ist unrealistisch. Zwar gibt es dort eine gute Infrastruktur zum Zelten, nein, ich korrigiere mich: Die perfekte Infrastruktur zum Zelten. Aber es ist zweifelhaft, ob ich das Fahrrad da durch geschoben bekomme. Selbst bei relativ guten Schneeverhältnissen schaffe ich derzeit ca. 8 km pro Tag. Wie weit ist es bis Hämeenlinna? Mindestens 70 km. Das sind acht Tage. Wenn ich durchkomme. Danach ist mein Urlaub vorbei.

                          Ich beschließe erst einmal das Hotel zu suchen und dann weiter zu überlegen. Den Shelter finde ich jetzt sowieso nicht. Die Straßenverhältnisse sind gelinde gesagt chaotisch und die Autos rutschen mit durchdrehenden Rädern. Was einen Motorradfahrer mit einer kleinen Enduro allerdings nicht vom Fahren abhält. Glücklich sieht aber auch er nicht aus. Wer aus den Einfahrten oder Seitenstraßen kommt, hat Panik im Blick. Die Finnen halten normalerweise sofort, wenn man sich einem Fußgängerüberweg nähert, aber heute sind sie dankbar, dass ich sie vorbei winke. Ich frage nach dem Hotel und werde weiter gewinkt. Also schieben, schieben, schieben. Die Bürgersteige sind nicht geräumt und ich brauche viel Kraft, um den Pappschnee zu überwinden.

                          An einer Kreuzung scheint sich das Ortsende zu nähern. Ich muss fragen. Eine Frau nähert sich und sie wirkt auf mich, als würde sie in einem Büro arbeiten und Englisch sprechen. Sie spricht perfekt englisch und erklärt mir, wo das Hotel ist. Dann überlegt sie und entscheidet sich, mich ein Stück zu begleiten. Ich frage sie nach den Fernradwegen. Sie sagt, nein. Die Räumdienste kommen derzeit nicht hinterher, die kleineren Straßen sind alle zu eng. Ich frage sie nach der direkten Verbindung über Loppi. Das ist die Straße, die sie immer mit dem Auto fahren. Sie rät mir ab. Die Straßen sind derzeit einfach zu eng. Schon wenn sich zwei Autos begegnen, wird es sehr schwierig. Und der Schnee an den Seiten verengt die Straße zusätzlich. Hügelig ist es dort natürlich auch. Schieben wird also äußerst schwierig. Im Winter rechnen die Autos nicht mit Radfahrern. Sie schaut mich bedauernd an.

                          In dem Moment kommt ein riesiger Bus auf uns zu und ich sehe den Schriftzug Helsinki. Oh. Ich frage meine Begleiterin nach „public transport“. Sie sagt, sie haben Expressbusse nach Helsinki, aber eine Bahn nach Hämeenlinna gibt es nicht. Mein Gehirn rattert. „Nehmen Busse auch Fahrräder mit?“ „Nein,“ sagt sie. „Da müssten sie schon viel Glück haben.“ „Ein Notfall, sozusagen. Oder Tränen.“, flachse ich. „Ja,“, sagt sie, „so ungefähr“ und grinst. Sie spricht wirklich gut Englisch und sie hat Humor.

                          Sie zeigt mir das Hotel und ich biege in die Seitenstraße ein. Die Entscheidung ist gefallen. Definitiv. Ich weiß es schon, aber gebe es nicht zu. Das Hotel ist geschlossen und macht einen puristischen Eindruck und sieht eher wie eine Disco aus. Ich frage ein junges Mädchen und sie sagt, ich solle die Nummer anrufen, die an der Tür angeschlagen ist, dann machen die das Hotel auf. Toll. Ein leeres Hotel in einem verlorenen Ort. Mach ich das jetzt oder nicht. Und damit meine ich nicht das Hotel. Wie immer, wenn ich ein Zeichen erhalten habe, verspüre ich ein lustiges Ziehen in der Magengegend, eine Art von freudiger Erwartung. Ich mache es. Dann bin ich eben ein softegg. Aber ich habe Urlaub und kann tun, was ich will. Das Hotel läuft nicht weg. Ich wende und biege in die Seitenstraße ein, aus der der Bus gekommen ist. Irgendwie sieht es hier plötzlich viel netter aus. Eine ältere Frau kommt mir entgegen und ich frage sie nach dem Bus. Das letzte Mal, dass sie englisch gesprochen hat, muss Jahre her sein und sie braucht sehr sehr lange, bis sie die einzelnen Worte erinnert. Geradeaus und irgendwie in der Nähe der Kirche. Ich schiebe weiter und dann sehe ich auch schon den Busparkplatz. Nun bin ich ja mal gespannt.

                          Am Busbahnhof gibt es ein Postbüro und ich trete ein.



                          Ein gut genährter junger Mann sitzt im Büro und als er mich sieht, ist er starr vor Staunen. Ich frage ihn, ob es einen Bus nach Helsinki gibt, der Fahrräder mitnehmen könnte. Dies ist ein Notfall, ich komme nicht mehr weiter. Er gräbt sein Englisch aus und entschuldigt sich ein paar Mal, dass er so schlecht Englisch spricht, dabei spricht er eigentlich ganz gut. Es gibt zwei Busse nach Helsinki. Einen normalen und der Expressbuss. Sie fahren aber erst in einer Stunde, also gegen 13.00 Uhr. Das ist mir völlig egal. Hauptsache, irgendein Bus nimmt das Fahrrad mit. Mir ist klar, es ist Freitag, die Busse werden voll sein. Das sagt er auch. Aber in seinen Augen ist ein kleines Glimmen. Endlich mal was los, hier in diesem Kaff, sagen sie. Und er ist im Mittelpunkt des Geschehens. Er kann sein Glück nicht fassen.







                          Der erste Bus kann mich nicht mitnehmen. Er hat keinen Platz. Kaum sind die Päckchen ausgetauscht, gibt er wieder Gas. Alle Busse haben heute Verspätung. Dann kommt der Expressbuss. Der Fahrer taxiert mich und dann geht alles ganz schnell. Der Bus ist ein Reisebus, es ist der Zubringerbus zum Flughafen Helsinki. Der Fahrer ist spät dran und räumt in unglaublicher Geschwindigkeit die Koffer von einem Gepäckfach in das andere. Ich lade das Fahrrad ab, ebenfalls in unglaublicher Geschwindigkeit. Schwupss, ist das Fahrrad im Bus. Die Packtaschen auch. Die Frau aus dem Bus nimmt mir den Rucksack weg und verstaut ihn ebenfalls, der Fahrer schließt das Abteil und die Frau schiebt mich in den Bus. Ich will bezahlen, sie schüttelt den Kopf und der Bus setzt sich in Bewegung. Was habe ich getan! Ich fahre Bus! Aber es fühlt sich verdammt gut an! Morgen kaufe ich mir eine Zugfahrtkarte nach Rovaniemi. Der Bus kostet 21.00 Euro, aber das ist es mir wert.

                          Der Bus fährt die Bundesstraße 2 entlang und ich darf gar nicht darüber nachdenken, wie lange ich für diese Strecke gebraucht habe. Heute hätte ich hier nicht mehr fahren können. Die Randstreifen sind völlig vereist und man hört das Schaben an den Reifen.



                          Nach ungefähr einer Stunde erreicht der Bus Helsinki und ich sehe die Brücke, auf der ich die Fahrradbrille verloren haben. Das Bild dazu ist also heute entstanden. Dann geht es Richtung Zentrum.



                          Der Bus hält im unterirdischen Busbahnhof und mit Mühe belade ich mein Fahrrad wieder, da ich es nicht richtig anlehnen kann. Ein anderer Bus kommt, ich jongliere mit meinem Gepäck, damit der Fahrer das Gepäckabteil öffnen kann, aber irgendwie geht es. Dann finde ich den Aufzug und weiß sofort, wo ich bin. Jeder Umweg hat eben seinen Sinn.

                          Ich schiebe das Rad zum Bahnhof und lehne es an der Touristik Information an. Ich weiß, dass es in Helsinki Jugendherbergen gibt, die geöffnet sind und frage. Die Dame hinter dem Schalter ist nicht gerade erfreut. Sie kennt wohl das Hostel-Klientel zur Genüge. Gelangweilt sagt sie: „Wenn ich da anrufen soll, kostet das 8 Euro.“ und weiß die Antwort schon. Mir ist das Geld sowas von egal, ich will endlich aus den nassen Klamotten raus und wissen, wo ich heute abend bleibe. Ich habe keine Lust, dort hin zu laufen und das Hostel hat keine Zimmer mehr. Sie schaut mich verwundert an und dann reserviert sie mir ein Zimmer. Sie empfiehlt das Euro Hostel und ich nicke sofort. Es ist erstens am günstigsten und zweitens interessant gelegen. Auf das Hostel am Stadion habe ich keine Lust. Ich buche ein Einzelzimmer, da ich keine Lust habe, meine Ausrüstung in einem 12-Bett-Zimmer zu trocknen. Ich habe einen Jugendherbergsausweis und kann ihn endlich mal benutzen. Er bringt 10 Prozent. Trotzdem kostet das Zimmer 45 Euro. Aber ich kenne die Hotelpreise in Hamburg. Ich schätze, damit komme ich verdammt gut weg.

                          Es ist kalt geworden. Der Schnee ist gefroren und die Straßen sind geräumt. Endlich wird mir wieder warm. Ich könnte durchaus Fahrrad fahren, aber ich muss anhand des Stadtplanes die Straßen finden und das geht zu Fuß besser. Als ich die lutherische Kirche sehe, geht mir das Herz auf. Natur und Kultur. Das gefällt mir. Vielleicht ist Helsinki doch ganz schön und eine Besichtigung wert? Wenn man schon mal hier ist!







                          Das Hostel ist nicht weit von Anleger der Silja Line entfernt und als sich ein beleuchtetes Fährschiff langsam in den Hafen schiebt, weiß ich, dass meine Entscheidung richtig war. Es geht doch nichts über eine Hafenstadt. Und einen Moment lang überkommt mich die Sehnsucht nach dem Meer.

                          Die Frauen an der Rezeption sind unglaublich nett und ich checke ein. Einen Fahrradparkplatz gibt es leider nicht und ich kette mein Fahrrad hinter dem Haus auf der Terrasse an den Zaun. Der Schnee ist hier erstaunlich hoch und ich brauche etwas Geschick, obwohl es nicht beladen ist. Außerdem ist es glatt.

                          Das Hostel hat einen Fahrstuhl und ich bin erleichtert. Mein Gepäck ist schwer genug. Keine Lust, es in den 5. Stock zu transportieren. Ich drücke auf den Knopf des Fahrstuhls und es passiert nichts. Ich drücke wieder. Der Fahrstuhl ist da. Aber die Tür geht nicht auf. Ein Asiate kommt und macht die Tür auf und ich staune. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Fahrstuhl gesehen, wo man die Tür von Hand auf ziehen muss. Und die Tür ist schwer! Ich halte die Tür fest und balanciere mein Gepäck hinein, ein Kraftakt. Dann geht es endlich nach oben. Im Aufzug hängt die Werbung für die Serena und nun sehe ich erst einmal, was für ein riesiger Wasserpark sich dort befindet. Ich schmunzele. Da war ich schon.

                          Das Zimmer ist nicht gerade ein innenarchitektonisches Meisterwerk und eine Dusche oder Toilette suche ich vergebens.



                          Immerhin sind die Waschräume frisch renoviert und sehr einladend. Auch eine Küche gibt es. Eine ältere Finnin ist auch gerade bei Inspizieren der Räumlichkeiten und wir kommen ins Gespräch. Sie ist auf ein Familienfest eingeladen und das erste Mal in einem Hostel. Sie ist auch nicht begeistert, aber es ist eben günstig. Sie empfiehlt mir morgen zu frühstücken. Allein für einen Kaffee zahlt man in Helsinki so viel wie hier für ein ganzes Frühstück.

                          Ich packe das Zelt aus (erst das Pferd, dann der Reiter...) und dann ziehe mich mir meine Reservebekleidung an. Alles andere wird zum Trocknen im Zimmer verteilt. Das blanke Chaos. Ich stelle den Fernseher an, um den Wetterbericht zu checken. Zu meinem großen Erstaunen stelle ich fest, dass ich Internet übers Fernsehen habe. Als Schnellinfo gehe ich auf Videotext (Seite 190, YLE). Dort sind immer 3 Seiten Nachrichten und der Wetterbericht auf Englisch eingestellt. Es soll schneien.

                          In der Küche mache ich mir mein Tütenfutter warm. Ich gestehe der ODS Hotline, wo ich bin und sie muntert mich auf und empfiehlt mir Chouchens Reisebericht Rennradschieben auf den Inseln.

                          Ich schlafe tief und fest.

                          Am nächsten Morgen – dies sei vorweg genommen, - lese ich auf Seite zwei des meist politisch ausgerichteten englischen Videotextes folgende Nachricht:

                          Nasser Schnee erzeugt neuerliche Stromausfälle
                          Tausende Haushalte in vielen Teilen Süd- und Zentralfinnlands sind erneut ohne Strom. Nasser Schnee ist auf die Bäume und Strommasten gefallen und hat den Stromausfall verursacht. Freitag morgen sind noch 20.000 Haushalte betroffen.
                          Es wird vor schlechten und sogar dramatischen Straßenbedingungen gewarnt.
                          Zuletzt geändert von Torres; 28.01.2012, 11:34.
                          Oha.
                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                          • Inarijoen Peter
                            Dauerbesucher
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                            #33
                            AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                            Schöner ausführlicher Bericht. Ich kann deine Leiden gur verstehen, denn ich möchte bei diesen Umständen keine Tour machen. Es war auf jeden Fall ein guter Entscheid, am Freitag den 13. im Hotel zu übernachten und nicht im Wald, wo teilweise sehr viele Bäume umgestürzt sind. Wir hatten auf dem Lande ja während Stunden keinen Strom und viele mussten mehr als eine Woche warten, bis sie wieder an das Stromnetz angeschlossen waren.
                            Bin schon gespannt, wie es weiter geht.

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                            • heron
                              Fuchs
                              • 07.08.2006
                              • 1745

                              • Meine Reisen

                              #34
                              AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                              Deine Bilder und Worte vermitteln absolut genial wie heimelig, einladend und kuschelig Südfinnland Anfang Jänner doch sein kann
                              Ich habe keine grossen Ambitionen. Still sitze ich und betrachte wohlgemut das Gewimmel der Welt.
                              Ich benötige nur so viel, wie ich mir ohne Anstrengung und Demütigung beschaffen kann. (György Bálint)

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                              • Torres
                                Freak

                                Liebt das Forum
                                • 16.08.2008
                                • 32305
                                • Privat

                                • Meine Reisen

                                #35
                                AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                nicht im Wald, wo teilweise sehr viele Bäume umgestürzt sind.
                                Genau das war auch meine Angst im Hinterkopf. Ich habe zuviele Bäume gesehen, die unter Spannung standen und ich hätte nicht dafür garantieren mögen, dass die Shelter sicher sind. Danke für Deine Bestätigung.

                                Auch den Garten hatte ich mir unter dem Gesichtspunkt sehr genau angeschaut und daher die schneelose Stelle gewählt.
                                Oha.
                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                • Chouchen
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                                  #36
                                  AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                  Sehr hüsch, torres!
                                  "I pity snails and all that carry their homes on their backs." Frodo Baggins

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                                  • Torres
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                                    #37
                                    AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                    Samstag, den 14.01.2012

                                    Am Morgen frühstücke ich im Hostel. Es kostet 8 Euro und ist zwar nicht luxuriös, aber ausreichend. Es gibt Müsli, Porridge, Eier und Würstchen sowie Aufschnitt und verschiedene Marmeladen. Das ist okay, auch wenn ich vom Hotel Serena doch etwas verwöhnt bin. Ich verlängere meinen Aufenthalt bis Montag.

                                    Die Dame von gestern frühstückt auch und wir kommen ins Gespräch. Sie hat schlecht geschlafen, da ein paar Jugendliche nachts lärmend nach Hause gekommen sind. Ich habe nichts gehört. Normalerweise schläft sie bei Verwandten, wenn sie in Helsinki ist. Diesmal geht es allerdings um eine Geburtstagsfeier von der das Geburtstagskind nichts weiß. Es weiß nur, dass es mir ihrem Mann essen geht und dann werden plötzlich alle Freunde und Verwandten hin zu kommen. Wir kommen ein wenig ins Gespräch und sie erzählt mir, dass im letzten Jahr so viel Schnee gefallen ist, dass es für die Finnen richtig teuer wurde. Sie selbst hat genug Platz auf dem Grundstück, aber andere hatten keinen. Die Städte haben dann Container vor die Häuser gestellt und den Schnee abgefahren. Das war teuer, denn Schnee gilt als Sondermüll und muss fachgerecht entsorgt werden. Jeder Container musste von den Anwohnern bezahlt werden. Ich staune.

                                    Auf der Straße sind angenehme – 7 Grad und ich laufe zum Bahnhof. Es ist ein schöner Tag, die Sonne scheint. Rodelwetter.



                                    Ich stoppe die Zeit, damit ich weiß, wie lange ich am Montag zum Bahnhof brauchen werde. Viele Russen sind in der Stadt, während die Finnen einkaufen gehen. Es ist Samstag.

                                    Wieder fasziniert mich die Kirche.





                                    Und dann bin ich am Bahnhof. Ich brauche also 30 Minuten. Ich gehe zum Ticketschalter und ziehe eine Nummer. Es sind noch über 30 Personen vor mir.



                                    Der Ticketverkäufer wirkt abgestumpft. Keiner einfacher Job tagaus, tagein. Als ich mein Anliegen schildere, zeigt er ein ganz leichtes Lächeln, dass sich auf sein Inneres überträgt. Mit dem Fahrrad nach Rovaniemi. Das kriegen wir hin. Ich bekomme einen Platz für mein Fahrrad und für mich. Montag, 9.58 Uhr geht es nach Rovaniemi.

                                    Als ich den Bahnhof verlasse, bin ich ein wenig euphorisch. Dabei weiß ich noch gar nicht, dass ich mir eine Karte ins Glück gekauft habe. Aber Gedanke, auch mal nach Lappland zu kommen, gefällt mir. Und der Gedanke an einen Stammtisch mit Luminous, mit dem ich in Kontakt stehe, auch. Er wird heute nacht im Tarp übernachten. Ein bisschen beneide ich ihn. Er wird nicht dieses matschige weiße Zeug haben, was die letzten Tage herunter gekommen ist. Und schließlich: Wer weiß, ob ich noch einmal nach Finnland komme. Das passt schon alles.

                                    Entspannt verlasse ich den Bahnhof und schaue den Kindern beim Schlittschuhfahren zu.



                                    Aus dem Lautsprecher ertönt Jodelmusik.





                                    Outdoor in the City.
                                    Dann laufe ich ein wenig herum. Bei Stockmanns kaufe ich ein paar Lebensmittel und bin völlig geplättet. Ich kenne ja das Alsterhaus, aber die Lebensmittelabteilung von Stockmanns haut mich von den Socken. Was für ein Angebot. Was für eine Vielfalt. Das übertrifft französische Supermärkte bei weitem.

                                    Ich stromere noch ein wenig auf der unteren Etage herum und mache mir den Spaß mal zu schauen, mit welchen Outdoorjacken man hier so beim Einkaufen herum läuft. Die meisten Jacken sind zwar Outdoor, aber no name. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man doch das eine oder andere logo. Canada goose gewinnt.

                                    Ich schaue mir ein paar Geschäfte an und befingere in einem Outdoorgeschäft die Neo Air Winter. Dann überlege ich, ob ich noch mal zum Anfang meiner Reise laufe, aber ich entscheide mich dagegen. Man soll Erinnerungen nicht verdecken.
                                    Auf Ausstellungen oder Kirchenbesichtigungen habe ich keine Lust. Das Wetter ist viel zu schön. So laufe ich ein wenig durch die Wohnstraßen und Parkanlagen und genieße das Sonnenwetter. Fröhliche Menschen mit Rodelschlitten und glückliche Kinder mit roten Bäckchen begegnen mir. Auch einige Fahrradfahrer sehe ich. Tatsächlich sind die Radwege hier optimal. Aber da man zu Fuß viel mehr sieht, wandere ich lieber.

                                    Irgendwann nähere ich mich dem Traditionshafen und muss lächeln, als ich im Schaufenster einer Galerie Schuhe sehe. Ich denke an den letzten ODS-Fotowettbewerb und mache für Stephan Kiste ein Bild. Outdoor in the City.



                                    Dann schlendere ich am Traditionshafen entlang.






                                    Die Sonne geht langsam unter und spielt mit den Farben.







                                    Und dann mache ich ein Bild von den finnischen Ampeln, die mich am Anfang in den Wahnsinn trieben. Sie geben rhytmische Tonsignale. Tok Tok Tok Tok Tok und dann plötzlich toktoktoktoktok. Als stände jemand mit einem Gewehr hinter einem. Man hat kaum die Straße betreten, schon wird man zu Eile angehalten. Die ist allerdings nötig, denn die Ampel springen in Helsinki an manchen Stellen sehr schnell um. Bei Schnee und Eis verliert man.



                                    Ich laufe noch ein wenig am Fährhafen entlang und werde wieder einmal fast von einem Schneepflug geräumt, der auf dem Bürgersteig herumturnt. Jetzt werden die Nebenstraßen von Schnee befreit. Ich laufe langsam, denn ich genieße den Moment aus vollen Zügen.




                                    Ich koche mir wieder meine Fertiggerichte in der Küche. Das Zeug muss langsam weg, soviel Tage in der Wildnis sind nicht mehr zu erwarten. Ich reserviere ein Zimmer in Rovaniemi für zwei Tage. Hostel Rudolf. Noch teurer. Den Schlüssel gibt es beim Hotel Santa Claus.

                                    Dann mache ich noch ein Bild aus dem Fenster.



                                    Und beschließe den Abend mit „tiefem Nachdenken“.
                                    Ist es wirklich die richtige Entscheidung, die ich getroffen habe? Realismus wechselt sich ab mit dem Outdoorerherzen. Einerseits: Zelten bei Minustemperaturen macht wirklich Spaß. Andererseits: Was nützt mir das Schlafen im Zelt, wenn ich nicht voran komme. An einer schönen Stelle zu zelten ist ja schön. Aber dann lediglich tagsüber in Kreisen um das Zelt herum zu laufen, um warm zu bleiben, bringt ja wohl auch nichts. Dazu ist dieser Urlaub zu teuer.

                                    Mal sehen, was mich in Rovaniemi erwartet.
                                    Zuletzt geändert von Torres; 28.01.2012, 15:40.
                                    Oha.
                                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      #38
                                      AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                      Sonnstag, 15.01.2012

                                      Es schneit. Der Himmel ist bedeckt. Es ist Sonntagswetter.

                                      Ich mache etwas ganz Fürchterliches. Ich bleibe im Bett und surfe. Anonym natürlich. Auf der ODS Seite. Outdoor in the City.

                                      Ich lese Reiseberichte und Winterfragen. Ich lese von kaputten Fahrradmänteln und -schläuchen, einem unter der Schneelast zusammenbrechenden Nammatj und von Nasenängsten bei – 15 Grad. „Leg Dich in den Sack und gut ist“ (Buck.Mod) wird mein Ausspruch des Tages. Mein Selbstbewusstsein ist wieder in Ordnung. Andere kommen auch nicht besser klar.

                                      Ich stelle noch ein paar Recherchen an und programmiere die Nummer vom Hostel, die Nummer von Finnlines und die Nummer des Campingplatzes in Helsinki ein. Er liegt strategisch günstig in Richtung Fähre. Kurz hatte ich ihn am Freitag auch im Fokus gehabt, aber von dort kommt man ja nur umständlich zum Bahnhof. Das Hostel war die bessere Wahl.

                                      Ich stelle meine Ausrüstung auf den Prüfstand und schmeiße ein paar Sachen weg. Ich brauche keine Rolle Mülltüten. Weg mit dem Tape, das klebt hier sowieso nicht. Es sind vielleicht rund 500 Gramm, die dem Ausmisten zum Opfer fallen. Aber ich kann nun platzsparender packen und die Futtertüte im Rucksack verstauen. Schließlich gilt es morgen gerüstet zu sein, falls ich schnell abladen oder beladen muss.
                                      Zuletzt geändert von Torres; 28.01.2012, 15:41.
                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      • Sir_Hawk
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                                        #39
                                        AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                        Schöner Reisebericht.

                                        Ich fahr ja auch viel Rad, aber Finnland im Januar find ich auch grenzwertig.
                                        Respekt.

                                        Bin auf die kommenden Tage gespannt.

                                        Sir_Hawk

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                                        • Torres
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                                          #40
                                          AW: [FI] Vom Outdoorer zum Touri - Winterradwandern in Finnland und Lappland

                                          Montag, den 16.01.2012

                                          Rovaniemi

                                          Ich stehe um 6 Uhr auf, dusche und packe die letzten Kleinigkeiten. Ich bin angespannt. Bloß nicht den Zug verpassen. War es wirklich eine gute Idee nach Lappland zu fahren? Ich bezweifele, dass ich dort Fahrrad fahren kann. Aber nach Hause zu fahren ist auch keine Option. Egal. Die Entscheidung ist gefallen.

                                          Ich frühstücke und hole mein Fahrrad aus dem Hinterhof. Es sind angenehme – 7 Grad und die Straßen sind frei. Als ich fertig bin mit dem Beladen ist es halb neun. Ich schiebe mein Fahrrad den gewohnten Weg entlang und fühle mich ein wenig heimisch. Vorbei an den Kirchen, die Nobeleinkaufsstraße entlang und dann zum Bahnhof. Die Berufstätigen huschen die Straßen entlang.

                                          Am Zeitungsstand ist nicht viel los und ich komme mit dem Fahrrad gut an die Kasse. Es gibt nur zwei deutsche Zeitungen und ich kaufe sie. FAZ und ZEIT. Ich komme mit der Zeitungsverkäuferin ins Gespräch und sie findet meine Reise mutig. Ich auch. Sie wundert sich, dass ich alleine unterwegs bin und ich erkläre ihr, dass man so etwas nur alleine machen kann. Zu zweit wäre zwar einfacher, aber wer macht schon so etwas. Sie lacht.

                                          Ich schaue mir die Menschen an, die aus den Vorortzügen steigen. Alle haben Daunenjacken oder Winterjacken an, aber kaum jemand Jacken mit Logo. Dann kommt endlich mal wieder Canada Goose. Es ist wieder ein sehr junges Mädchen. Dann sehe ich doch noch eine JW Jacke – die erste und letzte dieser Tour. Luminous wird später erzählen, dann man auf Skandinavientouren anhand der Marken die Herkunft der Wanderer erraten kann. JW ist mit ziemlicher Sicherheit Deutschland, Finnland ist Halti.

                                          Der Zug läuft ein und ich habe genug Zeit, um ein zu steigen. Wagen 3 ist das Fahrradabteil, es ist der rote Waggon.



                                          Die Fahrradaufhängung erschließt sich mir nicht sofort, aber dann sehe ich die Anleitung und es klappt.





                                          Ich wundere mich über den Geldschlitz, in den man 50 cent einwerfen soll. Wozu? Erst am Ende der Fahrt begreife ich, dass man damit den Greifarm arretieren und das Fahrrad abschließen kann.

                                          Pünktlich setzt sich der Zug in Bewegung. 10 Stunden Zugfahrt liegen vor mir. Ich sehe mir die chaotischen Straßenverhältnisse aus sicherer Entfernung an und fühle mich gut. Aus dem Zug sieht zwar alles ganz einfach aus. Das bisschen Schnee. Aber ich kenne die Verhältnisse vom Fahrrad aus. Das macht bescheiden.

                                          In Hämeenlinna fotografiere ich den Bahnhof. Das wird von jetzt an meine Lieblingsbeschäftigung: Bahnhöfe durch die Scheibe zu fotografieren.



                                          Ab und zu sind dann auch mal ein paar Landschaftsbilder dabei:







                                          Aber schnell wird mir klar, wie abwechslungsreich Zugfahren in Finnland ist: Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Feld, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Feld, Feld, Haus, Feld, Haus, Feld, Baum, Feld, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum, Baum. Das ganze kann man sich dann auch noch im Takt der Räder vorstellen. Und bei Schnee. Kurz: Zeitung lesen ist keine Verschwendung.

                                          Dafür gibt es anderes zu entdecken. Auf den Toiletten gibt es Kindertoiletten.



                                          Zwischen den Waggons gibt es Schnee.



                                          Der Speisewagen ist gemütlich.



                                          Und das Essen völlig okay.





                                          Je weiter nördlich der Zug fährt, desto mehr Schnee ist vorhanden.









                                          Und Eis. Die Räder der Züge sind völlig vereist. Ich erschrecke mich jedes Mal zu Tode, wenn wieder ein Eisbrocken zur Seite fliegt. Eine Frau steigt ein, die Deutsch spricht. Sie hat in Deutschland gelebt und liebt die Wärme. Wir unterhalten uns. In Rovaniemi liegt viel Schnee. Sie macht mir wenig Hoffnung, dass ich meine Tour fortsetzen kann.

                                          Und schließlich bin ich in Rovaniemi.



                                          In Rovaniemi herrscht eine wunderbare trockene Kälte und der Schnee knirscht unter den Füßen. Nachdem ich die richtige Straße gefunden habe, fahre ich mit dem Fahrrad los. Als ich gerade so schön in Schwung bin, fällt mir ein, dass ich vielleicht mal schauen sollte, wo ich eigentlich bin. Ich halte eine Joggerin an und sie verweist auf das Licht am Ende der Seitenstraße auf der anderen Straßenseite.

                                          Ich biege in die gezeigte Straße ein und es gefällt mir, was ich hier sehe. Die Beleuchtung. Die Menschen auf der Straße. Die Infrastruktur.

                                          Ich komme am Lordi Square heraus und sehe das Hotel. Die Dame an der Rezeption des Hotels ist sehr freundlich und händigt mir die Schlüsselkarten aus. Das Zimmer im Hostel kostet inklusive Rabatt 54,50 Euro die Nacht. Viel, aber nicht für Rovaniemi. Für 11,00 Euro kann ich im Hotel frühstücken. Sie schaut mein Fahrrad an und empfiehlt mir, es mit ins Hostelinnere zu nehmen. Ich frage sie, wie in Lappland derzeit die Straßen aussehen. Sie schüttelt den Kopf. Hier in der Stadt ist Fahrradfahren kein Problem, aber die Landstraßen sind ein Problem. Ich glaube ihr.

                                          Trotzdem bin ich guter Dinge, als ich mein Fahrrad zum Hostel schiebe. Als ich die Eingangstür öffne, sehe ich, dass es einen Fahrstuhl gibt. Ich lade ab und tatsächlich passt mein Fahrrad in den Fahrstuhl. Knapp, aber es reicht. Ich packe die Packtaschen dazu und schon geht es in den dritten Stock. Das Zimmer hat Dusche und Toilette. Das Fahrrad kommt mitten in den Raum.

                                          Ich schaue aus dem Fenster und habe einen weiten Blick über die Stadt. Was will man mehr. Ab heute bin ich Touri. Füße hochlegen und Urlaub machen.
                                          Oha.
                                          (Norddeutsche Panikattacke)

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